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Im August 2017 sorgte ein Beitrag von Kristen R. Ghodsee in der New York Times für Furore. Der Titel: Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex hatten. Bei »Sozialismus« mögen viele an alte Männer in grauen Anzügen denken. Tatsächlich aber garantierten zahlreiche sozialistische Länder ihren Bürgerinnen durch die Integration in den Arbeitsmarkt, Lohngleichheit und eine aktive Sozial- und Familienpolitik ein hohes Maß an ökonomischer Unabhängigkeit. Das erlaubte vielen Frauen, ihre Partner nicht nur unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Absicherung, sondern eben auch unter dem der…mehr

Produktbeschreibung
Im August 2017 sorgte ein Beitrag von Kristen R. Ghodsee in der New York Times für Furore. Der Titel: Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex hatten. Bei »Sozialismus« mögen viele an alte Männer in grauen Anzügen denken. Tatsächlich aber garantierten zahlreiche sozialistische Länder ihren Bürgerinnen durch die Integration in den Arbeitsmarkt, Lohngleichheit und eine aktive Sozial- und Familienpolitik ein hohes Maß an ökonomischer Unabhängigkeit. Das erlaubte vielen Frauen, ihre Partner nicht nur unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Absicherung, sondern eben auch unter dem der individuellen Entfaltung zu wählen.

Dreißig Jahre nach dem Ende des Staatssozialismus blickt die Historikerin und Ethnografin zurück und untersucht die Auswirkungen der kapitalistischen Transformation auf die Leben von Frauen. Die Lasten einer unregulierten Wirtschaft, so das Ergebnis ihres Essays, den sie nun erweitert als Buch vorlegt, tragen vor allem Frauen. Und sie sind es, die durch eine gerechtere Gesellschaft am meisten zu gewinnen haben.
Autorenporträt
Kristen R. Ghodsee, geboren 1970, ist Professorin für Russische und Osteuropäische Studien an der University of Pennsylvania. Sie schreibt unter anderem für The New York Times, Washington Post und The New Republic. 2019 erschien Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Das Buch wurde in vierzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt wurde im Suhrkamp Verlag Utopien für den Alltag. Eine kurze Geschichte radikaler Alternativen zum Patriarchat (2023) veröffentlicht. Richard Barth, geboren 1974 in Amberg, studierte Anglistik, Geschichtswissenschaft und Biologie sowie Literarische Übersetzung aus dem Englischen. Er lebt als freier Übersetzer in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2020

Im Osten die Lust
Kristen Ghodsee möchte den guten Sozialismus

Um es gleich vorwegzunehmen: Anders als im Titel vorgegeben, geht es im Buch von Kristen R. Ghodsee nur ganz am Rande um Sex. Die bekennende Bernie-Sanders-Anhängerin befasst sich vielmehr mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Frauenrechte. Ihr Buch zielt auf ein junges amerikanisches Publikum, das "wütend über die sexistische Politik unseres Frauen begrapschenden Obersten Twitterers" und zugleich "in der von aggressivem Antikommunismus durchtränkten Kultur Amerikas gefangen" sei. Ihr Ziel ist es, eine gesellschaftliche Alternative aufzuzeigen, in der Frauen- und Minderheitenrechte gewahrt werden und soziale Gerechtigkeit herrscht. Diese Alternative glaubt Ghodsee letztlich in der gesellschaftlichen Realität der Sowjetunion und ihrer ostmitteleuropäischen Satellitenstaaten gefunden zu haben.

In ihrem Buch stellt sie den in düstersten Farben gezeichneten Zuständen in den Vereinigten Staaten Errungenschaften der staatssozialistischen Länder gegenüber. Dazu gehören für sie die sozialen Sicherungssysteme, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, das Zusammenleben zwischen den Geschlechtern und auch die Sexualität, auf die der verkaufsfördernde Buchtitel Bezug nimmt.

Die Autorin leitet ihre Thesen zunächst historisch her. Sie rekapituliert zuerst die sozialdemokratischen und kommunistischen Vorstellungen von Frauenrechten seit dem neunzehnten Jahrhundert. In einem zweiten Schritt vergleicht sie die Problemlösungskompetenz von Sozialismus und Kapitalismus, wobei sie an Letzterem kein gutes Haar lässt. Nur der "demokratische Sozialismus" könne die Probleme der Gegenwart lösen, wobei die 1970 geborene Professorin für Russische und Osteuropäische Geschichte an der University of Pennsylvania immerhin einräumt, dass dessen Prinzipien im Ostblock nur unzureichend umgesetzt worden seien. Daher komme es darauf an, die politischen Freiheiten des Westens mit der sozialen Absicherung des Ostens zu verbinden. Ein Schelm, wer da an einen Spruch aus den 1990er Jahren denkt: Arbeiten wie bei Honecker, leben wie bei Kohl.

Um die von ihr durchaus wahrgenommene Diskrepanz zwischen dem realen Sozialismus und den sozialistischen Idealen zu verringern, erklärt Ghodsee Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen und Island mit ihren sozialen Sicherungssystemen kurzerhand zu sozialistischen Staaten. Diese "demokratisch-sozialistischen" Länder würden beweisen, "dass eine humane Alternative zum neoliberalen Kapitalismus kein Hirngespinst" sei. Doch werden die "sozialistischen" Vorzüge dann vor allem am Beispiel staatssozialistischer Länder abgehandelt.

Als dritten Zugang wählt die Autorin den Vergleich von Erfahrungsberichten von Frauen aus den Vereinigten Staaten und aus ehemaligen Ostblockstaaten. Einem in düsteren Farben gemalten Bild von in Abhängigkeit und Unterdrückung lebenden amerikanischen Frauen steht hier ein konträres Klischeebild ostmitteleuropäischer Geschlechtsgenossinnen gegenüber. Diese hätten ihr Sexualleben im ehemaligen Ostblock auch deshalb so sehr genießen können, weil der damit verbundene Rückzug ins Private einerseits zwar eine "Zuflucht vor dem allgegenwärtigen Staat" gewesen sei, aber andererseits wegen des "Fehlens kommerzieller Zerstreuungen" auch mehr Genuss geboten hätte. Ohnehin sei Sex im Sozialismus - im Unterschied zum Kapitalismus - keine Ware gewesen. Im frisch vereinten Deutschland sei dann "die größere sexuelle Lust der Frauen in der DDR" als "Bedrohung für das Überlegenheitsgefühl der Westdeutschen" wahrgenommen worden. Für die Autorin hat 1989/90 in Ostmitteleuropa "der Kapitalismus triumphiert". Damals hätte nicht nur die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen geendet, in der ehemaligen DDR sei zudem die "ostdeutsche Lebensweise komplett ausradiert" worden.

Ghodsee spricht durchaus wichtige Themen an, aber ihr Eintreten für eine (real)sozialistische Alternative baut darauf, vom Leben im jeweils anderen System ein Zerrbild zu zeichnen, unliebsame Fakten auszublenden und historische Ereignisse auf sehr eigenwillige Weise zu interpretieren.

ANNA KAMINSKY

Kristen R. Ghodsee: "Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben". Und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit.

Aus dem Englischen von Ursel Schäfer und Richard Barth. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 276 S., br., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Das Buch taugt für die hiesige Debatte und damit dezidiert auch für Westdeutsche. Als überfälliger Lückenschluss, um nach 30 Jahren endlich den Blick zu weiten auf jenen deutschen Frauenalltag, der parallel existierte und weiter existiert.« Anne Haeming DER SPIEGEL 20200325