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Lucius Burckhardt (1925-2003) begründete in den 1980er Jahren die Promenadologie, die Spaziergangswissenschaft oder engl. auch Strollology. Das neue Fach entwickelte er zu einer komplexen und weitblickenden Planungs- und Gestaltungswissenschaft. Die Promenadologie ist der Ausgangspunkt für eine realistische Haltung zur Wahrnehmung und Wirklichkeit, für ein anderes Verständnis von Landschaft und urbanem Raum, sowie für eine neue Architektur und Planung. Dieses Buch führt anhand einer Auswahl der Texte von Lucius Burckhardt über Landschaft, Natur und Ästhetik in die Grundlagen und die Theorie der Spaziergangswissenschaft ein.…mehr

Produktbeschreibung
Lucius Burckhardt (1925-2003) begründete in den 1980er Jahren die Promenadologie, die Spaziergangswissenschaft oder engl. auch Strollology. Das neue Fach entwickelte er zu einer komplexen und weitblickenden Planungs- und Gestaltungswissenschaft. Die Promenadologie ist der Ausgangspunkt für eine realistische Haltung zur Wahrnehmung und Wirklichkeit, für ein anderes Verständnis von Landschaft und urbanem Raum, sowie für eine neue Architektur und Planung. Dieses Buch führt anhand einer Auswahl der Texte von Lucius Burckhardt über Landschaft, Natur und Ästhetik in die Grundlagen und die Theorie der Spaziergangswissenschaft ein.
Autorenporträt
Lucius Burckhardt (1925-2003), Dr. phil., Soziologe, Lehrtätigkeit in Ulm, Zürich und Kassel. 1962-1972 Redakteur der Zeitschrift "Werk", 1976-1983 Erster Vorsitzender des deutschen Werkbundes, korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Stadt- und Landesplanung, Chevalier dans l'Ordre des Arts et des Lettres, Mitglied des Gründungsbeirates der Hochschule der Bildenden Künste Saar von 1987-1989 und Gründungsdekan der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar von 1992-1994. Sein Werk wurde 1994 mit dem Hessischen Kulturpreis für herausragende Leistungen in den Bereichen der Wissenschaft, Ökologie und Ästhetik, mit dem Bundespreis für Förderer des Designs 1995 und dem Design-Preis Schweiz 2001 gewürdigt. Seine scharfen Beobachtungen und kritischen Analysen haben die Gestaltung unserer Umwelt, die Lehre in den planenden Berufen und das Verständnis von Stadt und Landschaft grundlegend beeinflußt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2007

Wer das schön findet, sieht den Wald vor lauter Windrädern nicht mehr
Wanderer, aufgepasst: Die Spaziergangswissenschaft macht uns auf Schritt und Tritt mit einer Landschaft vertraut, die das Gesicht eines Technologieparks annimmt

Warum ist Landschaft schön? Was macht sie hässlich? Und wie schön ist hässlich in der Natur? Verwirrende Fragen einer Forschungsrichtung, die höchst aufschlussreich das gewandelte Verhältnis von Stadt und Land untersucht.

Warum sollte man sich nicht auch in der Landschaft an alles gewöhnen können? Oder gibt es Grenzen, jenseits deren Landschaft nicht mehr Landschaft ist? Das ist die Kernfrage der fröhlichen Spaziergangswissenschaft oder Promenadologie, die der Zunftgründer Lucius Burckhardt in dem Buch "Warum ist Landschaft schön?" vorstellt. Der 2003 verstorbene Kasseler Professor für Sozioökonomie urbaner Systeme kommt hier in einer Auswahl seiner Aufsätze zu Wort, die sich der historisch-kritischen Aufarbeitung des Landschaftsbegriffs widmen. Demnach hat die moderne Landwirtschaft zusammen mit der Automobilisierung der Gesellschaft und dem weltweiten Tourismus nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch unsere Wahrnehmung von Landschaft verändert.

Heute sind die früher üblichen kleinteiligen Muster der Naturwahrnehmung zum Teil überholt. Die modernen Passanten erleben als Autofahrer Landschaft viel großräumiger als der historische Fußgänger. Sie sind von der ihnen abverlangten Integrationsleistung überfordert. Sie schaffen nicht mehr die Synthese des Vielfältig-Verschiedenen, ohne welche Landschaft nicht ist. Hinzu kommen die das Landschaftsbild verändernden Monokulturen und die Umweltproblematik: Wer weiß, dass er als Konsument zur Umweltzerstörung beiträgt, der kann nicht länger jenes "interesselose Wohlgefallen" an der Natur als selbstverständliches Kennzeichen von Landschaftswahrnehmung empfinden. Die Frage ist denn auch: Wie kann in dem sich wandelnden Verhältnis von Stadt und Land Landschaft überhaupt noch als solche wahrgenommen werden?

Burckhardts Vorschläge sind hier einerseits praktischer Art und betreffen andererseits unsere Einstellung zum Phänomen Landschaft. Praktisch ist die Empfehlung, den zunehmend eingeebneten Unterschied zwischen (begrünter) Stadt und (baulich verstädtertem) Land wieder zu stärken, weil ohne diesen Kontrast Landschaft nicht wahrgenommen wird. Praktisch sind der Rat, der Natur in städtischen und ländlichen Brachen eine Atempause zu gönnen, sowie der Vorschlag, durch die Anlage von "Wegen durch die Zeiten" eine neue Wahrnehmung von Kulturlandschaften zu ermöglichen.

Dieser Spaziergang durch die Zeiten endet nicht bei Omas Bauernhof: In grundsätzlicher Offenheit für Neues führt er bis an die Gegenwart mit ihren Technologien und technischen Anlagen heran. Erschienen nicht mittelalterliche Burgen oder frühneuzeitliche Windmühlen in Holland, die heute den nostalgischen Reiz des Vergangenen atmen, den Menschen seinerzeit als moderne Wehranlagen und Kraftmaschinen so fremdartig wie, sagen wir: ein Kraftwerk in der Landschaft heute? Oder wie moderne Windräder?

Die Frage nach der Vereinbarkeit solcher technischer Anlagen mit dem Erscheinungsbild gewachsener Kulturlandschaften diskutiert der Band "Landschaft verstehen" am Fall zweier riesiger Windkraftanlagen, die das südbadische Energieunternehmen Regiowind GmbH vor drei Jahren in die schöne Berglandschaft bei Freiburg gesetzt hat. Auf die heftigen Proteste reagierte Regiowind mit einem Sachverständigengutachten, das es bei dem Freiburger Institut für Visual Profiling & Visual Resources Development in Auftrag gab.

Das Buch "Landschaft verstehen" ist eine erweiterte Fassung dieses Gutachtens. Die Autoren versprechen darin eine "exemplarische qualitative Landschaftsbildanalyse aus künstlerisch-wissenschaftlicher Sicht" als Beitrag zur aktuellen Diskussion um das Schutzgut Landschaft. Das Bild vom Schwarzwald wollen sie in seinen "objektiven Sinnstrukturen" rekonstruieren und mit den neuen Gegebenheiten konfrontieren. Im Ergebnis sind die technischen Anlagen dann nicht nur keine Beeinträchtigung des Landschaftsbilds, sondern sie bereichern es.

Aber ist das nicht zugleich der Punkt, an dem man stutzig wird und die ganze Argumentation zu kippen droht? Soll hier vielleicht hässliche Praxis mit bemühter Theorie schöngeredet werden? Dass die Landschaft - wie alles - sich als Konstrukt in unseren Köpfen lesen lässt, ist ja gut und schön. Aber verhalten sich die Dinge in Wirklichkeit nicht doch ein bisschen essentialistischer? Lassen sich 133 Meter hohe und kilometerweit sichtbare Windkraftanlagen ernsthaft mit dem romantischen Mühlrad im Schwarzwald vergleichen? Die Autoren scheinen ihrer Argumentation selbst nicht zu trauen, wenn sie die Hightech-Anlagen bildlich einerseits zu Fühlern einer Schnecke verniedlichen und zu "Windblütlern" vernatürlichen, sie andererseits ästhetisierend zum "Kunstwerk", zur "Doppel-Skulptur auf der großartigen Bühne" der Landschaft verklären.

Die pauschale Ästhetisierung der technologischen Natureingriffe gelingt denn auch nur mit einem Kunstgriff. Dieser Kunstgriff besteht in der Wahl eines Begriffs von Landschaft, der unter Landschaft ein Stück bearbeitete und kultivierte Natur versteht. Ein Verständnis, das ziemlich genau althochdeutsch "lantscaf" und mittelhochdeutsch "lantschaft" als Einheit eines urbar gemachten Stück Landes und seiner Bewohner entspricht.

Heute jedoch ist Landschaft das Produkt des neuzeitlichen europäischen Subjekts, das vor die Tore der Stadt tretend die Natur, zu der es keine unmittelbare Beziehung mehr hat, als Objekt einer Sinnfindung aufsucht. Und zwar im Wesentlichen noch immer nach dem Vorbild der frühneuzeitlichen Landschaftsmalerei. Gerade nicht besiedelte, "unberührte" Naturräume wie Wüsten und Gebirge, die aus dem Landschaftsbegriff von Regiowind herausfallen, werden seitdem als schöne Landschaft erlebt. Genau diesem Landschaftsbegriff trägt das Bundesnaturschutzgesetz Rechnung, wenn es "Vielfalt, Eigenart und Schönheit" einer Landschaft schützt.

Selbst von der historisch-kritischen, scheinbar alles verstehenden Spaziergangswissenschaft sind hier keine Einwände zu erwarten. Auch diese Zunft lässt sich nicht ein X für ein U vormachen. Da zudem der ökologische Nutzen der Windräder nicht erwiesen ist, wird man bis auf weiteres von visueller Umweltverschmutzung reden dürfen.

HANS-DIETER FRONZ

Lucius Burckhardt: "Warum ist Landschaft schön?" Die Spaziergangswissenschaft. Herausgegeben von Markus Ritter und Martin Schmitz. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2006. 360 S., br., 18,50 [Euro].

Richard Schindler: "Landschaft verstehen". Industriearchitektur und Landschaftsästhetik im Schwarzwald. Modo Verlag, Freiburg 2006. 284 S., br., Abb., 36,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Cord Riechelmann begrüßt vorliegenden Band, der die wichtigsten Aufsätze von Lucius Burckhardt (1925-2003) versammelt. Er würdigt den Professor für Sozioökonomie urbaner Systeme als Begründer der "Spaziergangswissenschaft". Dem Fach geht es Riechelmann zufolge darum, die städtische Natur und Landschaft sichtbar zu machen und das sich wandelnde Verhältnis von Stadt und Land theoretisch zu fundieren. Dabei spielen die historisch-kritische Aufarbeitung des Landschaftsbegriffs ebenso eine Rolle wie aktuelle empirische Befunde etwa in der Stadtökologie. Er attestiert Burckhardt, schon früh auf die Veränderungen in der Stadtlandschaft hingewiesen zu haben. Die Aufsätze verdeutlichen für Riechelmann vor allem, dass Landschaft ein gesellschaftliches Konstrukt ist, das Menschen zur Wahrnehmung benötigen.

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