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Der von zahlreichen Musikliebenden am höchsten verehrte Tonkünstler unserer westlichen Zivilisation hat keine Oper geschrieben. Und dies, obwohl gerade in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Oper eine Blütezeit sondergleichen erlebte! Dass sich jedoch höchst Dramatisches, ja geradezu Opernhaftes in Bachs weltlichen und geistlichen Kantaten, in seinen Passionen, in Ouvertüren und Tänzen, in Rezitativen und Arien befindet, die uns täglich beglücken, ist nicht nur den Spezialisten von Barockmusik bekannt. Sogar den Laien und Liebhabern der Musik J.S. Bachs liegt dies unverlierbar in den…mehr

Produktbeschreibung
Der von zahlreichen Musikliebenden am höchsten verehrte Tonkünstler unserer westlichen Zivilisation hat keine Oper geschrieben. Und dies, obwohl gerade in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Oper eine Blütezeit sondergleichen erlebte! Dass sich jedoch höchst Dramatisches, ja geradezu Opernhaftes in Bachs weltlichen und geistlichen Kantaten, in seinen Passionen, in Ouvertüren und Tänzen, in Rezitativen und Arien befindet, die uns täglich beglücken, ist nicht nur den Spezialisten von Barockmusik bekannt. Sogar den Laien und Liebhabern der Musik J.S. Bachs liegt dies unverlierbar in den Ohren.Man hat in letzter Zeit immer wieder Versuche unternommen, Bach auf die Bühne zu bringen. So gibt es Produktionen einzelner Kantaten als inszenierte Bühnenwerke oder als Tanztheater. Es gibt die Passionen als halb szenische Realisationen in Kirchen und Konzertsälen. Pier Paolo Pasolini hat die »Matthäuspassion« - mit Musik von Bach - als eindrückliches Erlebnis für den Kinosaal realisiert.Was mag ihn davon abgehalten haben, sich mit den modisch gefragten Opernkomponisten seiner Umgebung und seiner Zeit wie Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel gerade auch in diesem Genre zu messen?Iso Camartin hat sich in historisch achtsamer Erkundung der Bachzeit auf den Weg gemacht, um zu klären, warum der absolute Meister so vieler musikalischer Ausdrucksformen nie eine Oper schrieb.
Autorenporträt
Iso Camartin, 1944, Philologe, Essayist, Professor für rätoromanische Literatur und Kultur, ETH und Universität Zürich. 2000-03 Leiter der Kulturabteilung des Schweizer Fernsehens DRS. Von 2004-12 verantwortlich für die »Opernwerkstatt« am Opernhaus Zürich. Camartin lebt in Zürich, Disentis und New Brunswick (NJ). Zahlreiche Publikationen, u.a.: »Opernliebe. Ein Buch für Enthusiasten«, 2014; »Die Kunst des Lobens. Zur Rhetorik der Lobrede«, 2018; »Die Reise zu den Zedern« (mit Verena Füllemann, Bilder), 2019, »Mein Herz öffnet sich deiner Stimme«, 2021 (rüffer&rub Sachbuchverlag).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2022

Weit weg von Venedig
Iso Camartin denkt nach über J. S. Bach

Eigentlich sollte der Schweizer Autor Iso Camartin vor einigen Jahren ein Libretto für eine "Bach-Oper" schreiben, die Rudolf Lutz, der Leiter der Johann-Sebastian-Bach-Stiftung St. Gallen, aufführen wollte. Sein Text wäre dabei in guter alter Parodietechnik mit ausgewählten Arien und Chören von Bach verknüpft worden, möglicherweise ergänzt durch einige neu komponierte Rezitative. Bei der näheren Beschäftigung mit Bach kam Camartin dann jedoch zu dem Entschluss, dass ein solches Libretto nicht sinnvoll ist, da sich Bach offenbar ganz bewusst dagegen entschieden hat, eine Oper zu komponieren. Statt des Librettos hat Iso Camartin nun ein Buch geschrieben, in dem er für sich den Tatbestand klärt, "Warum Johann Sebastian Bach keine Oper schrieb".

Zunächst: Muss man die Frage eigentlich stellen? Fragt man auch, weshalb Monteverdi keine Instrumentalwerke oder Wagner keine Messen schrieb? Wenn man die Opernfrage bei Bach aber dann doch stellt, so ist die pragmatische Antwort schnell gegeben: An Bachs Hauptwirkungsstätten Weimar, Köthen und Leipzig gab es zu seiner Amtszeit keine Opernhäuser. Und für die höfischen Bühnen in Berlin und Dresden reichte Bachs Einfluss offenbar nicht aus, einen Kompositionsauftrag zu erhalten; internationale Opernzentren wie Venedig und London lagen für Bach ohnehin weit außerhalb seines Wirkungskreises.

Iso Camartin reicht diese Antwort nicht. Er erklärt in seinem Buch ausführlich die Operntauglichkeit der Bachschen Musik, was angesichts der barocken Affektentheorie auf der Hand liegt. Gefühle wie Trauer oder Freude, Schmerz oder Liebe wurden im achtzehnten Jahrhundert auf der Bühne und in der Kirche mit den gleichen musikalischen Mitteln dargestellt. Außerdem kann manch weltliche Kantate Bachs, wie Camartin schlüssig darlegt, als "Mini-Oper" durchgehen. Dass sich Bach dann doch nicht wenigstens zu einem Opernversuch entschlossen hat, begründet Iso Camartin damit, dass der Thomaskantor sich nicht in erster Linie als Unterhaltungskünstler gesehen, sondern die Musik als eine Wissenschaft verstanden habe. Mit den Mitteln der Kirchenmusik konnte Bach alles ausdrücken, der lutherische Gottesdienst sei ihm "Bühne" genug gewesen.

Begleitet wird diese These mit Bemerkungen zur Operngeschichte in Leipzig sowie zu Bachs spärlichen Berührungen mit dieser Gattung, wobei Camartin hier weitgehend die Forschungen von Christoph Wolff und Michael Maul referiert. In einer Tour de force behandelt er auch noch generell die Geschichte der Barockoper, die Praxis der Parodie und die Affektenlehre. Deutlich individueller sind dagegen Camartins Betrachtungen einzelner Bach-Arien formuliert. QR-Codes am Ende der Kapitel führen den Leser dann direkt zum entsprechenden Audio- beziehungsweise Videobeispiel auf YouTube.

So gut sich dieses Buch liest und so individuell es auch konzipiert ist, es bietet für Bach-Enthusiasten kaum etwas Neues. Stattdessen finden sich im Text dann doch zu viele Ungenauigkeiten, was die Fakten zu Bach anbetrifft. So war Bach 1722 nicht etwa ein direkter Konkurrent von Telemann im Auswahlverfahren um das Thomaskantorat, sondern bewarb sich erst, als Telemann längst abgesagt hatte. Seine Jagdkantate hat Bach in Weimar und nicht in Leipzig komponiert, instrumental besetzt ist das Stück nicht mit Schalmeien, sondern mit Oboen. Telemann ging 1705 von Leipzig nicht nach Hamburg, sondern nach Sorau, für Bachs Kantate "Ich habe genug" ist der Textdichter nicht unbekannt, sondern von Christine Blanken bereits vor Jahren als Christoph Birkmann identifiziert worden; die Komplettierung der h-Moll-Messe 1748/49 geschah ganz sicher nicht für den Dresdner Hof. Schließlich ist es sehr gewagt, Leipzig als "eine deutsche Hauptstadt" zu bezeichnen. Diese Fehler sind natürlich keine Katastrophen, wären aber doch leicht vermeidbar gewesen. Auch die Hervorhebung des Grafen Questenberg als möglicher Opern-Auftraggeber für Bach ist reichlich spekulativ, war doch dieser Adlige 1749 gesundheitlich und finanziell zu sehr angeschlagen, um ein solches Projekt zu realisieren.

Im Schlusskapitel fordert Camartin, Bach mit seiner Musik möglichst überall aufzuführen, also auch auf der Opernbühne. Das ist eine gute und wichtige Forderung, der allerdings auf vielen Festivals bereits nachgekommen wird. Anfang dieses Jahres haben die Netherlands Bach Society und Opera2day in Den Haag eine Produktion mit Bach-Musik auf einem neuen Libretto von Thomas Höft unter dem Titel "Die Apokalypse" herausgebracht, die 2024 auch beim Leipziger Bachfest zu sehen sein wird. Der Untertitel lautet: "Die Oper, die Bach nie geschrieben hat."

BERNHARD SCHRAMMEK

Iso Camartin: "Warum Johann Sebastian Bach keine Oper schrieb".

rüffer & rub Verlag, Zürich 2022. 157 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Bernhard Schrammek überlegt, ob die Titelfrage nicht überflüssig ist, weil es an Bachs Wirkungsstätten einfach keine Opernhäuser gab. Iso Camartin möchte die Frage laut Rezensent allerdings anders beantworten, untersucht Bachs Musik auf ihre "Operntauglichkeit" und schließt: Bach sah sich nicht als U-Künstler. Wirklich Neues für Bach-Fans bietet der Autor auf seiner Erkundungsreise durch das Werk und die Operngeschichte nicht, meint Schrammek, eher referiert er andere Forschungsergebnisse. Wenn Camartin Bach-Arien betrachtet, kann Schrammek allerdings doch noch was lernen, wären da nicht die vielen Sachfehler, nörgelt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH