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Prag in den neunziger Jahren. Pavel Fuks, Kameramann und gelegentlicher Regisseur, wurde durch seinen Beruf zum Augenzeugen und aktiven Teilnehmer an den Demonstrationen vor und während der »samtenen Revolution«. Schon in den fünfziger Jahren hatte er einen mißlungenen Fluchtversuch unternommen und dafür einige Jahre im Gefängnis gesessen. Danach ging Pavel zum Staatsfernsehen und drehte dort als Paradestück einen Film über den greisen Staatspräsidenten. Nun, nach der Wende, droht ihm die Entlassung. Da geht er lieber freiwillig, in ein privates Studio, wo er zunächst Werbung, später Sexfilme…mehr

Produktbeschreibung
Prag in den neunziger Jahren. Pavel Fuks, Kameramann und gelegentlicher Regisseur, wurde durch seinen Beruf zum Augenzeugen und aktiven Teilnehmer an den Demonstrationen vor und während der »samtenen Revolution«. Schon in den fünfziger Jahren hatte er einen mißlungenen Fluchtversuch unternommen und dafür einige Jahre im Gefängnis gesessen. Danach ging Pavel zum Staatsfernsehen und drehte dort als Paradestück einen Film über den greisen Staatspräsidenten. Nun, nach der Wende, droht ihm die Entlassung. Da geht er lieber freiwillig, in ein privates Studio, wo er zunächst Werbung, später Sexfilme macht. Ist das die neue Freiheit? Soll das alles sein? Und auch in der Liebe bringt ihm die politische Wende kein Glück. - Klíma erzählt in diesem rasanten Roman, was es mit der neuen Freiheit auf sich hat.

Autorenporträt
Klíma, Ivan
Ivan Klíma, 1931 in Prag geboren, arbeitete als Redakteur und Lektor und unterrichtete nach dem Ende des Prager Frühlings in den USA. Seit 1970 lebt er wieder in Prag, wo er bis zur Wende 1989 Publikationsverbot hatte. Seine Romane und Erzählungen wurden in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.1995

Der eine gähnt, der andere filmt
Ivan Klíma berichtet vom Fototermin im Präsidentenpalast

Zwei Einsame: der Greis im Präsidentenpalast und der Kameramann. Der eine wacht wie ein Amtsvorstand vergrämt darüber, daß alles schön ruhig bleibt in seiner Republik der Langeweile. Den obersten Bürokraten vorteilhaft ins Bild zu bringen, ist die Aufgabe des anderen, der im staatlichen Fernsehen unablässig "Reklame für ein Leben macht, das keiner kaufen würde, wenn es im Angebot wäre".

Zwei Machtlose in den Katakomben der Macht: der Präsident, abgeschottet von den Menschen, ausgeliefert den Informationen, die er selber filtern läßt, unfähig, zu seinem filmischen Geburtstagsporträt irgendeine persönliche Erinnerung, ein individuelles Erlebnis beizusteuern. Während er mit dem Präsidenten arbeitet, träumt der Kameramann von der Zeit, da er die Kamera nicht mehr als Hofberichterstatter, sondern als Künstler in die Hand nehmen wird. Zwei Gescheiterte. Mit dem namenlosen Präsidenten ist Gustav Husak gemeint, der letzte Verwalter des tschechoslowakischen Kommunismus; der Kameramann heißt Pavel Fuks und ist der gebrochene Held von Ivan Klímas neuem Roman "Warten auf Dunkelheit, Warten auf Licht".

Der 1931 geborene Klíma beherrscht das Handwerk des Erzählens auf jene gediegene Weise, die vor ein paar Jahren vielleicht als altväterlich gegolten hätte, mittlerweile aber wieder als wetter- und modefeste Qualität geschätzt wird. So ist auch über seinen neuen Roman im Feuilleton schon viel Lob ausgestreut worden. Wäre das nicht endlich jener in Deutschland noch immer so schmerzlich vermißte Roman der politischen Wende von 1989, das gültige Zeugnis der samtenen Revolution? Zu solchem Urteil gehört zweifellos guter Vorsatz. Denn Klíma hat zwar ein lesenswertes Buch geschrieben, aber keinen Roman verfaßt, der einen dramatischen Bruch, eine epochale Wende oder auch nur einen unmerklichen Übergang akzentuieren würde.

"Warten auf Dunkelheit, Warten auf Licht" organisiert seinen Stoff in vier Kapiteln, die in die Gegenwart von 1989 geschickt dreißig Jahre Vorgeschichte einholen, und in zehn "Filmerzählungen", die den Realismus der Haupthandlung ins Surreale überhöhen: Traumbilder, Tagträume, irrwitzige Phantasien gehören dazu, aber auch das Drehbuch, an dem Pavel Fuks seit Jahren schreibt und das dereinst als Film mit dem Titel "Warten auf Dunkelheit, Warten auf Licht" die ganze Wahrheit jener Jahre künstlerisch fassen soll.

Als Jugendlicher hatte Pavel einmal den Ausbruch gewagt, doch war er, beim illegalen Grenzübertritt zusammen mit seinem Freund Petr geschnappt, statt im goldenen Westen für einige Zeit im Gefängnis gelandet. Seit damals versucht er sich einzurichten und der großen Unfreiheit seine kleinen Freiheiten abzupressen: Wochenendhäuschen, jede Menge Alkohol, sexuelle Abenteuer. Wer wollte es ihm verargen, daß er sich nicht darum reißt, seine Jahre als Märtyrer hinzubringen? Nicht einmal Petr, der sich zu keinen Kompromissen bereit fand und jahrelang mit seiner Familie als Kastellan auf einem verfallenen Schloß lebt, steht solch moralischer Rigorismus zu.

Mit grimmiger Konsequenz weiß Klíma mit einem literarischen Sittenbild zu zeigen, daß zwar niemand das Recht hat, Pavel zu verurteilen, aber das Leben selber Pavel für seinen alltäglichen Verrat bestraft. Gehetzt von der Furcht, sich zu versäumen, als Künstler, der von seinem großen Film immer nur träumt, als Ehemann, der gleich bei verschiedenen Frauen zuletzt abspringt, als Vater, der seine ungeborenen Kinder betrauert, findet er nie zur Ruhe. Während er den Präsidenten filmt, muß er sich unablässig fragen, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn dieser Präsident nicht existierte, in seiner Heimat nicht die Diktatur herrschte, die Flucht gelungen wäre . . . Der Versuchung, sich sein Leben ganz anders zu entwerfen, erliegt er oft, doch immer holt ihn die Einsicht ein, daß er selbst es war, der das Leben verpaßte: "Mein Sohn wäre dennoch nicht geboren worden."

So bleibt er auch ein Fremder, als sich die merkwürdig schemenhaft entworfene "Wende" vollzieht - ein Ereignis, das in Klímas Roman so wenig Spuren hinterläßt wie in der Seele seiner Figuren, die sich immer gleich bleiben, manchmal gierig, manchmal traurig sind, ein bißchen verkommen und für das Glück nicht geschaffen. Zu stolz, sich vor den neuen, alten Herren zu rechtfertigen, verläßt Pavel das staatliche Fernsehen und geht in die Privatwirtschaft. Er wird nie mehr Präsidenten porträtieren, aber auch seinen Traum, den großen Film, nicht verwirklichen. Die Freiheit bedeutet hier die Gelegenheit, lukrative Pornofilme zu drehen, den naiven Darstellerinnen die große Karriere zu versprechen und sie so ins Bett zu bekommen.

Die drastische Schwäche des Romans bilden zwanzig Zwischenstücke, mit denen Klíma das von ihm durchaus packend erzählte Geschehen kommentiert. Alle zehn Seiten etwa fällt er sich selber ins Wort, um allerlei existentielle Fragen zu stellen und sie mit Aphorismen von beachtlicher Banalität zu beantworten: "Was war das - das Leben?" fragt er und: "Was hieß das: frei sein?" Oder: "Was war das - der Tod?" Das wird freilich nur gefragt, weil der Erzähler die Antworten schon parat hat; Klíma nutzt die Romanform nicht, um eine neue Wirklichkeit zu befragen und zu erkunden, sondern um zum wiederholten Male ein paar alte, vielleicht richtige Antworten auf ewige Menschheitsfragen geben zu können. Kein Roman der Wende, sondern einer vom Ende der Illusionen. KARL-MARKUS GAUSS

Ivan Klíma: "Warten auf Dunkelheit, Warten auf Licht". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Anja Tippner. Hanser Verlag, München 1995. 275 S., geb., 39,80 DM.

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