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Vom Bahnhof sind es noch sechs oder sieben Kilometer bis O'Connor, einem kleinen Dorf, das seit den neunziger Jahren von der Landkarte Argentiniens verschwunden ist. Aráoz steigt als Einziger aus dem Zug, sieht sich verloren um. Der Bahnhofsvorsteher nimmt ihn in seinem Wagen mit zur alten Tankstelle, die auch Zimmer vermietet. Es ist die Tankstelle von Perlassi, seinem Fußballidol aus Kindertagen. Von ihm will Aráoz erfahren, was damals wirklich passiert ist, als Perlassis Mannschaft ein entscheidendes Match verlor und damit den Anfang ihres schmählichen Abstiegs einläutete - ein Abstieg, der…mehr

Produktbeschreibung
Vom Bahnhof sind es noch sechs oder sieben Kilometer bis O'Connor, einem kleinen Dorf, das seit den neunziger Jahren von der Landkarte Argentiniens verschwunden ist. Aráoz steigt als Einziger aus dem Zug, sieht sich verloren um. Der Bahnhofsvorsteher nimmt ihn in seinem Wagen mit zur alten Tankstelle, die auch Zimmer vermietet. Es ist die Tankstelle von Perlassi, seinem Fußballidol aus Kindertagen. Von ihm will Aráoz erfahren, was damals wirklich passiert ist, als Perlassis Mannschaft ein entscheidendes Match verlor und damit den Anfang ihres schmählichen Abstiegs einläutete - ein Abstieg, der in Aráoz' Erinnerung eng mit dem Fortgang des Vaters verknüpft ist. Doch statt seines Idols steht ein alter Mann an der Zapfsäule: Perlassi sei für ein paar Tage unterwegs, seine Rückkehr ungewiss. Aráoz lässt sich nicht abweisen, zu Hause erwarten ihn nur eine leere Wohnung und zu viele Gedanken. Während er in der schäbigen Pension ausharrt, kommt er der Wahrheit ein gutes Stück näher und lernt, sich mit der schlimmsten aller Niederlagen auszusöhnen.
Autorenporträt
Eduardo Sacheri wurde 1967 in Buenos Aires geboren, wo er heute als Professor für Geschichte arbeitet. Er hat drei Erzählungsbände veröffentlicht. Eine Auswahl seiner besten Fußballgeschichten erschien 2010.
Die Verfilmung seines Debütromans, Das Geheimnis ihrer Augen, erhielt 2010 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2011

Der Tor und das Tor

Was verbindet den Fußball mit dem menschlichen Leben und Strafräume mit gescheiterten Beziehungen? Der Argentinier Eduardo Sacheri macht aus Fußball gute Literatur.

Ein, humanbiologisch betrachtet, höchst geheimnisvoller Charakterzug des Argentiniers ist die offenbar angeborene Begeisterung für den Fußball. Wer als ausgemachter Fußballmuffel zu Gast am Río de la Plata ist, erlebt überraschende Probleme. Denn selbst esoterische Philosophen, hermetische Lyriker und weltabgewandte Astrophysiker, denen, wie man glauben könnte, nichts ferner liegen sollte als der alberne Umstand, dass 22 Männer einem Stück Leder hinterherrennen, gleiten beim Thema "el fútbol" unversehens in eine leidenschaftliche Irrationalität. Sie sagen lange ausgemachte Termine ab mit der Begründung: "Verzeih, ich habe vergessen, dass heute ja Boca spielt", oder kündigen einem als Deutschen gar die Freundschaft, weil "nach eurem 4:0 bei der WM ein Zusammenleben nicht mehr möglich ist".

Der für einen literaturliebenden Fußballmuffel wohl gravierendste Ernstfall stellt sich ein, wenn es ein Schriftsteller darauf abgesehen hat, sein gesamtes künstlerisches Schaffen dem rollenden Ball zu widmen. Und genau das tut Eduardo Sacheri. Etwa in seinem Roman "Die Frage ihrer Augen", dessen oscargekrönte Verfilmung in den Kinos lief. Darin wird ein komplizierter Kriminalfall nur durch die detaillierten Fußballkenntnisse der Ermittler aufgeklärt - im Stadion, versteht sich. Die Krone aber setzt Sacheri dem literaturgewordenen Fußballfieber in seinem Roman "Warten auf Perlassi" auf. In seinem Zentrum steht der 42 Jahre alte Aráoz. Seit Monaten hat er fast keinen Schritt mehr aus seiner verwahrlosten Wohnung in Buenos Aires getan. Eine Zigarette nach der anderen qualmend, liegt er reglos im Bett. Seit ihn seine Frau verlassen hat, hat sein Leben keinen Sinn mehr.

Was ihn eines Tages zum Aufstehen bewegt, ist - der Fußball. Doch nicht etwa ein aktuelles Spiel seines Lieblingsvereins. Vielmehr hat ihn plötzlich die Obsession gepackt, das Geheimnis einer schicksalhaften Partie zu ergründen, die ein längst vergessenes Team aus dem Vorort Wilde vor über dreißig Jahren verlor. Das war der Anfang vom Ende des Vereins. Was damals die Mannschaft und ihre Fans unrettbar demoralisierte: dass ausgerechnet Perlassi, der Star, der den vormals unbedeutenden Club in die erste Liga katapultiert hatte, im entscheidenden Moment versagte. Als kurz vor Abpfiff der gegnerische Spieler Villar, genannt "El Tanque" - "Der Panzer" -, auf das Tor von Wilde zustürmte, wollte ihn Perlassi nicht aufhalten. Wo doch ein Spurt oder ein kleines Foul vor dem Strafraum genügt hätten. Schiebung, Verrat, Bestechung, mutmaßten die Fans von Wilde - und machten dem Namen ihres Heimatorts alle Ehre, indem sie alles kurz und klein prügelten. Das Ende auch der Karriere von Perlassi.

In seiner tiefen Depression will es Aráoz nun endlich wissen: Was war der Grund dafür, dass Perlassi, der Held seiner Kindertage, in dieser Sekunde versagte? Allein der nagende Zweifel gibt Aráoz die Kraft, sich mit einem Vorortzug in das Kaff O'Connor zu begeben, wo Perlassi inzwischen eine Tankstelle betreibt. Aráoz sucht die Wahrheit - die über Perlassi, aber auch über seine verlorene Kindheit und sein verpfuschtes Leben. Doch als Aráoz ankommt, ist Perlassi gar nicht zu Hause. Und so beginnt, gemeinsam mit dem Tankwart Lépori, für Aráoz das lange Warten auf eine Wahrheit, die immer weiter vor ihm zu fliehen scheint. Ein Tor ist, wer in einem Tor den Sinn des Lebens sucht, findet der Tankwart insgeheim.

Wie der deutsche Titel des Buchs bereits evoziert, wartet der Held an der Tankstelle letztlich auf Godot, und etwas Becketthaftes wohnt den Figuren und ihrem tristen Aufenthaltsort in der Tat inne. Zumal auch die Handlung etwas von absurdem Theater zu haben scheint. Wozu dient die besessene Suche nach einer Wahrheit - "Aráoz und die Wahrheit", heißt der Roman nicht zufälligerweise im Original -, die im Grunde für niemanden relevant ist? Oder ist das eine große Metapher? Das Leben - ein verlorenes Spiel, ein verschossener Elfmeter? Was verbindet Fußball und Existenz, was Torschüsse und Depressionen, was Strafräume und gescheiterte Beziehungen?

Das große Talent Sacheris zeigt sich darin, dass er tatsächlich in der Lage ist, in einem schmalen Büchlein diese Verbindungen stringent und menschlich berührend herzustellen. Aber mehr noch: In der Ödnis des sterbenden Örtchens O'Connor, das durch die Wirtschaftspolitik der Militärdiktatur und des Menemismus in den Ruin getrieben wurde, findet der Leser Zug um Zug nicht nur die Wahrheit über das Scheitern von Aráoz und Perlassi, sondern auch über das des modernen Argentinien. Mittels einer kunstvollen Erzählstruktur verwebt Sacheri dabei im Wechsel Gegenwart und Vergangenheit, bis am Schluss die Gegenwart des Romananfangs selbst schon wieder Vergangenheit geworden ist, eine weitere Schleife in diesem Schachtelspiel der Erzählebenen. So ist Sacheri mit "Warten auf Perlassi" ein ingeniös gebautes Kleinod gelungen, das wider Erwarten selbst den eingefleischtesten Fußballmuffel bis zur letzten Seite in sportlichen und literarischen Bann versetzen dürfte.

FLORIAN BORCHMEYER

Eduardo Sacheri: "Warten auf Perlassi". Roman.

Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Berlin Verlag, Berlin 2010. 223 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auch in seinem neuen Roman "Warten auf Pelassi" bleibt Eduardo Sacheri sich treu, meint Rezensent Florian Borchmeyer: Es dreht sich einmal mehr alles um Fußball. Dass sollte "Fußballmuffel" aber auf keinen Fall von der Lektüre abhalten, so der Kritiker, denn dieses Buch sei ein geniales "Kleinod". Meisterhaft und menschlich bewegend erzähle Sacheri in verschiedenen Handlungssträngen die Geschichte des depressiven, 42 Jahre alten Argentiniers Araoz, der sich eines Tages auf die Suche nach dem ehemaligen Fußballstar Pelassi begibt, welcher in einem Spiel vor dreißig Jahren unter ungeklärten Umständen für die Niederlage und damit das Ende seines Vereins verantwortlich war. An einer inzwischen von Pelassi betriebenen Tankstelle wartet Araoz schließlich gemeinsam mit dem Tankwart - vergeblich - auf den Fußballer und gemeinsam sinnieren sie über Fußball und verpfuschte Leben, "Torschüsse und Depressionen". Darüber hinaus hat der ganz hingerissene Rezensent, der auch den Vergleich mit Samuel Beckett nicht scheut, hier viel über das moderne Argentinien erfahren.

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