Der liebe Gott ist unzufrieden mit der Welt. Deshalb beauftragt er zwei Kinder den Erwachsenen zu sagen, dass sie anders leben müssen. Die Erwachsenen sind empört: "Was fällt euch ein?!", beschimpfen sie die Kinder. Aber dann versprechen sie, sich etwas einfallen zu lassen. Ob sich etwas ändert?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999Die jüngsten Propheten der Welt
Überzeugende Bilder: John Burninghams neue Umweltstory
Gott ist heute kaum irgendwo so gegenwärtig wie im Kinderbuch. John Burningham lässt ihn nach langer Ruhe seine Schöpfung besichtigen. Für diese Zeit versenkt er die Menschen in tiefen Schlaf. Nur zwei Kinder versäumen das Einschlafen beim Spiel unter einem Zedernbaum. Zu ihnen spricht der unsichtbare Gott wie im Alten Testament, aus dem Donner und den Wolken, aus Nacht, Licht und Feuer. Er ruft sie auf zur Betrachtung der Welt wie ehemals die Propheten. Und sie wenden sich und sehen an alles Unrecht unter der Sonne - die verschmutzte Luft, die verdreckten Meere, die abgeholzten Wälder, die entrechtete Kreatur.
Dem Vorwurf Gottes an die Verderber seiner Schöpfung stehen die Kinder so hilflos gegenüber wie ihre biblischen Vorgänger, und wie sie werden sie mit dem Auftrag überfordert, die Menschen zur Besserung zu mahnen. Es geht ihnen dabei nicht anders als den Propheten, sie werden missachtet und verlacht. An dieser Stelle allerdings durchbricht Burningham die alttestamentarisch realitätsgerechte Handlung zu Gunsten des vereinfachenden Kindermärchens. Die kleinen Propheten brauchen nämlich nur zu sagen, dass ihre Botschaft von Gott kommt, gleich lösen sich die verstockten Mienen und alle gehen tatkräftig daran, die verwüstete Erde wieder zum Paradies zu machen. Der Mythos von den Kindern als Rettern der von den Erwachsenen mutwillig zerstörten Welt dominiert die Kinderliteratur seit mehr als dreißig Jahren. Daher wäre diese Geschichte keiner weiteren Beachtung wert, würde Burningham sie nicht so elegant und mit solch subtilem Witz inszenieren. Auf dem Titelbild überfliegen zwei Kinder, die Körper stromlinienförmig gestreckt, die Weltkugel; eines von ihnen wirft dem Betrachter einen flüchtigen, undeutbaren Blick zu. Die Kinderfiguren sind zwei kraklige kolorierte Zeichnungen, ausgeschnitten und über die Kuppel des Blauen Planeten geklebt.
Was das Titelblatt verspricht, hält jedes Blatt des Buchs. John Burningham mixt eine Vielzahl von Techniken und Genres miteinander. Da gibt es schwarz-weiße und kolorierte Bleistiftzeichnungen, gemalte Tafeln mit einer breiten Palette sumpfiger und giftiger Töne, in die er mit wenigen schwarzen Pinselstrichen ein ganzes Stadtpanorama tuscht, zwischendurch Kalligramme aus collagierten Schriften, übermalte und überklebte Landschaftsfotos. Burningham beherrscht die scheinbare Unbeholfenheit des Kritzels ebenso wie die detailreiche Idylle. Das Weiß der Bildseiten und die mal mit dem Buntstift angedeuteten, mal fotografischen Panoramen von Land und Himmel sind nicht ereignislose leere Flächen, sondern präzise Mitspieler der energiegeladenen Komposition.
Abwechslungsreich und komisch ist die Choreografie der Figuren, etwa die wechselnden Arrangements der Gruppen von Geldmächtigen, der Geistlichen der Weltreligionen, der Militärs und Gleichgültigen. Die souverän kombinierten Gestaltungstechniken und das biblische Pathos steigern noch die charmante Beiläufigkeit Burninghams, das aus seinen früheren Büchern bekannte Understatement.
So ist es umso betrüblicher, dass die ästhetische Komplexität dort ihre Grenzen findet, wo sich die politisch-pädagogische Simplizität der Umweltschutzstory durchsetzt.
GUNDEL MATTENKLOTT
John Burningham: "Was fällt euch ein?!" Aus dem Englischen von Rolf Inhauser. Edition Inhauser im Carlsen Verlag, Hamburg 1999. 48 S., geb., 29,90 DM. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Überzeugende Bilder: John Burninghams neue Umweltstory
Gott ist heute kaum irgendwo so gegenwärtig wie im Kinderbuch. John Burningham lässt ihn nach langer Ruhe seine Schöpfung besichtigen. Für diese Zeit versenkt er die Menschen in tiefen Schlaf. Nur zwei Kinder versäumen das Einschlafen beim Spiel unter einem Zedernbaum. Zu ihnen spricht der unsichtbare Gott wie im Alten Testament, aus dem Donner und den Wolken, aus Nacht, Licht und Feuer. Er ruft sie auf zur Betrachtung der Welt wie ehemals die Propheten. Und sie wenden sich und sehen an alles Unrecht unter der Sonne - die verschmutzte Luft, die verdreckten Meere, die abgeholzten Wälder, die entrechtete Kreatur.
Dem Vorwurf Gottes an die Verderber seiner Schöpfung stehen die Kinder so hilflos gegenüber wie ihre biblischen Vorgänger, und wie sie werden sie mit dem Auftrag überfordert, die Menschen zur Besserung zu mahnen. Es geht ihnen dabei nicht anders als den Propheten, sie werden missachtet und verlacht. An dieser Stelle allerdings durchbricht Burningham die alttestamentarisch realitätsgerechte Handlung zu Gunsten des vereinfachenden Kindermärchens. Die kleinen Propheten brauchen nämlich nur zu sagen, dass ihre Botschaft von Gott kommt, gleich lösen sich die verstockten Mienen und alle gehen tatkräftig daran, die verwüstete Erde wieder zum Paradies zu machen. Der Mythos von den Kindern als Rettern der von den Erwachsenen mutwillig zerstörten Welt dominiert die Kinderliteratur seit mehr als dreißig Jahren. Daher wäre diese Geschichte keiner weiteren Beachtung wert, würde Burningham sie nicht so elegant und mit solch subtilem Witz inszenieren. Auf dem Titelbild überfliegen zwei Kinder, die Körper stromlinienförmig gestreckt, die Weltkugel; eines von ihnen wirft dem Betrachter einen flüchtigen, undeutbaren Blick zu. Die Kinderfiguren sind zwei kraklige kolorierte Zeichnungen, ausgeschnitten und über die Kuppel des Blauen Planeten geklebt.
Was das Titelblatt verspricht, hält jedes Blatt des Buchs. John Burningham mixt eine Vielzahl von Techniken und Genres miteinander. Da gibt es schwarz-weiße und kolorierte Bleistiftzeichnungen, gemalte Tafeln mit einer breiten Palette sumpfiger und giftiger Töne, in die er mit wenigen schwarzen Pinselstrichen ein ganzes Stadtpanorama tuscht, zwischendurch Kalligramme aus collagierten Schriften, übermalte und überklebte Landschaftsfotos. Burningham beherrscht die scheinbare Unbeholfenheit des Kritzels ebenso wie die detailreiche Idylle. Das Weiß der Bildseiten und die mal mit dem Buntstift angedeuteten, mal fotografischen Panoramen von Land und Himmel sind nicht ereignislose leere Flächen, sondern präzise Mitspieler der energiegeladenen Komposition.
Abwechslungsreich und komisch ist die Choreografie der Figuren, etwa die wechselnden Arrangements der Gruppen von Geldmächtigen, der Geistlichen der Weltreligionen, der Militärs und Gleichgültigen. Die souverän kombinierten Gestaltungstechniken und das biblische Pathos steigern noch die charmante Beiläufigkeit Burninghams, das aus seinen früheren Büchern bekannte Understatement.
So ist es umso betrüblicher, dass die ästhetische Komplexität dort ihre Grenzen findet, wo sich die politisch-pädagogische Simplizität der Umweltschutzstory durchsetzt.
GUNDEL MATTENKLOTT
John Burningham: "Was fällt euch ein?!" Aus dem Englischen von Rolf Inhauser. Edition Inhauser im Carlsen Verlag, Hamburg 1999. 48 S., geb., 29,90 DM. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gott sei in den letzten Jahren eine beliebte Figur in Kinderbüchern geworden, konstatiert die Rezensentin Gundel Mattenklott. In diesem Fall lässt er die ganze Menschheit einschlafen - außer zwei Kindern, die erbeauftragt, die Erwachsenen, die den Planeten haben verkommen lassen, zur Räson zur bringen. "Der Mythosvon den Kindern als Rettern der von den Erwachsenen mutwillig zerstörten Welt" geht Mattenklott sichtlichauf die Nerven - offensichtlich wird er von vielen Kinderbüchern erzählt. Zum Glück werde diese "