Griechenland befindet sich seit Jahren in einer wirtschaftlichen Depression. Das war nicht immer so; die Menschen wissen, dass es ihnen besser gehen könnte. Die Erzählungen von Christos Ikonomou spielen in Piräus, rund um den großen Hafen. Sie machen die Atmosphäre heute im Land spürbar, zeigen Menschen, die mit verschiedenen existenziellen Nöten zu kämpfen haben und ihrer irgendwie, und sei es durch Warten, Herr zu werden versuchen.
Ikonomou kennt das Leben seiner Landsleute, kennt ihre Welt, die Straßen und die Docks, die ihr Zuhause bilden, diese Ecken Athens, die eigentlich grau sind und doch eine eigene Schönheit haben. Seine Figuren leben in Mietskasernen, arbeiten im Hafen. In Momentaufnahmen sieht man diese Persönlichkeiten in ihrer Würde und bangt mit ihnen: den Rentnern, die vor der Sozialversicherung kampieren, den Arbeitern, die vergeblich um ihren Wochenlohn anstehen, dem Mann, der sich wehren und protestieren muss, aber vor lauter Übermacht des Unglücks nicht weiß,was er auf sein Plakat schreiben soll, und so schließlich mit leerem Plakat demonstriert.
Aus einer inneren Notwendigkeit geschrieben, in einem schönen Rhythmus mit Zäsuren und Auslassungen, ohne überflüssige Wertungen hat diese Literatur eine eigentümliche Kraft.
Ikonomou kennt das Leben seiner Landsleute, kennt ihre Welt, die Straßen und die Docks, die ihr Zuhause bilden, diese Ecken Athens, die eigentlich grau sind und doch eine eigene Schönheit haben. Seine Figuren leben in Mietskasernen, arbeiten im Hafen. In Momentaufnahmen sieht man diese Persönlichkeiten in ihrer Würde und bangt mit ihnen: den Rentnern, die vor der Sozialversicherung kampieren, den Arbeitern, die vergeblich um ihren Wochenlohn anstehen, dem Mann, der sich wehren und protestieren muss, aber vor lauter Übermacht des Unglücks nicht weiß,was er auf sein Plakat schreiben soll, und so schließlich mit leerem Plakat demonstriert.
Aus einer inneren Notwendigkeit geschrieben, in einem schönen Rhythmus mit Zäsuren und Auslassungen, ohne überflüssige Wertungen hat diese Literatur eine eigentümliche Kraft.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wer die Erzählungen des griechischen Schriftstellers und Journalisten Christos Ikonomou in "Warte nur, es passiert schon was" liest, dürfte kaum ahnen, dass der Autor bereits 2005 mit diesem Buch angefangen hat, Jahre vor der aktuellen Krise also, vermutet Christiane Schlötzer. Ikonomous Geschichten spielen alle in Piräus, dem Hafenviertel und "Hinterhof" Athens, wo die Armut schon seit langem Alltag ist, erklärt die Rezensentin. Und obwohl sich der Autor eigentlich viel stärker für das Innenleben seiner Figuren interessiert als für politische Zusammenhänge, lesen sich manche Erzählungen wie "ein poetisches Stück Agitprop", findet Schlötzer. Menschen, die ohnehin schon kleine Träume haben, scheitern an der Unerbittlichkeit ihres Milieus, so könnte man den Grundtenor zusammenfassen - Gutelaunelesen sieht sicherlich anders aus, warnt die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2013Risse in der
Oberfläche des Glücks
Christos Ikonomou erzählt von der griechischen Krise
Die Griechen, so heißt es gern, hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Einige tun es gewiss auch heute noch. Nur, die Menschen, von denen Christos Ikonomou erzählt, hatten schon vor der großen Krise höchstens kleine Träume. Nun aber ist ihnen „die miese, die niederträchtige Armut ein Mitbewohner“ geworden, „eine Hausratte“, wie Ikonomou eine junge Frau namens Elli sagen lässt. Der ist ihr Geliebter Sotiris davongelaufen und hat auch noch das Sparschwein mitgehen lassen. „Ich verstehe das nicht“, sagt Elli. „Wenn wir Armen uns Armen schon so etwas antun, was müssen uns dann erst die Reichen antun.“
Ein schlichter Satz, wie ein poetisches Stück Agitprop. Aber dem 1970 in Athen geborenen Autor liegt mehr an Seelenzu-ständen als an politischer Analyse. Seine 16 Geschichten berichten von Verlierern in einer Stadtlandschaft, die schon immer randständig war. Ikonomous melancholi-sche bis surreale Erzählungen spielen alle in Piräus, dem Hafenviertel und Hinterhof der Metropole Athen. Dort, wo sich der Alltag von Arbeitslosen, Malochern und Migranten abspielt zwischen Fähranlegern und aufgelassenen Fabriken, chinesischen Containerdocks, Schlachthof, Öltanks und dem Großgefängnis von Korydallos. Darin sitzen nun neben Mördern und Bankräubern krisenbedingt auch ein paar skandal-umwitterte Banker und Politiker ein.
Ikonomou kennt diese Welt gut, er lebt in Piräus, seine Sprache entspricht der Unerbittlichkeit dieses Milieus, sie verursacht bisweilen fast körperliche Schmerzen, ist schonungslos bis vulgär. Beim Lesen glaubt man manchmal den Geruch von Hitze, Brackwasser und Fisch wahrzunehmen. Birgit Hildebrand ist es gelungen, das harte Stakkato des Originals und den zuweilen pathetischen Ton überzeugend ins Deutsche zu übertragen.
Die Erzählung „Warte nur, es passiert schon was“ gibt dem Band nicht nur den Titel, sondern auch ein durchgehendes Motto. Eine Frau versucht sich in dieser Geschichte mit den Worten selbst zu beruhigen: „Hier ist nicht Amerika.“ Die Banken würden einem schon nicht die Wohnung wegnehmen, wenn die Raten unbezahlt bleiben. Es sind eher die Frauen, die bei Ikonomou noch fast schon archaische Überlebenskräfte aufbringen. Die Männer igeln sich lieber ein, emigrieren in die Unberührbarkeit oder in den Alkohol, wie Aris, der Mann von Niki in der Titelgeschichte.
Es ist erstaunlich, dass der Autor, Jour-nalist und Übersetzer mit diesem Krisen-panorama, seinem zweiten Erzählband, schon 2005 begonnen hat. Da war Grie-chenland noch ein heiteres Land, in dem Armut ein Phänomen der Unterschicht war. Im Rückblick könnte man meinen, Ikonomou habe geahnt, wie brüchig die glänzende Oberfläche des Glücks war. Als das Buch 2010 in Athen im Original erschien, da konnte es schon als Lagebericht aus der verarmenden Mittelschicht gelesen werden. Der Schriftsteller erhielt dafür einen griechischen Staatspreis.
In der letzten Geschichte probiert ein Paar die ersten bulgarischen Vokabeln aus. Die beiden werden am nächsten Tag aus-wandern. In der Nacht davor holen sich die Nachbarn schon die Steine aus der Gartenmauer und schleppen sie davon. „Die nehmen mir Stück für Stück meine Welt weg“, sagt die Frau beim Blick auf das klaffende Loch in der Mauer. So wie hier buchstäblich die Welt der Menschen zerfällt, so löst sich auch in den anderen Geschichten die Gewissheit auf, dass man auch den nächsten Tag überstehen wird. In einer der traurigsten Geschichten versucht ein Vater für seinen Sohn, den er hungrig gelassen hat, Geld zu erbetteln. Es ist Gründonnerstag und so landet er schließlich bei der Ostervorbereitung in einer orthodoxen Kirche, wo er ein paar Frauen hilft, der Jesusfigur eine Dornenkrone aufzusetzen. Da könnte die Geschichte ins Kitschige kippen, aber Ikonomou fängt sie rechtzeitig mit Nüchternheit wieder auf.
Im öffentlichen Leben Griechenlands sei das Absurde die Regel und das Vernünftige die Ausnahme, hat der Autor in einem Interview gesagt. So wirken diese Geschichten, auch wenn sie wirklichen Verhältnissen entsprungen zu sein scheinen, in ihrer Zuspitzung surreal. Beispielweise wenn einer nicht weiß, was er auf sein Protestplakat schreiben soll, weil die Wut unaussprechlich ist. „Ich bin von einer unglaublichen Leere“, sagt der Mann zu sich selbst, und so bleibt auch sein selbstgefertigtes Poster, mit der er sich auf die Straße stellt, leer.
Zur Angst vor Armut gesellt sich die vor der Gewalt. Auch davon erzählt Ikonomou, in der Geschichte „Mao“. So nennen sie einen Jungen, der nicht zum Helden taugt, aber jede Nacht als Einziger den Wächter spielt in seiner Straße. Die anderen, die Stärkeren, schauen nur zu und reden. Auch diese Geschichte geht nicht gut aus.
CHRISTIANE SCHLÖTZER
Christos Ikonomou: Warte nur, es passiert schon was. Erzählungen aus dem heutigen Griechenland. Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand. C. H. Beck Verlag, München 2013. 256 S., 19,95 Euro.
Beim Lesen glaubt man den
Geruch von Hitze, Brackwasser
und Fisch wahrzunehmen
Langsam löst sich die Gewissheit
auf, dass man den nächsten
Tag überstehen wird
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Oberfläche des Glücks
Christos Ikonomou erzählt von der griechischen Krise
Die Griechen, so heißt es gern, hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Einige tun es gewiss auch heute noch. Nur, die Menschen, von denen Christos Ikonomou erzählt, hatten schon vor der großen Krise höchstens kleine Träume. Nun aber ist ihnen „die miese, die niederträchtige Armut ein Mitbewohner“ geworden, „eine Hausratte“, wie Ikonomou eine junge Frau namens Elli sagen lässt. Der ist ihr Geliebter Sotiris davongelaufen und hat auch noch das Sparschwein mitgehen lassen. „Ich verstehe das nicht“, sagt Elli. „Wenn wir Armen uns Armen schon so etwas antun, was müssen uns dann erst die Reichen antun.“
Ein schlichter Satz, wie ein poetisches Stück Agitprop. Aber dem 1970 in Athen geborenen Autor liegt mehr an Seelenzu-ständen als an politischer Analyse. Seine 16 Geschichten berichten von Verlierern in einer Stadtlandschaft, die schon immer randständig war. Ikonomous melancholi-sche bis surreale Erzählungen spielen alle in Piräus, dem Hafenviertel und Hinterhof der Metropole Athen. Dort, wo sich der Alltag von Arbeitslosen, Malochern und Migranten abspielt zwischen Fähranlegern und aufgelassenen Fabriken, chinesischen Containerdocks, Schlachthof, Öltanks und dem Großgefängnis von Korydallos. Darin sitzen nun neben Mördern und Bankräubern krisenbedingt auch ein paar skandal-umwitterte Banker und Politiker ein.
Ikonomou kennt diese Welt gut, er lebt in Piräus, seine Sprache entspricht der Unerbittlichkeit dieses Milieus, sie verursacht bisweilen fast körperliche Schmerzen, ist schonungslos bis vulgär. Beim Lesen glaubt man manchmal den Geruch von Hitze, Brackwasser und Fisch wahrzunehmen. Birgit Hildebrand ist es gelungen, das harte Stakkato des Originals und den zuweilen pathetischen Ton überzeugend ins Deutsche zu übertragen.
Die Erzählung „Warte nur, es passiert schon was“ gibt dem Band nicht nur den Titel, sondern auch ein durchgehendes Motto. Eine Frau versucht sich in dieser Geschichte mit den Worten selbst zu beruhigen: „Hier ist nicht Amerika.“ Die Banken würden einem schon nicht die Wohnung wegnehmen, wenn die Raten unbezahlt bleiben. Es sind eher die Frauen, die bei Ikonomou noch fast schon archaische Überlebenskräfte aufbringen. Die Männer igeln sich lieber ein, emigrieren in die Unberührbarkeit oder in den Alkohol, wie Aris, der Mann von Niki in der Titelgeschichte.
Es ist erstaunlich, dass der Autor, Jour-nalist und Übersetzer mit diesem Krisen-panorama, seinem zweiten Erzählband, schon 2005 begonnen hat. Da war Grie-chenland noch ein heiteres Land, in dem Armut ein Phänomen der Unterschicht war. Im Rückblick könnte man meinen, Ikonomou habe geahnt, wie brüchig die glänzende Oberfläche des Glücks war. Als das Buch 2010 in Athen im Original erschien, da konnte es schon als Lagebericht aus der verarmenden Mittelschicht gelesen werden. Der Schriftsteller erhielt dafür einen griechischen Staatspreis.
In der letzten Geschichte probiert ein Paar die ersten bulgarischen Vokabeln aus. Die beiden werden am nächsten Tag aus-wandern. In der Nacht davor holen sich die Nachbarn schon die Steine aus der Gartenmauer und schleppen sie davon. „Die nehmen mir Stück für Stück meine Welt weg“, sagt die Frau beim Blick auf das klaffende Loch in der Mauer. So wie hier buchstäblich die Welt der Menschen zerfällt, so löst sich auch in den anderen Geschichten die Gewissheit auf, dass man auch den nächsten Tag überstehen wird. In einer der traurigsten Geschichten versucht ein Vater für seinen Sohn, den er hungrig gelassen hat, Geld zu erbetteln. Es ist Gründonnerstag und so landet er schließlich bei der Ostervorbereitung in einer orthodoxen Kirche, wo er ein paar Frauen hilft, der Jesusfigur eine Dornenkrone aufzusetzen. Da könnte die Geschichte ins Kitschige kippen, aber Ikonomou fängt sie rechtzeitig mit Nüchternheit wieder auf.
Im öffentlichen Leben Griechenlands sei das Absurde die Regel und das Vernünftige die Ausnahme, hat der Autor in einem Interview gesagt. So wirken diese Geschichten, auch wenn sie wirklichen Verhältnissen entsprungen zu sein scheinen, in ihrer Zuspitzung surreal. Beispielweise wenn einer nicht weiß, was er auf sein Protestplakat schreiben soll, weil die Wut unaussprechlich ist. „Ich bin von einer unglaublichen Leere“, sagt der Mann zu sich selbst, und so bleibt auch sein selbstgefertigtes Poster, mit der er sich auf die Straße stellt, leer.
Zur Angst vor Armut gesellt sich die vor der Gewalt. Auch davon erzählt Ikonomou, in der Geschichte „Mao“. So nennen sie einen Jungen, der nicht zum Helden taugt, aber jede Nacht als Einziger den Wächter spielt in seiner Straße. Die anderen, die Stärkeren, schauen nur zu und reden. Auch diese Geschichte geht nicht gut aus.
CHRISTIANE SCHLÖTZER
Christos Ikonomou: Warte nur, es passiert schon was. Erzählungen aus dem heutigen Griechenland. Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand. C. H. Beck Verlag, München 2013. 256 S., 19,95 Euro.
Beim Lesen glaubt man den
Geruch von Hitze, Brackwasser
und Fisch wahrzunehmen
Langsam löst sich die Gewissheit
auf, dass man den nächsten
Tag überstehen wird
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