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In der Debatte um die Reform des Sozialstaats in Deutschland wird oft der Grundkonflikt zwischen Arbeit und Kapital beschworen: Während die Arbeitnehmer für einen möglichst weit reichenden Ausbau des Sozialstaats einträten, dränge die Unternehmerseite auf Abbau und Kostensenkungen. Diese Sicht ist jedoch irreführend, wie Isabela Mares darlegt: Die sozialstaatliche Risikovorsorge musste der Wirtschaft nicht abgerungen werden, vielmehr haben die Unternehmer am Aufbau von Sicherungssystemen mitgewirkt. Die Autorin zeigt dies anhand von Beispielen aus der Geschichte der Sozialversicherung in…mehr

Produktbeschreibung
In der Debatte um die Reform des Sozialstaats in Deutschland wird oft der Grundkonflikt zwischen Arbeit und Kapital beschworen: Während die Arbeitnehmer für einen möglichst weit reichenden Ausbau des Sozialstaats einträten, dränge die Unternehmerseite auf Abbau und Kostensenkungen. Diese Sicht ist jedoch irreführend, wie Isabela Mares darlegt: Die sozialstaatliche Risikovorsorge musste der Wirtschaft nicht abgerungen werden, vielmehr haben die Unternehmer am Aufbau von Sicherungssystemen mitgewirkt. Die Autorin zeigt dies anhand von Beispielen aus der Geschichte der Sozialversicherung in Deutschland und Frankreich: von der Einführung von Arbeitsschutzgesetzen im Kaiserreich und der französischen Arbeitslosenversicherung von 1905 bis zu den Debatten in der Bundesrepublik der 80er Jahre um das Vorruhestandsgesetz.
Autorenporträt
I. Mares ist Professorin für Politikwissenschaft an der Stanford University.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2005

Wohlfahrts-Kapitalisten
Klassenübergreifende Allianzen zwischen Kapital und Arbeit

Isabela Mares: Warum die Wirtschaft den Sozialstaat braucht. Ein historischer Ländervergleich. Aus dem Englischen von Gabriele Ricke. Campus Verlag, Frankfurt 2004, 328 Seiten, 65,20 Euro.

Die bisher gepflegte Wahrnehmung sieht so aus: Die Arbeitgeber haben die Einführung von Sozialversicherungen abgelehnt und bekämpft, die Gewerkschaften sie gefordert und durchgesetzt. Aber die Arbeitgeber sind gar nicht so. Die Autorin jedenfalls spricht sie von diesem Vorwurf frei. Im vorliegenden Buch will Isabela Mares mit der bisher üblichen Wahrnehmung aufräumen, will die Rolle der Arbeitgeber bei der Entwicklung des modernen Wohlfahrtstaates neu bewerten und damit die "Lücke in unserem Verständnis der politischen Rolle der Unternehmen bei der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates" schließen. Sie fragt: "Wann und warum entwickeln Arbeitgeber ein Interesse an der Sozialversicherung?" Die meisten Wirtschaftsanalysen stellten die Sozialversicherung so dar, als schlüge sie für die Arbeitgeber negativ zu Buche; sie erhöhe die Arbeitskosten und senke die Rentabilität. Sie nähmen also an, die Kosten der Sozialversicherung würden den Nutzen für die Unternehmen stets überwiegen. Und bis in die jüngste Zeit hätten fast alle Sozialstaatsforscher die Ansicht geteilt, daß die Unternehmen ebendeswegen gegen die Sozialversicherung opponiert hätten. Aber empirische Befunden widerlegten das.

Diese Befunde breitet die Autorin aus. Zwischen Kapital und Arbeit entstünden klassenübergreifende Allianzen. Die Sozialversicherung biete den Arbeitgebern eine Reihe institutioneller Vorteile. Mares charakterisiert die Bedingungen, unter denen die Arbeitgeber die Einführung bestimmter Formen der Sozialversicherung unterstützen und unterstützt haben. Das geschehe nicht aus Altruismus oder Großzügigkeit, sondern aus Eigeninteresse.

Die Autorin spezifiziert die Bedingungen, unter denen sie das tun, und zeigt dies empirisch vor allem am Beispiel der Wohlfahrtsstaaten Frankreich und Deutschland. Die Fälle umfassen die über hundertjährige Geschichte jener Sozialversicherungen, welche die wichtigsten sozialen Risiken abdecken: Alter, Berufsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit. Herausgestellt wird, daß Großunternehmen in ihren Allianzen anders verfahren als Mittelstand und Kleinunternehmen. Den Grund für die Unterschiede sieht Mares - neben der Unternehmensgröße - in der jeweiligen Risikohäufigkeit und im Qualifikationsniveau der Beschäftigten.

Die Autorin lehrt als Professorin für Politikwissenschaft an der amerikanischen Stanford University. Ihre Botschaft: Eine arbeitgeberfeindliche Welt ist der Wohlfahrtsstaat nicht, mit seiner Sozialversicherung brauchen ihn auch die Arbeitgeber. Sie hält die Erkenntnis in ihrem Buch für "eine gute Nachricht". So wird es wohl auch der Herausgeber der Schriftenreihe sehen, in der die deutsche Übersetzung des Buches erschienen ist: die Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung. Diese fördert unter anderem "herausragende Forschungsleistungen auf den Gebieten Gewerkschaften, Arbeiterbildung und Humanisierung der Arbeitswelt". Die Arbeitgeber werden dieses Buch gerne lesen oder doch dankbar zur Kenntnis nehmen, daß an einer Legende, an einem Klischee strickt, wer sie in Sachen Sozialversicherung als Klassenkämpfer hinstellt; die Darstellung als Wohlfahrts-Kapitalisten wird ihnen gefallen.

KLAUS PETER KRAUSE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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16.03.2005, Financial Times Deutschland Im Kreislauf des gegenseitigen Nutzens -- "Erhellende und empirisch gut nachvollzogene Belege dafür, dass sich Wirtschaft und Sozialstaat besser verstehen als gemeinhin propagiert wird."

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass die bislang vorherrschende Ansicht, die Arbeitgeberwirtschaft habe den Sozialstaat stets eher zähneknirschend hingenommen, falsch ist - das ist nach Klaus Peter Krause die Pointe von Isabela Mares "historischem Ländervergleich" "Warum die Wirtschaft den Sozialstaat braucht." Mares argumentiert, dass die Unternehmen ein ebensolches Interesse an Sozialversicherungen hätten wie die Gewerkschaften - aus Eigeninteresse. Daher bildeten sich "klassenübergreifende Allianzen" zwischen den eigentlich feindlichen Lagern heraus. Die Stanforder Politologin versucht, diese Meinung anhand der historischen Entwicklungen in Deutschland und Frankreich zu belegen. Der Rezensent hält sich spürbar auf Distanz zu den Thesen der Autorin. Allianzen sieht er eher zwischen Mares und den Herausgebern der Reihe, in der ihr Werk erscheint, der Hans-und-Traute-Matthöfer-Stiftung. Die Arbeitgebern dürften gerne hören, mutmaßt Krause, dass sie weniger Klassenkämpfer sind denn "Wohlfahrts-Kapitalisten".

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