Frauen in islamischen Ländern bleiben Menschen zweiter Klasse - solange es nicht eine echte Revolution gibt. Zu ihr ruft Mona Eltahawy in ihrem weltweit beachteten Manifest auf. Sie ist durch islamische Länder von Nordafrika bis in den nahen Osten gereist, hat die Lebensgeschichten von Frauen unterschiedlichster Herkunft aufgeschrieben. Eltahawy will das "giftige Gebräu aus Religion und Kultur" unschädlich machen, das die ganze islamische Welt durchtränkt. Newsweek hat Eltahawy bereits 2012 zu einer der furchtlosesten Frauen der Welt gewählt, weil sie trotz physischer und psychischer Bedrohung ihren Kampf für die Muslimas in aller Welt fortsetzt. Die Unterdrückung wird immer brutaler, das wird in Eltahawys Buch deutlich. "Der Westen" kann nicht länger zusehen, wie Menschen im Namen Allahs misshandelt, ausgebeutet, rechtlos gehalten werden - nur weil sie Frauen sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2015Misshandlung ist die Regel
Die Revolution hat noch nicht einmal begonnen: Die Ägypterin Mona Eltahawy streitet für die sexuelle Befreiung muslimischer Frauen. "Warum hasst ihr uns so?" ist das Manifest einer Enttäuschung.
Als im Jahr 2011 quer durch die arabische Welt das Revolutionsfieber ausbrach, hofften viele Frauen in der Region, nun würde nicht nur mit den Diktatoren, sondern auch mit dem Patriarchat abgerechnet. Seite an Seite mit den Männern demonstrierten Tunesierinnen, Ägypterinnen, Libyerinnen, Syrerinnen gegen Willkürherrschaft, korrupte Familiendynastien und Polizeistaatsmethoden. Sie wurden verprügelt, bedroht und verhaftet, und trotzdem kamen sie unermüdlich zu den Demonstrationen, zelteten am Tahrirplatz in Kairo, marschierten durch Tunis und Tripolis, malten Plakate in Homs. Die Revolution war, in den Worten der Ägypterin Mona Eltahawy, "unsere Chance, ein politisches und wirtschaftliches System zu demontieren, das die Hälfte der Menschheit bestenfalls wie Kinder behandelt. Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Eltahawy ist in der Welt des politischen Aktivismus keine Unbekannte: Die Journalistin, die seit 2011 neben der ägyptischen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit hat, verbreitet ihre Botschaften über soziale Medien, Videokolumnen, Blogs und tritt häufig als Rednerin bei Konferenzen auf. Weltweite Berühmtheit erlangte sie, als sie im April 2012 in der Zeitschrift "Foreign Policy" den Aufsatz "Warum sie uns hassen" veröffentlichte, der titelgebend für ihr aktuelles Buch wurde. In dem Essay unterstellt sie der arabischen Welt eine grundlegende Frauenfeindlichkeit, angefeuert von einem "giftigen Gebräu aus Kultur und Religion".
Vielen war ihr Tonfall damals zu polemisch und ihre Argumentation zu schwarzweiß. Auch war die Euphorie über die gestürzten Diktatoren noch frisch, die Hoffnung auf echten Wandel groß. Eltahawys Generalanklage gegen die arabische Männerwelt passte nicht ins romantische Bild der Schulter an Schulter für Freiheit kämpfenden Geschlechter.
Aus der großen Freiheit wurde, wie wir heute wissen, nichts. Nicht nur für die Frauen kam vieles anders als erhofft. Syrien versinkt im blutigen Gegeneinander rivalisierender Milizen und dem Dauerbombardement durch das Regime, der Irak zerfällt unter dem Druck des IS-Terrors und der wiedererstarkten ethnischen Gewalt, in Libyen haben Dutzende Milizen die Herrschaft übernommen und den Post-Gaddafi-Staat noch in der Geburtsphase erwürgt.
Vor diesem Hintergrund wirkt Eltahawys Ruf nach einer "sexuellen Revolution für die Frauen in der islamischen Welt" - so der Untertitel ihres Buches, das aus dem Aufsatz von 2012 entstanden ist - merkwürdig unzeitgemäß oder vielleicht auch nur naiv. Andererseits übertreffen die jüngsten Attacken gegen Frauen die Schreckensaufzählung Eltahawys noch bei weitem, etwa der brutale Umgang der IS-Milizen mit Yezidinnen aus dem Nordirak, die entführt, vergewaltigt und als Sexsklavinnen an Kämpfer verkauft oder verschenkt werden. Da bekommen Sätze wie "Ja, sie hassen uns. Das muss gesagt werden" einen ganz anderen Klang.
Eltahawys Buch ist das Manifest einer Enttäuschung, verfasst von einer Frau, deren Wut sich aus der eigenen Geschichte, aber auch aus Empathie mit anderen Frauen in der arabischen Welt speist. Akribisch hat sie Belege für ihre Hassthese gesammelt: Von der Genitalverstümmelung über erzwungene Jungfräulichkeitstests bis zu gesetzlich sanktionierter häuslicher Gewalt zeichnet sie ein durch und durch düsteres Bild von der Situation der Frauen in der arabischen Welt. Dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren dürfen, nimmt sich in ihrer Aufzählung der oft mit Gewalt verbundenen Unterdrückungsmechanismen fast harmlos aus. Selbst eher als liberal geltende Länder wie den Libanon klammert sie nicht aus. Sie erzählt die Geschichte der dreiunddreißigjährigen Manal Assi, die von ihrem Mann mit einem Schnellkochtopf erschlagen wurde, und führt, damit niemand diese als Einzelfall abtun kann, eine traurige Statistik an: In einer Studie der American University of Beirut hätten mehr als vierzig Prozent der befragten Frauen angegeben, körperlich misshandelt worden zu sein.
Natürlich sind die Missstände, die Eltahawy in ihrem Buch anprangert, nicht neu oder unbekannt. Kinderhochzeiten im Jemen, Vergewaltigung als Kriegswaffe in Syrien, der Wahhabiten-Islam in Saudi-Arabien sind immer wieder Thema in den Medien, in UN- oder Amnesty-Berichten. Was dem Buch eine besondere Farbe verleiht, sind die persönlichen Erfahrungen der Autorin. Sie ist eben nicht die kühl beobachtende Dokumentarin, die hier schreibt, sondern eine Frau, die im Alter von fünfzehn Jahren zum ersten Mal sexuell belästigt wurde - ausgerechnet auf der Hadsch, der Pilgerfahrt nach Mekka, als sie die heilige Kaaba umrundete. So geschockt war sie, dass sie erst Jahre später darüber sprechen konnte.
Ihr Lebenslauf macht Eltahawy zur Wanderin zwischen den Welten: In Ägypten geboren, zog sie im Alter von sieben Jahren mit der Familie nach London. Acht Jahre später dann der Schock, als die Eltern, beide Ärzte, mit den Kindern nach Saudi-Arabien gehen. Als Fünfzehnjährige aus dem weltoffenen London nach Dschidda zu ziehen war, "als wären wir auf einen anderen Planeten gezogen". Die Mutter, die in London die Familie ernährt hatte, durfte nicht einmal mehr Auto fahren. Das Trauma Saudi-Arabien trieb Eltahawy in den Feminismus - und unter den Hidschab. Mit sechzehn beschloss Eltahawy, ein Kopftuch zu tragen, "und ich habe acht Jahre gebraucht, es abzulegen."
Ihr Weg zum Kopftuch und wieder weg davon führt quer durch die feministische Literatur des Nahen Ostens, und die Schilderung jenes Tages, an dem sie es schließlich wieder ablegte, gehört zu den wenigen heiteren Momenten im Buch. Eine der größten Herausforderungen sei die Frage gewesen, wo sie einen möglichst schlechten Haarschnitt bekäme - denn "auf keinen Fall wollte ich ohne Hidschab ,hübsch' aussehen."
Die zunehmende Militarisierung der Konflikte in der arabischen Welt und vor allem die Geländegewinne extremistischer Gruppen wie des IS lassen im Moment nur wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Frauenrechte, wie sie Eltahawy sich wünscht. Umso wichtiger ist es, auch in Zeiten der großen Kriege auf die täglichen kleinen Kämpfe hinzuweisen. Denn, so Eltahawy, "bis der Zorn auf die Unterdrücker in den Präsidentenpalästen zum Zorn auf die Unterdrücker auf unseren Straßen und in unseren Häusern wird, bis dahin hat unsere Revolution nicht einmal begonnen."
SUSANNE FISCHER
Mona Eltahawy: "Warum hasst ihr uns so?" Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula Held. Piper Verlag, München 2015. 208 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Revolution hat noch nicht einmal begonnen: Die Ägypterin Mona Eltahawy streitet für die sexuelle Befreiung muslimischer Frauen. "Warum hasst ihr uns so?" ist das Manifest einer Enttäuschung.
Als im Jahr 2011 quer durch die arabische Welt das Revolutionsfieber ausbrach, hofften viele Frauen in der Region, nun würde nicht nur mit den Diktatoren, sondern auch mit dem Patriarchat abgerechnet. Seite an Seite mit den Männern demonstrierten Tunesierinnen, Ägypterinnen, Libyerinnen, Syrerinnen gegen Willkürherrschaft, korrupte Familiendynastien und Polizeistaatsmethoden. Sie wurden verprügelt, bedroht und verhaftet, und trotzdem kamen sie unermüdlich zu den Demonstrationen, zelteten am Tahrirplatz in Kairo, marschierten durch Tunis und Tripolis, malten Plakate in Homs. Die Revolution war, in den Worten der Ägypterin Mona Eltahawy, "unsere Chance, ein politisches und wirtschaftliches System zu demontieren, das die Hälfte der Menschheit bestenfalls wie Kinder behandelt. Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Eltahawy ist in der Welt des politischen Aktivismus keine Unbekannte: Die Journalistin, die seit 2011 neben der ägyptischen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit hat, verbreitet ihre Botschaften über soziale Medien, Videokolumnen, Blogs und tritt häufig als Rednerin bei Konferenzen auf. Weltweite Berühmtheit erlangte sie, als sie im April 2012 in der Zeitschrift "Foreign Policy" den Aufsatz "Warum sie uns hassen" veröffentlichte, der titelgebend für ihr aktuelles Buch wurde. In dem Essay unterstellt sie der arabischen Welt eine grundlegende Frauenfeindlichkeit, angefeuert von einem "giftigen Gebräu aus Kultur und Religion".
Vielen war ihr Tonfall damals zu polemisch und ihre Argumentation zu schwarzweiß. Auch war die Euphorie über die gestürzten Diktatoren noch frisch, die Hoffnung auf echten Wandel groß. Eltahawys Generalanklage gegen die arabische Männerwelt passte nicht ins romantische Bild der Schulter an Schulter für Freiheit kämpfenden Geschlechter.
Aus der großen Freiheit wurde, wie wir heute wissen, nichts. Nicht nur für die Frauen kam vieles anders als erhofft. Syrien versinkt im blutigen Gegeneinander rivalisierender Milizen und dem Dauerbombardement durch das Regime, der Irak zerfällt unter dem Druck des IS-Terrors und der wiedererstarkten ethnischen Gewalt, in Libyen haben Dutzende Milizen die Herrschaft übernommen und den Post-Gaddafi-Staat noch in der Geburtsphase erwürgt.
Vor diesem Hintergrund wirkt Eltahawys Ruf nach einer "sexuellen Revolution für die Frauen in der islamischen Welt" - so der Untertitel ihres Buches, das aus dem Aufsatz von 2012 entstanden ist - merkwürdig unzeitgemäß oder vielleicht auch nur naiv. Andererseits übertreffen die jüngsten Attacken gegen Frauen die Schreckensaufzählung Eltahawys noch bei weitem, etwa der brutale Umgang der IS-Milizen mit Yezidinnen aus dem Nordirak, die entführt, vergewaltigt und als Sexsklavinnen an Kämpfer verkauft oder verschenkt werden. Da bekommen Sätze wie "Ja, sie hassen uns. Das muss gesagt werden" einen ganz anderen Klang.
Eltahawys Buch ist das Manifest einer Enttäuschung, verfasst von einer Frau, deren Wut sich aus der eigenen Geschichte, aber auch aus Empathie mit anderen Frauen in der arabischen Welt speist. Akribisch hat sie Belege für ihre Hassthese gesammelt: Von der Genitalverstümmelung über erzwungene Jungfräulichkeitstests bis zu gesetzlich sanktionierter häuslicher Gewalt zeichnet sie ein durch und durch düsteres Bild von der Situation der Frauen in der arabischen Welt. Dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren dürfen, nimmt sich in ihrer Aufzählung der oft mit Gewalt verbundenen Unterdrückungsmechanismen fast harmlos aus. Selbst eher als liberal geltende Länder wie den Libanon klammert sie nicht aus. Sie erzählt die Geschichte der dreiunddreißigjährigen Manal Assi, die von ihrem Mann mit einem Schnellkochtopf erschlagen wurde, und führt, damit niemand diese als Einzelfall abtun kann, eine traurige Statistik an: In einer Studie der American University of Beirut hätten mehr als vierzig Prozent der befragten Frauen angegeben, körperlich misshandelt worden zu sein.
Natürlich sind die Missstände, die Eltahawy in ihrem Buch anprangert, nicht neu oder unbekannt. Kinderhochzeiten im Jemen, Vergewaltigung als Kriegswaffe in Syrien, der Wahhabiten-Islam in Saudi-Arabien sind immer wieder Thema in den Medien, in UN- oder Amnesty-Berichten. Was dem Buch eine besondere Farbe verleiht, sind die persönlichen Erfahrungen der Autorin. Sie ist eben nicht die kühl beobachtende Dokumentarin, die hier schreibt, sondern eine Frau, die im Alter von fünfzehn Jahren zum ersten Mal sexuell belästigt wurde - ausgerechnet auf der Hadsch, der Pilgerfahrt nach Mekka, als sie die heilige Kaaba umrundete. So geschockt war sie, dass sie erst Jahre später darüber sprechen konnte.
Ihr Lebenslauf macht Eltahawy zur Wanderin zwischen den Welten: In Ägypten geboren, zog sie im Alter von sieben Jahren mit der Familie nach London. Acht Jahre später dann der Schock, als die Eltern, beide Ärzte, mit den Kindern nach Saudi-Arabien gehen. Als Fünfzehnjährige aus dem weltoffenen London nach Dschidda zu ziehen war, "als wären wir auf einen anderen Planeten gezogen". Die Mutter, die in London die Familie ernährt hatte, durfte nicht einmal mehr Auto fahren. Das Trauma Saudi-Arabien trieb Eltahawy in den Feminismus - und unter den Hidschab. Mit sechzehn beschloss Eltahawy, ein Kopftuch zu tragen, "und ich habe acht Jahre gebraucht, es abzulegen."
Ihr Weg zum Kopftuch und wieder weg davon führt quer durch die feministische Literatur des Nahen Ostens, und die Schilderung jenes Tages, an dem sie es schließlich wieder ablegte, gehört zu den wenigen heiteren Momenten im Buch. Eine der größten Herausforderungen sei die Frage gewesen, wo sie einen möglichst schlechten Haarschnitt bekäme - denn "auf keinen Fall wollte ich ohne Hidschab ,hübsch' aussehen."
Die zunehmende Militarisierung der Konflikte in der arabischen Welt und vor allem die Geländegewinne extremistischer Gruppen wie des IS lassen im Moment nur wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Frauenrechte, wie sie Eltahawy sich wünscht. Umso wichtiger ist es, auch in Zeiten der großen Kriege auf die täglichen kleinen Kämpfe hinzuweisen. Denn, so Eltahawy, "bis der Zorn auf die Unterdrücker in den Präsidentenpalästen zum Zorn auf die Unterdrücker auf unseren Straßen und in unseren Häusern wird, bis dahin hat unsere Revolution nicht einmal begonnen."
SUSANNE FISCHER
Mona Eltahawy: "Warum hasst ihr uns so?" Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursula Held. Piper Verlag, München 2015. 208 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Für Rezensentin Jenny Friedrich-Freska ist "Warum hasst ihr uns so?" ein wütendes Buch und ein "zorniger Appell" für eine Gleichstellung der Frauen in der arabischen Welt mit den Männern. Die in Ägypten geborene und heute als Journalistin und Aktivistin arbeitende Autorin erzählt entlang ihrer eigenen Biografie, so die Rezensentin, die sie zum Ablegen des Kopftuchs führte. Die Erwähnung einer "sexuellen Revolution" im Untertitel des Buches findet Friedrich-Freska irreführend, vielmehr gehe es Eltahawy überhaupt erst mal um die Akzeptanz sexueller Bedürfnisse von Frauen in einer männlich dominierten und regierten Welt. Dabei gelte die Kritik der Autorin aber nicht allein den Männern, wie die Rezensentin bemerkt, sondern auch den Müttern, die ihre Töchter nicht ausreichend schützten. Ein kleiner Makel des Buches in den Augen Friedrich-Freskas: Jene Männer kämen zu kurz, die Frauen nicht verachten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Das Buch ist ein zorniger Appell für mehr Freiheit für die Frauen in der arabischen Welt.", Die Zeit, 08.10.2015