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Der Franzose war eigentlich kein richtiger Franzose von Geburt, doch von seiner Art zu denken, zu leben und sich zu benehmen hätte er durchaus einer sein können, so dass mancher echter Franzose stolz auf seine Bekanntschaft gewesen wäre. Das Geheimnis des Franzosen bestand darin, dass er sich die französische Art, oder was er dafür hielt, einfach nach Deutschland geholt hatte. Er war fast ein Jahr lang in Paris gewesen, hatte von den Franzosen nur das Beste abgeguckt und mit nach Hause genommen. Von daher konnte man also sagen, dass er der beste Franzose war, den es je gab.Die Taktik des…mehr

Produktbeschreibung
Der Franzose war eigentlich kein richtiger Franzose von Geburt, doch von seiner Art zu denken, zu leben und sich zu benehmen hätte er durchaus einer sein können, so dass mancher echter Franzose stolz auf seine Bekanntschaft gewesen wäre. Das Geheimnis des Franzosen bestand darin, dass er sich die französische Art, oder was er dafür hielt, einfach nach Deutschland geholt hatte. Er war fast ein Jahr lang in Paris gewesen, hatte von den Franzosen nur das Beste abgeguckt und mit nach Hause genommen. Von daher konnte man also sagen, dass er der beste Franzose war, den es je gab.Die Taktik des Franzosen war es, Platz zu nehmen und durch seine Erscheinung zu wirken. Schon beim Betreten eines Lokals war es wichtig, den Blick nicht unkontrolliert schweifen zu lassen, denn der Franzose wusste, Frauen besaßen einen sechsten Sinn, eine Art Alarmanlage, die sofort anschlug, wenn ein Jäger auf Beutezug erschien. Doch der Franzose war schlau; er hatte gelernt, sich zu tarnen und eine nicht als solche erkennbare Falle aufzubauen. Zunächst war es wichtig, diese Jagdabsicht nicht einmal zu denken, keine Frau direkt anzuschauen und sich unter einem Mantel der Gleichgültigkeit zu verbergen. So blickte er nur kurz und haarscharf an den hübschen Gesichtern vorbei, als nehme er sie überhaupt nicht wahr. Das erzeugte in den meisten Fällen schon eine leichte Irritation. Der nächste Schritt bestand darin, ganz nebenbei eine Schachtel Gauloises aus der Hemdtasche zu ziehen, mit gekonntem Schlag auf die Verpackung eine Zigarette direkt zwischen seine Lippen zu befördern und mit einem Streichholz zu entzünden. Ein Feuerzug benutzte schließlich jeder. Dann griff er den Rotwein mit der Linken, natürlich am Stiel des Glases, blickte versonnen in das funkelnde Rot und schickte hin und wieder einen kunstvollen Kringel in die Luft. Auch ließ er den Rauch zuweilen einfach aus dem Mund gleiten, so dass geheimnissvolle Schwaden ihn umwehten, die seine Gesichtszüge nur erahnen ließen. Dabei blickte er jedesmal gekonnt an den Gesichtern seiner Opfer vorbei, die inzwischen nicht mehr vermeiden konnten, häufiger zu ihm hinüberzuschauen, scheinbar ganz zufällig. Doch der Franzose wusste um seine Wirkung, und als dann schließlich eine bildschöne Brünette, von Neugier getrieben, zu ihm kam und ihn um Feuer bat, schnappte die Falle zu: Der Franzose ließ seinen leuchtend blauen Blick direkt in ihre Seele fahren, wobei er mit ruhigen, wohlgesetzten Worten auf sie einsprach. Widerstand war zwecklos.
Autorenporträt
Stinehead, Sean
Sean Stinehead arbeitet seit 1982 als freier Schriftsteller und Fachjournalist.