Er zählt zu den Großen der modernen Architektur: Was aber hat Walter Gropius wirklich gebaut? Nicht viel. Und das ist nicht erstaunlich, denn nach zwei Jahren Studium war klar, dass ihm jedes Talent zum Architekten fehlte. Doch er gründete ein Architekturbüro, wo andere jene Bauten entwarfen, die heute als Ikonen der Moderne gelten. In seinem Netzwerk tauchen alle Namen auf, die in der Geschichte der Architektur und des Designs im 20. Jahrhundert eine Rolle spielen. Wer wollte da an seiner Bedeutung zweifeln? Bernd Polster hat Gropius' Leben akribisch erforscht - man wird es in Zukunft nicht mehr als Heldengeschichte, sondern als Schelmenroman erzählen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2019Hochstapler und Herrenreiter?
Da möchte man lieber vergessen werden, als einen solchen Biographen zu haben: Bernd Polster vergreift sich zum hundertsten Geburtstag des Bauhauses an Walter Gropius.
Biographien zu Lebzeiten, zumal autorisierte, bleiben meist großen Politikern vorbehalten. Dagegen wurde der Architekt Walter Gropius (1883 bis 1969) schon auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn seit 1950 dreimal mit Lebensgeschichten gefeiert. Nach den Kunsthistorikern Giulio Carlo Argan, Sigfried Giedion und Hans Maria Wingler legte schließlich der amerikanische Architekturprofessor Reginald R. Isaacs eine Biographie vor, an der Gropius noch mitgearbeitet hatte. Das zwölfhundert Seiten starke Werk, das erst 1983 erschien, galt mit seiner Fülle an Dokumenten bislang als Schlussstein im Ruhmestempel des Bauhaus-Gründers.
Rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag des Weimarer Bauhauses legt der Bonner Publizist Bernd Polster eine neue Biographie von Gropius vor. Anstelle weiterer Mystifizierung soll sie der krachenden Demontage des "Silberprinzen" (Paul Klee) dienen. Etwas Denkmalsschändung hatten zuvor bereits Charles Jencks, Heinrich Klotz und Tom Wolfe versucht, aber nie mit dem Anspruch, schonungslos die Wahrheit über Gropius aufzudecken, den Bernd Polster nun abwechselnd "Messias", "Erlöser", "Krisenheiliger", "Herrenreiter", "Husar", "Ideendieb" und "Hochstapler" nennt. Auch attackiert der Autor sämtliche Biographen als "Geschichtsköche des Legendenbreis, der Gropius schmeckte". Mehrfach beklagt er Lücken in den Lebensgeschichten, die er allerdings nirgends - abgesehen von einem Gespräch mit der Adoptivtochter - durch eigene Forschungen füllt.
Sicherlich wäre Ernüchterung in den aktuellen Erinnerungsfeiern für das Bauhaus durchaus willkommen. Denn in Weimar war Gropius' Gewerbeschule anfangs eine parareligöse Sekte mit mittelalterlichen Heilsvisionen und wurde in Dessau 1925 zur Brutstätte für Maschinenästhetik. Mit dem von Gropius dekretierten Geschichtsekel und Nachahmungsverbot entstand das "Helle&Grelle&Reine&Feine&Leere&Hehre", das laut Tom Wolfe die Nutzer von Bauhaus-Entwürfen seitdem an den Rand des sinnlichen Entzugskomas brachte.
Polster will die unbekannten Episoden im Leben des Studienabbrechers rekonstruieren, der nicht zeichnen konnte, aber ein hervorragender Kavallerie-Reiter war. Doch über die elterliche Beamtenfamilie, die auf ein Braunschweiger Pastorenhaus zurückgeht, erfährt man ebenso wenig Neues wie über die Kindheit im "Geheimratsviertel" des südlichen Berliner Tiergartens oder über seine Verwandtschaft mit ostelbischen Junkern. Heraus kommt dabei weniger ein Porträt als ein Steckbrief von Gropius: ein lebenslanger Laie und Autodidakt, der nur auf Baustellen sein Metier lernte und der kunst- wie bildungsfern alle Energien auf Selbststilisierung und Machtzuwachs richtete.
Wirklich neu ist der onkelhafte Ton, mit dem der Autor den "Walter" durch sein bewegtes Leben begleitet. Er konstruiert eine Schein-Intimität durch erfundene Schlüssellochblicke in die elterliche Wohnung, wo "der kleine Walter" am "Rockzipfel" von Manon Gropius eine "hohe Dosis mütterlicher Gefühlsinjektion" abbekam und Weihnachten "im schummrigen Glitzerlicht" mit Anker-Bausteinen seine ersten Würfelarchitekturen fertigte. An der Ostsee übte sich Walter ganz wilhelminisch als "Baumeister von Sandburgen" und verwandelte "Strände in künstliche Wall- und Kraterlandschaften". Und sonntags gab es "gefüllte Kohlrouladen mit Salzkartoffeln". Es können aber auch, da sollte man vorsichtig sein, Königsberger Klopse gewesen sein.
Schon nach wenigen Kapiteln wird die Methode dieses Buches klar. Es ist die Produktion von Atmosphäre, wie man sie von Stummfilm-Dokumentationen der Kaiserzeit kennt, die nachträglich mit Hufgetrappel und Säbelrasseln vertont und von Hand koloriert wurden. Stimmungsfreudig lässt der Autor ganz Berlin unter Blasmusik und Militärparaden erbeben, bis das dicke Ende des Ersten Weltkriegs kommt, als Gropius bei einem Granatenangriff in Nordfrankreich 1918 beinahe lebendig begraben wurde. Zu Kriegsbeginn kämpfte der junge Kavallerieoffizier, so Polster, "wie ein teutonischer Löwe", nun halluziniert er unter Trümmern "die stolze Erinnerung an die militärischen Leistungen einer jeden Generation, die wie ein Film ablief".
Das liest sich wie ein Zitat von Gropius, stammt aber von Reginald Isaacs und bezieht sich wiederum auf Gropius' Vetter Richard, der schon im Deutsch-Französischen Krieg gekämpft hatte. Das merkt aber nur derjenige, der parallel zu Polster die zu Unrecht geschmähte Biographie von Isaacs liest. Ohne dieses Exerzitium weiß der Leser über weite Strecken nicht mehr, wer da spricht: der Bauhaus-Meister, sein Biograph, ein Zeitzeuge oder Bernd Polster. Der Autor verteilt Geschmacksnoten wie "pikant", "delikat" und "heikel". In der Freundschaft mit dem Mäzen und Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus - "zwei gertenschlanke Dandys mit feurigem Herzen" - wittert Polster gar "eine homoerotische Komponente".
Beim ersten Bewerbungsgespräch in Weimar 1916 belauscht der Autor den Großherzog Wilhelm Ernst und den Selfmade-Architekten, wie sie "über edle Pferde, freche Franzosen und den kommenden deutschen Sieg schwadronieren". Das ist nicht mehr bloß narratives Dekor, sondern unhistorische Phantasie, die ihren traurigen Höhepunkt erlebt, als Polster dem vom Krieg traumatisierten Gropius vorwirft, nie "ein Wort der Reue und des Mitleids" für seine Kriegsgegner gefunden zu haben. Der Autor kennt offenbar keinerlei Demut vor der Geschichte.
In Weimar agierte Gropius nur als "Ideendieb", der vom Berliner "Arbeitsrat für Kunst" das Programm und von Herwarth Waldens Galerie "Der Sturm" das künstlerische Lehrpersonal übernahm. Der Bauhaus-Gründer sei eine "Fehlbesetzung" gewesen, habe zeitlebens private Architekturgeschäfte mit seinem öffentlichen Amt vermischt und Mitarbeiter wie Studierende finanziell und ideell ausgebeutet. Tatsächlich aber kann es nützen, wenn praktische Entwurfsarbeit ins Studium einfließt und Nachwuchskräfte sich mit prominenten Architektennamen schmücken. Sicherlich war Gropius' Mitarbeiter Adolph Meyer der bessere Architekt, doch verschwiegen werden seine Beiträge in den Werkmonographien nirgends. Und Polsters Anklage, dass Gropius' Egomanie Mitstreiter wie Lauweriks, Itten, Doesburg oder Wagner völlig in Vergessenheit brachte, ist einfach falsch.
1928 gab Gropius die Leitung des Dessauer Bauhauses auf, um in Berlin Bauprojekte zu entwickeln. Sein späteres Appeasement mit den Nationalsozialisten schildert der Autor korrekt auf Basis der Forschungen von Reginald Isaacs und Winfried Nerdinger, und auch die Übersiedlung nach England und schließlich Amerika 1938 wird nicht mehr als Exil beschrieben, sondern als wirtschaftlich motivierte Suche nach neuen Aufträgen, die Gropius in der Heimat fehlten. Hier ist Polsters Empörung endlich einmal angemessen: Denn er mied den Kontakt zu anderen Emigranten und verweigerte praktische Hilfe, um seine guten Beziehungen zur Berliner Reichskulturkammer nicht zu gefährden.
Seine glückliche Hand in Kulturdiplomatie und Beziehungspflege verschaffte ihm schließlich die Berufung nach Harvard, wo er, wie Heinrich Klotz berichtete, erst einmal die historische Bibliothek ausräumen ließ. Seine begeisterte Aufnahme bei der Ostküsten-Intelligenz machte ihn zum ersten "Stararchitekten" des zwanzigsten Jahrhunderts mit großer Wirkung: Von 1960 an lehrten mehr als hundert Architekturprofessoren in den Vereinigten Staaten, die bei Gropius studiert hatten.
Doch worauf sein Charisma beruhte und wie er seine Studierenden begeisterte, kann der Autor nirgends erklären. In penetranter Wiederholung greift er zur Dramaturgie eines Deus ex Machina: Das gesamte Buch durchschweben "Glücksfeen", die den Architekten singend von Erfolg zu Erfolg geleiten, aber nichts zum Verständnis beitragen. Noch ärgerlicher ist Polsters zweiter Kunstgriff, alle Weggenossen, von denen Gropius profitierte, zu Totengesprächen in einem fiktiven Verlies zu versammeln. Nach in einem Dutzend dieser surrealen Aufzeichnungen aus dem "Keller der Vergessenen und Verdrängten" fühlt man sich eher an "Wischmeyers Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten" aus der "Heute Show" erinnert. So werden selbst scharfe Gropius-Kritiker nach der Lektüre dieses Buches zu Anhängern des Architekten. Denn Polsters Geringschätzung und Häme gegenüber Gropius gibt eine Ahnung davon, gegen welche Widerstände deutscher Kleinbürger und Spießer der Bauhaus-Gründer einst kämpfen musste.
MICHAEL MÖNNINGER
Bernd Polster: "Walter Gropius". Der Architekt seines Ruhms.
Carl Hanser Verlag, München 2019.
654 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Da möchte man lieber vergessen werden, als einen solchen Biographen zu haben: Bernd Polster vergreift sich zum hundertsten Geburtstag des Bauhauses an Walter Gropius.
Biographien zu Lebzeiten, zumal autorisierte, bleiben meist großen Politikern vorbehalten. Dagegen wurde der Architekt Walter Gropius (1883 bis 1969) schon auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn seit 1950 dreimal mit Lebensgeschichten gefeiert. Nach den Kunsthistorikern Giulio Carlo Argan, Sigfried Giedion und Hans Maria Wingler legte schließlich der amerikanische Architekturprofessor Reginald R. Isaacs eine Biographie vor, an der Gropius noch mitgearbeitet hatte. Das zwölfhundert Seiten starke Werk, das erst 1983 erschien, galt mit seiner Fülle an Dokumenten bislang als Schlussstein im Ruhmestempel des Bauhaus-Gründers.
Rechtzeitig zum hundertsten Geburtstag des Weimarer Bauhauses legt der Bonner Publizist Bernd Polster eine neue Biographie von Gropius vor. Anstelle weiterer Mystifizierung soll sie der krachenden Demontage des "Silberprinzen" (Paul Klee) dienen. Etwas Denkmalsschändung hatten zuvor bereits Charles Jencks, Heinrich Klotz und Tom Wolfe versucht, aber nie mit dem Anspruch, schonungslos die Wahrheit über Gropius aufzudecken, den Bernd Polster nun abwechselnd "Messias", "Erlöser", "Krisenheiliger", "Herrenreiter", "Husar", "Ideendieb" und "Hochstapler" nennt. Auch attackiert der Autor sämtliche Biographen als "Geschichtsköche des Legendenbreis, der Gropius schmeckte". Mehrfach beklagt er Lücken in den Lebensgeschichten, die er allerdings nirgends - abgesehen von einem Gespräch mit der Adoptivtochter - durch eigene Forschungen füllt.
Sicherlich wäre Ernüchterung in den aktuellen Erinnerungsfeiern für das Bauhaus durchaus willkommen. Denn in Weimar war Gropius' Gewerbeschule anfangs eine parareligöse Sekte mit mittelalterlichen Heilsvisionen und wurde in Dessau 1925 zur Brutstätte für Maschinenästhetik. Mit dem von Gropius dekretierten Geschichtsekel und Nachahmungsverbot entstand das "Helle&Grelle&Reine&Feine&Leere&Hehre", das laut Tom Wolfe die Nutzer von Bauhaus-Entwürfen seitdem an den Rand des sinnlichen Entzugskomas brachte.
Polster will die unbekannten Episoden im Leben des Studienabbrechers rekonstruieren, der nicht zeichnen konnte, aber ein hervorragender Kavallerie-Reiter war. Doch über die elterliche Beamtenfamilie, die auf ein Braunschweiger Pastorenhaus zurückgeht, erfährt man ebenso wenig Neues wie über die Kindheit im "Geheimratsviertel" des südlichen Berliner Tiergartens oder über seine Verwandtschaft mit ostelbischen Junkern. Heraus kommt dabei weniger ein Porträt als ein Steckbrief von Gropius: ein lebenslanger Laie und Autodidakt, der nur auf Baustellen sein Metier lernte und der kunst- wie bildungsfern alle Energien auf Selbststilisierung und Machtzuwachs richtete.
Wirklich neu ist der onkelhafte Ton, mit dem der Autor den "Walter" durch sein bewegtes Leben begleitet. Er konstruiert eine Schein-Intimität durch erfundene Schlüssellochblicke in die elterliche Wohnung, wo "der kleine Walter" am "Rockzipfel" von Manon Gropius eine "hohe Dosis mütterlicher Gefühlsinjektion" abbekam und Weihnachten "im schummrigen Glitzerlicht" mit Anker-Bausteinen seine ersten Würfelarchitekturen fertigte. An der Ostsee übte sich Walter ganz wilhelminisch als "Baumeister von Sandburgen" und verwandelte "Strände in künstliche Wall- und Kraterlandschaften". Und sonntags gab es "gefüllte Kohlrouladen mit Salzkartoffeln". Es können aber auch, da sollte man vorsichtig sein, Königsberger Klopse gewesen sein.
Schon nach wenigen Kapiteln wird die Methode dieses Buches klar. Es ist die Produktion von Atmosphäre, wie man sie von Stummfilm-Dokumentationen der Kaiserzeit kennt, die nachträglich mit Hufgetrappel und Säbelrasseln vertont und von Hand koloriert wurden. Stimmungsfreudig lässt der Autor ganz Berlin unter Blasmusik und Militärparaden erbeben, bis das dicke Ende des Ersten Weltkriegs kommt, als Gropius bei einem Granatenangriff in Nordfrankreich 1918 beinahe lebendig begraben wurde. Zu Kriegsbeginn kämpfte der junge Kavallerieoffizier, so Polster, "wie ein teutonischer Löwe", nun halluziniert er unter Trümmern "die stolze Erinnerung an die militärischen Leistungen einer jeden Generation, die wie ein Film ablief".
Das liest sich wie ein Zitat von Gropius, stammt aber von Reginald Isaacs und bezieht sich wiederum auf Gropius' Vetter Richard, der schon im Deutsch-Französischen Krieg gekämpft hatte. Das merkt aber nur derjenige, der parallel zu Polster die zu Unrecht geschmähte Biographie von Isaacs liest. Ohne dieses Exerzitium weiß der Leser über weite Strecken nicht mehr, wer da spricht: der Bauhaus-Meister, sein Biograph, ein Zeitzeuge oder Bernd Polster. Der Autor verteilt Geschmacksnoten wie "pikant", "delikat" und "heikel". In der Freundschaft mit dem Mäzen und Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus - "zwei gertenschlanke Dandys mit feurigem Herzen" - wittert Polster gar "eine homoerotische Komponente".
Beim ersten Bewerbungsgespräch in Weimar 1916 belauscht der Autor den Großherzog Wilhelm Ernst und den Selfmade-Architekten, wie sie "über edle Pferde, freche Franzosen und den kommenden deutschen Sieg schwadronieren". Das ist nicht mehr bloß narratives Dekor, sondern unhistorische Phantasie, die ihren traurigen Höhepunkt erlebt, als Polster dem vom Krieg traumatisierten Gropius vorwirft, nie "ein Wort der Reue und des Mitleids" für seine Kriegsgegner gefunden zu haben. Der Autor kennt offenbar keinerlei Demut vor der Geschichte.
In Weimar agierte Gropius nur als "Ideendieb", der vom Berliner "Arbeitsrat für Kunst" das Programm und von Herwarth Waldens Galerie "Der Sturm" das künstlerische Lehrpersonal übernahm. Der Bauhaus-Gründer sei eine "Fehlbesetzung" gewesen, habe zeitlebens private Architekturgeschäfte mit seinem öffentlichen Amt vermischt und Mitarbeiter wie Studierende finanziell und ideell ausgebeutet. Tatsächlich aber kann es nützen, wenn praktische Entwurfsarbeit ins Studium einfließt und Nachwuchskräfte sich mit prominenten Architektennamen schmücken. Sicherlich war Gropius' Mitarbeiter Adolph Meyer der bessere Architekt, doch verschwiegen werden seine Beiträge in den Werkmonographien nirgends. Und Polsters Anklage, dass Gropius' Egomanie Mitstreiter wie Lauweriks, Itten, Doesburg oder Wagner völlig in Vergessenheit brachte, ist einfach falsch.
1928 gab Gropius die Leitung des Dessauer Bauhauses auf, um in Berlin Bauprojekte zu entwickeln. Sein späteres Appeasement mit den Nationalsozialisten schildert der Autor korrekt auf Basis der Forschungen von Reginald Isaacs und Winfried Nerdinger, und auch die Übersiedlung nach England und schließlich Amerika 1938 wird nicht mehr als Exil beschrieben, sondern als wirtschaftlich motivierte Suche nach neuen Aufträgen, die Gropius in der Heimat fehlten. Hier ist Polsters Empörung endlich einmal angemessen: Denn er mied den Kontakt zu anderen Emigranten und verweigerte praktische Hilfe, um seine guten Beziehungen zur Berliner Reichskulturkammer nicht zu gefährden.
Seine glückliche Hand in Kulturdiplomatie und Beziehungspflege verschaffte ihm schließlich die Berufung nach Harvard, wo er, wie Heinrich Klotz berichtete, erst einmal die historische Bibliothek ausräumen ließ. Seine begeisterte Aufnahme bei der Ostküsten-Intelligenz machte ihn zum ersten "Stararchitekten" des zwanzigsten Jahrhunderts mit großer Wirkung: Von 1960 an lehrten mehr als hundert Architekturprofessoren in den Vereinigten Staaten, die bei Gropius studiert hatten.
Doch worauf sein Charisma beruhte und wie er seine Studierenden begeisterte, kann der Autor nirgends erklären. In penetranter Wiederholung greift er zur Dramaturgie eines Deus ex Machina: Das gesamte Buch durchschweben "Glücksfeen", die den Architekten singend von Erfolg zu Erfolg geleiten, aber nichts zum Verständnis beitragen. Noch ärgerlicher ist Polsters zweiter Kunstgriff, alle Weggenossen, von denen Gropius profitierte, zu Totengesprächen in einem fiktiven Verlies zu versammeln. Nach in einem Dutzend dieser surrealen Aufzeichnungen aus dem "Keller der Vergessenen und Verdrängten" fühlt man sich eher an "Wischmeyers Logbuch der Bekloppten und Bescheuerten" aus der "Heute Show" erinnert. So werden selbst scharfe Gropius-Kritiker nach der Lektüre dieses Buches zu Anhängern des Architekten. Denn Polsters Geringschätzung und Häme gegenüber Gropius gibt eine Ahnung davon, gegen welche Widerstände deutscher Kleinbürger und Spießer der Bauhaus-Gründer einst kämpfen musste.
MICHAEL MÖNNINGER
Bernd Polster: "Walter Gropius". Der Architekt seines Ruhms.
Carl Hanser Verlag, München 2019.
654 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Ronald Berg ist heilfroh, dass endlich mal jemand den "Mythos Gropius" entlarvt. Von Autor Bernd Polster lernt er, dass der gefeierte Bauhausarchitekt keine eigenen Ideen hatte - der Mann konnte nicht mal zeichnen! -, sondern lieber die Ideen anderer als eigene ausgab, dass er ein hervorragender Propagandist der eigenen Sache war, der seine Helfer und Ideengeber "erfolgreich vergessen machen konnte" und überhaupt gerne auf andere herabsah. Polster schließt das laut Berg offenbar aus der Tatsache, dass Gropius hervorragend reiten konnte - er nahm als Husar am Ersten Weltkrieg teil - und so die Gewohnheit hatte, vom hohen Ross auf andere herabzublicken. Die ganze Kritik trieft so vor Schadenfreude darüber, dass Gropius hier zurechtgestutzt wird, dass sie sich entgegen der Absicht des Rezensenten nicht als Empfehlung für das Buch liest.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Biografie bietet viel Material für eine andere Geschichte des Neuen Bauens, eine, die nicht auf Heilslehren und Manifeste aus ist. (…) Als Schelm ist Gropius allemal interessanter denn als Heros." Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 19.03.19