Mit der Biografie eines der prominentesten Kriegsherren, die die Geschichte des "Reichs der Mitte" vor hundert Jahren maßgeblich mitschrieben, setzt Rainer Kloubert seine erfolgreiche China-Trilogie fort und eröffnet erneut das Panorama einer Welt, die im Westen kaum bekannt ist und die auch heute noch erschreckende Nachwirkungen zeitigt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Atemlos folgt der hier rezensierende Sinologieprofessor Kai Vogelsang dem berüchtigten chinesischen Warlord Zhang Xueliang durch die Wirren des frühen 20. Jahrhunderts, einer Zeit, wie Vogelsang fasziniert schreibt, in der Strauchdiebe und Galgenvögel über den Norden des Landes herrschten, Köpfe rollten und "Erektionen in Silberpesos" gemessen wurden. 1901 als Sohn des selbsterklärten Königs der Mandschurei geboren, machte Zhang Xueliang seinerseits Geschichte als Haudegen, Geliebter der kaiserlichen Prinzessin, Erzfeind der Kommunisten und Verräter von Chiang Kai-shek - für Vogelsang ein Jahrhundertmann. Rainer Kloubert folgt in seinem Bilderbogen diesem irrsinnigen Lebensweg, nicht alles ist historisch verifiziert, wie Vogelsang deutlich macht, denn Kloubert verlässt sich meist auf die Erinnerungen Zhang Xueliangs selbst oder auf sein erzählerisches Geschick. Der Rezensent nimmt's und genießt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2023Irgendwann ging jeder jedem an die Gurgel
Nicht zu vergessen auch die Suppenklößchen: Rainer Kloubert führt auf furiose Weise in die Wirren Chinas im frühen zwanzigsten Jahrhundert.
Willkommen in der Welt der Warlords, wo die Köpfe rollen, wo Drachen und Tiger fliegen, wo Erektionen in Silberpesos gemessen werden, wo die Puppen tanzen und die Opiumkehlen Purzelbäume schlagen! Willkommen in Chinas Wildem Osten, im Land der Strauchdiebe und Galgenvögel, wo die Rotbärte brandschatzen und ein Menschenleben wenig zählt.
Nach seiner phantastischen Nordchina-Trilogie ("Peitaiho", "Yuanmingyuan", "Peking") legt Rainer Kloubert mit "Warlords" abermals einen vom Verlag großzügig ausgestatteten Prachtband vor. Er führt die Leser in das China des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, eine Zeit, als das Land von Invasion und Bürgerkrieg, Revolution und Räuberei geradezu zerrissen wurde. In diesen Wirren, die Millionen von Menschen das Leben kosteten, bestimmten nicht Politiker und Parlamente das Geschehen, sondern Warlords: Generäle, die weite Gebiete Chinas beherrschten und sich gegenseitig bekriegten. Einer dieser Haudegen steht im Mittelpunkt der Erzählung: Zhang Xueliang, geboren 1901 in der Mandschurei, kurz nach dem Boxeraufstand, gestorben 2001 auf Hawaii, kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center: ein Jahrhundertmann, dessen Biographie sich liest wie ein Märchen aus "Tausendundeine Nacht".
Geboren wurde Zhang Xueliang, der Sohn eines "Banditen aus dem hohen Norden Chinas", auf einem Maultierkarren, mit dem seine Mutter vor Räubern floh (der Karren kippte dabei um, die Mutter geriet unter die Hufe und verstarb an den Spätfolgen); als Kind wurde er zum Schein ins Kloster geschickt, weil ein Orakel geweissagt hatte, er werde Vater und Mutter den Tod bringen, als Fünfzehnjähriger wurde er mit einer Frau verheiratet, die er noch nie gesehen hatte. Als sein Vater, Zhang Zuolin, Großmarschall und "König der Mandschurei" wurde, begannen seine wilden Jahre: Er wuchs zu einem der "vier schönsten Männer der Republik" heran, hatte zahllose Liebschaften - unter anderen mit einer kaiserlichen Prinzessin sowie mit Edda Mussolini -, war Kunstsammler und Mäzen, gewann und verspielte ein Vermögen an Spieltischen, verlegte nebenbei mehrere Zeitschriften, lernte Fliegen, Golf, Autofahren und stieg zum Nachfolger seines Vaters und mächtigsten Warlord Nordchinas auf, wurde opium- und morphiumsüchtig, war mit 32 Jahren "bleich, abgemagert, apathisch - ein Wrack, krank wie das ganze Land" - und wurde dennoch hundert Jahre alt.
In Zhang Xueliangs Leben spiegelt sich kaleidoskopartig die Geschichte der chinesischen Republik. Während sein Vater noch auf einem Esel geritten war, um Blutrache am Mörder seines Vaters zu nehmen, flog er im Privatjet durch die Welt. Er erlebte die Revolution und den Sturz des Kaiserreichs, die Gründung der Republik 1912, den Versuch einer Restauration, den anschließenden Bürgerkrieg, Chiang Kai-sheks Feldzug gegen die Kommunisten, den Überfall der Japaner und den Zweiten Weltkrieg, auf den wiederum Bürgerkrieg folgte, und die Flucht der Nationalpartei nach Taiwan. Mehr als drei Jahrzehnte Krieg, in denen irgendwann jeder jedem an die Gurgel ging - und doch gelang es Zhang Xueliang, sich durch alle Gefahren zu lavieren.
Er kämpfte erst gegen die Kommunisten, dann mit ihnen, erst gegen Chiang Kai-shek, dann für ihn, und immer gegen die Japaner, die seinen Vater in einem Attentat getötet hatten. Dann aber, 1937, beging er einen Fehler, der Weltgeschichte machte: Er nahm seinen Kommandeur, Chiang Kai-shek, in einem Handstreich gefangen und zwang ihn, mit den Kommunisten gemeinsame Sache zu machen. Nachdem Chiang eingewilligt hatte und wieder auf freiem Fuß war, nahm er seinerseits Zhang Xueliang gefangen. Der stand daraufhin mehr als fünfzig Jahre lang unter Hausarrest, in China und in Taiwan, bevor er seinen Lebensabend in den USA verbrachte.
Dort erzählte Zhang Xueliang mehreren Historikerinnen ausführlich von seinem Leben; die publizierten Protokolle dieser Interviews - mehrere Tausend Seiten - dienten Kloubert als Grundlage seines Buches. Man sollte dieser "oral history" nicht durchweg vertrauen; Zhang selbst gestand, dass er sich oft irre: "Ein Ereignis kann zu einer anderen Zeit passiert sein, nicht diese Leute spielten darin eine Rolle, sondern jene. Ich bringe so etwas gerne durcheinander." Auch sonst ist "Warlords" keine streng wissenschaftliche Darstellung, denn von den "in akademischen Werken wie Unkraut wuchernden Verweisen und Anmerkungen" will der Autor nichts wissen.
Kloubert ist kein pedantischer Chronist, auch kein vergrübelter Theoretiker, sondern schlicht ein großartiger Erzähler. Bald breitet er seinen Stoff genüsslich aus, bald verdichtet er ihn zu größter Spannung, sprudelt vor Anekdoten und flicht immer wieder auch Erinnerungen an eigene Spaziergänge, Saufgelage und verflossene Lieben ein. Hunderte historische Fotos - einige davon nichts für empfindliche Gemüter - illustrieren den Text, und ebenso viele Fußnoten ergänzen ihn mit einem Füllhorn von Sachwissen: zu chinesischen Hochzeitsbräuchen, den Fischen der Mandschurei, der Geschichte von Suppenklößchen, der Zubereitung von Aphrodisiaka, den Eigenheiten des Mukden-Dialekts und vielem anderen.
"Warlords" ist Geschichtswerk, Fotoalbum, Roman und Enzyklopädie in einem, es bietet Information und Unterhaltung in Überfülle. Mag sein, dass der Autor, ähnlich wie Zhang Xueliang, dabei bisweilen Dinge durcheinanderbringt. Aber das tut seinem grandiosen Werk, das wie kein anderes die Atmosphäre im China dieser Jahre wiedergibt, keinen Abbruch. Gerade weil er nicht nur aus abgelagerten Fakten schöpft, sondern aus lebendigen Erinnerungen, bietet Klouberts Bilderbogen einen Lesegenuss und ein Bildungserlebnis ersten Ranges. KAI VOGELSANG
Rainer Kloubert: "Warlords". Ein Bilderbogen aus dem chinesischen Bürgerkrieg.
Elfenbein Verlag, Berlin 2023. 420 S., Abb., geb., 65,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht zu vergessen auch die Suppenklößchen: Rainer Kloubert führt auf furiose Weise in die Wirren Chinas im frühen zwanzigsten Jahrhundert.
Willkommen in der Welt der Warlords, wo die Köpfe rollen, wo Drachen und Tiger fliegen, wo Erektionen in Silberpesos gemessen werden, wo die Puppen tanzen und die Opiumkehlen Purzelbäume schlagen! Willkommen in Chinas Wildem Osten, im Land der Strauchdiebe und Galgenvögel, wo die Rotbärte brandschatzen und ein Menschenleben wenig zählt.
Nach seiner phantastischen Nordchina-Trilogie ("Peitaiho", "Yuanmingyuan", "Peking") legt Rainer Kloubert mit "Warlords" abermals einen vom Verlag großzügig ausgestatteten Prachtband vor. Er führt die Leser in das China des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, eine Zeit, als das Land von Invasion und Bürgerkrieg, Revolution und Räuberei geradezu zerrissen wurde. In diesen Wirren, die Millionen von Menschen das Leben kosteten, bestimmten nicht Politiker und Parlamente das Geschehen, sondern Warlords: Generäle, die weite Gebiete Chinas beherrschten und sich gegenseitig bekriegten. Einer dieser Haudegen steht im Mittelpunkt der Erzählung: Zhang Xueliang, geboren 1901 in der Mandschurei, kurz nach dem Boxeraufstand, gestorben 2001 auf Hawaii, kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center: ein Jahrhundertmann, dessen Biographie sich liest wie ein Märchen aus "Tausendundeine Nacht".
Geboren wurde Zhang Xueliang, der Sohn eines "Banditen aus dem hohen Norden Chinas", auf einem Maultierkarren, mit dem seine Mutter vor Räubern floh (der Karren kippte dabei um, die Mutter geriet unter die Hufe und verstarb an den Spätfolgen); als Kind wurde er zum Schein ins Kloster geschickt, weil ein Orakel geweissagt hatte, er werde Vater und Mutter den Tod bringen, als Fünfzehnjähriger wurde er mit einer Frau verheiratet, die er noch nie gesehen hatte. Als sein Vater, Zhang Zuolin, Großmarschall und "König der Mandschurei" wurde, begannen seine wilden Jahre: Er wuchs zu einem der "vier schönsten Männer der Republik" heran, hatte zahllose Liebschaften - unter anderen mit einer kaiserlichen Prinzessin sowie mit Edda Mussolini -, war Kunstsammler und Mäzen, gewann und verspielte ein Vermögen an Spieltischen, verlegte nebenbei mehrere Zeitschriften, lernte Fliegen, Golf, Autofahren und stieg zum Nachfolger seines Vaters und mächtigsten Warlord Nordchinas auf, wurde opium- und morphiumsüchtig, war mit 32 Jahren "bleich, abgemagert, apathisch - ein Wrack, krank wie das ganze Land" - und wurde dennoch hundert Jahre alt.
In Zhang Xueliangs Leben spiegelt sich kaleidoskopartig die Geschichte der chinesischen Republik. Während sein Vater noch auf einem Esel geritten war, um Blutrache am Mörder seines Vaters zu nehmen, flog er im Privatjet durch die Welt. Er erlebte die Revolution und den Sturz des Kaiserreichs, die Gründung der Republik 1912, den Versuch einer Restauration, den anschließenden Bürgerkrieg, Chiang Kai-sheks Feldzug gegen die Kommunisten, den Überfall der Japaner und den Zweiten Weltkrieg, auf den wiederum Bürgerkrieg folgte, und die Flucht der Nationalpartei nach Taiwan. Mehr als drei Jahrzehnte Krieg, in denen irgendwann jeder jedem an die Gurgel ging - und doch gelang es Zhang Xueliang, sich durch alle Gefahren zu lavieren.
Er kämpfte erst gegen die Kommunisten, dann mit ihnen, erst gegen Chiang Kai-shek, dann für ihn, und immer gegen die Japaner, die seinen Vater in einem Attentat getötet hatten. Dann aber, 1937, beging er einen Fehler, der Weltgeschichte machte: Er nahm seinen Kommandeur, Chiang Kai-shek, in einem Handstreich gefangen und zwang ihn, mit den Kommunisten gemeinsame Sache zu machen. Nachdem Chiang eingewilligt hatte und wieder auf freiem Fuß war, nahm er seinerseits Zhang Xueliang gefangen. Der stand daraufhin mehr als fünfzig Jahre lang unter Hausarrest, in China und in Taiwan, bevor er seinen Lebensabend in den USA verbrachte.
Dort erzählte Zhang Xueliang mehreren Historikerinnen ausführlich von seinem Leben; die publizierten Protokolle dieser Interviews - mehrere Tausend Seiten - dienten Kloubert als Grundlage seines Buches. Man sollte dieser "oral history" nicht durchweg vertrauen; Zhang selbst gestand, dass er sich oft irre: "Ein Ereignis kann zu einer anderen Zeit passiert sein, nicht diese Leute spielten darin eine Rolle, sondern jene. Ich bringe so etwas gerne durcheinander." Auch sonst ist "Warlords" keine streng wissenschaftliche Darstellung, denn von den "in akademischen Werken wie Unkraut wuchernden Verweisen und Anmerkungen" will der Autor nichts wissen.
Kloubert ist kein pedantischer Chronist, auch kein vergrübelter Theoretiker, sondern schlicht ein großartiger Erzähler. Bald breitet er seinen Stoff genüsslich aus, bald verdichtet er ihn zu größter Spannung, sprudelt vor Anekdoten und flicht immer wieder auch Erinnerungen an eigene Spaziergänge, Saufgelage und verflossene Lieben ein. Hunderte historische Fotos - einige davon nichts für empfindliche Gemüter - illustrieren den Text, und ebenso viele Fußnoten ergänzen ihn mit einem Füllhorn von Sachwissen: zu chinesischen Hochzeitsbräuchen, den Fischen der Mandschurei, der Geschichte von Suppenklößchen, der Zubereitung von Aphrodisiaka, den Eigenheiten des Mukden-Dialekts und vielem anderen.
"Warlords" ist Geschichtswerk, Fotoalbum, Roman und Enzyklopädie in einem, es bietet Information und Unterhaltung in Überfülle. Mag sein, dass der Autor, ähnlich wie Zhang Xueliang, dabei bisweilen Dinge durcheinanderbringt. Aber das tut seinem grandiosen Werk, das wie kein anderes die Atmosphäre im China dieser Jahre wiedergibt, keinen Abbruch. Gerade weil er nicht nur aus abgelagerten Fakten schöpft, sondern aus lebendigen Erinnerungen, bietet Klouberts Bilderbogen einen Lesegenuss und ein Bildungserlebnis ersten Ranges. KAI VOGELSANG
Rainer Kloubert: "Warlords". Ein Bilderbogen aus dem chinesischen Bürgerkrieg.
Elfenbein Verlag, Berlin 2023. 420 S., Abb., geb., 65,- Euro.
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