Walter Althammer hat als Abgeordneter des Deutschen Bundestages von 1961-1983 die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland mitgestaltet. Die lebhaften Schilderungen zeigen sein Engagement in zahlreichen Bundestagsausschüssen wie sein Verantwortungsbewusstsein als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU und stellvertretender Landesgruppenvorsitzender der CDU/CSU-Landesgruppe. Seine autobiographischen Aufzeichnungen und Reden enthalten individuelle Stellungnahmen und Wertungen, verleihen aber damit den historischen Ereignissen erst das persönliche Element, das dem Historiker eine umfassende Würdigung erlaubt. So sind die Berichte über den Trennungsbeschluss von CDU und CSU in Wildbad Kreuth oder über Althammers Vorsitz im Untersuchungsausschuss Abhörfall Strauß von atmosphärischer Dichte, die die große Politik in Bonn ebenso lebendig werden lässt wie die Kommunalpolitik in bayerischen Wirtshäusern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2002In Bierzeltgewittern
Den Posten des CSU-Generalsekretärs lehnte er 1970 ab: Der ehemalige Abgeordnete Walter Althammer erinnert sich
Deutscher Bundestag (Herausgeber): Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Band 16: Walter Althammer. Harald Boldt Verlag im R. Oldenbourg Verlag, München 2002. XVIII und 307 Seiten, 24,80 Euro.
Im November 1966 konkurrierten Kurt Georg Kiesinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Außenminister Gerhard Schröder darum, von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Kanzlerkandidaten nominiert zu werden. Im Vorfeld der Entscheidung erhielten einige CSU-Parlamentarier die Einladung zu einem privaten Abendessen im Hause des Außenministers. Im Laufe des Abends wandte sich der persönliche Referent mit folgenden Worten auch an Walter Althammer: "Herr Abgeordneter, wir haben festgestellt, daß Sie in den fünf Jahren ihrer Parlamentstätigkeit fast keine Auslandsreisen unternommen haben. In welchen Teil der Welt wollen Sie fliegen, was interessiert Sie besonders? Wir werden sofort alles arrangieren." Der plumpe Versuch, auf diese Weise die Gunst der eingeladenen CSU-Abgeordneten zu erlangen, blieb jedoch erfolglos. Althammer und die CSU-Landesgruppe votierten für Kiesinger. Dies ist eine der in leichtem Ton erzählten Episoden, die Walter Althammer, 1961 bis 1985 Mitglied des Deutschen Bundestages (CSU), in seinen Erinnerungen an seine Bonner Zeit festhält.
Bei Althammer stehen die Mühen der legislativen Ebene in der Politik im Mittelpunkt. Höhepunkt seiner Tätigkeit waren die vierzehn Jahre von 1962 bis 1976 im Haushaltsausschuß des Bundestages. Präzise wird der Leser über die Hierarchie der Abgeordneten und das Procedere in diesem Schlüsselgremium informiert. Ebenso versorgt Althammer den Leser mit knappen und guten Porträts der wichtigsten Haushälter, diesen "Sherpas" der Fraktion, die keiner kennt, die jedoch erheblichen Einfluß auf den parlamentarischen Betrieb besitzen.
Als "Nummer eins" der CSU-Landesgruppe im Haushaltsausschuß kam Althammer in jenen Jahren auch die Schlüsselrolle zu, Gelder für bayerische Infrastrukturprojekte wie den Rhein-Main-Donau-Kanal durchzusetzen. Er läßt durchblicken, daß er dabei zwar nicht alle bayerischen Interessen aus Überzeugung vertreten habe, die Bonner Lobbyarbeit der CSU-Abgeordneten insgesamt aber höchst erfolgreich gewesen sei. Auch über sein Erleben großer politischer Ereignisse der siebziger Jahre wie den Kampf der CDU/CSU gegen die sozialliberale Ostpolitik, das gescheiterte Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt und den Trennungsbeschluß von Kreuth im November 1976 berichtet er.
Althammer war damals stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe und neben ihrem Vorsitzenden Friedrich Zimmermann und dem CSU-Vorsitzenden Strauß einer der Befürworter der Entscheidung, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag nicht zu erneuern. Dahinter stand die Überlegung, die CSU als bundesweit vierte Partei zu positionieren. Regional seien die Franken und Schwaben (Theo Waigel) damals mehrheitlich gegen, die Altbayern für die Trennung gewesen, die mit 30 gegen 19 Stimmen (die Zahlen des Abstimmungsergebnisses sind im Text vertauscht) von der Landesgruppe beschlossen wurde. Eindringlich schildert er die Woge der Ablehnung, die der Beschluß anschließend bei den CSU-Mandatsträgern von den Gemeinden bis zum Landtag fand und ihn schließlich kippte. Sie fürchteten die Konkurrenz einer künftig bei Wahlen in Bayern antretenden CDU.
Bereits 1970 hatte Franz Josef Strauß Althammer angeboten, CSU-Generalsekretär zu werden. Seine Ablehnung unter Verweis auf seine Position im Haushaltsausschuß habe Strauß ihm nie verziehen. Hier und an anderen Stellen mischt sich Bitterkeit in den Text, wegen der nachtragenden Art des CSU-Vorsitzenden später keine steilere politische Karriere gemacht zu haben. Interessant ist seine ambivalente Bewertung von Strauß: Dessen politische Leistung und sein Einsatz als Wahlkämpfer finden Bewunderung, seine barocke persönliche Lebensführung und sein persönlicher Umgang Ablehnung.
Ein Drittel der Erinnerungen gehört den Jahren als Abgeordneter, das letzte Drittel enthält Reden und Aufsätze. Höchst aufschlußreich ist der erste Teil, in dem Althammer seine Prägung durch schwäbische Heimat, Familie, Schule, Kirche, Studium, katholische Studentenverbindung und juristisches Referendariat schildert, auch die Funktion der beiden letzten Stationen als Eheanbahnungsinstitute. Ferner gewährt er Einblicke in die Partei- und Wahlkreisarbeit. Kritisch bewertet er den Typus des hauptberuflichen Parteifunktionärs auf dieser Ebene. Ferner erörtert Althammer das rechte Verhältnis zwischen Distanz und Kollegialität zum SPD-Gegenkandidaten, der in seinem Falle über die Landesliste ebenfalls dem Bundestag angehörte. Er gewährt außerdem Einblicke in die Augsburger Kommunalpolitik, die er als Vorsitzender der Jungen Union und Verwaltungsjurist bei der Stadt Ende der fünfziger Jahre gewinnen konnte.
Vor seiner Nominierung für den Bundestagswahlkreis 239 (Augsburg-Land) im Jahr 1961 holte man das Urteil eines Geistlichen über Althammer ein. Atmosphärisch dicht ist auch die Schilderung des Wahlkampfes, den er in den sechziger Jahren bei Bier und Tabaksqualm in schwäbischen Bauernwirtschaften mit drei Veranstaltungen pro Tag, an Sonntagen fünf, bestritt. Wie die Angst des Tormanns beim Elfmeter beschreibt er den Auftritt im Bierzelt. Dabei erfolgreich zu agieren sei nur ganz wenigen begabten Rednern vergönnt: "Prominente Persönlichkeiten wie Hermann Höcherl habe ich dabei ebenso scheitern sehen wie mich selbst." Trotzdem gelang es Althammer, sein Erststimmenergebnis im Wahlkreis Augsburg-Land bis zur letzten Wiederwahl 1982 auf 69,9 Prozent zu steigern.
KARL-ULRICH GELBERG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Den Posten des CSU-Generalsekretärs lehnte er 1970 ab: Der ehemalige Abgeordnete Walter Althammer erinnert sich
Deutscher Bundestag (Herausgeber): Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Band 16: Walter Althammer. Harald Boldt Verlag im R. Oldenbourg Verlag, München 2002. XVIII und 307 Seiten, 24,80 Euro.
Im November 1966 konkurrierten Kurt Georg Kiesinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Außenminister Gerhard Schröder darum, von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Kanzlerkandidaten nominiert zu werden. Im Vorfeld der Entscheidung erhielten einige CSU-Parlamentarier die Einladung zu einem privaten Abendessen im Hause des Außenministers. Im Laufe des Abends wandte sich der persönliche Referent mit folgenden Worten auch an Walter Althammer: "Herr Abgeordneter, wir haben festgestellt, daß Sie in den fünf Jahren ihrer Parlamentstätigkeit fast keine Auslandsreisen unternommen haben. In welchen Teil der Welt wollen Sie fliegen, was interessiert Sie besonders? Wir werden sofort alles arrangieren." Der plumpe Versuch, auf diese Weise die Gunst der eingeladenen CSU-Abgeordneten zu erlangen, blieb jedoch erfolglos. Althammer und die CSU-Landesgruppe votierten für Kiesinger. Dies ist eine der in leichtem Ton erzählten Episoden, die Walter Althammer, 1961 bis 1985 Mitglied des Deutschen Bundestages (CSU), in seinen Erinnerungen an seine Bonner Zeit festhält.
Bei Althammer stehen die Mühen der legislativen Ebene in der Politik im Mittelpunkt. Höhepunkt seiner Tätigkeit waren die vierzehn Jahre von 1962 bis 1976 im Haushaltsausschuß des Bundestages. Präzise wird der Leser über die Hierarchie der Abgeordneten und das Procedere in diesem Schlüsselgremium informiert. Ebenso versorgt Althammer den Leser mit knappen und guten Porträts der wichtigsten Haushälter, diesen "Sherpas" der Fraktion, die keiner kennt, die jedoch erheblichen Einfluß auf den parlamentarischen Betrieb besitzen.
Als "Nummer eins" der CSU-Landesgruppe im Haushaltsausschuß kam Althammer in jenen Jahren auch die Schlüsselrolle zu, Gelder für bayerische Infrastrukturprojekte wie den Rhein-Main-Donau-Kanal durchzusetzen. Er läßt durchblicken, daß er dabei zwar nicht alle bayerischen Interessen aus Überzeugung vertreten habe, die Bonner Lobbyarbeit der CSU-Abgeordneten insgesamt aber höchst erfolgreich gewesen sei. Auch über sein Erleben großer politischer Ereignisse der siebziger Jahre wie den Kampf der CDU/CSU gegen die sozialliberale Ostpolitik, das gescheiterte Mißtrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt und den Trennungsbeschluß von Kreuth im November 1976 berichtet er.
Althammer war damals stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe und neben ihrem Vorsitzenden Friedrich Zimmermann und dem CSU-Vorsitzenden Strauß einer der Befürworter der Entscheidung, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag nicht zu erneuern. Dahinter stand die Überlegung, die CSU als bundesweit vierte Partei zu positionieren. Regional seien die Franken und Schwaben (Theo Waigel) damals mehrheitlich gegen, die Altbayern für die Trennung gewesen, die mit 30 gegen 19 Stimmen (die Zahlen des Abstimmungsergebnisses sind im Text vertauscht) von der Landesgruppe beschlossen wurde. Eindringlich schildert er die Woge der Ablehnung, die der Beschluß anschließend bei den CSU-Mandatsträgern von den Gemeinden bis zum Landtag fand und ihn schließlich kippte. Sie fürchteten die Konkurrenz einer künftig bei Wahlen in Bayern antretenden CDU.
Bereits 1970 hatte Franz Josef Strauß Althammer angeboten, CSU-Generalsekretär zu werden. Seine Ablehnung unter Verweis auf seine Position im Haushaltsausschuß habe Strauß ihm nie verziehen. Hier und an anderen Stellen mischt sich Bitterkeit in den Text, wegen der nachtragenden Art des CSU-Vorsitzenden später keine steilere politische Karriere gemacht zu haben. Interessant ist seine ambivalente Bewertung von Strauß: Dessen politische Leistung und sein Einsatz als Wahlkämpfer finden Bewunderung, seine barocke persönliche Lebensführung und sein persönlicher Umgang Ablehnung.
Ein Drittel der Erinnerungen gehört den Jahren als Abgeordneter, das letzte Drittel enthält Reden und Aufsätze. Höchst aufschlußreich ist der erste Teil, in dem Althammer seine Prägung durch schwäbische Heimat, Familie, Schule, Kirche, Studium, katholische Studentenverbindung und juristisches Referendariat schildert, auch die Funktion der beiden letzten Stationen als Eheanbahnungsinstitute. Ferner gewährt er Einblicke in die Partei- und Wahlkreisarbeit. Kritisch bewertet er den Typus des hauptberuflichen Parteifunktionärs auf dieser Ebene. Ferner erörtert Althammer das rechte Verhältnis zwischen Distanz und Kollegialität zum SPD-Gegenkandidaten, der in seinem Falle über die Landesliste ebenfalls dem Bundestag angehörte. Er gewährt außerdem Einblicke in die Augsburger Kommunalpolitik, die er als Vorsitzender der Jungen Union und Verwaltungsjurist bei der Stadt Ende der fünfziger Jahre gewinnen konnte.
Vor seiner Nominierung für den Bundestagswahlkreis 239 (Augsburg-Land) im Jahr 1961 holte man das Urteil eines Geistlichen über Althammer ein. Atmosphärisch dicht ist auch die Schilderung des Wahlkampfes, den er in den sechziger Jahren bei Bier und Tabaksqualm in schwäbischen Bauernwirtschaften mit drei Veranstaltungen pro Tag, an Sonntagen fünf, bestritt. Wie die Angst des Tormanns beim Elfmeter beschreibt er den Auftritt im Bierzelt. Dabei erfolgreich zu agieren sei nur ganz wenigen begabten Rednern vergönnt: "Prominente Persönlichkeiten wie Hermann Höcherl habe ich dabei ebenso scheitern sehen wie mich selbst." Trotzdem gelang es Althammer, sein Erststimmenergebnis im Wahlkreis Augsburg-Land bis zur letzten Wiederwahl 1982 auf 69,9 Prozent zu steigern.
KARL-ULRICH GELBERG
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Karl-Ulrich Gelberg zeigt sich recht angetan von den Aufzeichnungen und Erinnerungen des CSU-Politikers Walter Althammer, der von 1961 bis 1985 Mitglied des Deutschen Bundestages war. Höchst aufschlussreich findet Gelberg den ersten Teil der Erinnerungen, in dem Althammer von seiner Prägung durch schwäbische Heimat, Schule, Kirche, Studium, Studentenverbindung und sein juristisches Referendariat erzählt. Aber auch der zweite Teil, der sich Althammers Jahren als Abgeordneter widmet, hat für den Rezensenten einiges Interessante zu bieten: Präzise informiert Althammer laut Rezensent über die Hierarchie der Abgeordneten im Bundestag und das Procedere in diesem Schlüsselgremium, liefert "knappe und gute" Porträts der wichtigsten Haushälter, berichtet über sein ambivalentes Verhältnis zu Franz-Josef-Strauß, und schildert "atmosphärisch dicht" den Wahlkampf in den sechziger Jahren bei Bier und Tabakqualm in Bauernwirtschaften. Fazit des Rezensenten: spannende, aufschlussreiche, in "leichtem Ton" erzählte Erinnerungen aus den inneren Zirkeln der Macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Präzise wird der Leser über die Hirarchie der Abgeordneten und das Procedere in diesem Schlüsselgremium (Haushaltsausschuss des Bundestages) informiert. Ebenso versorgt Althammer den Leser mit knappen und guten Portraits der wichtigsten Ämter, diesen `Scherpas´der Fraktion, die keiner kennt, die jedoch erheblichen Einfluss auf den parlamentarischen Betrieb besitzen." Karl-Ulrich Gelberg, FAZ vom 30.4.2002