Sechzig Jahre Demokratie, und die Menschen haben genug von den Parteien und ihren Volksvertretern. Viele denken, dass das Volk keinen nennenswerten Einfluss auf die Politik hat und gehen erst gar nicht mehr zur Wahl. Diese Politik
interessiert niemanden mehr. Doch so muss Politik nicht sein. Davon ist Beatrice von Weizsäcker fest überzeugt. Als Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten sind ihr politische Themen von Kindesbeinen an vertraut. Aus Erfahrung weiß sie,
Politik kann menschlich sein, kann gerecht sein und kann etwas bewirken. Politik ist Teil des Lebens eines jeden Einzelnen. Jeder hat die Freiheit und die Möglichkeit, aktiv zu werden und die Gesellschaft mitzugestalten - das gewährleistet
und garantiert die Demokratie. Diese These stützt und belegt die Autorin mit einer Vielzahl beeindruckender Beispiele von Menschen, die etwas verändern wollten und Großes bewirkt haben. Sie zeigen, wie leicht man sich einmischen kann, egal,
ob in einer Gruppe oder allein. Sie machen Lust darauf, mitzumachen und selbst etwas zu tun. Sie machen Lust auf Politik.
interessiert niemanden mehr. Doch so muss Politik nicht sein. Davon ist Beatrice von Weizsäcker fest überzeugt. Als Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten sind ihr politische Themen von Kindesbeinen an vertraut. Aus Erfahrung weiß sie,
Politik kann menschlich sein, kann gerecht sein und kann etwas bewirken. Politik ist Teil des Lebens eines jeden Einzelnen. Jeder hat die Freiheit und die Möglichkeit, aktiv zu werden und die Gesellschaft mitzugestalten - das gewährleistet
und garantiert die Demokratie. Diese These stützt und belegt die Autorin mit einer Vielzahl beeindruckender Beispiele von Menschen, die etwas verändern wollten und Großes bewirkt haben. Sie zeigen, wie leicht man sich einmischen kann, egal,
ob in einer Gruppe oder allein. Sie machen Lust darauf, mitzumachen und selbst etwas zu tun. Sie machen Lust auf Politik.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2009Weniger Ochsentour
Die angebliche Volksfernheit der politischen Parteien
Wer mit einem Namen wie „von Weizsäcker” lebt, lebt mit Ballast: Er oder sie wird immer erst einmal abgeklopft: „Sind Sie verwandt mit . . .” Und tatsächlich ist Beatrice von Weizsäcker nicht nur Juristin und Journalistin, sondern auch Tochter. Wenn sich die 51-Jährige in ihrem jüngsten Buch mit der allgemeinen Politikverdrossenheit auseinandersetzt, kommt der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker aber immer nur ein wenig verschämt als „der Vater” vor – so, als wolle sie sich von ihm und ihrer Tochter-Rolle distanzieren.
Eben dieser Vater hat während seiner Amtszeit 1992 ein Interview zur Rolle der Parteien in Deutschland gegeben, das für eine Menge Wirbel sorgte: Mit welchem Recht, wurde damals empört gefragt, maßt sich ein Bundespräsident zu behaupten an, der Machtanspruch der Parteien gefährde die Demokratie? In einem langen Interview mit der ZEIT hatte Weizsäcker festgestellt, der Einfluss der Parteien gehe über die politische Willensbildung, von der die Verfassung spreche, weit hinaus. Die Parteien wirkten am ganzen gesellschaftlichen Leben mit, ihr Einfluss reiche direkt und indirekt in die Medien hinein, in die Kultur und den Sport, in die Kirchen und Universitäten. Das Parteiengesetz fördere noch den Missstand.
Seine Tochter übernimmt einen Großteil dieser Thesen. Aus der Mitwirkung der Parteien an der Politik sei die Vorherrschaft, aus Interessenvertretungen seien Vereinnahmungsmaschinen geworden. Den Parteien gehe es schon lange nicht mehr um die Interessen des Volkes, sondern um die eigenen Belange, um Macht und Machterhalt. Das ist mäßig differenziert und mäßig originell. In vielen Kurz-Kapiteln beschreibt sie, warum Politik volksfern ist, sein muss: weil keine der vier Staatsgewalten direkt vom Volk gewählt wird (nein, auch der Bundestag nicht, denn der werde zur Hälfte über Listen bestimmt. Und die hohe Zahl der Überhangmandate sei letztlich im Sinne der Wähler, werde doch durch sie zum Ausdruck gebracht, wen diese tatsächlich als Direktkandidaten im Par-
lament sehen wollten; aber genau die-
ses Demokratie-Instrument habe nun das Bundesverfassungsgericht gegeißelt). Auf den oder die Bundeskanzlerin habe der Wähler keinen Einfluss (siehe die bayerische Landtagswahl, als die Leute Beckstein wählten und letztlich Seehofer bekamen), und auf den Bundespräsidenten schon gar nicht.
„Der Bundespräsident mag über den Parteien stehen”, schreibt sie. „Aber bis er das Amt hat, steht er unter ihnen. Und das hat Folgen: Für seine Wahl interessieren sich wenige.” So weit, so richtig. Denn dass die Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, den direkten Willen des Volkes ausdrücke, wäre eine mutige These. Dann aber wird ihre Argumentation regelrecht krude, denn nun wirft die Autorin den deutschen und den amerikanischen Staatsaufbau in einen Topf: „In den USA ist das dagegen ganz anders, denn da bestimmen die Menschen, wer für das Amt kandidiert. 2008 nahmen an der Auswahl des Präsidentschaftskandidaten rund 60 Millionen Amerikaner teil.” Heißt das, aus der Forderung nach der Direktwahl eines weitgehend machtlosen Bundespräsidenten – was durchaus zu diskutieren wäre – ergibt sich auch eine Direktwahl des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin – und damit weniger Politikverdrossenheit? Keine Argumente, keine Antwort.
Die Autorin erläutert in einer Mischung aus persönlichen Beobachtungen, biographischen Einsprengseln und demokratietheoretischen Analysen, warum ihr Politikverständnis ein anderes ist als das klassische, und warum zivilgesellschaftliches Engagement im Zweifel mehr bewegen kann als Parteienpolitik. Sie porträtiert ihre Vorbilder: Menschen und Organisationen, die „Zeichen setzen” und der „Politik zu Leibe rücken”: den südafrikanischen Ex-Präsidenten Nelson Mandela, die deutsch-türkische Frauenrechtlerin Seyran Ates¸, den bengalischen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Erhellend ist das nicht, eher beliebig. Sie fordert mehr Volksabstimmungen und mehr Unbequemlichkeit, mehr ehrenamtliches Engagement und mehr Einmischer.
Beatrice von Weizsäcker hat ein redliches Buch geschrieben, aber auch ein naives. Sie wünscht sich „mehr Mitsprache, mehr Transparenz, weniger Ochsentour, mehr Quereinsteiger. Und dass mehr Menschen für die Politik leben mögen, und nicht von ihr”. Das wünschen wir uns alle. Ein Kapitel widmet sie dem Leser: Man müsse nicht prominent sein, um etwas zu bewirken. Auch Namenlose könnten Spuren hinterlassen. Ein Vorteil für den Verlag, dass das für diese Autorin nicht gilt. CATHRIN KAHLWEIT
BEATRICE VON WEIZSÄCKER: Warum ich mich nicht für Politik interessiere. Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2009. 206 Seiten, 14,99 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Die angebliche Volksfernheit der politischen Parteien
Wer mit einem Namen wie „von Weizsäcker” lebt, lebt mit Ballast: Er oder sie wird immer erst einmal abgeklopft: „Sind Sie verwandt mit . . .” Und tatsächlich ist Beatrice von Weizsäcker nicht nur Juristin und Journalistin, sondern auch Tochter. Wenn sich die 51-Jährige in ihrem jüngsten Buch mit der allgemeinen Politikverdrossenheit auseinandersetzt, kommt der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker aber immer nur ein wenig verschämt als „der Vater” vor – so, als wolle sie sich von ihm und ihrer Tochter-Rolle distanzieren.
Eben dieser Vater hat während seiner Amtszeit 1992 ein Interview zur Rolle der Parteien in Deutschland gegeben, das für eine Menge Wirbel sorgte: Mit welchem Recht, wurde damals empört gefragt, maßt sich ein Bundespräsident zu behaupten an, der Machtanspruch der Parteien gefährde die Demokratie? In einem langen Interview mit der ZEIT hatte Weizsäcker festgestellt, der Einfluss der Parteien gehe über die politische Willensbildung, von der die Verfassung spreche, weit hinaus. Die Parteien wirkten am ganzen gesellschaftlichen Leben mit, ihr Einfluss reiche direkt und indirekt in die Medien hinein, in die Kultur und den Sport, in die Kirchen und Universitäten. Das Parteiengesetz fördere noch den Missstand.
Seine Tochter übernimmt einen Großteil dieser Thesen. Aus der Mitwirkung der Parteien an der Politik sei die Vorherrschaft, aus Interessenvertretungen seien Vereinnahmungsmaschinen geworden. Den Parteien gehe es schon lange nicht mehr um die Interessen des Volkes, sondern um die eigenen Belange, um Macht und Machterhalt. Das ist mäßig differenziert und mäßig originell. In vielen Kurz-Kapiteln beschreibt sie, warum Politik volksfern ist, sein muss: weil keine der vier Staatsgewalten direkt vom Volk gewählt wird (nein, auch der Bundestag nicht, denn der werde zur Hälfte über Listen bestimmt. Und die hohe Zahl der Überhangmandate sei letztlich im Sinne der Wähler, werde doch durch sie zum Ausdruck gebracht, wen diese tatsächlich als Direktkandidaten im Par-
lament sehen wollten; aber genau die-
ses Demokratie-Instrument habe nun das Bundesverfassungsgericht gegeißelt). Auf den oder die Bundeskanzlerin habe der Wähler keinen Einfluss (siehe die bayerische Landtagswahl, als die Leute Beckstein wählten und letztlich Seehofer bekamen), und auf den Bundespräsidenten schon gar nicht.
„Der Bundespräsident mag über den Parteien stehen”, schreibt sie. „Aber bis er das Amt hat, steht er unter ihnen. Und das hat Folgen: Für seine Wahl interessieren sich wenige.” So weit, so richtig. Denn dass die Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, den direkten Willen des Volkes ausdrücke, wäre eine mutige These. Dann aber wird ihre Argumentation regelrecht krude, denn nun wirft die Autorin den deutschen und den amerikanischen Staatsaufbau in einen Topf: „In den USA ist das dagegen ganz anders, denn da bestimmen die Menschen, wer für das Amt kandidiert. 2008 nahmen an der Auswahl des Präsidentschaftskandidaten rund 60 Millionen Amerikaner teil.” Heißt das, aus der Forderung nach der Direktwahl eines weitgehend machtlosen Bundespräsidenten – was durchaus zu diskutieren wäre – ergibt sich auch eine Direktwahl des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin – und damit weniger Politikverdrossenheit? Keine Argumente, keine Antwort.
Die Autorin erläutert in einer Mischung aus persönlichen Beobachtungen, biographischen Einsprengseln und demokratietheoretischen Analysen, warum ihr Politikverständnis ein anderes ist als das klassische, und warum zivilgesellschaftliches Engagement im Zweifel mehr bewegen kann als Parteienpolitik. Sie porträtiert ihre Vorbilder: Menschen und Organisationen, die „Zeichen setzen” und der „Politik zu Leibe rücken”: den südafrikanischen Ex-Präsidenten Nelson Mandela, die deutsch-türkische Frauenrechtlerin Seyran Ates¸, den bengalischen Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Erhellend ist das nicht, eher beliebig. Sie fordert mehr Volksabstimmungen und mehr Unbequemlichkeit, mehr ehrenamtliches Engagement und mehr Einmischer.
Beatrice von Weizsäcker hat ein redliches Buch geschrieben, aber auch ein naives. Sie wünscht sich „mehr Mitsprache, mehr Transparenz, weniger Ochsentour, mehr Quereinsteiger. Und dass mehr Menschen für die Politik leben mögen, und nicht von ihr”. Das wünschen wir uns alle. Ein Kapitel widmet sie dem Leser: Man müsse nicht prominent sein, um etwas zu bewirken. Auch Namenlose könnten Spuren hinterlassen. Ein Vorteil für den Verlag, dass das für diese Autorin nicht gilt. CATHRIN KAHLWEIT
BEATRICE VON WEIZSÄCKER: Warum ich mich nicht für Politik interessiere. Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2009. 206 Seiten, 14,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Name der Autorin ist jedenfalls nicht hinderlich für den Absatz des Buches, mutmaßt die Rezensentin. Auch wenn Beatrice von Weizsäcker bemüht ist, Distanz aufzubauen zum Vater, so stellt Cathrin Kahlweit fest, übernimmt sie doch einen Großteil seiner 1992 geäußerten Thesen zur Machtakkumulation und Volksferne der Parteien, um ihre eigene Politikverdrossenheit zu erläutern. Kahlweit erscheint das nicht eben originell. Dass Weizsäcker es außerdem an Differenziertheit fehlen lässt, findet sie regelrecht ärgerlich. Den deutschen und den amerikanischen Staatsaufbau in einen Topf zu werfen, um demokratischen Mangel zu illustrieren, hält sie für "regelrecht krude". Und wenn die Autorin für mehr ziviles Engagement plädiert und "beliebig" Vorbilder, wie Nelson Mandela, porträtiert, überwiegt das Naive in Kahlweits Augen das Redliche.
© Perlentaucher Medien GmbH
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