Die Demokratie steckt in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Menschen sehnen sich seit jeher nach Lichtgestalten. Passt das heute noch in unser aufgeklärtes Weltbild? Ja, sagt Dieter Thomä. Er wendet sich gegen diejenigen, die sich in einer postheroischen Gesellschaft einrichten, und zeigt, wie leblos eine Demokratie ist, in der alle gleich sind. Thomä erklärt, warum heute Menschen gefragt sind, die über sich hinauswachsen und andere motivieren, es ihnen gleich zu tun. Die Demokratie tut gut daran, das Heldentum nicht denen zu überlassen, die autoritär oder fundamentalistisch denken. Denn sie wird nicht nur von Institutionen zusammengehalten, sondern auch von Individuen, die sich für eine Sache einsetzen, die größer ist als sie selbst. Sie machen aus der Kampfeslust eine Tugend und wagen neue Wege. In der Suche nach den richtigen Helden - und im Streit um sie - schärft eine demokratische Gesellschaft ihr Profil. Gerade in Zeiten, in denen sie unter Druck steht, ist dies unverzichtbar.
Einer für uns
Dieter Thomä sucht einen Platz für Helden in demokratischen Gesellschaften.
Von Birte Förster
Helden sind irgendwie en vogue. Der "Stern" setzte kürzlich vier bunt zusammengewürfelte Heldenfiguren auf sein Titelbild, ganze Sonderforschungsbereiche beschäftigen sich damit, und nun meint Dieter Thomä, Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen, Demokratien bräuchten Helden. Ziel seines Buches ist es, den "Platz von Helden in der Gesellschaft" zu finden. Um den sei es wegen all der Intellektuellen, die sich im postheroischen Zeitalter wähnen, aber schlecht bestellt.
Der demokratische Held Thomäscher Prägung ist ein amorphes Wesen und damit irgendwie alles. Er ist zugleich "einer für uns" und einsam, er stellt sich der Gefahr, er widmet sich einer Sache, die größer ist als er selbst, und wir schauen zu ihm auf. Plattitüden wie "Demokratische Helden werden, was sie sind" helfen bei der Definition nicht weiter. Streiche "Demokratische", und der Satz stimmt noch immer. Das Werden des Helden ist stets Teil seiner Erzählung, zu der ein Übermaß an Pflichterfüllung und Überwindung (im Sinne zivilen Ungehorsams) gehört, Staatsform hin oder her. Frauen sind zwar im "geschlechtlich offenen" Heldentum mitgemeint, als Heldinnen haben sie aber irgendwie Pech, es sei denn, sie sind Wonder Woman. Ganz im Stile Heinrich von Treitschkes werden Frauen der Vergangenheit mehrheitlich zu passiven Heldinnen erklärt. Ausgerechnet die Marquise von O. aber ist eine echte Heldin, weil sie den Vater ihres Kindes und zugleich ihren Vergewaltiger sucht (und findet).
Am Ende hat man sich durch allerlei Interessantes gelesen, aber eine Antwort auf die Notwendigkeit des Heldentums für die Demokratie hat man nicht gefunden. Mehrfach zu wiederholen, dass Helden sich für eine Sache engagieren, die größer ist als sie selbst, macht die Beziehung von Held zu Demokratie auch nicht deutlicher. Dabei gäbe es über die Demokratie vieles zu sagen. Über die Herausforderungen des Gleichheitsversprechens in den Niederungen der Sachpolitik, über jene eines partizipativen Gesellschaftsmodells, über die Durchsetzung und den Schutz individueller Freiheit und deren Austarierung mit dem Kollektiv.
Die Demokratie selbst ist schon die große Sache, für die sich Thomäs neue Helden einsetzen sollen, denn das Versprechen von Mitbestimmung, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ist größer als alle Demokraten. Das Versprechen bleibt unerfüllt, aber es sind nicht Helden, sondern vielmehr die Arbeiter im Weinberg, die für seine Erfüllung kämpfen, die eine demokratische Verfassung im Alltag mit Leben füllen, sie verändern und garantieren. Demokratie braucht keine Einzelhelden, sie braucht viele, die sie fordern, nutzen und verteidigen. Damit sich Pflege- und Betreuungsarbeit gerechter, also demokratischer verteilt, braucht man eben keinen Heldenvater, der auf dem Weg zur Kita noch zwei fremde Kinder im Straßenverkehr rettet, sondern viele Arbeitnehmer und Chefs, die ein halbes oder ganzes Jahr Elternzeit von Vätern zur Norm statt zur Ausnahme machen. Anders als Thomä behauptet, bedarf die Demokratie deshalb auch in Notzeiten keiner Helden, sondern der vielen, die für sie einstehen. Wer sie bewahren und weiterentwickeln will, muss sich ihre Ausgrenzungsmechanismen vorknöpfen.
Zudem: Wer hat denn Demokratie positiv weiterentwickelt, mehr von ihr gewagt? Das waren im zwanzigsten Jahrhundert vor allem Kollektive, die Gesellschaft reformieren und zum Besseren hin verändern wollten, nicht einzelne Helden. Die bürgerliche und sozialistische Frauenbewegung der Jahrhundertwende, die schwarze Bürgerrechtsbewegung der Vereinigten Staaten, die neuen sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und heute vermutlich die globale Bewegung für Klimagerechtigkeit.
Greta Thunberg, die mit ihrem Schulstreik vor dem schwedischen Parlament diese weltweiten Proteste ausgelöst hat, will aber gerade keine Heldin sein. Was den erwachsenen Politikerinnen und Politikern eigentlich einfallen würde, sie in die Rolle der Klimaretterin zu drängen, weil sie selbst ihre Arbeit nicht machten, schleuderte sie beim Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York ihrem Publikum entgegen: "How dare you?"
Warum nur hat für all das kein Essay gereicht, über den man trefflich hätte streiten können? Etwas ratlos lässt die Lektüre zurück. Am Ende kommt der Begriff der Zivilcourage, die Thomä als Einstehen für die Verfassung beschreibt, jenem seines demokratischen Heldentums gefährlich nah, und so fragt man sich, wieso das Buch nicht heißt "Warum Demokratie keine Helden, sondern Staatsbürgerinnen braucht". So furchtbar postmodern ist das doch gar nicht.
Dieter Thomä: "Warum Demokratien Helden brauchen". Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus.
Ullstein Verlag, Berlin 2019. 272 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieter Thomä sucht einen Platz für Helden in demokratischen Gesellschaften.
Von Birte Förster
Helden sind irgendwie en vogue. Der "Stern" setzte kürzlich vier bunt zusammengewürfelte Heldenfiguren auf sein Titelbild, ganze Sonderforschungsbereiche beschäftigen sich damit, und nun meint Dieter Thomä, Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen, Demokratien bräuchten Helden. Ziel seines Buches ist es, den "Platz von Helden in der Gesellschaft" zu finden. Um den sei es wegen all der Intellektuellen, die sich im postheroischen Zeitalter wähnen, aber schlecht bestellt.
Der demokratische Held Thomäscher Prägung ist ein amorphes Wesen und damit irgendwie alles. Er ist zugleich "einer für uns" und einsam, er stellt sich der Gefahr, er widmet sich einer Sache, die größer ist als er selbst, und wir schauen zu ihm auf. Plattitüden wie "Demokratische Helden werden, was sie sind" helfen bei der Definition nicht weiter. Streiche "Demokratische", und der Satz stimmt noch immer. Das Werden des Helden ist stets Teil seiner Erzählung, zu der ein Übermaß an Pflichterfüllung und Überwindung (im Sinne zivilen Ungehorsams) gehört, Staatsform hin oder her. Frauen sind zwar im "geschlechtlich offenen" Heldentum mitgemeint, als Heldinnen haben sie aber irgendwie Pech, es sei denn, sie sind Wonder Woman. Ganz im Stile Heinrich von Treitschkes werden Frauen der Vergangenheit mehrheitlich zu passiven Heldinnen erklärt. Ausgerechnet die Marquise von O. aber ist eine echte Heldin, weil sie den Vater ihres Kindes und zugleich ihren Vergewaltiger sucht (und findet).
Am Ende hat man sich durch allerlei Interessantes gelesen, aber eine Antwort auf die Notwendigkeit des Heldentums für die Demokratie hat man nicht gefunden. Mehrfach zu wiederholen, dass Helden sich für eine Sache engagieren, die größer ist als sie selbst, macht die Beziehung von Held zu Demokratie auch nicht deutlicher. Dabei gäbe es über die Demokratie vieles zu sagen. Über die Herausforderungen des Gleichheitsversprechens in den Niederungen der Sachpolitik, über jene eines partizipativen Gesellschaftsmodells, über die Durchsetzung und den Schutz individueller Freiheit und deren Austarierung mit dem Kollektiv.
Die Demokratie selbst ist schon die große Sache, für die sich Thomäs neue Helden einsetzen sollen, denn das Versprechen von Mitbestimmung, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ist größer als alle Demokraten. Das Versprechen bleibt unerfüllt, aber es sind nicht Helden, sondern vielmehr die Arbeiter im Weinberg, die für seine Erfüllung kämpfen, die eine demokratische Verfassung im Alltag mit Leben füllen, sie verändern und garantieren. Demokratie braucht keine Einzelhelden, sie braucht viele, die sie fordern, nutzen und verteidigen. Damit sich Pflege- und Betreuungsarbeit gerechter, also demokratischer verteilt, braucht man eben keinen Heldenvater, der auf dem Weg zur Kita noch zwei fremde Kinder im Straßenverkehr rettet, sondern viele Arbeitnehmer und Chefs, die ein halbes oder ganzes Jahr Elternzeit von Vätern zur Norm statt zur Ausnahme machen. Anders als Thomä behauptet, bedarf die Demokratie deshalb auch in Notzeiten keiner Helden, sondern der vielen, die für sie einstehen. Wer sie bewahren und weiterentwickeln will, muss sich ihre Ausgrenzungsmechanismen vorknöpfen.
Zudem: Wer hat denn Demokratie positiv weiterentwickelt, mehr von ihr gewagt? Das waren im zwanzigsten Jahrhundert vor allem Kollektive, die Gesellschaft reformieren und zum Besseren hin verändern wollten, nicht einzelne Helden. Die bürgerliche und sozialistische Frauenbewegung der Jahrhundertwende, die schwarze Bürgerrechtsbewegung der Vereinigten Staaten, die neuen sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und heute vermutlich die globale Bewegung für Klimagerechtigkeit.
Greta Thunberg, die mit ihrem Schulstreik vor dem schwedischen Parlament diese weltweiten Proteste ausgelöst hat, will aber gerade keine Heldin sein. Was den erwachsenen Politikerinnen und Politikern eigentlich einfallen würde, sie in die Rolle der Klimaretterin zu drängen, weil sie selbst ihre Arbeit nicht machten, schleuderte sie beim Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York ihrem Publikum entgegen: "How dare you?"
Warum nur hat für all das kein Essay gereicht, über den man trefflich hätte streiten können? Etwas ratlos lässt die Lektüre zurück. Am Ende kommt der Begriff der Zivilcourage, die Thomä als Einstehen für die Verfassung beschreibt, jenem seines demokratischen Heldentums gefährlich nah, und so fragt man sich, wieso das Buch nicht heißt "Warum Demokratie keine Helden, sondern Staatsbürgerinnen braucht". So furchtbar postmodern ist das doch gar nicht.
Dieter Thomä: "Warum Demokratien Helden brauchen". Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus.
Ullstein Verlag, Berlin 2019. 272 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main