Produktdetails
- Verlag: Gebr. Mann Verlag
- ISBN-13: 9783786114482
- ISBN-10: 378611448X
- Artikelnr.: 25155771
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2019Aufbrüche mit Stahl und Glas
Jenseits von Diffamierung und Legende: Winfried Nerdinger erzählt das Leben des Bauhaus-Gründers Walter Gropius
Im Bildungswissen der alten Bundesrepublik avancierte der Architekt Walter Gropius zu einem Repräsentanten des „anderen Deutschland“. Er habe nach dem Ende der Weimarer Republik ins Exil gehen müssen – so die Erzählung – und sei somit nicht durch den Nationalsozialismus belastet. Seine Gründung des Staatlichen Bauhauses Weimar als innovativer Kunsthochschule wurde zum demokratischen Gegenpol kultiviert.
Dass dies so eindimensional nicht zutraf, sich zahlreiche Bauhäusler nach 1933 – wie die Mehrheit der Deutschen – in Zustimmung zur Diktatur Hitlers verhielten, hat die empirische Forschung unterdessen belegt. Neben den verfolgten Studierenden und Dozenten gab es auch deutschnationale und nationalsozialistisch engagierte. Zum Bauhausjubiläum versuchten sich einige Autoren an einer Dekonstruktion des Mythos eines „großen Architekten“ mit dem Vorwurf, er habe lediglich die kreativen Leistungen der Büromitarbeiter unter seinem Namen verkauft.
Der Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger weist solche Behauptungen mit einer aus empirischer Quellenarbeit gewonnenen Detailkenntnis in seiner differenzierten Biografie zurück. In seiner Zeit als Leiter des Architekturmuseums der TU München hat er in zahlreichen Ausstellungsprojekten ein Tiefenwissen zu den unterschiedlichen Akteuren der Moderne gesammelt. Seine kritische Prüfung der zu Gropius kolportierten Meinungen wie auch dessen Selbststilisierungen verdichtet er zum Bild einer produktiven Persönlichkeit mit ihren Widersprüchen.
Dem Architekten Gropius gelangen herausragende ästhetische Erfindungen wie die Fassade des Fagus-Werks von 1911 und die Dessauer Bauhausgebäude von 1925/26, die heute zum Weltkulturerbe zählen. Er stabilisierte darüber hinaus die Institution Bauhaus durch unablässige Kommunikation über seine Netzwerke gegen die Angriffe ihrer Gegner, setzte aber auch einseitige Darstellungen zu seinen Gunsten durch.
Über kulturelles Kapital verfügte er bereits durch seine Herkunft aus dem preußischen Bürgertum, die ihn mit der Oberschicht des wilhelminischen Kaiserreichs verband. Er begann zur Blütezeit der modernen Bewegung 1903 in der Kunststadt München an der Technischen Hochschule Architektur zu studieren, brach aber bereits nach einem Semester ab und meldete sich als Einjähriger zur standesbezogenen Offiziersausbildung. Während einer daran anschließenden Bildungsreise lernte er den reichen Mäzen Karl Ernst Osthaus kennen, der ihm eine Empfehlung für den Künstlerstar Peter Behrens mitgab. In dessen Büro konnte sich Gropius seit 1908 mit der Entwurfspraxis im Sinne des Werkbundes vertraut machen. Hier bildete er sein Selbstverständnis als Architekt aus, einem damals ungeschützten Beruf.
Nach seinem Ausscheiden im Streit über praktische Baufragen 1910 erhielt er durch Verwandte erste eigene Aufträge zum Entwurf von Guts- und Landarbeiterhäusern. Die moderne, klare Glas-Stahl-Architektur für die Fagus-Schuhleistenfabrik begründete bald sein Profil als innovativer Architekt, woraus sich 1919 seine Chance zur Bauhausgründung entwickelte. In der Rekonstruktion dieses Weges gelingt es Nerdinger erstmals die Vorgänge kurz nach der Novemberrevolution 1918 im Berliner Arbeitsrat für Kunst präzise zu benennen. Demnach war Bruno Taut bei der Formulierung einer Synthese der künstlerischen Arbeit in der Kathedrale der Zukunft der führende Visionär, aber auch Otto Bartning und Adolf Behne, mit dem Gropius befreundet war, brachten gedankliche Bausteine ein.
Als Gropius am 1. März den Vorsitz im Arbeitsrat übernahm, konnte er sich auf diesen Diskurs stützen und das Programm einer neuen Künstlerausbildung präzisieren. Dieses Bauhausmanifest wurde von der linken Weimarer Revolutionsregierung als Grundlage der Reform angenommen, sodass er bereits ab April als neuer Direktor mit Neuberufungen modernistischer Künstler wie Lyonel Feininger und Johannes Itten beginnen konnte. Die komplexe Geschichte des Bauhauses wird bis zum Ausscheiden von Gropius 1928 in dessen Perspektive erzählt, auch wie er neue Programmversionen im Sinne einer „Gestaltung von Lebensvorgängen“ verfasste. Nerdinger betont, dass Gropius versuchte, das Bauhaus in Distanz zur Politik zu positionieren, was bekanntlich nicht gelang.
Die gleichzeitige Tätigkeit im eigenen Architekturbüro ermöglichte ihm eine erfolgreiche Karriere. In der ersten Phase der Herrschaft des Nationalsozialismus nach 1933 suchte auch Gropius wie andere moderne Bauhausgestalter von Mies van der Rohe bis Herbert Bayer nicht ohne Erfolg prestigeträchtige Aufträge von den neuen Machthabern zu bekommen. Der erste Präsident der Reichskammer für bildende Kunst, der überzeugte Nationalsozialist und Architekt Eugen Hönig, zeigte sich gesprächsoffen. Gropius war als Mitglied aufgenommen.
Als dieser 1935 seine Chancen als deutscher Architekt der Moderne in England erkundete, hielt er sich die Rückkehr offen. Erst als er 1937 den Ruf auf einen Lehrstuhl an der Harvard Universität in Cambridge/USA erhielt, wechselte er dauerhaft nach Amerika. Im Zeitgeist des New Deal war seine Kompetenz zur Gestaltung eines ästhetischen Modernisierungsschubs gefragt. Er konnte seinen gesamten Hausrat mitnehmen, ohne Reichsfluchtsteuer zahlen zu müssen, ein Indiz, dass er nicht als Regimegegner betrachtet wurde. In den USA wurde er bald zum Propagandisten einer eher technoiden Moderne, wie Nerdinger kritisch feststellt.
Diese kenntnisreiche, gut erzählte Biografie hätte gewonnen, wenn sie stärker in die sich wandelnden kulturgeschichtlichen Zeitgenossenschaften eingebettet worden wäre.
WOLFGANG RUPPERT
Winfried Nerdinger: Walter Gropius.
Architekt der Moderne. Verlag C.H. Beck,
München 2019.
423 Seiten, 28 Euro.
Er prägte das Gesicht der Moderne: Walter Gropius.
Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jenseits von Diffamierung und Legende: Winfried Nerdinger erzählt das Leben des Bauhaus-Gründers Walter Gropius
Im Bildungswissen der alten Bundesrepublik avancierte der Architekt Walter Gropius zu einem Repräsentanten des „anderen Deutschland“. Er habe nach dem Ende der Weimarer Republik ins Exil gehen müssen – so die Erzählung – und sei somit nicht durch den Nationalsozialismus belastet. Seine Gründung des Staatlichen Bauhauses Weimar als innovativer Kunsthochschule wurde zum demokratischen Gegenpol kultiviert.
Dass dies so eindimensional nicht zutraf, sich zahlreiche Bauhäusler nach 1933 – wie die Mehrheit der Deutschen – in Zustimmung zur Diktatur Hitlers verhielten, hat die empirische Forschung unterdessen belegt. Neben den verfolgten Studierenden und Dozenten gab es auch deutschnationale und nationalsozialistisch engagierte. Zum Bauhausjubiläum versuchten sich einige Autoren an einer Dekonstruktion des Mythos eines „großen Architekten“ mit dem Vorwurf, er habe lediglich die kreativen Leistungen der Büromitarbeiter unter seinem Namen verkauft.
Der Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger weist solche Behauptungen mit einer aus empirischer Quellenarbeit gewonnenen Detailkenntnis in seiner differenzierten Biografie zurück. In seiner Zeit als Leiter des Architekturmuseums der TU München hat er in zahlreichen Ausstellungsprojekten ein Tiefenwissen zu den unterschiedlichen Akteuren der Moderne gesammelt. Seine kritische Prüfung der zu Gropius kolportierten Meinungen wie auch dessen Selbststilisierungen verdichtet er zum Bild einer produktiven Persönlichkeit mit ihren Widersprüchen.
Dem Architekten Gropius gelangen herausragende ästhetische Erfindungen wie die Fassade des Fagus-Werks von 1911 und die Dessauer Bauhausgebäude von 1925/26, die heute zum Weltkulturerbe zählen. Er stabilisierte darüber hinaus die Institution Bauhaus durch unablässige Kommunikation über seine Netzwerke gegen die Angriffe ihrer Gegner, setzte aber auch einseitige Darstellungen zu seinen Gunsten durch.
Über kulturelles Kapital verfügte er bereits durch seine Herkunft aus dem preußischen Bürgertum, die ihn mit der Oberschicht des wilhelminischen Kaiserreichs verband. Er begann zur Blütezeit der modernen Bewegung 1903 in der Kunststadt München an der Technischen Hochschule Architektur zu studieren, brach aber bereits nach einem Semester ab und meldete sich als Einjähriger zur standesbezogenen Offiziersausbildung. Während einer daran anschließenden Bildungsreise lernte er den reichen Mäzen Karl Ernst Osthaus kennen, der ihm eine Empfehlung für den Künstlerstar Peter Behrens mitgab. In dessen Büro konnte sich Gropius seit 1908 mit der Entwurfspraxis im Sinne des Werkbundes vertraut machen. Hier bildete er sein Selbstverständnis als Architekt aus, einem damals ungeschützten Beruf.
Nach seinem Ausscheiden im Streit über praktische Baufragen 1910 erhielt er durch Verwandte erste eigene Aufträge zum Entwurf von Guts- und Landarbeiterhäusern. Die moderne, klare Glas-Stahl-Architektur für die Fagus-Schuhleistenfabrik begründete bald sein Profil als innovativer Architekt, woraus sich 1919 seine Chance zur Bauhausgründung entwickelte. In der Rekonstruktion dieses Weges gelingt es Nerdinger erstmals die Vorgänge kurz nach der Novemberrevolution 1918 im Berliner Arbeitsrat für Kunst präzise zu benennen. Demnach war Bruno Taut bei der Formulierung einer Synthese der künstlerischen Arbeit in der Kathedrale der Zukunft der führende Visionär, aber auch Otto Bartning und Adolf Behne, mit dem Gropius befreundet war, brachten gedankliche Bausteine ein.
Als Gropius am 1. März den Vorsitz im Arbeitsrat übernahm, konnte er sich auf diesen Diskurs stützen und das Programm einer neuen Künstlerausbildung präzisieren. Dieses Bauhausmanifest wurde von der linken Weimarer Revolutionsregierung als Grundlage der Reform angenommen, sodass er bereits ab April als neuer Direktor mit Neuberufungen modernistischer Künstler wie Lyonel Feininger und Johannes Itten beginnen konnte. Die komplexe Geschichte des Bauhauses wird bis zum Ausscheiden von Gropius 1928 in dessen Perspektive erzählt, auch wie er neue Programmversionen im Sinne einer „Gestaltung von Lebensvorgängen“ verfasste. Nerdinger betont, dass Gropius versuchte, das Bauhaus in Distanz zur Politik zu positionieren, was bekanntlich nicht gelang.
Die gleichzeitige Tätigkeit im eigenen Architekturbüro ermöglichte ihm eine erfolgreiche Karriere. In der ersten Phase der Herrschaft des Nationalsozialismus nach 1933 suchte auch Gropius wie andere moderne Bauhausgestalter von Mies van der Rohe bis Herbert Bayer nicht ohne Erfolg prestigeträchtige Aufträge von den neuen Machthabern zu bekommen. Der erste Präsident der Reichskammer für bildende Kunst, der überzeugte Nationalsozialist und Architekt Eugen Hönig, zeigte sich gesprächsoffen. Gropius war als Mitglied aufgenommen.
Als dieser 1935 seine Chancen als deutscher Architekt der Moderne in England erkundete, hielt er sich die Rückkehr offen. Erst als er 1937 den Ruf auf einen Lehrstuhl an der Harvard Universität in Cambridge/USA erhielt, wechselte er dauerhaft nach Amerika. Im Zeitgeist des New Deal war seine Kompetenz zur Gestaltung eines ästhetischen Modernisierungsschubs gefragt. Er konnte seinen gesamten Hausrat mitnehmen, ohne Reichsfluchtsteuer zahlen zu müssen, ein Indiz, dass er nicht als Regimegegner betrachtet wurde. In den USA wurde er bald zum Propagandisten einer eher technoiden Moderne, wie Nerdinger kritisch feststellt.
Diese kenntnisreiche, gut erzählte Biografie hätte gewonnen, wenn sie stärker in die sich wandelnden kulturgeschichtlichen Zeitgenossenschaften eingebettet worden wäre.
WOLFGANG RUPPERT
Winfried Nerdinger: Walter Gropius.
Architekt der Moderne. Verlag C.H. Beck,
München 2019.
423 Seiten, 28 Euro.
Er prägte das Gesicht der Moderne: Walter Gropius.
Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung
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