Kurt Flasch erzählt - ausgehend von seiner Herkunft aus einer liberalkatholischen, kulturell und politisch engagierten Familie -, wie er ins Zweifeln am Christentum gekommen ist. Er bespricht die Hauptpunkte der christlichen Lehre in ihrer katholischen wie evangelischen Form und wendet sich an jeden Gläubigen und an jeden Ungläubigen, der seine Gründe prüfen will, warum er Christ ist. Das Buch ist keine Autobiographie und keine Kampfschrift. Es bemüht sich um historische Gerechtigkeit, benennt die christlichen Überzeugungen genau und mit geschichtlichem Verständnis, bringt aber an Details nur das, was nötig ist, um zu einem sachlichen Urteil zu kommen. Kurt Flasch prüft aus den Quellen heraus die katholischen und evangelischen Varianten der christlichen Lehren und begründet, warum er von ihnen keinen weiteren Gebrauch machen wird. Fromme wie Unfromme können daraus Nutzen ziehen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2013Wenn schon Glauben, dann mit Spanferkel
Bis zum Atheisten will er es nicht mehr bringen: Der Mainzer Philosophiehistoriker Kurt Flasch erklärt, wie er vom Christentum abgefallen ist, und warum. Von Theologen lässt er sich bei seinem kritischen Geschäft nicht helfen.
Warum ich kein Christ bin" ist kein Buch der Kirchenkritik. Kurt Flaschs kritische Rechenschaft zielt nicht auf den heutigen Zustand der Kirchen, sondern auf die von ihnen verkündeten Lehren, die sich nach seiner Meinung auch in der Gegenwart weitreichender Anerkennung und "großer Schonung" erfreuen. "Mein Auszug", so sagt er gleich eingangs, "hat wenig mit dem Zustand der Kirchen und viel mit ihrem Anspruch auf Wahrheit zu tun."
Dargestellt wird eine Entwicklung, ein Prozess. Kurt Flasch war Christ; er ist es nicht mehr. Was hat ihn mit 83 Jahren, in der Nähe des unvermeidlichen Endes, veranlasst, "langsam und relativ akribisch Abschied" zu nehmen nicht nur von seinem Kinderglauben, sondern von der christlichen Religion im Ganzen, die ihn doch - als Zeitgenossen und als Forscher - ein Leben lang begleitet hat?
Traumatische Erlebnisse mit der Kirche waren es nicht, ganz im Gegenteil. Flasch lernte das Christentum nach eigenem Zeugnis "unter denkbar günstigen Bedingungen" kennen - nicht in der Zeit des Triumphs, sondern in der Verfolgung im NS-Staat. Ein Onkel gehörte zu den katholischen Martyrern des zwanzigsten Jahrhunderts. Den Mainzer Klerus lernte der Schüler in dieser Zeit "in seinen edelsten Spitzen" kennen. Kleriker haben ihn "weder gedemütigt noch bedrängt". Kein Gedanke daran, "dass ich je das Opfer sexueller Gewalt durch Geistliche geworden wäre".
"Das kirchliche Denken bot in kleinsten katholischen Zirkeln Schutz gegen die herrschende Ideologie; dort habe ich früh die Wahrheit über die Judenverfolgung und Hitlers Kriegsverbrechen gehört." Flasch konnte sich unter den Mainzer Klerikern auch die beiden Geistlichen aussuchen, "die am freundlichsten zu mir waren und von denen ich am meisten lernen konnte". Der eine schenkte ihm, als er vierzehn wurde, Nietzsches "Zarathustra", der andere brachte ihm das Lesen mittelalterlicher Handschriften bei. Aus Kleriker-Unarten, so resümiert Flasch, "lässt sich also meine Glaubensverweigerung biographisch nicht ableiten".
Wo wurzelten dann die Zweifel? Sie waren leiserer Art, subtilerer Natur. Viele biblische Aussagen erschienen ihm schon als Kind fragwürdig. Manches erschien ihm kulturellen oder politischen Rücksichten geschuldet. Im Studium in Frankfurt lernte Flasch Historiker kennen, die jedem antiken Text mit peinlicher Akribie zu Leibe rückten, solche Sorgfalt aber bei biblischen Texten vermissen ließen. Schwächte hier der Glaube den Verstand?
Der junge Studienassessor an einem hessischen Gymnasium entschloss sich, auf die Bibel, die christlichen Glaubenszeugnisse die gleiche Akribie anzuwenden, wie sie bei profanen Texten, etwa den Cicero-Briefen, üblich und selbstverständlich war. Dazu war philologischer Scharfsinn nötig, doch er genügte nicht. Das schärfste kritische Instrument erwuchs dem Fragenden in Gestalt jener Disziplin, die zum Hauptfach seines Lebens werden sollte: der Philosophie.
So berichtet Flasch in seinem Buch, wie er die geschichtlichen Quellen des Christentums "vernünftig" prüfte und bewertete, sie wog und schließlich, wie er meint, zu leicht befand. Eine Vielzahl klassischer Christen-Lehren kam auf diese Weise im Lauf des Lebens auf den Prüfstand: Gott und die Beweise seiner Existenz, das Problem des Bösen, Weissagungen und Wundergeschichten, das Konzept der Erlösung, die christliche Ethik, Tod und Unsterblichkeit. Das Zentrum der Auseinandersetzungen des Buches bilden die Texte der vier Evangelien und des Glaubensbekenntnisses, sparsam ergänzt durch Bekenntnisschriften und Konzilsbeschlüsse - es sind ausschließlich katholische und protestantische Quellen; die Orthodoxie fehlt.
Wer bestimmt die Auswahl? Hier setzen beim Rezensenten Zweifel an Flaschs Methode ein. Es ist ja verhältnismäßig leicht - und wird schon des Längeren geübt -, aus den biblischen Texten Einzelnes herauszugreifen, was auf heutige Gemüter verstörend und abschreckend wirkt, und die kritische Aufmerksamkeit darauf zu richten. Dies gilt vor allem für das Alte Testament, die Hebräische Bibel. Aber wo bleibt dann der Blick auf das Ganze der biblischen Zeugnisse, in dem bekanntermaßen die Wahrheit steckt? Kann man etwa die von Flasch wiederholt angeführten Bilder des zornigen, gewalttätigen Gottes im ersten Samuelbuch angemessen interpretieren ohne ihr Gegenstück - die Gewaltkritik, die in der Zeit des babylonischen Exils einsetzt und im jüdischen Gottesbild tiefe Spuren hinterlässt (so dass auch die Bergpredigt Jesu keinen radikaler Bruch mit den überlieferten Lehren darstellt)? Ist nicht schon der Talionsgrundsatz "Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn" entgegen mancher vordergründigen Interpretation keineswegs ein Aufruf zu massiver Vergeltung, sondern eine Festlegung für Entschädigungen, also ein Versuch, Rache durch Recht zu ersetzen?
Hier taucht unvermeidlich das Problem der Kanonbildung in Theologie und Kirche auf. In einer Glaubensgemeinschaft muss festgelegt werden, was für alle und überall gilt, was wichtig und was weniger wichtig ist, wo der Akzent der Verkündigung liegt. Schon im Hinblick auf die Leseordnung im Kirchenjahr muss unter den überlieferten Schriften eine Auswahl getroffen werden. Was betont man, was lässt man weg? Aber die Kanonbildung steht schon am Anfang der christlichen Gemeinden: Die Evangelien selbst wurden ja aus einem viel größeren und bunteren Büchertisch überlieferter Jesus-Berichte ausgewählt und verbindlich gemacht. Ähnliche Gesetze walten bei der Entwicklung der Dogmen; auch hier gibt es zentrale Stücke und andere, die im Lauf der Zeit an den Rand rücken - "efficient parts" und "dignified parts" wie in weltlichen Verfassungen.
Auf Kanonisches reagiert Flasch jedoch allergisch - wobei er freilich nur die relativ junge "kanonische Exegese" des Neuen Testaments (Joseph Ratzinger) im Auge hat. Er will sich das konkrete, philologisch zu fassende Einzelne nicht durch den theologischen Verweis auf das Ganze nehmen lassen. Das nimmt seiner Kritik jedoch die methodische Adäquanz. Sie leidet unter einer willkürlich-selektiven Wahrnehmung. Kirche und Theologie als geschichtlich sich fortbewegende, sich unablässig verändernde Kräfte kommen kaum in den Blick.
Mit einer gewissen Starre fixiert sich Flaschs Kritik auf ältere, scharf umrissene Positionen der kirchlichen Lehre: So gewinnt das Erste Vaticanum als Objekt der Kritik in seiner Darstellung ein Übergewicht gegenüber dem Zweiten Vaticanum (das nur an einer Stelle erwähnt wird); die Dekrete der Bibelkommission von 1907 und 1908, die der historisch-kritischen Methode Grenzen setzten, werden ausführlich referiert, die jüngeren Äußerungen, die eine eingreifende Revision bringen, nur mit zwei Sätzen erwähnt. Wiederholt betont Flasch, wie alt das Christentum in der Gegenwart aussieht, wie überlebt seine Kleriker auf ihn wirken. Aber auf eine nur tiefenpsychologisch zu deutende Weise scheint er gerade in dieses "alt aussehende" Christentum verliebt zu sein - so sehr, dass er an einigen Stellen von ihm regelrecht zu schwärmen anfängt: "Wenn schon Religion, dann prall und sozial, als Volksfest mit Wundern, Weihrauch und Trompeten, mit Wein und Porchetta."
Flasch folgt bei seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum, wie er sagt, einer historisch-kritischen Methode. Aber müsste man nicht eher sagen: einer philosophisch-kritischen? Die Philosophie offenbarte ihm - so sein Resümee - die "Unvernunft der Christentümer". Doch wie kann man historisch erwachsene Gestalten pauschal für "unvernünftig" erklären? Und endlich: Muss nicht Theologisches auch theologisch betrachtet werden? Leider lässt sich Flasch bei seinem kritischen Geschäft von Theologen kaum helfen. Sie sind bei ihm abgemeldet, seitdem ihm in den Studienjahren ein Bultmann-Schüler bekannt hatte, er hege keine Hoffnung auf das Jenseits. "Zur Beschwichtigung meiner begründeten Selbstzweifel brauchte ich keine Theologie."
Dementsprechend sind seine Urteile über die gegenwärtigen Theologen herablassend, ja despektierlich (an einer Stelle nennt er die Adepten der natürlichen Theologie "Zechpreller der Philosophie"). Karl Barths Aussage, Gott sei der "ganz Andere", ist ihm nur "eine verächtliche Phrase". Hans Küng erzeugt für ihn Interesse allein "durch aufmüpfige Papstkritik", und Eugen Drewermann und Anselm Grün "grasen auf den Wiesen der Seelenkunde". Bleibt also nichts, kein Bedauern, kein Phantomschmerz? Kurt Flasch behauptet: nein. Er ist freilich vorsichtig: Atheist will er nicht sein, allenfalls Agnostiker. "Denn ein Atheist traut sich zu, er könne beweisen, dass kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht." Und die jüdisch-christliche Tradition bleibt für ihn - zumindest auch - "ein Bildersaal produktiver religiöser Erfindungen". Diesem poetischen Reichtum steht Flasch aufgeschlossen gegenüber, auch wenn er als Philosoph am Ende seines Lebens nicht mehr an Gott, an ein Leben nach dem Tod und an die Gottheit Christi glaubt.
HANS MAIER
Kurt Flasch: "Warum ich kein Christ bin". Bericht und Argumentation.
C.H. Beck Verlag, München 2013. 280 S., geb., 19,95 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bis zum Atheisten will er es nicht mehr bringen: Der Mainzer Philosophiehistoriker Kurt Flasch erklärt, wie er vom Christentum abgefallen ist, und warum. Von Theologen lässt er sich bei seinem kritischen Geschäft nicht helfen.
Warum ich kein Christ bin" ist kein Buch der Kirchenkritik. Kurt Flaschs kritische Rechenschaft zielt nicht auf den heutigen Zustand der Kirchen, sondern auf die von ihnen verkündeten Lehren, die sich nach seiner Meinung auch in der Gegenwart weitreichender Anerkennung und "großer Schonung" erfreuen. "Mein Auszug", so sagt er gleich eingangs, "hat wenig mit dem Zustand der Kirchen und viel mit ihrem Anspruch auf Wahrheit zu tun."
Dargestellt wird eine Entwicklung, ein Prozess. Kurt Flasch war Christ; er ist es nicht mehr. Was hat ihn mit 83 Jahren, in der Nähe des unvermeidlichen Endes, veranlasst, "langsam und relativ akribisch Abschied" zu nehmen nicht nur von seinem Kinderglauben, sondern von der christlichen Religion im Ganzen, die ihn doch - als Zeitgenossen und als Forscher - ein Leben lang begleitet hat?
Traumatische Erlebnisse mit der Kirche waren es nicht, ganz im Gegenteil. Flasch lernte das Christentum nach eigenem Zeugnis "unter denkbar günstigen Bedingungen" kennen - nicht in der Zeit des Triumphs, sondern in der Verfolgung im NS-Staat. Ein Onkel gehörte zu den katholischen Martyrern des zwanzigsten Jahrhunderts. Den Mainzer Klerus lernte der Schüler in dieser Zeit "in seinen edelsten Spitzen" kennen. Kleriker haben ihn "weder gedemütigt noch bedrängt". Kein Gedanke daran, "dass ich je das Opfer sexueller Gewalt durch Geistliche geworden wäre".
"Das kirchliche Denken bot in kleinsten katholischen Zirkeln Schutz gegen die herrschende Ideologie; dort habe ich früh die Wahrheit über die Judenverfolgung und Hitlers Kriegsverbrechen gehört." Flasch konnte sich unter den Mainzer Klerikern auch die beiden Geistlichen aussuchen, "die am freundlichsten zu mir waren und von denen ich am meisten lernen konnte". Der eine schenkte ihm, als er vierzehn wurde, Nietzsches "Zarathustra", der andere brachte ihm das Lesen mittelalterlicher Handschriften bei. Aus Kleriker-Unarten, so resümiert Flasch, "lässt sich also meine Glaubensverweigerung biographisch nicht ableiten".
Wo wurzelten dann die Zweifel? Sie waren leiserer Art, subtilerer Natur. Viele biblische Aussagen erschienen ihm schon als Kind fragwürdig. Manches erschien ihm kulturellen oder politischen Rücksichten geschuldet. Im Studium in Frankfurt lernte Flasch Historiker kennen, die jedem antiken Text mit peinlicher Akribie zu Leibe rückten, solche Sorgfalt aber bei biblischen Texten vermissen ließen. Schwächte hier der Glaube den Verstand?
Der junge Studienassessor an einem hessischen Gymnasium entschloss sich, auf die Bibel, die christlichen Glaubenszeugnisse die gleiche Akribie anzuwenden, wie sie bei profanen Texten, etwa den Cicero-Briefen, üblich und selbstverständlich war. Dazu war philologischer Scharfsinn nötig, doch er genügte nicht. Das schärfste kritische Instrument erwuchs dem Fragenden in Gestalt jener Disziplin, die zum Hauptfach seines Lebens werden sollte: der Philosophie.
So berichtet Flasch in seinem Buch, wie er die geschichtlichen Quellen des Christentums "vernünftig" prüfte und bewertete, sie wog und schließlich, wie er meint, zu leicht befand. Eine Vielzahl klassischer Christen-Lehren kam auf diese Weise im Lauf des Lebens auf den Prüfstand: Gott und die Beweise seiner Existenz, das Problem des Bösen, Weissagungen und Wundergeschichten, das Konzept der Erlösung, die christliche Ethik, Tod und Unsterblichkeit. Das Zentrum der Auseinandersetzungen des Buches bilden die Texte der vier Evangelien und des Glaubensbekenntnisses, sparsam ergänzt durch Bekenntnisschriften und Konzilsbeschlüsse - es sind ausschließlich katholische und protestantische Quellen; die Orthodoxie fehlt.
Wer bestimmt die Auswahl? Hier setzen beim Rezensenten Zweifel an Flaschs Methode ein. Es ist ja verhältnismäßig leicht - und wird schon des Längeren geübt -, aus den biblischen Texten Einzelnes herauszugreifen, was auf heutige Gemüter verstörend und abschreckend wirkt, und die kritische Aufmerksamkeit darauf zu richten. Dies gilt vor allem für das Alte Testament, die Hebräische Bibel. Aber wo bleibt dann der Blick auf das Ganze der biblischen Zeugnisse, in dem bekanntermaßen die Wahrheit steckt? Kann man etwa die von Flasch wiederholt angeführten Bilder des zornigen, gewalttätigen Gottes im ersten Samuelbuch angemessen interpretieren ohne ihr Gegenstück - die Gewaltkritik, die in der Zeit des babylonischen Exils einsetzt und im jüdischen Gottesbild tiefe Spuren hinterlässt (so dass auch die Bergpredigt Jesu keinen radikaler Bruch mit den überlieferten Lehren darstellt)? Ist nicht schon der Talionsgrundsatz "Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn" entgegen mancher vordergründigen Interpretation keineswegs ein Aufruf zu massiver Vergeltung, sondern eine Festlegung für Entschädigungen, also ein Versuch, Rache durch Recht zu ersetzen?
Hier taucht unvermeidlich das Problem der Kanonbildung in Theologie und Kirche auf. In einer Glaubensgemeinschaft muss festgelegt werden, was für alle und überall gilt, was wichtig und was weniger wichtig ist, wo der Akzent der Verkündigung liegt. Schon im Hinblick auf die Leseordnung im Kirchenjahr muss unter den überlieferten Schriften eine Auswahl getroffen werden. Was betont man, was lässt man weg? Aber die Kanonbildung steht schon am Anfang der christlichen Gemeinden: Die Evangelien selbst wurden ja aus einem viel größeren und bunteren Büchertisch überlieferter Jesus-Berichte ausgewählt und verbindlich gemacht. Ähnliche Gesetze walten bei der Entwicklung der Dogmen; auch hier gibt es zentrale Stücke und andere, die im Lauf der Zeit an den Rand rücken - "efficient parts" und "dignified parts" wie in weltlichen Verfassungen.
Auf Kanonisches reagiert Flasch jedoch allergisch - wobei er freilich nur die relativ junge "kanonische Exegese" des Neuen Testaments (Joseph Ratzinger) im Auge hat. Er will sich das konkrete, philologisch zu fassende Einzelne nicht durch den theologischen Verweis auf das Ganze nehmen lassen. Das nimmt seiner Kritik jedoch die methodische Adäquanz. Sie leidet unter einer willkürlich-selektiven Wahrnehmung. Kirche und Theologie als geschichtlich sich fortbewegende, sich unablässig verändernde Kräfte kommen kaum in den Blick.
Mit einer gewissen Starre fixiert sich Flaschs Kritik auf ältere, scharf umrissene Positionen der kirchlichen Lehre: So gewinnt das Erste Vaticanum als Objekt der Kritik in seiner Darstellung ein Übergewicht gegenüber dem Zweiten Vaticanum (das nur an einer Stelle erwähnt wird); die Dekrete der Bibelkommission von 1907 und 1908, die der historisch-kritischen Methode Grenzen setzten, werden ausführlich referiert, die jüngeren Äußerungen, die eine eingreifende Revision bringen, nur mit zwei Sätzen erwähnt. Wiederholt betont Flasch, wie alt das Christentum in der Gegenwart aussieht, wie überlebt seine Kleriker auf ihn wirken. Aber auf eine nur tiefenpsychologisch zu deutende Weise scheint er gerade in dieses "alt aussehende" Christentum verliebt zu sein - so sehr, dass er an einigen Stellen von ihm regelrecht zu schwärmen anfängt: "Wenn schon Religion, dann prall und sozial, als Volksfest mit Wundern, Weihrauch und Trompeten, mit Wein und Porchetta."
Flasch folgt bei seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum, wie er sagt, einer historisch-kritischen Methode. Aber müsste man nicht eher sagen: einer philosophisch-kritischen? Die Philosophie offenbarte ihm - so sein Resümee - die "Unvernunft der Christentümer". Doch wie kann man historisch erwachsene Gestalten pauschal für "unvernünftig" erklären? Und endlich: Muss nicht Theologisches auch theologisch betrachtet werden? Leider lässt sich Flasch bei seinem kritischen Geschäft von Theologen kaum helfen. Sie sind bei ihm abgemeldet, seitdem ihm in den Studienjahren ein Bultmann-Schüler bekannt hatte, er hege keine Hoffnung auf das Jenseits. "Zur Beschwichtigung meiner begründeten Selbstzweifel brauchte ich keine Theologie."
Dementsprechend sind seine Urteile über die gegenwärtigen Theologen herablassend, ja despektierlich (an einer Stelle nennt er die Adepten der natürlichen Theologie "Zechpreller der Philosophie"). Karl Barths Aussage, Gott sei der "ganz Andere", ist ihm nur "eine verächtliche Phrase". Hans Küng erzeugt für ihn Interesse allein "durch aufmüpfige Papstkritik", und Eugen Drewermann und Anselm Grün "grasen auf den Wiesen der Seelenkunde". Bleibt also nichts, kein Bedauern, kein Phantomschmerz? Kurt Flasch behauptet: nein. Er ist freilich vorsichtig: Atheist will er nicht sein, allenfalls Agnostiker. "Denn ein Atheist traut sich zu, er könne beweisen, dass kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht." Und die jüdisch-christliche Tradition bleibt für ihn - zumindest auch - "ein Bildersaal produktiver religiöser Erfindungen". Diesem poetischen Reichtum steht Flasch aufgeschlossen gegenüber, auch wenn er als Philosoph am Ende seines Lebens nicht mehr an Gott, an ein Leben nach dem Tod und an die Gottheit Christi glaubt.
HANS MAIER
Kurt Flasch: "Warum ich kein Christ bin". Bericht und Argumentation.
C.H. Beck Verlag, München 2013. 280 S., geb., 19,95 [Euro]
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Kurt Flasch möchte mit seinem Buch "Warum ich kein Christ bin" eine gründlichere Auseinandersetzung mit der christlichen Kirche anregen, mit deren politisch-gesellschaftlichen Ansprüchen und mit den Glaubenssätzen, die über die unverfängliche Nächstenliebe hinausgehen, aber nach wie vor Teil dieser Religion sind, schreibt Rezensent Arno Widmann. Er bewundert, wie gelassen und sorgfältig Flasch Ideen wie "Erlösung" oder "die wahre Religion" untersucht. Dabei sind Flaschs kritische Fragen eigentlich nicht neu. Interessant ist aber, so Widmann, dass er sie mit den Antworten der höchsten Würdenträger der Katholischen Kirche konfrontiert, die wohl insgesamt ziemlich unbefriedigend ausfallen. Am Ende bleibt offenbar kein Felsen übrig, auf dem eine Kirche stehen könnte. Die gründliche Zertrümmerung hat den Rezensenten nicht unamüsiert gelassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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