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Produktdetails
  • Verlag: BWV - Berliner Wissenschafts-Verlag
  • Seitenzahl: 368
  • Erscheinungstermin: 18. März 2013
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm x 154mm x 26mm
  • Gewicht: 798g
  • ISBN-13: 9783830531432
  • ISBN-10: 3830531435
  • Artikelnr.: 37273434
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.11.2013

So schön wie die Heerstraße
Ernst Reuters Jahre des Exils in Ankara
„Wir werden jetzt zehn Jahre in die Wüste gehen und dann kommen wir wieder.“ – Der Magdeburger Oberbürgermeister Ernst Reuter ahnte am Tag der „Machtergreifung“ Hitlers ein langes Exil voraus. Im Frühsommer 1935 erwartete ihn nach demütigender Amtsenthebung und zwei KZ-Inhaftierungen statt der Wüste die Steppenlandschaft Inneranatoliens.
  Reuter war als Berater des türkischen Wirtschaftsministeriums in Verkehrs- und Haushaltsfragen berufen worden. Von 1938 an lehrte er zusätzlich das von ihm begründete Fach Städtewesen an der Staatswissenschaftlichen Fakultät. Neben dem Juristen Ernst Hirsch gehörte er zu den produktivsten aus Deutschland vertriebenen Wissenschaftlern in türkischen Diensten.
  Reuters sehr anständig honorierte Stellung erlaubte es ihm, eine Wohnung am heutigen Atatürk Bulvari zu mieten. Der Boulevard erinnerte seine Frau Hanna an die „Schönheit und Großzügigkeit“ der Berliner Heerstraße.
  In Ankara erkannten viele den freundlichen, bald flüssig Türkisch sprechenden Mann an dem dunkelblauen Barett des deutschen Hochschullehrers. Er transportierte wohl als Einziger sein Obst und Gemüse vom Wochenmarkt auf dem Fahrrad, mit dem er auch zu Ministerempfängen fuhr. Nach einem anfänglichen „Gefühl des Glücks“ darüber, dass er all sein Wissen „unter ganz neuen Verhältnissen erproben und bewähren“ konnte, überwogen wenige Jahre später resignierte Töne: „Im Übrigen bin ich hier im wirklichen Sinne des Wortes vollständig allein und habe niemanden, der ernsthaft zählte.“ Man muss die beklagte Vereinsamung eher auf das Fehlen einer politisch gleich gestimmten Umgebung zurückführen als auf mangelnde Kontaktfreude. Reuter hatte seine Skatrunde und einen Kreis, der die Lektüre altsprachlicher Texte pflegte.
  Laut seinen Arbeitsverträgen war ihm jede politische und kommerzielle Betätigung verboten. Das hinderte ihn indes nicht, einen intensiven Briefwechsel mit Freunden und Gesinnungsgenossen im In- und Ausland zu unterhalten, insbesondere nach seinem Heraustreten aus der politischen Passivität im Wendejahr 1943. Der bekennende SPD-Mann gehörte zu den Mitgründern eines parteiübergreifenden „Deutschen Freiheitsbundes“, dessen illusorisches Programm nach dem Sturz Hitlers auf die Erhaltung der Reichsgrenzen von 1937 setzte. Er arbeitete intensiv an Hilfsaktionen für jüdische Flüchtlinge und nach dem formellen Eintritt der Türkei in den Krieg für im Landesinnern „konfinierte“ (also festgesetzte) Deutsche aller politischen Richtungen.
  Reiner Möckelmann, zuletzt Generalkonsul in Istanbul, widmet dieses anschauliche Buch dem in der Literatur bisher unzureichend behandelten längsten Abschnitt in Reuters Leben. Gelegentlich sehr weit ausgreifende, aber immer plausible Einordnungen in den zeitgeschichtlichen Rahmen werden viele Leser begrüßen.
KLAUS KREISER
Reiner Möckelmann : Wartesaal Ankara. Ernst Reuter. Exil und Rückkehr nach Berlin. Berliner Wissenschaftsverlag, 2013. 368 Seiten, 29 Euro.
Klaus Kreiser lehrte als Professor für Turkologie an der Universität Bamberg.
Nach dem Ende des NS-Staates
setzte Reuter auf die Erhaltung der
deutschen Grenzen von 1937
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