4 Anschläge, 55 Tote. Ein bis heute ungesühntes Verbrechen.
Zwei Jahre vor dem Olympiaanschlag 1972 lag München schon einmal im Brennpunkt des Terrors: mit einer blutigen, wenn auch gescheiterten Flugzeugentführung auf dem Flughafen Riem, einem Brandanschlag auf das Israelitische Gemeindehaus, bei dem sieben Holocaustüberlebende starben, und Paketbombenattentaten auf zwei Verkehrsflugzeuge, von denen das eine notlanden konnte, während das andere abstürzte und alle 38 Passagiere und 9 Besatzungsmitglieder in den Tod riss.
Wolfgang Kraushaar kann zeigen, dass eine der Taten höchstwahrscheinlich aus dem unmittelbaren Umfeld einer Gruppe deutscher Linksradikaler verübt wurde. Von ihr aus führen Verbindungslinien zu palästinensischen Terrororganisationen, aus deren Reihen die Täter und Hintermänner der anderen drei Aktionen kamen. Warum wurden sie nie vor Gericht gestellt, obwohl die meisten von ihnen rasch verhaftet worden waren? Welche Rolle spielte die damalige Bundesregierung? Wie konnte es trotz der Erfahrungen im Februar 1970 noch zurGeiselnahme auf der Olympiade kommen - und welche Zusammenhänge gibt es zwischen den Terroraktionen?
Zwei Jahre vor dem Olympiaanschlag 1972 lag München schon einmal im Brennpunkt des Terrors: mit einer blutigen, wenn auch gescheiterten Flugzeugentführung auf dem Flughafen Riem, einem Brandanschlag auf das Israelitische Gemeindehaus, bei dem sieben Holocaustüberlebende starben, und Paketbombenattentaten auf zwei Verkehrsflugzeuge, von denen das eine notlanden konnte, während das andere abstürzte und alle 38 Passagiere und 9 Besatzungsmitglieder in den Tod riss.
Wolfgang Kraushaar kann zeigen, dass eine der Taten höchstwahrscheinlich aus dem unmittelbaren Umfeld einer Gruppe deutscher Linksradikaler verübt wurde. Von ihr aus führen Verbindungslinien zu palästinensischen Terrororganisationen, aus deren Reihen die Täter und Hintermänner der anderen drei Aktionen kamen. Warum wurden sie nie vor Gericht gestellt, obwohl die meisten von ihnen rasch verhaftet worden waren? Welche Rolle spielte die damalige Bundesregierung? Wie konnte es trotz der Erfahrungen im Februar 1970 noch zurGeiselnahme auf der Olympiade kommen - und welche Zusammenhänge gibt es zwischen den Terroraktionen?
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine Debatte über den Antisemitismus des deutschen Linksradikalismus findet Petra Weber notwendig, auch wie der antifaschistische Kampf in einen antizionistischen umschlagen konnte, ist ihrer Ansicht nach noch lange nicht ausreichend geklärt. Trotzdem nennt sie Wolfgang Kraushaars Buch "ein Ärgernis". Auf 880 Seiten verfolgt der Autor seine These, dass für den Anschlag auf das jüdische Altersheim in München 1970 die Stadtguerilla um Dieter Kunzelmann und Fritz Teufel verantwortlich war. In Webers Augen fördert Kraushaar dabei keinerlei neue Erkenntnisse zutage, er arbeite allein mit Vermutungen und Hypothesen und lasse außer Acht, dass die Behörden damals durchaus in diese Richtung, aber ergebnislos ermittelt haben. Geradezu unanständig findet sie Kraushaars Unterstellungen gegenüber dem SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski, der in den Verdacht eines Komplizentums gerate, weil er in seinen Verhandlungen mit palästinensischen Attentätern - gemäß der damals weltweit üblichen Politik - auf die Geiselfreipressungen einging. Obsessiv findet Weber diese Arbeit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2013Der Brandanschlag in Münchens Reichenbachstraße
Wolfgang Kraushaar arbeitet mit Vermutungen und Hypothesen, um terroristische Aktionen von 1970 zu deuten
Wolfgang Kraushaars sensationerheischendes Buch - der Klappentext verspricht, "spektakuläres" neues Licht zu werfen auf die 68er-Bewegung und auf vier terroristische Aktionen, die im Februar 1970 in München verübt wurden - hat ein kaum mehr zu überbietendes Medienecho gefunden. Wie schon seine 2005 erschienene Arbeit "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus" löste es eine Debatte über die Rolle des Antisemitismus als Geburtshelfer des deutschen Linksterrorismus aus. In seiner letztgenannten Studie hatte Kraushaar Dieter Kunzelmann (der 1969 im Westteil Berlins eine Stadtguerrilla nach lateinamerikanischem Vorbild konstituiert und zum "Kampf gegen die heilige Kuh Israel" aufgerufen hatte, um dadurch die Revolution im eigenen Lande voranzutreiben) als Drahtzieher des Bombenattentats auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin am 9. November 1969, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, ausfindig gemacht. Die Bombe aus den Arsenalen des West-Berliner Amtes für Verfassungsschutz war funktionsuntüchtig und explodierte nicht.
In dem bis heute nicht aufgeklärten Brandanschlag auf das Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in der Münchener Reichenbachstraße am 13. Februar 1970, bei dem sieben Menschen, meist Überlebende des Holocausts, zu Tode kamen und zwei Dutzend physisch und psychisch verletzt wurden, glaubt Kraushaar die ",Vollendung' des am 9. November 1969 versuchten, aber gescheiterten Bombenanschlags auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin" erkennen zu können. Für diese Behauptung fehlen ihm jedoch ebenso handfeste Belege wie für seine Hypothese, dass die fehlgeschlagene Flugzeugentführung in München-Riem, zwei Bombenanschläge auf Flugzeuge, einer davon auf eine Swissair-Maschine, die mit 47 Menschen an Bord abstürzte, und der Brandanschlag auf die Israelitische Kultusgemeinde, die allesamt innerhalb von elf Tagen im Februar 1970 begangen wurden, in einem engen Zusammenhang stehen. Kraushaar vermutet ein arbeitsteiliges Vorgehen palästinensischer und deutscher Terroristen und fahndet nach einem "zentralen Akteur, der im Hintergrund die Fäden zog", den er jedoch nicht zu finden vermag. Die Justiz behandelte die kriminellen Taten von Anfang an wie Einzelfälle.
Obwohl die Ermittlungsbehörden den anfänglichen Verdacht, dass der führende Kopf der Münchener Stadtguerrilla, Fritz Teufel, der einst mit Kunzelmann in der berühmten "Kommune I" zusammengelebt hatte, den Brand im Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde gelegt habe, nicht erhärten konnten, hält Kraushaar obsessiv an dem Verdacht fest, dass Linksextremisten aus dem Umfeld der Münchener Stadtguerrilla die diabolische Tat begangen hatten, wenngleich diese sich von dem Verbrechen eindeutig distanzierte.
Kraushaar stützt seine Vermutung nicht zuletzt darauf, dass Fritz Teufel just an dem Tag des Brandanschlags in der Münchener Reichenbachstraße eine "große Frühjahrsoffensive" ankündigte, die jedoch nicht antifaschistisch motiviert war, sondern sich gegen die Justiz richtete, deren vermeintlicher Unrechtscharakter entlarvt werden sollte. Teufels Ankündigung folgten mehrere kleine Anschläge gegen Justizangehörige. Er selbst büßte Anfang 1971 für seinen neurotischen Kleinkrieg gegen die Justiz mit einer Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis. Ihm wurde versuchte Brandstiftung im Münchener Amtsgericht zur Last gelegt.
Als im August 1972 die Olympischen Spiele in München eröffnet wurden, saßen Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann in Haft. Kunzelmanns Mitstreiter in der Berliner Stadtguerrilla, Georg von Rauch, war von der Polizei im Dezember 1971 erschossen worden. Nichtsdestotrotz fragt Kraushaar, ob von den drei Linksterroristen nicht der entscheidende Anstoß zur Geiselnahme der israelischen Herrenmannschaft durch die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" ausgegangen sei. Ohne Zweifel war Teufel die "unbestrittene Ikone der antiolympischen Bewegung", die sich gegen Leistungssport und eine Kommerzialisierung des olympischen Gedankens wandte. Er wie auch Rauch kündigten als Rache für ein kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko verübtes Massaker an Studenten eine Sprengung der Olympischen Spiele in München an. Der drogensüchtige Rauch entwickelte zudem surreale Pläne für die Stürmung des Olympischen Dorfes, die wundersamerweise zur Bildung neuer Kommunen führen sollte.
Die Polizei nahm die linksradikalen Drohungen zu Recht nicht ernst, was Kraushaar freilich nicht zu verstehen vermag. Zur Untermauerung seiner Hypothese, dass die deutschen Linksterroristen hinter dem Olympia-Attentat steckten, versucht er auch noch zu insinuieren, dass Kunzelmann während seines Aufenthalts in Ausbildungslagern der al Fatah die Palästinenser erst auf den Gedanken eines Überfalls während der Olympischen Spiele gebracht habe. Die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September", die die erpresserische Geiselnahme der israelischen Herrenmannschaft hochprofessionell vorbereitete und eiskalt durchführte, bedurfte indes nicht der Unterstützung bundesdeutscher Terroristen und auch nicht der Einflüsterung eines drogensüchtigen Berliner Stadtguerrillero.
Dass Ulrike Meinhof die Gewalttat der Gruppe "Schwarzer September" als "revolutionäre Aktion", die sie in völliger Verblendung auch noch als antifaschistisch bezeichnete, rechtfertigte, verweist freilich auf die immer enger werdende Kooperation zwischen palästinensischen Terrorgruppen und der RAF, bei der nun der Antizionismus endgültig in Antisemitismus umschlug. Bei einer Entführung eines Passagierflugzeugs der Air France nach Entebbe durch palästinensische und deutsche Terroristen trennten diese die als Juden identifizierten Geiseln von den übrigen Geiseln, die freigelassen wurden. Für die Geschichte der RAF, deren antisemitische Wurzeln offenkundig sind, interessiert sich Kraushaar jedoch nicht.
Vielmehr drängt sich ihm der Eindruck auf, dass es bei den von ihm recherchierten Attentaten "am politischen Willen zu einer angemessenen Strafverfolgung gemangelt" habe, was vor allem ein an die Adresse der SPD gerichteter Vorwurf ist. So ist Kraushaar nahezu empört darüber, dass die SPD-geführte Bundesregierung Forderungen von Geiselnehmern nach Freilassung inhaftierter palästinensischer Attentäter nachgab. Er bezeichnet die erpresste Freilassung als "Abschiebung" der Attentäter und wertet sie als "Appeasement-Politik". Dass die auch von den übrigen westlichen Staaten bis Mitte der 1970er Jahre praktizierte Politik des Nachgebens der Hoffnung entsprang, auf diese Weise weitere Attentate verhindern zu können, fällt für Kraushaar nicht ins Gewicht. Ein Politiker wie Hans-Jürgen Wischnewski, der sich 1970 um die Freilassung deutscher Geiseln in Jordanien bemühte, wird nicht nur zum "einstigen Trotzkisten" erklärt, er wird auch ins moralische Zwielicht gestellt, indem ihm "außerordentlich gute Beziehungen" zu "einigen Hintermännern der palästinensischen Luftpiraten" unterstellt werden.
Dass sich führende Sozialdemokraten, unter ihnen wiederum Wischnewski, mit einem ehemaligen palästinensischen Terroristen wie Issam al-Sartawi, der inzwischen in Übereinstimmung mit PLO-Führer Yassir Arafat eine diplomatische Lösung des Nahost-Konflikts anstrebte, zu Gesprächen trafen, stößt bei Kraushaar selbstverständlich auf Unverständnis. Nicht nur die von ihm attackierte SPD-Führung, auch die meisten anderen westlichen Regierungen waren indes damals bereit, unkonventionelle Methoden zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu wählen. Auch die Regierung der Vereinigten Staaten unterhielt Geheimkontakte zu Sartawi und anderen ehemaligen Terroristen wie Ali Hasan Salameh und schloss mit ihnen einen wechselseitigen Nichtangriffspakt.
Kraushaar arbeitet mit Vermutungen und Hypothesen. Entsprechend springt er in seiner Arbeit von einem Thema zum anderen, womit er verdecken kann, dass ihm aufgrund fehlender eindeutiger Belege eine stringente Beweisführung nicht möglich ist. Wie ein Staatsanwalt rollt er die Tathergänge immer wieder von neuem auf, fördert aber keine neuen Erkenntnisse zutage. Einige Kapitel sind in der 880 Seiten umfassenden Arbeit völlig überflüssig. Was die versehentliche Ermordung eines marokkanischen Kellners durch den israelitischen Geheimdienst im norwegischen Lillehammer mit den antisemitischen Wurzeln des deutschen Linksterrorismus zu tun haben soll, bleibt unergründlich.
Das Buch ist ein Ärgernis, aber es hat ohne Zweifel eine wichtige Debatte über die antisemitischen Prägungen des deutschen Linksradikalismus ausgelöst, die hoffentlich bald den Anstoß für eine Studie gibt, die aufgrund überzeugender Quellen nachzeichnet, wie der antifaschistische Kampf der 68er-Bewegung gegen das Schweigen der Väter über ihre Verstrickungen in die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes schon früh in einen antizionistischen Kampf umschlagen konnte, bei dem der Antisemitismus der Vätergeneration immer stärker hervortrat.
PETRA WEBER.
Wolfgang Kraushaar: "Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?" München 1970: Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 880 S., 34,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfgang Kraushaar arbeitet mit Vermutungen und Hypothesen, um terroristische Aktionen von 1970 zu deuten
Wolfgang Kraushaars sensationerheischendes Buch - der Klappentext verspricht, "spektakuläres" neues Licht zu werfen auf die 68er-Bewegung und auf vier terroristische Aktionen, die im Februar 1970 in München verübt wurden - hat ein kaum mehr zu überbietendes Medienecho gefunden. Wie schon seine 2005 erschienene Arbeit "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus" löste es eine Debatte über die Rolle des Antisemitismus als Geburtshelfer des deutschen Linksterrorismus aus. In seiner letztgenannten Studie hatte Kraushaar Dieter Kunzelmann (der 1969 im Westteil Berlins eine Stadtguerrilla nach lateinamerikanischem Vorbild konstituiert und zum "Kampf gegen die heilige Kuh Israel" aufgerufen hatte, um dadurch die Revolution im eigenen Lande voranzutreiben) als Drahtzieher des Bombenattentats auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin am 9. November 1969, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, ausfindig gemacht. Die Bombe aus den Arsenalen des West-Berliner Amtes für Verfassungsschutz war funktionsuntüchtig und explodierte nicht.
In dem bis heute nicht aufgeklärten Brandanschlag auf das Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde in der Münchener Reichenbachstraße am 13. Februar 1970, bei dem sieben Menschen, meist Überlebende des Holocausts, zu Tode kamen und zwei Dutzend physisch und psychisch verletzt wurden, glaubt Kraushaar die ",Vollendung' des am 9. November 1969 versuchten, aber gescheiterten Bombenanschlags auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin" erkennen zu können. Für diese Behauptung fehlen ihm jedoch ebenso handfeste Belege wie für seine Hypothese, dass die fehlgeschlagene Flugzeugentführung in München-Riem, zwei Bombenanschläge auf Flugzeuge, einer davon auf eine Swissair-Maschine, die mit 47 Menschen an Bord abstürzte, und der Brandanschlag auf die Israelitische Kultusgemeinde, die allesamt innerhalb von elf Tagen im Februar 1970 begangen wurden, in einem engen Zusammenhang stehen. Kraushaar vermutet ein arbeitsteiliges Vorgehen palästinensischer und deutscher Terroristen und fahndet nach einem "zentralen Akteur, der im Hintergrund die Fäden zog", den er jedoch nicht zu finden vermag. Die Justiz behandelte die kriminellen Taten von Anfang an wie Einzelfälle.
Obwohl die Ermittlungsbehörden den anfänglichen Verdacht, dass der führende Kopf der Münchener Stadtguerrilla, Fritz Teufel, der einst mit Kunzelmann in der berühmten "Kommune I" zusammengelebt hatte, den Brand im Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde gelegt habe, nicht erhärten konnten, hält Kraushaar obsessiv an dem Verdacht fest, dass Linksextremisten aus dem Umfeld der Münchener Stadtguerrilla die diabolische Tat begangen hatten, wenngleich diese sich von dem Verbrechen eindeutig distanzierte.
Kraushaar stützt seine Vermutung nicht zuletzt darauf, dass Fritz Teufel just an dem Tag des Brandanschlags in der Münchener Reichenbachstraße eine "große Frühjahrsoffensive" ankündigte, die jedoch nicht antifaschistisch motiviert war, sondern sich gegen die Justiz richtete, deren vermeintlicher Unrechtscharakter entlarvt werden sollte. Teufels Ankündigung folgten mehrere kleine Anschläge gegen Justizangehörige. Er selbst büßte Anfang 1971 für seinen neurotischen Kleinkrieg gegen die Justiz mit einer Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis. Ihm wurde versuchte Brandstiftung im Münchener Amtsgericht zur Last gelegt.
Als im August 1972 die Olympischen Spiele in München eröffnet wurden, saßen Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann in Haft. Kunzelmanns Mitstreiter in der Berliner Stadtguerrilla, Georg von Rauch, war von der Polizei im Dezember 1971 erschossen worden. Nichtsdestotrotz fragt Kraushaar, ob von den drei Linksterroristen nicht der entscheidende Anstoß zur Geiselnahme der israelischen Herrenmannschaft durch die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" ausgegangen sei. Ohne Zweifel war Teufel die "unbestrittene Ikone der antiolympischen Bewegung", die sich gegen Leistungssport und eine Kommerzialisierung des olympischen Gedankens wandte. Er wie auch Rauch kündigten als Rache für ein kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko verübtes Massaker an Studenten eine Sprengung der Olympischen Spiele in München an. Der drogensüchtige Rauch entwickelte zudem surreale Pläne für die Stürmung des Olympischen Dorfes, die wundersamerweise zur Bildung neuer Kommunen führen sollte.
Die Polizei nahm die linksradikalen Drohungen zu Recht nicht ernst, was Kraushaar freilich nicht zu verstehen vermag. Zur Untermauerung seiner Hypothese, dass die deutschen Linksterroristen hinter dem Olympia-Attentat steckten, versucht er auch noch zu insinuieren, dass Kunzelmann während seines Aufenthalts in Ausbildungslagern der al Fatah die Palästinenser erst auf den Gedanken eines Überfalls während der Olympischen Spiele gebracht habe. Die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September", die die erpresserische Geiselnahme der israelischen Herrenmannschaft hochprofessionell vorbereitete und eiskalt durchführte, bedurfte indes nicht der Unterstützung bundesdeutscher Terroristen und auch nicht der Einflüsterung eines drogensüchtigen Berliner Stadtguerrillero.
Dass Ulrike Meinhof die Gewalttat der Gruppe "Schwarzer September" als "revolutionäre Aktion", die sie in völliger Verblendung auch noch als antifaschistisch bezeichnete, rechtfertigte, verweist freilich auf die immer enger werdende Kooperation zwischen palästinensischen Terrorgruppen und der RAF, bei der nun der Antizionismus endgültig in Antisemitismus umschlug. Bei einer Entführung eines Passagierflugzeugs der Air France nach Entebbe durch palästinensische und deutsche Terroristen trennten diese die als Juden identifizierten Geiseln von den übrigen Geiseln, die freigelassen wurden. Für die Geschichte der RAF, deren antisemitische Wurzeln offenkundig sind, interessiert sich Kraushaar jedoch nicht.
Vielmehr drängt sich ihm der Eindruck auf, dass es bei den von ihm recherchierten Attentaten "am politischen Willen zu einer angemessenen Strafverfolgung gemangelt" habe, was vor allem ein an die Adresse der SPD gerichteter Vorwurf ist. So ist Kraushaar nahezu empört darüber, dass die SPD-geführte Bundesregierung Forderungen von Geiselnehmern nach Freilassung inhaftierter palästinensischer Attentäter nachgab. Er bezeichnet die erpresste Freilassung als "Abschiebung" der Attentäter und wertet sie als "Appeasement-Politik". Dass die auch von den übrigen westlichen Staaten bis Mitte der 1970er Jahre praktizierte Politik des Nachgebens der Hoffnung entsprang, auf diese Weise weitere Attentate verhindern zu können, fällt für Kraushaar nicht ins Gewicht. Ein Politiker wie Hans-Jürgen Wischnewski, der sich 1970 um die Freilassung deutscher Geiseln in Jordanien bemühte, wird nicht nur zum "einstigen Trotzkisten" erklärt, er wird auch ins moralische Zwielicht gestellt, indem ihm "außerordentlich gute Beziehungen" zu "einigen Hintermännern der palästinensischen Luftpiraten" unterstellt werden.
Dass sich führende Sozialdemokraten, unter ihnen wiederum Wischnewski, mit einem ehemaligen palästinensischen Terroristen wie Issam al-Sartawi, der inzwischen in Übereinstimmung mit PLO-Führer Yassir Arafat eine diplomatische Lösung des Nahost-Konflikts anstrebte, zu Gesprächen trafen, stößt bei Kraushaar selbstverständlich auf Unverständnis. Nicht nur die von ihm attackierte SPD-Führung, auch die meisten anderen westlichen Regierungen waren indes damals bereit, unkonventionelle Methoden zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu wählen. Auch die Regierung der Vereinigten Staaten unterhielt Geheimkontakte zu Sartawi und anderen ehemaligen Terroristen wie Ali Hasan Salameh und schloss mit ihnen einen wechselseitigen Nichtangriffspakt.
Kraushaar arbeitet mit Vermutungen und Hypothesen. Entsprechend springt er in seiner Arbeit von einem Thema zum anderen, womit er verdecken kann, dass ihm aufgrund fehlender eindeutiger Belege eine stringente Beweisführung nicht möglich ist. Wie ein Staatsanwalt rollt er die Tathergänge immer wieder von neuem auf, fördert aber keine neuen Erkenntnisse zutage. Einige Kapitel sind in der 880 Seiten umfassenden Arbeit völlig überflüssig. Was die versehentliche Ermordung eines marokkanischen Kellners durch den israelitischen Geheimdienst im norwegischen Lillehammer mit den antisemitischen Wurzeln des deutschen Linksterrorismus zu tun haben soll, bleibt unergründlich.
Das Buch ist ein Ärgernis, aber es hat ohne Zweifel eine wichtige Debatte über die antisemitischen Prägungen des deutschen Linksradikalismus ausgelöst, die hoffentlich bald den Anstoß für eine Studie gibt, die aufgrund überzeugender Quellen nachzeichnet, wie der antifaschistische Kampf der 68er-Bewegung gegen das Schweigen der Väter über ihre Verstrickungen in die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes schon früh in einen antizionistischen Kampf umschlagen konnte, bei dem der Antisemitismus der Vätergeneration immer stärker hervortrat.
PETRA WEBER.
Wolfgang Kraushaar: "Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?" München 1970: Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 880 S., 34,95 [Euro].
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"Wer über 68 mitreden will, muss Kraushaar lesen." -- Die Zeit
Kraushaars Buch hellt so manche verborgene, unverstandene Passage der Geschichte der siebziger Jahre entscheidend auf. Der Tagesspiegel