Eines Abends erzählt ein alter Freund dem Regisseur Ari in einer Bar von einem Albtraum, den er immer wieder träumt und in dem ihn 26 bissige Hunde jagen. Er hat diesen Traum jede Nacht und es ist immer dieselbe Anzahl Hunde. Die beiden Männer kommen zu dem Schluss, dass der Traum mit einem Einsatz der israelischen Armee im ersten Libanonkrieg in den frühen Achtzigerjahren zusammenhängen muss, an dem sie beteiligt waren. Ari wundert sich, dass er sich an diese Zeit in seinem Leben überhaupt nicht mehr erinnert. Dieses Rätsel fesselt ihn so sehr, dass er beschließt, alte Freunde und Kameraden auf der ganzen Welt aufzusuchen und zu interviewen. Er will unbedingt die Wahrheit über diese Zeit und über sich selbst herausfinden. Als er sich immer intensiver mit dem rätselhaften Thema befasst, tauchen in seiner Erinnerung surreale Bilder auf. Dies steigert sich zunehmend, bis sich Ari eines Tages an Sabra und Shatila erinnert - und die furchtbare Wahrheit darüber enthüllt wird, was damals passiert ist ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.05.2011Süddeutsche Zeitung Bibliothek
Graphic Novels Band 10
Die Höllenhunde
der Erinnerung
„Waltz with Bashir“ von
Ari Folman und David Polonsky
Die Graphic Novel „Waltz with Bashir“ dürfte das erste Beispiel eines neuen Buchtyps sein. Schon der 2008 mit dem „Golden Globe“ und dem französischen Filmpreis „César“ ausgezeichnete Film des israelischen Regisseurs Ari Folman, aus dessen Bildern das Buch zusammengestellt wurde, markierte einen Neuanfang: Nie zuvor wurde ein Dokumentarfilm über ein zeithistorisches Thema in allen Teilen „animiert“, also nicht mit fotografischen, sondern ausschließlich mit zeichnerischen Mitteln hergestellt. Folglich ist auch das Buch, das auf diesen Zeichnungen basiert, ohne Beispiel. Wie in einem Comic sind die beklemmenden Bilder aus dem Film in Streifen übereinander auf den Seiten angeordnet.
Das peinigende Stück Autobiographie, das Ari Folman in Film und Buch in immer neuen Rechercheansätzen entwickelt, springt den Zuschauer und den Leser auf den ersten Seiten fast schockierend an: 26 Hunde mit schwefelgelb glimmenden Augen und gefletschten Zähnen hetzen durch nächtliche Straßen auf ein Haus zu und springen an dessen Wänden hoch. Von diesem ewig gleichen Albtraum wird Folmans Freund Boaz in vielen Nächten aus dem Schlaf gerissen. Beim Gespräch über die möglichen Gründe für diesen Traum erinnern sich die Freunde an die gemeinsam erlebten, aber weitgehend verdrängten Schreckenstage während des Libanonkriegs 1982.
Für Folman ist das beunruhigende Gespräch mit Boaz der Anlass, Freunde, Bekannte und Vorgesetzte aus der Militärzeit nach ihren Kriegserinnerungen zu befragen, um so die eigenen Ahnungen einordnen zu können. Diese Gespräche werden zu einem gespenstischen Tappen im Nebel höchst persönlicher, an peinigenden Stellen aber schützend vernebelter fremder Erinnerungen. Dennoch schieben sich beim Ich-Erzähler die Befürchtungen allmählich zur schrecklichen Gewissheit zusammen, dass er, wie einige seiner damaligen Mitstreiter, die sich zwar an grausige Details, aber nicht an die quälende Hauptsache erinnern können, Zeuge der schrecklichen Massaker christlicher Milizen an palästinensischen Flüchtlingen in den libanesischen Lagern Sabra und Shatila war. Doch eine endgültige Klärung der Umstände, die ihn von seinen Schuldvorstellungen befreien könnte, wird ihm nicht zuteil. Der Kampf mit der dunklen Vergangenheit mutiert so zum psychologischen Tanz mit dem Führer der christlichen Falangisten, zum „Waltz with Bashir“, in dessen Namen das Blutbad damals veranstaltet worden ist.
Ari Folman und sein Zeichner David Polonsky machen mit den Bildern ihres Buches, die höchst virtuos Kino-Authentizität suggerieren, also unmissverständlich deutlich: In einem Krieg macht sich jeder schmutzig – auch wenn die Erinnerung an Einzelheiten zeitweilig verloren geht.
GOTTFRIED KNAPP
Ari Folman
Foto: oh
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Graphic Novels Band 10
Die Höllenhunde
der Erinnerung
„Waltz with Bashir“ von
Ari Folman und David Polonsky
Die Graphic Novel „Waltz with Bashir“ dürfte das erste Beispiel eines neuen Buchtyps sein. Schon der 2008 mit dem „Golden Globe“ und dem französischen Filmpreis „César“ ausgezeichnete Film des israelischen Regisseurs Ari Folman, aus dessen Bildern das Buch zusammengestellt wurde, markierte einen Neuanfang: Nie zuvor wurde ein Dokumentarfilm über ein zeithistorisches Thema in allen Teilen „animiert“, also nicht mit fotografischen, sondern ausschließlich mit zeichnerischen Mitteln hergestellt. Folglich ist auch das Buch, das auf diesen Zeichnungen basiert, ohne Beispiel. Wie in einem Comic sind die beklemmenden Bilder aus dem Film in Streifen übereinander auf den Seiten angeordnet.
Das peinigende Stück Autobiographie, das Ari Folman in Film und Buch in immer neuen Rechercheansätzen entwickelt, springt den Zuschauer und den Leser auf den ersten Seiten fast schockierend an: 26 Hunde mit schwefelgelb glimmenden Augen und gefletschten Zähnen hetzen durch nächtliche Straßen auf ein Haus zu und springen an dessen Wänden hoch. Von diesem ewig gleichen Albtraum wird Folmans Freund Boaz in vielen Nächten aus dem Schlaf gerissen. Beim Gespräch über die möglichen Gründe für diesen Traum erinnern sich die Freunde an die gemeinsam erlebten, aber weitgehend verdrängten Schreckenstage während des Libanonkriegs 1982.
Für Folman ist das beunruhigende Gespräch mit Boaz der Anlass, Freunde, Bekannte und Vorgesetzte aus der Militärzeit nach ihren Kriegserinnerungen zu befragen, um so die eigenen Ahnungen einordnen zu können. Diese Gespräche werden zu einem gespenstischen Tappen im Nebel höchst persönlicher, an peinigenden Stellen aber schützend vernebelter fremder Erinnerungen. Dennoch schieben sich beim Ich-Erzähler die Befürchtungen allmählich zur schrecklichen Gewissheit zusammen, dass er, wie einige seiner damaligen Mitstreiter, die sich zwar an grausige Details, aber nicht an die quälende Hauptsache erinnern können, Zeuge der schrecklichen Massaker christlicher Milizen an palästinensischen Flüchtlingen in den libanesischen Lagern Sabra und Shatila war. Doch eine endgültige Klärung der Umstände, die ihn von seinen Schuldvorstellungen befreien könnte, wird ihm nicht zuteil. Der Kampf mit der dunklen Vergangenheit mutiert so zum psychologischen Tanz mit dem Führer der christlichen Falangisten, zum „Waltz with Bashir“, in dessen Namen das Blutbad damals veranstaltet worden ist.
Ari Folman und sein Zeichner David Polonsky machen mit den Bildern ihres Buches, die höchst virtuos Kino-Authentizität suggerieren, also unmissverständlich deutlich: In einem Krieg macht sich jeder schmutzig – auch wenn die Erinnerung an Einzelheiten zeitweilig verloren geht.
GOTTFRIED KNAPP
Ari Folman
Foto: oh
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