Das läuft schief an unseren Unis!
In diesem Buch kommen Szenen und Dialoge vor, die nie für die Öffentlichkeit gedacht waren, über die sich aber eine öffentliche Diskussion lohnt. In jeder Sonntagsrede wird die Bildung zum wichtigsten deutschen Rohstoff erklärt - doch in den Hörsälen und Seminarräumen sieht die Welt ganz anders aus: Debattierunlust, Stromlinienförmigkeit, permanenter Performancezwang und der Wunsch der Studenten nach eindeutigen Antworten prägen das Bild. Feedback und Vorgaben kommen gut an, Diskurse hingegen stehen im Verdacht, irgendetwas Rückständiges zu sein.
Zwischen Studenten, Dozenten und Professoren herrscht eine Art Gleichgewicht des Schreckens: Wenn meine Fehler im Raum bleiben, verlassen auch deine nicht den Raum.
Provokant und mitreißend wirft Christiane Florin einen Blick hinter die Kulissen des Uni-Alltags und beschreibt, was zwischen Credit Points und PowerPoint-Präsentation im Argen liegt - und warum uns das nicht egal sein kann.
In diesem Buch kommen Szenen und Dialoge vor, die nie für die Öffentlichkeit gedacht waren, über die sich aber eine öffentliche Diskussion lohnt. In jeder Sonntagsrede wird die Bildung zum wichtigsten deutschen Rohstoff erklärt - doch in den Hörsälen und Seminarräumen sieht die Welt ganz anders aus: Debattierunlust, Stromlinienförmigkeit, permanenter Performancezwang und der Wunsch der Studenten nach eindeutigen Antworten prägen das Bild. Feedback und Vorgaben kommen gut an, Diskurse hingegen stehen im Verdacht, irgendetwas Rückständiges zu sein.
Zwischen Studenten, Dozenten und Professoren herrscht eine Art Gleichgewicht des Schreckens: Wenn meine Fehler im Raum bleiben, verlassen auch deine nicht den Raum.
Provokant und mitreißend wirft Christiane Florin einen Blick hinter die Kulissen des Uni-Alltags und beschreibt, was zwischen Credit Points und PowerPoint-Präsentation im Argen liegt - und warum uns das nicht egal sein kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2015Geist der Lethargie
Eine Bonner Diskussion über unkritische Studenten
Im großen Hörsaal der Universität Bonn steht das Urteil schon vor der Diskussion fest. "Warum sind unsere Studenten so angepasst?" lautet der Veranstaltungstitel. Das studentische Publikum quittiert den pauschalen Vorwurf mit entnervtem Stöhnen, ironisch prüft man Merkmale der Dissidenz. "Vor sechs Jahren hatte ich noch grüne Haare." Hätte man nicht zuerst fragen müssen: Sind sie es überhaupt?
Die Journalistin und Politikdozentin Christiane Florin fühlte sich dazu nach vierzehn Jahren als Lehrbeauftragte in Bonn nicht mehr verpflichtet. Sie hatte bemerkt, wie es in ihren Seminaren still und stiller wurde. Diskussionen beschränkten sich auf Fragen nach Prüfungsrelevanz und Credit-Point-Vergabe. Erst bei der Notengebung erwachte das Temperament.
Das Studium, schloss Florin, sei für heutige Studenten keine prägende Phase, in der sich die Persönlichkeit unter freieren Bedingungen entfaltet und Maßstäbe entwickelt, die für spätere Lebensperioden verbindlich bleiben. Es sei nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg in den Beruf. Man ist leistungsbereit, sucht den schnellen Abschluss und das sichere Auskommen. An Vorschriften hält man sich willig, man fordert sie sogar, um frei für die Wahl des Mobilfunktarifs zu sein. Politisches Interesse hat man an dem, was in emotionaler Nähe zum Alltag liegt oder was sich - Stichwort nachhaltiger Konsum - mit Lifestyle-Aspekten verbinden lässt. Schon lange vor Berufseintritt sind diese Studenten perfekte Angestellte, wie sie sich Arbeitgeberverbände nicht besser wünschen können. Florin schrieb diese Beobachtungen in einer eloquenten Polemik ("Warum unsere Studenten so angepasst sind" Rowohlt Verlag, 2014) nieder, und brach eine breite Debatte vom Zaun. Dass es weiter engagierte Studenten gibt, ist kein Widerspruch zu ihrer globalen These.
Eingerahmt von Vertretern aus Studentenschaft, Bildungsministerium und Fakultäten, sitzt sie nun vor dichtgefüllten Reihen im großen Hörsaal ihrer eigenen Universität. Ministerialdirigent Peter Greisler sucht zu Beginn den Widerspruch, muss aber einräumen, dass der Schwund studentischer Leidenschaft von Umfragen belegt wird, die das Bundesbildungsministerium selbst in Auftrag gegeben hat. Blass bleiben die beiden Studentenvertreter. Es fehlt an Gegenbeispielen zu Florins These.
Die Rede kommt schnell auf den "Bulimie-Studenten", der sein Wissen anpaukt, ausspuckt und wieder vergisst. Dass man sich nicht merken muss, was bei Google steht, ist unter vielen Studenten ein Dogma. Nur im eigenen Kopf wird Wissen aber zu Urteil und Besitz. Besonders gereizt, sagt Florin, reagierten viele Studenten auf historisches Wissen, dem sein greifbarer Nutzen nicht anzusehen ist. Wenige nur treibe noch das Glücksgefühl der Erkenntnis.
Den Generationenvorwurf findet man trotzdem ungerecht. Es sind ja die Vorgaben der Vorgeneration, die den Spielraum heutiger Studenten so eng begrenzen. Wachsendes politisches Desinteresse ist zudem kein auf Universitäten begrenztes Phänomen, und die Gleichgültigkeit für das Allgemeine lässt sich auch als Folge medialer Personalisierungstechniken verstehen, die das Fundament des Politischen untergraben: das Interesse an dem, was einen nicht direkt etwas angeht. Ist der leidenschaftslose Taktiker also das logische Produkt der outputorientierten Bologna-Universität? Dass Studenten dem ökonomischen Druck zu wenig Widerstand leisten, finden viele richtig, der Vorwurf treffe aber auch ihre Dozenten. Irritierend bleibt die Zufriedenheit, die Studenten in Umfragen über das Bologna-Studium äußern.
Der Bonner Universitätsdirektor Jürgen Fohrmann kritisiert die Beschleunigungsdoktrin der Bildungspolitik, immer mehr Studenten in immer kürzerer Zeit durch die Universitäten zu schleusen. Was nützt ein Heer junger Akademiker ohne Begabung für ein wissenschaftliches Studium? Reichen würde eine größere Wertschätzung nichtakademischer Berufe. Kritisiert wird auch das permanente Bewerten, das man für die Notenfixierung der Studenten verantwortlich macht. Schlechte Zensuren würden in geisteswissenschaftlichen Fächern, wenn überhaupt, nur noch mit schlechtem Gewissen verteilt, gute Noten wertlos. Schon eine Drei werde heute als schwere Hypothek auf die berufliche Zukunft empfunden. Die Noteninflation beginnt in der Schule und ist, wie im Fall des nordrhein-westfälischen Zentralabiturs, oft politisch gewollt. Sie gilt aber nicht für alle Fächer. In der Biologie, sagt ein Fachvertreter in Bonn, hat sich der Trend sogar umgekehrt.
Was also tun? Den Lehrstil ändern, mehr Widersprüche provozieren? Punkte fürs Debattieren verteilen? Der Vorwurf der Leidenschaftslosigkeit lässt die Studenten zumindest nicht kalt. Es muss noch andere, in Bonn abwesende Kräfte aus Politik, Wissenschaftsmanagement, Wirtschaftsverbänden und Eltern geben, die an unkritischen Studenten ein Interesse haben.
THOMAS THIEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Bonner Diskussion über unkritische Studenten
Im großen Hörsaal der Universität Bonn steht das Urteil schon vor der Diskussion fest. "Warum sind unsere Studenten so angepasst?" lautet der Veranstaltungstitel. Das studentische Publikum quittiert den pauschalen Vorwurf mit entnervtem Stöhnen, ironisch prüft man Merkmale der Dissidenz. "Vor sechs Jahren hatte ich noch grüne Haare." Hätte man nicht zuerst fragen müssen: Sind sie es überhaupt?
Die Journalistin und Politikdozentin Christiane Florin fühlte sich dazu nach vierzehn Jahren als Lehrbeauftragte in Bonn nicht mehr verpflichtet. Sie hatte bemerkt, wie es in ihren Seminaren still und stiller wurde. Diskussionen beschränkten sich auf Fragen nach Prüfungsrelevanz und Credit-Point-Vergabe. Erst bei der Notengebung erwachte das Temperament.
Das Studium, schloss Florin, sei für heutige Studenten keine prägende Phase, in der sich die Persönlichkeit unter freieren Bedingungen entfaltet und Maßstäbe entwickelt, die für spätere Lebensperioden verbindlich bleiben. Es sei nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg in den Beruf. Man ist leistungsbereit, sucht den schnellen Abschluss und das sichere Auskommen. An Vorschriften hält man sich willig, man fordert sie sogar, um frei für die Wahl des Mobilfunktarifs zu sein. Politisches Interesse hat man an dem, was in emotionaler Nähe zum Alltag liegt oder was sich - Stichwort nachhaltiger Konsum - mit Lifestyle-Aspekten verbinden lässt. Schon lange vor Berufseintritt sind diese Studenten perfekte Angestellte, wie sie sich Arbeitgeberverbände nicht besser wünschen können. Florin schrieb diese Beobachtungen in einer eloquenten Polemik ("Warum unsere Studenten so angepasst sind" Rowohlt Verlag, 2014) nieder, und brach eine breite Debatte vom Zaun. Dass es weiter engagierte Studenten gibt, ist kein Widerspruch zu ihrer globalen These.
Eingerahmt von Vertretern aus Studentenschaft, Bildungsministerium und Fakultäten, sitzt sie nun vor dichtgefüllten Reihen im großen Hörsaal ihrer eigenen Universität. Ministerialdirigent Peter Greisler sucht zu Beginn den Widerspruch, muss aber einräumen, dass der Schwund studentischer Leidenschaft von Umfragen belegt wird, die das Bundesbildungsministerium selbst in Auftrag gegeben hat. Blass bleiben die beiden Studentenvertreter. Es fehlt an Gegenbeispielen zu Florins These.
Die Rede kommt schnell auf den "Bulimie-Studenten", der sein Wissen anpaukt, ausspuckt und wieder vergisst. Dass man sich nicht merken muss, was bei Google steht, ist unter vielen Studenten ein Dogma. Nur im eigenen Kopf wird Wissen aber zu Urteil und Besitz. Besonders gereizt, sagt Florin, reagierten viele Studenten auf historisches Wissen, dem sein greifbarer Nutzen nicht anzusehen ist. Wenige nur treibe noch das Glücksgefühl der Erkenntnis.
Den Generationenvorwurf findet man trotzdem ungerecht. Es sind ja die Vorgaben der Vorgeneration, die den Spielraum heutiger Studenten so eng begrenzen. Wachsendes politisches Desinteresse ist zudem kein auf Universitäten begrenztes Phänomen, und die Gleichgültigkeit für das Allgemeine lässt sich auch als Folge medialer Personalisierungstechniken verstehen, die das Fundament des Politischen untergraben: das Interesse an dem, was einen nicht direkt etwas angeht. Ist der leidenschaftslose Taktiker also das logische Produkt der outputorientierten Bologna-Universität? Dass Studenten dem ökonomischen Druck zu wenig Widerstand leisten, finden viele richtig, der Vorwurf treffe aber auch ihre Dozenten. Irritierend bleibt die Zufriedenheit, die Studenten in Umfragen über das Bologna-Studium äußern.
Der Bonner Universitätsdirektor Jürgen Fohrmann kritisiert die Beschleunigungsdoktrin der Bildungspolitik, immer mehr Studenten in immer kürzerer Zeit durch die Universitäten zu schleusen. Was nützt ein Heer junger Akademiker ohne Begabung für ein wissenschaftliches Studium? Reichen würde eine größere Wertschätzung nichtakademischer Berufe. Kritisiert wird auch das permanente Bewerten, das man für die Notenfixierung der Studenten verantwortlich macht. Schlechte Zensuren würden in geisteswissenschaftlichen Fächern, wenn überhaupt, nur noch mit schlechtem Gewissen verteilt, gute Noten wertlos. Schon eine Drei werde heute als schwere Hypothek auf die berufliche Zukunft empfunden. Die Noteninflation beginnt in der Schule und ist, wie im Fall des nordrhein-westfälischen Zentralabiturs, oft politisch gewollt. Sie gilt aber nicht für alle Fächer. In der Biologie, sagt ein Fachvertreter in Bonn, hat sich der Trend sogar umgekehrt.
Was also tun? Den Lehrstil ändern, mehr Widersprüche provozieren? Punkte fürs Debattieren verteilen? Der Vorwurf der Leidenschaftslosigkeit lässt die Studenten zumindest nicht kalt. Es muss noch andere, in Bonn abwesende Kräfte aus Politik, Wissenschaftsmanagement, Wirtschaftsverbänden und Eltern geben, die an unkritischen Studenten ein Interesse haben.
THOMAS THIEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Christiane Florin hat sich durch kluge Analysen und Kommentare einen Namen gemacht." -- Kölner Stadtanzeiger
Eine messerscharfe Beobachtung gelingt Florin, wenn sie den Antrieb vieler Studenten auf den Punkt bringt. So prägnant hat der Generation Y wohl lange keiner mehr den Spiegel vorgehalten. The Huffington Post