Welche Themen sind es wert, sogar noch nach dem Tod diskutiert zu werden? Und welche Fragen, welche Einsichten könnte es geben? Genau diesen existenziellen Themen und Fragen spüren Sibylle Lewitscharoff und Heiko Michael Hartmann nach. In ihrem Buch lassen sie zwei Seelen im Jenseits auf einer Wartebank sitzen, die sich nur flüchtig kennen. Sie beginnen ein Gespräch, vorsichtig erst, dann immer eindringlicher: über das Verhältnis von Leib und Seele, über das Sterben und den Tod, über Gericht und Erlösung, über Glauben und Nicht-Glauben. Es sind die Themen, die Sibylle Lewitscharoff und Heiko Michael Hartmann seit Jahren umtreiben und die sie nun in diesem spektakulären Buch aufeinanderprallen lassen. Ein intellektueller und poetischer Wettstreit im Jenseits, mit spannendem Ausgang. Provokant, überraschend und unterhaltsam: ein stilistisches und inhaltliches Vergnügen!
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Erstaunt ist Rezensent Elmar Schenkel über dieses Buch nicht und findet, die Autoren hätten sich schon länger auf dergleichen Jenseitigkeiten zubewegt. Aber er warnt gleich vor der "Macht", die dieser Erzähl- und Diskurs-Standpunkt außerhalb des Seins annehmen kann. Eine enorme Menge an zitierter und angespielter Bildung aus den literarischen, philosophischen und musikalisch einmal bewohnten Welten wird zwischen einer "christlich" geprägten Sicht und einem rationalen "Widerborst" verhandelt, verspricht der Kritiker. Ihn hat es ermuntert und erfreut, und doch rät er, dem Genuss des Buches nur "löffelweise" zuzusprechen - zumal in diesen aus anderen Gründen so körperlos gewordenen Zeiten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2020Auf der Geisterbahn
Sibylle Lewitscharoff und Heiko Michael Hartmann setzen die Tradition des literarischen Totengesprächs fort.
Der erste Kontakt mit diesem Buch kann fatal sein. Mir jedenfalls kontaminierte es alle meine andere Lektüre, zumindest eine Zeitlang. Plötzlich las ich etwa "Die Fröhliche Wissenschaft" als Bulletin aus dem Jenseits. Die Fiktionen anderer begannen sich aufzulösen als Schlieren in der Ewigkeit. Solch ein Zustand hält nicht an, sonst könnten wir den Alltag nicht bewältigen. Die Macht des Nicht-mehr-Seins, analog zum Noch-nicht-Sein, ist immens und kann wie die Abgründe des Universums nur durch psychische Schutzmechanismen, durch philosophisch-theologische Rüstung in Schach gehalten werden. Es ist tatsächlich ein Schachspiel, das wir mit unserem Nicht-Ich spielen, und wie ein solches Denk-Spiel erscheint auch diese Schrift.
Sibylle Lewitscharoff (und sicherlich auch ihr Ko-Autor Heiko Michael Hartmann) hat in den letzten Jahren auf ein solches Buch hingearbeitet, diesen "poetischen Streit im Jenseits". In ihren Essays zur "Geisterstunde" und dem Roman "Von oben", beide 2019 erschienen, geraten Leser und Figuren in ähnliche Zwischenzustände, die nun allerdings nur noch Nach-Zustände sind. Zwei Geister treffen sich im Jenseits, die Seelen eines Mannes und einer Frau, von der wir wissen, dass sie Gertrud heißt und 1968 in Stuttgart-Degerloch geboren wurde und Lehrerin war. Der Mann eher ein Freigeist und kritischer Gegendenker. Sie sind nicht verheiratet oder verbandelt, einzig ein Flugzeugabsturz bei Nizza verbindet sie, denn sie erleiden einen parallelen Tod. Er wollte noch einen wichtigen Vortrag halten, doch die Aktentasche mit den Papieren trudelt nurmehr durch das Jenseits. Ist dieses überhaupt ein Raum oder wenigstens ein Zeit-Raum? Alles gerät hier - dieses "Hier" ist ebenso zweifelhaft wie das Sprechen darüber - ins Schwimmen.
Zunächst müssen sich die beiden finden oder besser: entdecken, dass sie nicht mehr auffindbar sind. Die Leiber haben sich aufgelöst, allenfalls können sie noch Umrisse erkennen und hören; im besten Sinne sind sie ganz Ohr. So bilden ihre Seelen ein Streitgespräch, als wäre dies ihr neuer Leib; das Druckbild wechselt mit den Stimmen. Die weibliche Stimme fühlt sich vom christlichen Glauben getragen; sie glaubt an Gerechtigkeit, Erlösung, an Verklärung und göttliches Erstrahlen: kein dogmatisches Christentum, sondern eher eine Art Schwingung. Daher ist es kein Wunder, dass sie immer wieder auf die Erfahrung der Musik zurückgreift, die Angst bannt und die erfüllt ist "vom Verlangen nach überirdischer Schönheit". Vor dieser Schwingung zerbröselt das Böse: Ein Jenseits ohne Musik wäre ein Missverständnis. Auch die phantastischen Architekturentwürfe des einsamen Kaliforniers Achilles Rizzoli, an den sie sich erinnert, haben etwas Jenseitiges, als wären seine Bauten gefrorene Metaphysik. Mit diesem Exzentriker hat Lewitscharoff die Leser schon in "Geisterstunde" bekannt gemacht.
Die Stimme des Mannes wischt dagegen immer wieder die Tafel ab, nachdem die Frau gesprochen hat. Er bleibt der Skeptiker und Zweifler, der jedem christlichen Argument ein Gegenwort liefert; er ist ein "Widerborst": Was ist denn dieses Ich, was denn dieser Gott? "Metzger, die ihr Hackfleisch wieder zusammennähen möchten, das sind wir, wenn wir uns Gott vorstellen wollen." Im Glauben sieht er den Wunsch nach Trost und Absicherung, doch das Sicherseinwollen sei die wahre Sünde. So wussten es schon die Hexen in "Macbeth": "And you all know, security / Is mortal's chiefest enemy" - Sicherheit als der eigentliche Feind des Menschen. Wahrheit und Sicherheit schließen sich nahezu aus. Versicherung gegen Entsicherung zeigt sich in der Sprache, und sie scheint das Einzige zu sein, was beiden spektralen Formen noch bleibt. Doch Sprache "gibt mit der einen Hand, was sie mit der anderen nimmt". Wo die Frau in freudiger Utopie schwelgt, bleibt der Mann illusionslos.
Allerdings sind die beiden nicht ganz allein. Schatten wandern wolkenartig vorbei, verhuschte Seelen, die sich mit der Zeit auch ansprechen lassen. Passagiere vielleicht, die mit abgestürzt sind? Wohl eher geistige Mitreisende, und zwar als Erinnerungen der Frau. Doch bleiben sie meist wenig artikulierte blasse Wölkchen. Da schleicht ein Geist vorbei, der sich bald als englischer Schriftsteller entpuppt: G. K. Chesterton. Im Leben war er ein Ausbund an Polemik und Lebensfreude, hier hat er sich von seinen "Geistreicheleien" verabschiedet und wartet auf die Liebe. Ein langweiliger engeltönender Himmel, so wie er Huckleberry Finn als Albtraum erschien? Dennoch: Die Erinnerung an Chesterton und seine fröhliche Geistigkeit, seinen Sprach- und Phantasiewitz, seinen Katholizismus erfreut die Lehrerin. Der Mann macht ihn gleich madig, ein Schlaumeier und Antisemit sei das gewesen. Und sie selbst, ihr Denken, sei der Grund, warum sie jetzt bestimmte Seelen sehe. Als da wären: Christine Lavant, Carson McCullers, Alexander Moritz Frey, Raymond Queneau, Edith Sitwell und andere - allesamt Facetten der literarisch gebildeten Frau. Es scheint, dass das literarische Gespräch, die literarischen Vorlieben den Tod überleben; die Figuren menschlicher Imagination, die uns ansprechen, bilden langsam verblassende Konstellationen unseres früheren Selbst. Vielleicht sind sie aber auch Fluchtpunkte, Wunschorte, die uns daran hindern, uns unserer Substanz zu stellen? Sogleich vermutet dies der Widerborst.
Wiewohl manches an Dante erinnert, der ebenfalls zitiert wird, ist doch diese Begegnung im Jenseits anders: Es gibt keinen Dante und keinen Vergil. Es gibt nur ein Auf- und Abwogen der Argumente und Erinnerungen, der sprachphilosophischen und theologischen Ein- und Widersätze, also eine Achterbahn von Erkenntnissen. Ein Auf und Ab: Schuld und Sühne (mit einem Seitenhieb auf Svetlana Geiers Übersetzung als "Verbrechen und Strafe"), Verzweiflung und Glaube, Freude und Finsternis, Theologie und Nihilismus. Auch an Giovanni Papinis nachtodliche Gerichtsbarkeit in "Weltgericht" (1957) fühlt man sich erinnert, an Flann O'Briens Fahrradhölle in "Der dritte Polizist" (1967) oder Markus Orths' "Picknick im Dunkeln" (2020), bei dem sich Thomas von Aquin und Stan Laurel über den Weg laufen. Gespräche im Totenreich, einst begründet von Lukian von Samosata, von Fontenelle und Goethe bis Enzensberger praktiziert, haben also weiterhin Konjunktur.
Aber Lewitscharoff und Hartmann nutzen sie nicht, um fiktive Bildung zu erschleichen oder die Toten sprechen zu lassen, wie es ein Bauchredner mit einer Puppe täte. Es geht hier um einen inneren Dialog, der nicht ernsthafter sein könnte und um den sich einige historische und literarische Schleier ziehen, Leib- und Lebensreste, unverdaute Erinnerungen wie in den Mühlen des Traums: "Dürfen wir noch jemandem erscheinen, dann bloß als Druckerschwärze auf Papier." Ausdrücke wie das "Erscheinen eines Buches" oder die "Besprechung" offenbaren auf einmal ihre mediumistisch-magischen Qualitäten. Insgesamt hat dieses Buch, das man nur löffelweise einnehmen kann, einen merkwürdigen Geschmack - den Geschmack der Zeit, in der wir uns jetzt befinden, die ja eine Zeit des Geschmacksverlustes, eine Distanzierung vom Körperlichen darstellt, eine Zeit der Trennung von Seele und Leib. "Ah! sehr lebendig! wir posthumen Menschen!", wusste schon Nietzsches "Fröhliche Wissenschaft."
ELMAR SCHENKEL
Sibylle Lewitscharoff, Heiko Michael Hartmann: "Warten auf". Gericht und Erlösung: Poetischer Streit im Jenseits.
Herder Verlag, Freiburg 2020. 208 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sibylle Lewitscharoff und Heiko Michael Hartmann setzen die Tradition des literarischen Totengesprächs fort.
Der erste Kontakt mit diesem Buch kann fatal sein. Mir jedenfalls kontaminierte es alle meine andere Lektüre, zumindest eine Zeitlang. Plötzlich las ich etwa "Die Fröhliche Wissenschaft" als Bulletin aus dem Jenseits. Die Fiktionen anderer begannen sich aufzulösen als Schlieren in der Ewigkeit. Solch ein Zustand hält nicht an, sonst könnten wir den Alltag nicht bewältigen. Die Macht des Nicht-mehr-Seins, analog zum Noch-nicht-Sein, ist immens und kann wie die Abgründe des Universums nur durch psychische Schutzmechanismen, durch philosophisch-theologische Rüstung in Schach gehalten werden. Es ist tatsächlich ein Schachspiel, das wir mit unserem Nicht-Ich spielen, und wie ein solches Denk-Spiel erscheint auch diese Schrift.
Sibylle Lewitscharoff (und sicherlich auch ihr Ko-Autor Heiko Michael Hartmann) hat in den letzten Jahren auf ein solches Buch hingearbeitet, diesen "poetischen Streit im Jenseits". In ihren Essays zur "Geisterstunde" und dem Roman "Von oben", beide 2019 erschienen, geraten Leser und Figuren in ähnliche Zwischenzustände, die nun allerdings nur noch Nach-Zustände sind. Zwei Geister treffen sich im Jenseits, die Seelen eines Mannes und einer Frau, von der wir wissen, dass sie Gertrud heißt und 1968 in Stuttgart-Degerloch geboren wurde und Lehrerin war. Der Mann eher ein Freigeist und kritischer Gegendenker. Sie sind nicht verheiratet oder verbandelt, einzig ein Flugzeugabsturz bei Nizza verbindet sie, denn sie erleiden einen parallelen Tod. Er wollte noch einen wichtigen Vortrag halten, doch die Aktentasche mit den Papieren trudelt nurmehr durch das Jenseits. Ist dieses überhaupt ein Raum oder wenigstens ein Zeit-Raum? Alles gerät hier - dieses "Hier" ist ebenso zweifelhaft wie das Sprechen darüber - ins Schwimmen.
Zunächst müssen sich die beiden finden oder besser: entdecken, dass sie nicht mehr auffindbar sind. Die Leiber haben sich aufgelöst, allenfalls können sie noch Umrisse erkennen und hören; im besten Sinne sind sie ganz Ohr. So bilden ihre Seelen ein Streitgespräch, als wäre dies ihr neuer Leib; das Druckbild wechselt mit den Stimmen. Die weibliche Stimme fühlt sich vom christlichen Glauben getragen; sie glaubt an Gerechtigkeit, Erlösung, an Verklärung und göttliches Erstrahlen: kein dogmatisches Christentum, sondern eher eine Art Schwingung. Daher ist es kein Wunder, dass sie immer wieder auf die Erfahrung der Musik zurückgreift, die Angst bannt und die erfüllt ist "vom Verlangen nach überirdischer Schönheit". Vor dieser Schwingung zerbröselt das Böse: Ein Jenseits ohne Musik wäre ein Missverständnis. Auch die phantastischen Architekturentwürfe des einsamen Kaliforniers Achilles Rizzoli, an den sie sich erinnert, haben etwas Jenseitiges, als wären seine Bauten gefrorene Metaphysik. Mit diesem Exzentriker hat Lewitscharoff die Leser schon in "Geisterstunde" bekannt gemacht.
Die Stimme des Mannes wischt dagegen immer wieder die Tafel ab, nachdem die Frau gesprochen hat. Er bleibt der Skeptiker und Zweifler, der jedem christlichen Argument ein Gegenwort liefert; er ist ein "Widerborst": Was ist denn dieses Ich, was denn dieser Gott? "Metzger, die ihr Hackfleisch wieder zusammennähen möchten, das sind wir, wenn wir uns Gott vorstellen wollen." Im Glauben sieht er den Wunsch nach Trost und Absicherung, doch das Sicherseinwollen sei die wahre Sünde. So wussten es schon die Hexen in "Macbeth": "And you all know, security / Is mortal's chiefest enemy" - Sicherheit als der eigentliche Feind des Menschen. Wahrheit und Sicherheit schließen sich nahezu aus. Versicherung gegen Entsicherung zeigt sich in der Sprache, und sie scheint das Einzige zu sein, was beiden spektralen Formen noch bleibt. Doch Sprache "gibt mit der einen Hand, was sie mit der anderen nimmt". Wo die Frau in freudiger Utopie schwelgt, bleibt der Mann illusionslos.
Allerdings sind die beiden nicht ganz allein. Schatten wandern wolkenartig vorbei, verhuschte Seelen, die sich mit der Zeit auch ansprechen lassen. Passagiere vielleicht, die mit abgestürzt sind? Wohl eher geistige Mitreisende, und zwar als Erinnerungen der Frau. Doch bleiben sie meist wenig artikulierte blasse Wölkchen. Da schleicht ein Geist vorbei, der sich bald als englischer Schriftsteller entpuppt: G. K. Chesterton. Im Leben war er ein Ausbund an Polemik und Lebensfreude, hier hat er sich von seinen "Geistreicheleien" verabschiedet und wartet auf die Liebe. Ein langweiliger engeltönender Himmel, so wie er Huckleberry Finn als Albtraum erschien? Dennoch: Die Erinnerung an Chesterton und seine fröhliche Geistigkeit, seinen Sprach- und Phantasiewitz, seinen Katholizismus erfreut die Lehrerin. Der Mann macht ihn gleich madig, ein Schlaumeier und Antisemit sei das gewesen. Und sie selbst, ihr Denken, sei der Grund, warum sie jetzt bestimmte Seelen sehe. Als da wären: Christine Lavant, Carson McCullers, Alexander Moritz Frey, Raymond Queneau, Edith Sitwell und andere - allesamt Facetten der literarisch gebildeten Frau. Es scheint, dass das literarische Gespräch, die literarischen Vorlieben den Tod überleben; die Figuren menschlicher Imagination, die uns ansprechen, bilden langsam verblassende Konstellationen unseres früheren Selbst. Vielleicht sind sie aber auch Fluchtpunkte, Wunschorte, die uns daran hindern, uns unserer Substanz zu stellen? Sogleich vermutet dies der Widerborst.
Wiewohl manches an Dante erinnert, der ebenfalls zitiert wird, ist doch diese Begegnung im Jenseits anders: Es gibt keinen Dante und keinen Vergil. Es gibt nur ein Auf- und Abwogen der Argumente und Erinnerungen, der sprachphilosophischen und theologischen Ein- und Widersätze, also eine Achterbahn von Erkenntnissen. Ein Auf und Ab: Schuld und Sühne (mit einem Seitenhieb auf Svetlana Geiers Übersetzung als "Verbrechen und Strafe"), Verzweiflung und Glaube, Freude und Finsternis, Theologie und Nihilismus. Auch an Giovanni Papinis nachtodliche Gerichtsbarkeit in "Weltgericht" (1957) fühlt man sich erinnert, an Flann O'Briens Fahrradhölle in "Der dritte Polizist" (1967) oder Markus Orths' "Picknick im Dunkeln" (2020), bei dem sich Thomas von Aquin und Stan Laurel über den Weg laufen. Gespräche im Totenreich, einst begründet von Lukian von Samosata, von Fontenelle und Goethe bis Enzensberger praktiziert, haben also weiterhin Konjunktur.
Aber Lewitscharoff und Hartmann nutzen sie nicht, um fiktive Bildung zu erschleichen oder die Toten sprechen zu lassen, wie es ein Bauchredner mit einer Puppe täte. Es geht hier um einen inneren Dialog, der nicht ernsthafter sein könnte und um den sich einige historische und literarische Schleier ziehen, Leib- und Lebensreste, unverdaute Erinnerungen wie in den Mühlen des Traums: "Dürfen wir noch jemandem erscheinen, dann bloß als Druckerschwärze auf Papier." Ausdrücke wie das "Erscheinen eines Buches" oder die "Besprechung" offenbaren auf einmal ihre mediumistisch-magischen Qualitäten. Insgesamt hat dieses Buch, das man nur löffelweise einnehmen kann, einen merkwürdigen Geschmack - den Geschmack der Zeit, in der wir uns jetzt befinden, die ja eine Zeit des Geschmacksverlustes, eine Distanzierung vom Körperlichen darstellt, eine Zeit der Trennung von Seele und Leib. "Ah! sehr lebendig! wir posthumen Menschen!", wusste schon Nietzsches "Fröhliche Wissenschaft."
ELMAR SCHENKEL
Sibylle Lewitscharoff, Heiko Michael Hartmann: "Warten auf". Gericht und Erlösung: Poetischer Streit im Jenseits.
Herder Verlag, Freiburg 2020. 208 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main