Die vorliegende Biografie zeichnet das Leben des Wissenchenschaftlers und Industriemanagers Waldemar Petersen (1880 - 1946) nach. Nach einer glücklichen Kindheit am Hof Georgs I. in Athen kommt Petersen mit elf Jahren nach Darmstadt. Nach Schulbesuch und Studium der Elektrotechnik an der TH Darmstadt wird er schließlich 1918 ordentlicher Professor für Elektrotechnik und Nachfolger von Erasmus Kittler. Mit 45 Jahren wechselt er nach Berlin in den Vorstand der AEG, des damals größten deutschen Elektrokonzerns. Dort steigt er schnell zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden auf und wirkt an der Ausrichtung der AEG auf die Ziele des NS-Regimes an vorderster Stelle mit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2014"Von den Zielen der Nazis war er überzeugt"
Kanzler beteiligt sich an der Erforschung der NS-Vergangenheit der Technischen Universität Darmstadt
h.r. DARMSTADT. Die Technische Universität Darmstadt wird noch in diesem Jahr die Ergebnisse der Forschungen zu ihrer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus vorlegen. Die Entscheidung des Präsidiums zu diesem Projekt unter Leitung von Christof Dipper vom Institut für Geschichte fiel vor fünf Jahren und stand im Kontext mit dem Bemühen anderer namhafter Universitäten, ihre Verstrickungen mit der NS-Politik aufzuarbeiten. Im Zusammenhang dieses Vorhabens ist auch das Interesse des Kanzlers der TU, Manfred Efinger, an einer namhaften Person geweckt worden - dem "Vater der Hochspannungstechnik", Waldemar Petersen.
Efinger war dieser Name schon kurz nach seinem Amtsantritt 2008 begegnet, etwa in Gestalt der "Petersenstraße" in Darmstadt. Durch sein Amt ist dem Kanzler 2011 auch die Geschäftsführung der "Waldemar-Petersen-Stiftung" zugewachsen, die ein 1929 im Kleinenwalsertal erbautes Erholungsheim unterhält. Dies und die Tatsache, dass Petersen im Forschungsprojekt zur NS-Zeit fast unbeachtet bleiben wird, weil er von der Technischen Hochschule schon 1926 beurlaubt wurde, hat den Politologen motiviert, als "Hobby-Historiker" tätig zu werden. Das Ergebnis ist eine knapp 200 Seiten starke Biographie unter dem Titel "Waldemar Petersen. Athen - Darmstadt - Berlin", die diese Woche vorgestellt wurde.
Petersen, 1880 in Athen geboren, kam mit elf Jahren nach Darmstadt, besuchte hier das Ludwig-Georgs-Gymnasium, studierte anschließend Elektrotechnik an der Technischen Hochschule und wurde 1911 außerordentlicher und 1918 ordentlicher Professor für Elektrotechnik und damit Nachfolger seines Mentors Erasmus Kittler. 1921 übernahm er für zwei Jahre das Amt des Rektors der TH Darmstadt. Mit 46 Jahren wechselte er in den Vorstand der AEG, des damals größten deutschen Elektrokonzerns mit Sitz in Berlin. Dort stieg er schnell zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden auf und gründete das AEG-Forschungsinstitut. Schon in frühen Jahren war Petersen der SA beigetreten. 1938 wurde er zum "Wehrwirtschaftsführer ernannt" und wirkte in unterschiedlichen Kommissionen und für unterschiedliche Ministerien des NS-Staates mit. So konnte ihn Efinger beispielsweise als Vorsitzenden der "Kommission für Fernschießen" identifizieren, die sich um das "Vorhaben Peenemünde" kümmerte - der Entwicklung der Rakete V2 durch das Heereswaffenamt. Die TH Darmstadt war mit 92 Mitarbeitern größter Partner an der Entwicklung dieser "Wunderwaffe".
Als Efinger vor viereinhalb Jahren mit seinen Recherchen zu dem Wissenschaftler und Wirtschaftsführer begann, stellte sich die Quellenlage nicht sonderlich üppig dar. Petersen hatte keine umfangreichen persönlichen Aufzeichnungen hinterlassen, kein Tagebuch, keinen ausführlichen Brief- oder Schriftwechsel. Sein Haus im Paulusviertel in Darmstadt wurde im Zweiten Weltkrieg ebenso zerstört wie seine Villa in Berlin. Gleichwohl ließen sich im Archiv der TU und in anderen Archiven zeithistorische Dokumente finden, wichtige Hinweise in der Sekundärliteratur, private Unterlagen und Fotos. Sie haben es möglich gemacht, wie Efinger sagte, das "grobe Bild" eines Mannes zu zeichnen, der wie kein anderer Wissenschaftler der TH während der Nazizeit in der Wirtschaft Karriere gemacht hat.
Petersen sei von den Zielen des NS-Staates von Anfang an überzeugt gewesen. Dafür seien sein früher Eintritt in die SA und seine Karriere in dieser Organisation ein deutlicher Beleg. Von 1933 an habe er an der Ausrichtung der AEG auf die Ziele des NS-Regimes "an vorderster Front" mitgewirkt und sich im Verlauf der folgenden Jahren immer weiter in die Machenschaften des Regimes verstrickt. Ob seine Karriere typisch ist für die "Selbstmobilisierung der Wissenschaft", wie eine Leitidee von Dippers Forschungsprojekt lautet, lässt sich wohl erst sagen, wenn die Gesamtergebnisse der Untersuchungen zur TH vorliegen. Wie Efinger schreibt, war für einen scheinbar "unpolitischen" Wissenschaftler und Industriemanager wie Petersen die Kombination aus technischer Faszination und finanziellem Handlungsspielraum ein idealer Nährboden, um sich zum "Opportunisten" zu entwickeln. Diese Typisierung, in die manche Historiker Wernher von Braun ebenso einordnen wie Albert Speer, hält Efinger auch für Petersen für angebracht.
Petersen, dessen wissenschaftlicher Ruf die Erfindung der "Petersen-Spule" und die Mitwirkung am "Handbuch für Elektrotechnik" begründete, starb 1946, aber sein Name wirkte fort. Die Petersen-Stiftung wurde erst in den fünfziger Jahren gegründet, eine Straße auf der Lichtwiese sogar erst 1968 nach ihm benannt. Efinger führt dies auf das enge Netzwerke seiner Assistenten und Schüler zurück. Das Corps Rhenania Darmstadt, die schlagende Verbindung, der Petersen in seiner Studienzeit beigetreten war, besteht heute noch. Was es inzwischen nicht mehr gibt, ist die letzte verbliebene Petersenstraße. Sie wurde auf Beschluss des Senats vor einem Jahr umbenannt.
Im Oktober wird sich das Kuratorium der Petersen-Stiftung treffen und dort voraussichtlich ebenfalls über den Stiftungsnamen diskutieren. Efinger sagte, er hoffe in dieser Frage auf eine weise Entscheidung: "Für mich ist der Name nicht mehr zu halten. Die TU sollte sich nicht mit einem ,Petersen-Haus' schmücken." Die Biographie "Waldemar Petersen. Athen - Darmstadt - Berlin" ist im Justus von Liebig Verlag erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kanzler beteiligt sich an der Erforschung der NS-Vergangenheit der Technischen Universität Darmstadt
h.r. DARMSTADT. Die Technische Universität Darmstadt wird noch in diesem Jahr die Ergebnisse der Forschungen zu ihrer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus vorlegen. Die Entscheidung des Präsidiums zu diesem Projekt unter Leitung von Christof Dipper vom Institut für Geschichte fiel vor fünf Jahren und stand im Kontext mit dem Bemühen anderer namhafter Universitäten, ihre Verstrickungen mit der NS-Politik aufzuarbeiten. Im Zusammenhang dieses Vorhabens ist auch das Interesse des Kanzlers der TU, Manfred Efinger, an einer namhaften Person geweckt worden - dem "Vater der Hochspannungstechnik", Waldemar Petersen.
Efinger war dieser Name schon kurz nach seinem Amtsantritt 2008 begegnet, etwa in Gestalt der "Petersenstraße" in Darmstadt. Durch sein Amt ist dem Kanzler 2011 auch die Geschäftsführung der "Waldemar-Petersen-Stiftung" zugewachsen, die ein 1929 im Kleinenwalsertal erbautes Erholungsheim unterhält. Dies und die Tatsache, dass Petersen im Forschungsprojekt zur NS-Zeit fast unbeachtet bleiben wird, weil er von der Technischen Hochschule schon 1926 beurlaubt wurde, hat den Politologen motiviert, als "Hobby-Historiker" tätig zu werden. Das Ergebnis ist eine knapp 200 Seiten starke Biographie unter dem Titel "Waldemar Petersen. Athen - Darmstadt - Berlin", die diese Woche vorgestellt wurde.
Petersen, 1880 in Athen geboren, kam mit elf Jahren nach Darmstadt, besuchte hier das Ludwig-Georgs-Gymnasium, studierte anschließend Elektrotechnik an der Technischen Hochschule und wurde 1911 außerordentlicher und 1918 ordentlicher Professor für Elektrotechnik und damit Nachfolger seines Mentors Erasmus Kittler. 1921 übernahm er für zwei Jahre das Amt des Rektors der TH Darmstadt. Mit 46 Jahren wechselte er in den Vorstand der AEG, des damals größten deutschen Elektrokonzerns mit Sitz in Berlin. Dort stieg er schnell zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden auf und gründete das AEG-Forschungsinstitut. Schon in frühen Jahren war Petersen der SA beigetreten. 1938 wurde er zum "Wehrwirtschaftsführer ernannt" und wirkte in unterschiedlichen Kommissionen und für unterschiedliche Ministerien des NS-Staates mit. So konnte ihn Efinger beispielsweise als Vorsitzenden der "Kommission für Fernschießen" identifizieren, die sich um das "Vorhaben Peenemünde" kümmerte - der Entwicklung der Rakete V2 durch das Heereswaffenamt. Die TH Darmstadt war mit 92 Mitarbeitern größter Partner an der Entwicklung dieser "Wunderwaffe".
Als Efinger vor viereinhalb Jahren mit seinen Recherchen zu dem Wissenschaftler und Wirtschaftsführer begann, stellte sich die Quellenlage nicht sonderlich üppig dar. Petersen hatte keine umfangreichen persönlichen Aufzeichnungen hinterlassen, kein Tagebuch, keinen ausführlichen Brief- oder Schriftwechsel. Sein Haus im Paulusviertel in Darmstadt wurde im Zweiten Weltkrieg ebenso zerstört wie seine Villa in Berlin. Gleichwohl ließen sich im Archiv der TU und in anderen Archiven zeithistorische Dokumente finden, wichtige Hinweise in der Sekundärliteratur, private Unterlagen und Fotos. Sie haben es möglich gemacht, wie Efinger sagte, das "grobe Bild" eines Mannes zu zeichnen, der wie kein anderer Wissenschaftler der TH während der Nazizeit in der Wirtschaft Karriere gemacht hat.
Petersen sei von den Zielen des NS-Staates von Anfang an überzeugt gewesen. Dafür seien sein früher Eintritt in die SA und seine Karriere in dieser Organisation ein deutlicher Beleg. Von 1933 an habe er an der Ausrichtung der AEG auf die Ziele des NS-Regimes "an vorderster Front" mitgewirkt und sich im Verlauf der folgenden Jahren immer weiter in die Machenschaften des Regimes verstrickt. Ob seine Karriere typisch ist für die "Selbstmobilisierung der Wissenschaft", wie eine Leitidee von Dippers Forschungsprojekt lautet, lässt sich wohl erst sagen, wenn die Gesamtergebnisse der Untersuchungen zur TH vorliegen. Wie Efinger schreibt, war für einen scheinbar "unpolitischen" Wissenschaftler und Industriemanager wie Petersen die Kombination aus technischer Faszination und finanziellem Handlungsspielraum ein idealer Nährboden, um sich zum "Opportunisten" zu entwickeln. Diese Typisierung, in die manche Historiker Wernher von Braun ebenso einordnen wie Albert Speer, hält Efinger auch für Petersen für angebracht.
Petersen, dessen wissenschaftlicher Ruf die Erfindung der "Petersen-Spule" und die Mitwirkung am "Handbuch für Elektrotechnik" begründete, starb 1946, aber sein Name wirkte fort. Die Petersen-Stiftung wurde erst in den fünfziger Jahren gegründet, eine Straße auf der Lichtwiese sogar erst 1968 nach ihm benannt. Efinger führt dies auf das enge Netzwerke seiner Assistenten und Schüler zurück. Das Corps Rhenania Darmstadt, die schlagende Verbindung, der Petersen in seiner Studienzeit beigetreten war, besteht heute noch. Was es inzwischen nicht mehr gibt, ist die letzte verbliebene Petersenstraße. Sie wurde auf Beschluss des Senats vor einem Jahr umbenannt.
Im Oktober wird sich das Kuratorium der Petersen-Stiftung treffen und dort voraussichtlich ebenfalls über den Stiftungsnamen diskutieren. Efinger sagte, er hoffe in dieser Frage auf eine weise Entscheidung: "Für mich ist der Name nicht mehr zu halten. Die TU sollte sich nicht mit einem ,Petersen-Haus' schmücken." Die Biographie "Waldemar Petersen. Athen - Darmstadt - Berlin" ist im Justus von Liebig Verlag erschienen.
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