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Warum moralisch sein? Was ist ein praktisches Urteil? Kann die reine praktische Vernunft sich noch sicher sein, "allein mit Einsichten einer Theorie der Gerechtigkeit in ihren bloßen Händen einer entgleisenden Modernisierung entgegenwirken zu können" (Habermas)? Sind alle Menschen Personen und sind nur Menschen Personen? Ist eine ökologische Ethik biozentrisch oder anthropozentrisch zu begründen? Was nützt die Moral? Braucht Markt Moral? Zu diesen Fragen der gegenwärtigen Moralphilosophie wollen die hier vorliegenden Aufsätze aus der Sicht der klassischen Ethik einen Beitrag leisten.

Produktbeschreibung
Warum moralisch sein? Was ist ein praktisches Urteil? Kann die reine praktische Vernunft sich noch sicher sein, "allein mit Einsichten einer Theorie der Gerechtigkeit in ihren bloßen Händen einer entgleisenden Modernisierung entgegenwirken zu können" (Habermas)? Sind alle Menschen Personen und sind nur Menschen Personen? Ist eine ökologische Ethik biozentrisch oder anthropozentrisch zu begründen? Was nützt die Moral? Braucht Markt Moral? Zu diesen Fragen der gegenwärtigen Moralphilosophie wollen die hier vorliegenden Aufsätze aus der Sicht der klassischen Ethik einen Beitrag leisten.
Autorenporträt
Dr. Dr. Friedo Ricken ist Professor em. für Geschichte der Philosophie und Ethik an der Hochschule für Philosophie München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2011

Tugend ist keine Sache des Beweises
Und etwas Aristoteles kann eigentlich nie schaden: Friedo Ricken weiß, was man Moralphilosophie zutrauen darf

In der Vorrede zur "Kritik der praktischen Vernunft" weist Kant mit spürbarem Stolz darauf hin, dass seinem moralphilosophischen Erstlingswerk, der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", mangelnde Originalität vorgeworfen wurde. "Wer wollte aber auch einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen, und diese gleichsam zuerst erfinden? Gleich als ob vor ihm die Welt, in dem was Pflicht sei, unwissend, oder in durchgängigem Irrtum gewesen wäre."

Kant ist sich darüber im Klaren, dass praktische Philosophie nicht mehr leisten kann und soll als das Ausbuchstabieren und Systematisieren eines mitgebrachten vorphilosophischen Verständnisses von Sittlichkeit. Die Begrenztheit des Begründungsanspruchs moralphilosophischer Argumentationen schlägt sich auch in deren Adressatenkreis nieder. Moralphilosophische Erörterungen richten sich nicht an Moralskeptiker, denen sie einen moralischen Standpunkt anzudemonstrieren versuchen, sondern an Personen, die diesen Standpunkt bereits einnehmen und zu einem vertieften Verständnis ihres immer schon praktizierten moralischen Urteilens und Handelns geführt werden sollen.

Auf die Dignität der Frage, warum man überhaupt moralisch handeln soll, hat dieser Befund desaströse Auswirkungen. Wie der Münchener Theologe und Philosoph Friedo Ricken zeigt, ist eine derartige Frage von vornherein sinnlos. Zwar kann man selbstverständlich Erwägungen darüber anstellen, ob es unter Klugheitsgesichtspunkten empfehlenswert ist, moralkonform zu handeln. In diesem Fall ist aber Gegenstand der Überlegung nicht das sittlich Gute, sondern eine zur Beförderung des individuellen Eigeninteresses in Erwägung gezogene Handlungsstrategie. Nimmt man hingegen den Begriff des sittlich Guten ernst, so ist der Verweis auf einen außermoralischen Grund für das Moralischsein von vornherein ausgeschlossen.

Eine gegenstandsadäquate Moralphilosophie ist deshalb, wie Ricken resümiert, "letztlich immer zirkulär, und die einzige Alternative zur Zirkularität ist der Naturalismus, der den Gedanken einer von der theoretischen verschiedenen reinen praktischen Vernunft aufgibt. Die einzige Möglichkeit, den naturalistischen Fehlschluss im Ansatz einer Moralphilosophie zu vermeiden, ist die Annahme eines obersten mit der reinen praktischen Vernunft gegebenen präskriptiven Prinzips, und für dieses Prinzip gibt es keinen Beweis, sondern nur einen Aufweis aus dem moralischen Bewusstsein." Kants vielfach kritisiertes Lehrstück vom "Faktum der Vernunft" erfährt bei Ricken eine überzeugende Rehabilitation.

Sinnvoll wird die Frage "Warum moralisch sein?" hingegen, wenn man sie auf das heikle Problem der Selbstmotivierung moralischer Subjekte zum sittlich Richtigen beschränkt. Die praktische Philosophie der Neuzeit hat sich zumeist damit begnügt, den Menschen die Prinzipien moralischen Handelns vorzustellen und ihnen zu versichern, dass sie nur bei deren Befolgung wahrhaft frei wären. Demgegenüber hebt Ricken hervor, dass eine vollständige Ethik über die informatorische hinaus auch eine, wenn man so will, pädagogische Komponente enthalten muss. "Eine Ethik erschöpft sich nicht darin, Normen zu begründen. Sie will auch ein Ethos, eine emotionale Einstellung, vermitteln, die dazu motiviert, dass sittlich Richtige auch zu tun."

Die von Ricken mit spürbarer Sympathie angeführte Antwort der klassischen Tugendethik auf die so verstandene "Warum"-Frage lautet, dass ich nur als sittlich Handelnder ganz bei mir selbst bin. Unsittlich zu handeln bedeutet hingegen, das mir vorbestimmte Ziel, die mir angemessene Existenzform zu verfehlen. Ich werde hässlich, traurig und unliebenswürdig. Die dem neuzeitlichen Denken nahezu selbstverständliche Annahme einer kategorialen Differenz zwischen dem Sittlichen und dem Nützlichen erweist sich in dieser Perspektive als das Produkt eines Selbstmissverständnisses. "Es kann nichts geben, was sittlich schlecht und dennoch nützlich wäre. Was sittlich schlecht ist, ist ungerecht, und was ungerecht ist, das zerstört die Gemeinschaft der Menschen, welche die Erstursache allen Nutzens ist." Das sind große Worte. Aber wer hat, nachdem er sich selbst und seine Umwelt gewissenhaft studiert hat, die Stirn, diese Diagnosen als falsch zu bezeichnen?

Allerdings liegt ein methodischer Einwand gegen die Überlegungen Rickens nahe. Beruht seine Argumentation nicht auf starken metaphysischen Vorannahmen, obgleich die Ethik, wie Ricken selbst betont, um des Ziels einer möglichst breiten Zustimmungsfähigkeit willen mit metaphysischen Prämissen äußerst sparsam sein sollte? Dieser Einwand verkennt jedoch, dass Ricken keinen doktrinären, sondern einen explikatorischen Gebrauch von metaphysischen Denkfiguren macht. Die Metaphysik ist bei ihm nicht dogmatisch gesetzte Prämisse, sondern Voraussetzung einer angemessenen Antwort auf ein unabweisbares lebenspraktisches Problem. Als Doktrinäre erweisen sich deshalb diejenigen, die eine solche Antwort wegen ihrer metaphysischen Komponenten von vornherein ablehnen, selbst aber statt einer überzeugenderen Lösung nur konzeptionelle Leerstellen zu bieten haben. Die These Rickens, dass Kants Ethik ohne den Beitrag des Aristoteles in einer wesentlichen Hinsicht unvollständig ist, verdient eine bessere Behandlung. Womöglich ist sie ja sogar wahr.

MICHAEL PAWLIK.

Friedo Ricken: "Warum moralisch sein?" Beiträge zur gegenwärtigen Moralphilosophie.

Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2010. 160 S., br., 22,90 [Euro].

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