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In seiner Wirkung auf die Geschichte des modernen Romans ist Döblins Wallenstein sogar wichtiger als der neun Jahre später erschienene Berlin Alexanderplatz.
Seit langem wurde von der Döblin-Forschung beklagt, dass der vorliegende Text - in welcher Ausgabe auch immer - in keiner Weise den Ansprüchen genügt, die man an die editorische Verlässlichkeit eines solchen Jahrhundertwerkes stellen muss.
Der Schweizer Germanist, Professor Erwin Kobel, ist seit langem durch wichtige Beiträge zur Döblin-Forschung als Spezialist ausgewiesen. Seiner Edition liegen die über viele Jahre nicht
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Produktbeschreibung
In seiner Wirkung auf die Geschichte des modernen Romans ist Döblins Wallenstein sogar wichtiger als der neun Jahre später erschienene Berlin Alexanderplatz.
Seit langem wurde von der Döblin-Forschung beklagt, dass der vorliegende Text - in welcher Ausgabe auch immer - in keiner Weise den Ansprüchen genügt, die man an die editorische Verlässlichkeit eines solchen Jahrhundertwerkes stellen muss.
Der Schweizer Germanist, Professor Erwin Kobel, ist seit langem durch wichtige Beiträge zur Döblin-Forschung als Spezialist ausgewiesen. Seiner Edition liegen die über viele Jahre nicht zugänglichen - nun aber in Marbach versammelten - Handschriften, Exzerpte, Arbeitsnotizen, Skizzen, aber auch Literaturlisten und Leihscheine zugrunde, die erstmals einen zuverlässigen Romantext ermöglichten.
Kobel bietet einen editorischen Anhang, der die Untugend vieler Kommentare meidet und den Sachverhalt jeweils im Kontext des Romans erläutert.
Autorenporträt
Alfred Döblin, geboren am 10. August 1878 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, war Nervenarzt in Berlin; dort begründete er auch die expressionistische Zeitschrift "Der Sturm" mit. 1933 emigrierte Döblin nach Paris, 1940 floh er nach Amerika und konvertierte zum Katholizismus. Nach dem Krieg kehrte er als französischer Offizier nach Deutschland zurück. Er war Herausgeber der Literaturzeitschrift "Das goldene Tor" (1946-1951) und Mitbegründer der Mainzer Akademie (1949). 1953 übersiedelte er wieder nach Paris. Er starb am 26. Juni 1957 in Emmendingen bei Freiburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2002

Die Wüste Mensch
Wirklichkeit des Leidens: Wallenstein, wie Alfred Döblin ihn sieht

Die Böhmen sind besiegt, und der Kaiser verschlingt das Fleisch des Fasans. Das ist typisch. Nicht für die Böhmen, nicht für den Kaiser, aber für Alfred Döblin. Im Anfang lauert schon der ganze Abgrund. Wir schauen einem Kaiser ins Maul, und wir schauen in das Maul eines Ungeheuers mit dem Namen Dreißigjähriger Krieg. Dieser Krieg ist der wahre Herrscher des heilig genannten und unselig regierten Römischen Reiches Deutscher Nation in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, das den Frieden, den Glauben und die Hoffnung der Menschen, die flackernde Seelen und leidende Körper sind, zermalmt.

Alfred Döblin schrieb den "Wallenstein" aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Er war damals Militärarzt in Saargemünd und in Hagenau. Durch über siebenhundert Seiten treibt eine Naturgewalt - die andere, nicht aber Döblin, mit dem feineren Begriff der Geschichte belegen - ihr Unwesen. Rabiat, brutal, unberechenbar. Sie wirft Menschen und Massen zusammen, klumpt sie und zerteilt sie wieder und zerfetzt sie. Krieg ist Krieg. Die erste Ausgabe des "Wallenstein" erschien 1920 im S. Fischer Verlag. Zwei Bände, mit vielen Druck- und Flüchtigkeitsfehlern.

Walter Muschg gab im Jahr 1965 eine neue Ausgabe des Romans heraus, die zweitausend Abweichungen von der verschusselten Erstausgabe aufweist. Döblin war kein aufmerksamer Fahnenleser, hatte auch anderes zu tun, war Vater dreier Söhne. Der Herausgeber der vorliegenden historisch-kritischen Ausgabe des "Wallenstein", Erwin Kobel, ist die Handschrift erneut durchgegangen und hat eine Latte von Fehlern und Ungereimtheiten entdeckt. Seine Anmerkungen zum Text, die Wort- und Sacherklärungen, das Personenregister und der editorische Bericht bestätigen einmal mehr den Wert der philologischen Arbeit. Jetzt fehlen nur noch die Leser. Wer und was erwartet sie hier?

Ein Rausch, der Wahrheit und Wirklichkeit des Daseins ist, und rund 650 historische Personen. Sie kreisen und trudeln wie kleine Planeten um zwei Sonnen, die zwei Prinzipien des Lebens vorstellen, das aus allen Nähten und Begriffen platzt. Der eine: Wallenstein aus Böhmen, ein Monster, ein Krake des Krieges, der mit seinen Pranken Geld, Geld, Geld rafft und souverän dem Kaiser dienen möchte. Der intelligent über Menschenheere gebietet, die nach seinen Zielen hin- und hergeschoben werden, und über Länder und Städte gebietet, die erobert, geplündert und besetzt werden. Ein gefährdeter Solitär im diplomatischen Netz der Bündnisse und Täuschungen, das die Vorsichtigeren ausspannen.

Aus Wien schaut der andere herüber: das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation - der Kaiser. Ferdinand II., ein Schwächling auf den ersten Blick, der durch die Kriegspolitik ins verhedderte Geschehen hineingezogen wird, aber von dort schließlich geläutert aufersteht. Ein Kaiser mit einer suchenden Seele, der zur Verwunderung seiner kirchlichen Berater, alle erprobte Wanderer in den Niederungen der Machtpolitik, zu ganz anderen Höhen aufsteigt. Der eines Tages verschwindet, seinen Thron einfach Thron sein läßt und wie eine Erscheinung, die nicht von dieser Welt ist, eben und gerade durch die marode, verdrehte und morbide Welt pilgert und dabei das Leben und nicht das Sterben predigt.

Konzentrierte Handlung und gezielte Aktion hier, schweifende Gefühle und auflösende Passion dort. Doch beide Ausnahmen - Wahnwüchsige im Mittelmaß - ereilt der Tod durch dritte Hand. Was darf man hoffen in dieser Welt aus Schuld und Sünde? Nicht einmal ein Erbarmen mit der Kreatur. Döblin, der Arzt, sieht die Seelen in ihren Blutbahnen dahinziehen.

Diese beiden Großen wären nur schwarze Schatten oder harte Schemen - ohne Döblin. Ohne seinen Furor, sein Drängen ins historisch Konkrete, sein Drangsalieren des Physiologischen und sein Entwerfen von irdisch- und überirdisch-traumatischen Gewalten. Ohne den pochenden Rhythmus seiner Sätze, Klänge und grell evozierten Stimmungen. Ohne Döblins sprachliche Neugier, die den Menschen aus den Wörtern schnitzt, ohne seine Leidenschaft und seinen Sinn für das Chaos des Wollens und Wünschens und die ungebändigte Wildheit des Lebensgewoges wären gerade die beiden, auf die es hier vor allem ankommt, vielleicht Gestalten mit Kopf und Fuß geworden, ganz sicher aber würde ihnen jede Transparenz für die Strömungen fehlen, die nicht nur sie bewegen. Sie wären Figuren, keine Eruptionen der historischen Natur. Woran soll man noch glauben? An die gerechte Tat, die aber untergehen wird im Tumult der Ungerechtigkeiten.

Ständig wechselt Döblin, der an allen Orten gleichzeitig sein möchte, die Schauplätze. Die Wahrheit ist der Einzelfall. Auf das Aberwitzige kommt das Absonderliche, kommt das Furchtbare, das Entsetzen, der Schrecken. Die Wirklichkeit des Leidens, die Döblin zeigt, müßte aus den Menschen Schizophrene machen. Die Mißhandlung und Verbrennung eines jüdischen Paares unter den Augen einer stumpfen Masse, in deren Rücken das Kaiserpaar steht, sollte das Weltende einläuten und leitet doch nur in den verrohten und gefühlsverwüsteten Alltag über. Ebenso ein blutziehender Schauzweikampf vor den gelangweilten Augen der Bessergestellten auf Erdenzeiten. Der Wahn des Lebens, die Macht über den Tod, die nur mit dem eigenen Gewissen nicht immer zu ertragen ist, schlägt für Stunden um in ein Mordssaufen und Toben und irres Tollen von Kaiser und Narr im Versteck eines Weinkellers. Düster und menschenunfreundlich sind die Nächte der Selbstgeißelung des bayerischen Kurfürsten Maximilian, der trunken von seiner Qual ist. Das langsame Sterben des Kriegers Tilly wird skandiert durch seine röchelnde Anrufung Marias. Die Hatz auf Böhmen mit ausgehungerten Hunden, die Bestien sind, deckt Abgründe auf, in denen, was Mensch sein sollte, versinkt.

Was muß man noch wissen? Nur das alles, meint Döblin. Und wo man auch hinschaut: Man sieht stark gezeichnete Gesichter, vom Wein dunkelrot, verfettet, vernarbt, vom Zweifel ausgemergelt, von Angst und Leid verzehrt, von Maßlosigkeit aufgedunsen. In diesen Köpfen gehen die von fernen Gottes Gnaden und seinen Stellvertretern auf Erden gelenkten Gedanken wie auf Stelzen. Im Namen des Himmels, der Kirche und des Geldes werden Unterredungen geführt zwischen Katholiken und Protestanten und Jesuiten, Schlagabtausch gehalten zwischen Kriegern und Menschenschluckern, Klagen geführt von Diplomanden und Dienern. Sie hocken im Jammertal, haben Visionen vom Jenseits. Was ist der Mensch? Ein Wurm zwischen Vorstellung und Vernichtung.

Vor dem Roman "Berlin Alexanderplatz", der Alfred Döblin berühmt machen sollte, hat er mit dem "Wallenstein" schon seinen Zenit erreicht. Und doch schlummert dieses Buch wie auch seine Tetralogie "November 1918" im Schatten des Großstadtdramas. Ist der "Wallenstein" ein historischer Roman über den Dreißigjährigen Krieg geworden? Döblin hat ganze Bibliotheken für diesen Roman durchgeackert, das heißt in den Büchern gestöbert, Körbe von Details herausfischend, die sein Gemüt affizierten, zahllose Weltpartikel, bis hin zu Exzerpten aus historischen Akten.

Kann man, was ist, was war, literarisch beim Schopf fassen, bündeln? Döblin möchte das Menschenmögliche ans Tageslicht ziehen. Er folgt im großen und ganzen dem historischen Gang der Dinge. Es gibt aber starke Abweichungen, die dem Entwurf, der Idee des Romans geschuldet sind. Zum Beispiel: Ferdinands zweite Frau, Eleonore aus Mantua, stürzt sich in Wirklichkeit nicht aus dem Fenster in den Tod. Der Kaiser wird nicht von einem koboldartigen Waldmenschen erstochen, sondern er stirbt in Wirklichkeit eines natürlichen Todes. Döblin suchte ein Schlußbild: Ferdinand, der andere, der kein Kaiser mehr ist, in der tödlichen Umarmung eines Zwitterwesens. Natur, die den Menschen überwuchert - und eben kein heiles Sterbensgeläute -, hat das letzte Wort nach dem Unheil des langen Schlachtens.

Wer den "Wallenstein" nicht unvorbereitet lesen möchte, sollte eines der Aberhunderte von Büchern über den Dreißigjährigen Krieg konsultieren: Friedrich Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Ricarda Huchs "Der große Krieg in Deutschland" oder Golo Manns Biographie über Wallenstein, Günter Barudios "Der Teutsche Krieg" oder Johannes Burckhardts "Der Dreißigjährige Krieg". Dann wird man beim ersten Satz dieses Meisterwerks der deutschen Literatur sofort auf beiden Füßen landen und zu rennen beginnen. Bewegt euch, Leser, lauft.

EBERHARD RATHGEB.

Alfred Döblin: "Wallenstein". Roman. Herausgegeben von Erwin Kobel. Patmos Verlag, Walter Verlag, Düsseldorf, Zürich 2001. 1023 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eberhard Rathgeb gibt eine kleine Einführung in die Werkgeschichte dieses Döblin-Romans, der noch vor "Berlin Alexanderplatz" entstanden ist: ein Mammutroman von über 1000 Seiten, der 1920 in zwei Bänden im S. Fischer Verlag erschienen war, voller Druck- und Flüchtigkeitsfehler. Walter Muschg betreute die Neuausgabe des Romans in den 60er Jahren, die rund 2000 Abweichungen enthielt, so Rathgeb. Der Herausgeber der historisch-kritischen Ausgabe Erwin Kobel ist nun die Handschrift nochmals durchgegangen und erläutert die von ihm entdeckten Abweichungen in zahlreichen Wort- und Sacherklärungen. Die philologische Arbeit hat gelohnt, schreibt Rathgeb. In den Roman, der mit den Antagonisten Wallenstein und Kaiser Ferdinand II. die religiös-politischen Verwicklungen des 30-jährigen Krieges vor Augen führt, sei Döblins Zeit als Militärarzt im Ersten Weltkrieg eingeflossen: eine leidenschaftliche, rhythmische Sprache peitsche die Wirklichkeit des Krieges, der Gewalt, des Schmerzes hervor. Der Idee des Romans geschuldet seien kleine historische Abweichungen, erläutert Rathgeb, so dass er den Lesern vor der Lektüre die Konsultation einer der Geschichten des 30jährigen Krieges empfiehlt (Golo Mann, Ricarda Huch oder Friedrich Schiller). Dennoch: diesen "Wallenstein" unbedingt lesen, meint er.

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