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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2004

Also sehr monoman auch im Theoriebasteln
Bohren Sie doch nicht ständig nach: Niklas Luhmann in einem letzten Gespräch mit Alexander Kluge

Ein schmales Bändchen veröffentlicht "letzte Gespräche" mit dem 1998 verstorbenen Niklas Luhmann. Die beiläufig-trockene Art, mit der er im Interview mit Alexander Kluge über Kollegen spricht, läßt jedesmal etwas Wesentliches aufblitzen. Zugleich kommt das Paradies als die andere Seite der Luhmannschen Systemtheorie in den Blick.

"Ich weiß nicht, ob Ihnen der Name Gumbrecht etwas sagt", fragt Luhmann. "Der schreibt jetzt ein Buch über das Jahr 1926, was da alles so passiert ist. Zum Beispiel: Heidegger wurde dazu gezwungen, sich zu habilitieren, und schrieb sein Hauptwerk ,Sein und Zeit' noch in demselben Jahr." Kluge fragt zurück: "Und das ist Gumbrechts Geburtsjahr?" Nein, antwortet Luhmann, "aber es geht um die Vorstellung, was in dem Jahr passiert sei, sei irgend etwas Besonderes." Ist es gerade nicht, will Luhmann sagen, wenn er hinzufügt, daß er die Rolle des Zufalls sehr hoch einschätze, "auch in dem gesamten Evolutionskontext". Neben dem Zufall gehe es in der Geschichte noch um Routinen. In "funktionierenden Ehen" beispielsweise habe man sich darauf verständigt, sich nicht "tiefenscharf" verständigen zu müssen. Also, fragt Kluge zurück, die Verträglichkeit in der Intimität beruht auf Unschärfe? "Ja, auf Unschärfe und auf einem nicht ständigen Nachbohren. Man will nicht wirklich wissen, was der andere über einen denkt."

Einen Anreger seiner Theorie, den 1979 gestorbenen Talcott Parsons, beschreibt Luhmann vor Kluge wie folgt: "Klein, exzellent gekleidet, ein englisch aussehender, auch mit englischem Akzent sprechender Amerikaner, immer völlig beherrscht, selten mit Humor, immer mit Ernst an der Sache, sehr offen für alle möglichen Themen. Immer fühlte er sich provoziert und hatte immer das Gefühl, seine Theorien umarbeiten zu müssen. Also sehr monoman auch im Theoriebasteln. Er ist der einzige Mensch, den ich so je erlebt habe."

Eine andere Referenzfigur für Luhmanns Theorie ist George Spencer-Brown. "Wer ist das? Haben Sie den Mann einmal gesehen oder besucht?" fragt Kluge. Nein, antwortet Luhmann. "Er hat mich einmal angerufen. Der Kontakt zu ihm ist außerordentlich schwierig, er soll jetzt eventuell nach Heidelberg eine Einladung angenommen haben, aber das bedeutet nicht, daß er auch wirklich kommt." Über einen bestimmten Aspekt von Spencer-Browns Unterscheidungstheorie habe er einmal mit ihm am Telefon diskutiert. "Sie philosophieren dann telefonisch?" fragt Kluge. "Er hat mich einmal angerufen", gibt Luhmann zurück. Wie lange so ein Gespräche denn dauere? "Das hat eine halbe Stunde gedauert, da war er in Existenznöten und hat trotzdem eine halbe Stunde telefoniert." Ob Luhmann "auch sonst" Spencer-Brown einmal anrufen würde? "Ich könnte das machen, mache es aber eigentlich nicht. Aber wir versuchen ihn mal nach Deutschland zu bekommen, aber das ist sehr schwierig, weil er sehr englisch" sei in seiner Art.

Um das Unterscheiden als Paradigma zu erläutern, kommt Luhmann auf das Paradies zu sprechen. Spencer-Brown habe ihm die Augen für die verbotene Frucht des Unterscheidens geöffnet: "Wenn man das Paradies so nennt, wie man es in die Bibel hineininterpretieren kann, dann ist es eine Ordnung ohne Unterscheidung. Da gab es einfach dies und jenes, und so war es eben. Da war nichts weiter nötig, als sich zu ernähren oder sich zu freuen. Die Unterscheidung wurde ja eingeführt durch das Verbot. Jetzt plötzlich war die andere Seite da, die verbotene Frucht." Kluge: "Das ist der Beginn aller Gesellschaften." Luhmann: "Jetzt plötzlich hat man Scham, man unterscheidet sich: nackt oder nicht nackt." Kluge: "Männlich, weiblich. Im Paradies - jetzt draußen." Luhmann: "Man kann verführen! Adam hat wahrscheinlich nie eine Rippe vermißt, weil er sozusagen diese Rippe gar nicht unterschieden hat, aus der Gott Eva gemacht hat. Es gab eben nicht immer die andere Seite, nicht immer das, wovon etwas unterschieden werden muß. Und es war insofern auch göttlich, denn man kann sich Gott sehr schwer vorstellen als einen Beobachter, der immer unterscheiden muß und das andere dabei unberücksichtigt läßt." So ergibt sich der Zuständigkeitsbereich für Luhmanns Systemtheorie wie von selbst: alle Zufälle und Routinen diesseits des Paradieses.

CHRISTIAN GEYER

"Warum haben Sie keinen Fernseher, Herr Luhmann?" Letzte Gespräche mit Niklas Luhmann. Herausgegeben von Wolfgang Hagen. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2004. 144 S., geb., 16,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christian Geyer freut sich über das "Bändchen" mit Gesprächen des 1998 verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann, das "Wesentliches aufblitzen" lasse. So zum Beispiel werde in den Gesprächen das biblische Paradies als "die andere Seite der Luhmannschen Systemtheorie" deutlich. Ansonsten hält sich Rezensent Geyer in seiner Besprechung vornehm zurück und zitiert lieber ausgiebig Luhmann, wohl um dessen "beiläufig-trockene Art" für sich sprechen zu lassen.

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