Die großen philosophischen Fragen bleiben immer dieselben, sei es vor zweitausend Jahren oder heute, ob man achtzig oder acht Jahre alt ist. Neugier ist der Ursprung der Philosophie. Kinder aus Frankreich und Deutschland haben Tomi Ungerer Fragen gestellt. Seine Antworten sind verblüffend, frech, witzig - und immer beflügelnd. Ein Philosophiebuch, das Lust aufs Denken macht, für Kinder und Erwachsene.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2016Der dreifache Urknall des Lebens
Wer sind wir, was wollen wir und warum? Tomi Ungerer gibt Antwort auf Grundsatzfragen von Kindern.
Von Andreas Platthaus
Gibt es etwas Schöneres, als Kindern Tomi Ungerer vorzulesen? Ja, mit ihnen seine Bilder zu betrachten, denn der gerade fünfundachtzig Jahre alt gewordene Elsässer ist nicht nur ein Jahrhundertkünstler, sondern im besten Sinne selbst noch ein Kind, und das sieht man seinen Bilderbüchern besonders begeistert an. Doch man liest es auch seinen Texten an: natürlich in den selbstverfassten Geschichten, die den Bilderbüchern zugrundeliegen, aber jetzt ebenfalls in einem Band, der die Antworten versammelt, die Ungerer im Laufe der vergangenen vier Jahre im Auftrag einer Philosophiezeitschrift auf Kinderfragen gegeben hat. Die Fragen sind kindlich, die Antworten kindgerecht. Beides ist nie kindisch. Besser geht es nicht. Und illustriert ist das Buch auch noch.
Aber was sind das überhaupt für Kinderfragen? Der Untertitel behauptet: philosophische. Das muss man wohl so sagen, wenn ein Philosophiemagazin die Idee dazu hatte. Aber es ist noch viel besser: Es sind kluge Fragen. Lebensnahe. Herausfordernde. Also etwas, das man nicht über alle philosophische Fragen sagen kann, denn die Liebe zur Weisheit geht nicht immer Hand in Hand mit der Liebe zur Klarheit. Als unsereins in der Alten Burse in Tübingen Nietzsches "Fröhliche Wissenschaft" studierte, hat man unter Philosophie etwas anderes verstanden als in diesem Buch von Tomi Ungerer. Die Mitschrift von damals wäre keine gute Lektüre fürs Kinderzimmer.
Ein wenig misstrauisch indes wird man bei mancher Frage doch. Zwar fragt keines der drei- bis dreizehnjährigen Kinder aus Deutschland und Frankreich explizit, warum es überhaupt etwas gebe und nicht vielmehr nichts, aber die Frage der achtjährigen Jessica, warum es alles auf der Welt gebe, was wir brauchen, klingt schon ein bisschen altklug. Wenn allerdings Ungerer seine Antwort darauf mit einer Gegenfrage beginnt: "Und warum auch alles, was wir nicht brauchen", dann sind wir wirklich bei einem ernsthaften Philosophieren angelangt, das aber dank des Witzes der Replik leicht zugänglich ist. Dass Ungerer dabei, wie es seine Art ist, die Grenzen dessen auslotet, was Eltern ihren Sprösslingen für zumutbar erachten, versteht sich bei diesem Mann von selbst. So ist Teil seiner Antwort auf Jessicas Frage auch die Feststellung: "Einen Beruf kann man nur mit Hilfe der erforderlichen Werkzeuge ausüben. Was täte auch ein Henker ohne Beil und ohne Galgen?"
Für solche leichthändigen Korrekturen des üblichen Heileweltbildes im Kinderzimmer hat Ungerer schon oft Kritik geerntet. In den Vereinigten Staaten wurden seine Kinderbücher mehr als dreißig Jahre lang nicht mehr verkauft, weil man das Leichthändige als leichtfertig und die Korrektur als Terror empfand. Was für ein Unsinn das war, wird der merken, der tatsächlich die Vorleseprobe aufs Exempel macht.
Die meisten Fragen im Buch drehen sich um handfeste Themen: Liebe, Familie, Freunde, auch um Geld, Ängste oder das Sterben. Nicht aber darum, wo die Kinder herkommen (das wäre ja auch keine "philosophische Frage"), und zwar deshalb nicht, wie wir von Ungerer lernen können, weil Kinder das im Regelfall wissen, während ihnen ein Rätsel ist, wo die Erwachsenen herkommen. Bisweilen gibt Tomi Ungerer auch zu, dass er mit seinen mehr als achtzig Jahren auf dem Buckel nicht klüger ist als die nur ein Achtel so alten Fragesteller. Darauf folgen aber besonders schöne Antworten, denn natürlich drückt der ehrliche Mann sich nicht einfach vor der Herausforderung. Warum es den Urknall gab, weiß Tomi Ungerer nicht. Wohl aber, was seiner Meinung nach die drei Urknälle des Lebens sind: Geburt, erste Liebe und Tod.
Und manchmal lügt er auch, räumt das aber sofort ein. So auf die Frage, ob es den Regenbogen deshalb gibt, damit die Vögel von dort auf die Wolken fliegen können (das soll eine drei Jahre alte Magdalena gefragt haben). Darauf antwortet Ungerer: "Ja, denn auf dem Regenbogen wählen sie die Farbe ihres Gefieders aus." Klar, wenn's um Regenbögen geht, darf man allemal das Blaue vom Himmel lügen (oder hier eben das Gelbe). Zumal dann noch der Satz folgt: "Ich beantworte dies Frage mit Ja, weil ich die Frage entzückend finde, aber ehrlich gesagt, ist meine Antwort nur in der Phantasie richtig." Quatsch, lieber Tomi Ungerer! Diese Antwort war genau richtig.
Tomi Ungerer: "Warum bin ich nicht du?" Antworten auf philosophische Fragen von Kindern.
Aus dem Französischen von Alexandra Beilharz, Grit Fröhlich und Margaux de Weck. Diogenes Verlag, Zürich 2016. 186 S., 40 Abb., geb., 20,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer sind wir, was wollen wir und warum? Tomi Ungerer gibt Antwort auf Grundsatzfragen von Kindern.
Von Andreas Platthaus
Gibt es etwas Schöneres, als Kindern Tomi Ungerer vorzulesen? Ja, mit ihnen seine Bilder zu betrachten, denn der gerade fünfundachtzig Jahre alt gewordene Elsässer ist nicht nur ein Jahrhundertkünstler, sondern im besten Sinne selbst noch ein Kind, und das sieht man seinen Bilderbüchern besonders begeistert an. Doch man liest es auch seinen Texten an: natürlich in den selbstverfassten Geschichten, die den Bilderbüchern zugrundeliegen, aber jetzt ebenfalls in einem Band, der die Antworten versammelt, die Ungerer im Laufe der vergangenen vier Jahre im Auftrag einer Philosophiezeitschrift auf Kinderfragen gegeben hat. Die Fragen sind kindlich, die Antworten kindgerecht. Beides ist nie kindisch. Besser geht es nicht. Und illustriert ist das Buch auch noch.
Aber was sind das überhaupt für Kinderfragen? Der Untertitel behauptet: philosophische. Das muss man wohl so sagen, wenn ein Philosophiemagazin die Idee dazu hatte. Aber es ist noch viel besser: Es sind kluge Fragen. Lebensnahe. Herausfordernde. Also etwas, das man nicht über alle philosophische Fragen sagen kann, denn die Liebe zur Weisheit geht nicht immer Hand in Hand mit der Liebe zur Klarheit. Als unsereins in der Alten Burse in Tübingen Nietzsches "Fröhliche Wissenschaft" studierte, hat man unter Philosophie etwas anderes verstanden als in diesem Buch von Tomi Ungerer. Die Mitschrift von damals wäre keine gute Lektüre fürs Kinderzimmer.
Ein wenig misstrauisch indes wird man bei mancher Frage doch. Zwar fragt keines der drei- bis dreizehnjährigen Kinder aus Deutschland und Frankreich explizit, warum es überhaupt etwas gebe und nicht vielmehr nichts, aber die Frage der achtjährigen Jessica, warum es alles auf der Welt gebe, was wir brauchen, klingt schon ein bisschen altklug. Wenn allerdings Ungerer seine Antwort darauf mit einer Gegenfrage beginnt: "Und warum auch alles, was wir nicht brauchen", dann sind wir wirklich bei einem ernsthaften Philosophieren angelangt, das aber dank des Witzes der Replik leicht zugänglich ist. Dass Ungerer dabei, wie es seine Art ist, die Grenzen dessen auslotet, was Eltern ihren Sprösslingen für zumutbar erachten, versteht sich bei diesem Mann von selbst. So ist Teil seiner Antwort auf Jessicas Frage auch die Feststellung: "Einen Beruf kann man nur mit Hilfe der erforderlichen Werkzeuge ausüben. Was täte auch ein Henker ohne Beil und ohne Galgen?"
Für solche leichthändigen Korrekturen des üblichen Heileweltbildes im Kinderzimmer hat Ungerer schon oft Kritik geerntet. In den Vereinigten Staaten wurden seine Kinderbücher mehr als dreißig Jahre lang nicht mehr verkauft, weil man das Leichthändige als leichtfertig und die Korrektur als Terror empfand. Was für ein Unsinn das war, wird der merken, der tatsächlich die Vorleseprobe aufs Exempel macht.
Die meisten Fragen im Buch drehen sich um handfeste Themen: Liebe, Familie, Freunde, auch um Geld, Ängste oder das Sterben. Nicht aber darum, wo die Kinder herkommen (das wäre ja auch keine "philosophische Frage"), und zwar deshalb nicht, wie wir von Ungerer lernen können, weil Kinder das im Regelfall wissen, während ihnen ein Rätsel ist, wo die Erwachsenen herkommen. Bisweilen gibt Tomi Ungerer auch zu, dass er mit seinen mehr als achtzig Jahren auf dem Buckel nicht klüger ist als die nur ein Achtel so alten Fragesteller. Darauf folgen aber besonders schöne Antworten, denn natürlich drückt der ehrliche Mann sich nicht einfach vor der Herausforderung. Warum es den Urknall gab, weiß Tomi Ungerer nicht. Wohl aber, was seiner Meinung nach die drei Urknälle des Lebens sind: Geburt, erste Liebe und Tod.
Und manchmal lügt er auch, räumt das aber sofort ein. So auf die Frage, ob es den Regenbogen deshalb gibt, damit die Vögel von dort auf die Wolken fliegen können (das soll eine drei Jahre alte Magdalena gefragt haben). Darauf antwortet Ungerer: "Ja, denn auf dem Regenbogen wählen sie die Farbe ihres Gefieders aus." Klar, wenn's um Regenbögen geht, darf man allemal das Blaue vom Himmel lügen (oder hier eben das Gelbe). Zumal dann noch der Satz folgt: "Ich beantworte dies Frage mit Ja, weil ich die Frage entzückend finde, aber ehrlich gesagt, ist meine Antwort nur in der Phantasie richtig." Quatsch, lieber Tomi Ungerer! Diese Antwort war genau richtig.
Tomi Ungerer: "Warum bin ich nicht du?" Antworten auf philosophische Fragen von Kindern.
Aus dem Französischen von Alexandra Beilharz, Grit Fröhlich und Margaux de Weck. Diogenes Verlag, Zürich 2016. 186 S., 40 Abb., geb., 20,- [Euro]. Ab 8 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ach, was sind die putzigen Strölchlein der durchschnittlichen Krimis und Thriller für blasse Kerlchen gegen die absurde, böse Komik und Aussagekraft Ungererscher Gestalten.« Thomas Wörtche / Titel Magazin Titel Magazin