Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2009Blitze und Schauder
Gianni Celatis große italienische Seifenoper
Italien steht hierzulande gerade nicht hoch im Kurs. Erst werfen uns die italienischen Fußballer vor zwei Jahren aus der WM und werden selbst Weltmeister, und dann wählen sie immer wieder Berlusconi. Warum also sollten wir ein Buch lesen, das im Untertitel Episoden aus dem Alltag der Italiener heißt?
Die erste Antwort darauf lautet: weil es von Gianni Celati geschrieben ist, dem schon vor Jahren bescheinigt wurde, dass er unter den italienischen Autoren "einer von vier oder fünf aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts" sei, die bleiben werden. Nun sollte man mit solchen Urteilen als Zeitgenosse vorsichtig sein, aber dass Celatis Bücher turmhoch über dem Kunstgewerbe mancher seiner vielgelesenen Landsleute stehen, steht außer Frage.
Die zweite Antwort lautet: weil es auf der Höhe der Zeit ist. Celati weiß, dass das Leben schon lange nicht mehr in den großen Kolossalgemälden wiedergegeben werden kann, die sich beim Buchhandel ungebrochener Beliebtheit erfreuen, und dass beim Bemühen um die Wirklichkeit kruder Realismus ein untaugliches Mittel ist. Deshalb kippen seine Geschichten immer wieder aus den Latschen, kommentieren sich selbst oder laufen scheinbar ganz und gar aus dem Ruder.
Das ist alles andere als ein verspielter Manierismus. Der Verlag bemerkt im Klappentext ganz richtig, Celati reihe die Episoden "wie in einer Vorabendserie aneinander: Personen treten auf und wieder ab, ihre Lebensläufe werden miteinander verflochten." Das gibt dann allerdings am Ende kein ruhiges stimmiges Bild, in dem alles zueinanderpasst. Ein Roman wird daraus nicht.
Anders als bei den heute gängigen Seifenopern berichten Celatis Erzählungen von einer Zeit, die schon Jahrzehnte zurückliegt: nicht jedoch als gesicherte Erinnerung. Der Erzähler, der sich immer wieder einmischt, ist nicht genau zu verorten. In einigen der Geschichten ist er Handelnder, meist aber tritt er nur als Kommentator auf, einer, der sich seiner Sache keineswegs sicher ist. "Wie jetzt die Feder so übers Papier gleitet, kommen viele Tatsachen hervor, die aus einem Sumpf vergessener Dinge aufsteigen, wobei sie Orte und Personen zum Vorschein bringen, die es irgendwo unter dem Himmel gegeben haben muss."
Das alles ist unbestimmt genug, soll aber nicht heißen, dass die einzelnen Geschichten nebulös oder gar fade wären. Sie fallen im Gegenteil eher recht abenteuerlich aus, allein deshalb schon, weil die handelnden Personen meist ihre eigene Lage und ihre eigenen Motive nicht so recht verstehen. Das haben sie durchaus mit den Protagonisten von Vorabendserien gemeinsam.
Merkwürdige Dinge geschehen: Die Helden der ersten Geschichte enden in einer Art Höhle, "voller Gestrüpp und Scheiße und dem Abfall vieler Jahreszeiten". Ein Schriftsteller - ein Verfasser von historischen Romanen! - kommt plötzlich auf den Gedanken, dass all die Lobeshymnen, die seine Mitmenschen seit Jahren auf ihn singen, geheuchelt sein könnten. Der Bankangestellte Bacchini ruiniert seine Karriere, als er plötzlich beginnt, Geschichten zu schreiben, die gut genug sind, um veröffentlicht zu werden. Lauter Erzählungen, die sich mit den letzten Sätzen der Geschichte "Ein moderner Held" resümieren ließen: "Ich möchte wirklich wissen, wo sie alle hingekommen sind und ob es uns wirklich gegeben hat und ob das tatsächlich das Leben ist. Oder alles nur ein Irrtum, nur Blitze, Schauder und wer weiß was."
Doch, es ist das Leben, und das ist meist so traurig, dass Celati es uns kaum zu sagen getraut. In der letzten Geschichte, "Cornelias Abenteuer", finden aber doch noch ein Held und eine Heldin zueinander, "immerfort auf der Flucht, bis dass der Tod sie scheidet". Das kann man auch so sehen: Sie kommen davon. Sollte uns das nicht trösten?
JOCHEN SCHIMMANG
Gianni Celati: "Was für ein Leben!" Episoden aus dem Alltag der Italiener. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin. 172 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gianni Celatis große italienische Seifenoper
Italien steht hierzulande gerade nicht hoch im Kurs. Erst werfen uns die italienischen Fußballer vor zwei Jahren aus der WM und werden selbst Weltmeister, und dann wählen sie immer wieder Berlusconi. Warum also sollten wir ein Buch lesen, das im Untertitel Episoden aus dem Alltag der Italiener heißt?
Die erste Antwort darauf lautet: weil es von Gianni Celati geschrieben ist, dem schon vor Jahren bescheinigt wurde, dass er unter den italienischen Autoren "einer von vier oder fünf aus der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts" sei, die bleiben werden. Nun sollte man mit solchen Urteilen als Zeitgenosse vorsichtig sein, aber dass Celatis Bücher turmhoch über dem Kunstgewerbe mancher seiner vielgelesenen Landsleute stehen, steht außer Frage.
Die zweite Antwort lautet: weil es auf der Höhe der Zeit ist. Celati weiß, dass das Leben schon lange nicht mehr in den großen Kolossalgemälden wiedergegeben werden kann, die sich beim Buchhandel ungebrochener Beliebtheit erfreuen, und dass beim Bemühen um die Wirklichkeit kruder Realismus ein untaugliches Mittel ist. Deshalb kippen seine Geschichten immer wieder aus den Latschen, kommentieren sich selbst oder laufen scheinbar ganz und gar aus dem Ruder.
Das ist alles andere als ein verspielter Manierismus. Der Verlag bemerkt im Klappentext ganz richtig, Celati reihe die Episoden "wie in einer Vorabendserie aneinander: Personen treten auf und wieder ab, ihre Lebensläufe werden miteinander verflochten." Das gibt dann allerdings am Ende kein ruhiges stimmiges Bild, in dem alles zueinanderpasst. Ein Roman wird daraus nicht.
Anders als bei den heute gängigen Seifenopern berichten Celatis Erzählungen von einer Zeit, die schon Jahrzehnte zurückliegt: nicht jedoch als gesicherte Erinnerung. Der Erzähler, der sich immer wieder einmischt, ist nicht genau zu verorten. In einigen der Geschichten ist er Handelnder, meist aber tritt er nur als Kommentator auf, einer, der sich seiner Sache keineswegs sicher ist. "Wie jetzt die Feder so übers Papier gleitet, kommen viele Tatsachen hervor, die aus einem Sumpf vergessener Dinge aufsteigen, wobei sie Orte und Personen zum Vorschein bringen, die es irgendwo unter dem Himmel gegeben haben muss."
Das alles ist unbestimmt genug, soll aber nicht heißen, dass die einzelnen Geschichten nebulös oder gar fade wären. Sie fallen im Gegenteil eher recht abenteuerlich aus, allein deshalb schon, weil die handelnden Personen meist ihre eigene Lage und ihre eigenen Motive nicht so recht verstehen. Das haben sie durchaus mit den Protagonisten von Vorabendserien gemeinsam.
Merkwürdige Dinge geschehen: Die Helden der ersten Geschichte enden in einer Art Höhle, "voller Gestrüpp und Scheiße und dem Abfall vieler Jahreszeiten". Ein Schriftsteller - ein Verfasser von historischen Romanen! - kommt plötzlich auf den Gedanken, dass all die Lobeshymnen, die seine Mitmenschen seit Jahren auf ihn singen, geheuchelt sein könnten. Der Bankangestellte Bacchini ruiniert seine Karriere, als er plötzlich beginnt, Geschichten zu schreiben, die gut genug sind, um veröffentlicht zu werden. Lauter Erzählungen, die sich mit den letzten Sätzen der Geschichte "Ein moderner Held" resümieren ließen: "Ich möchte wirklich wissen, wo sie alle hingekommen sind und ob es uns wirklich gegeben hat und ob das tatsächlich das Leben ist. Oder alles nur ein Irrtum, nur Blitze, Schauder und wer weiß was."
Doch, es ist das Leben, und das ist meist so traurig, dass Celati es uns kaum zu sagen getraut. In der letzten Geschichte, "Cornelias Abenteuer", finden aber doch noch ein Held und eine Heldin zueinander, "immerfort auf der Flucht, bis dass der Tod sie scheidet". Das kann man auch so sehen: Sie kommen davon. Sollte uns das nicht trösten?
JOCHEN SCHIMMANG
Gianni Celati: "Was für ein Leben!" Episoden aus dem Alltag der Italiener. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin. 172 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Von der scheinbar goldenen Nostalgie, die diese "Episoden aus dem Alltag der Italiener" durchweht, soll man sich laut Jutta Person nicht täuschen lassen. Denn wenn man der Rezensentin glauben darf, ist Gianni Celati ein raffinierter Erzähler, der in seinen erinnerungsträchtigen Geschichten aus dem Italien der Nachkriegszeit Abgründe hinter dem "Onkel-Ton" seines Erzählers verbirgt. Person würdigt in Celati einen der "literarisch avanciertesten" italienischen Schriftsteller, der in den Erzählungen des vorliegenden Bandes, die miteinander verbunden sind, jede Menge italienische "Archetypen" aufmarschieren lässt. Dabei zeige sich der Anglist und Amerikanist, der heute in England lebt, als Volkskundler mit sicherem Blick für die "Macken" der Landsleute, amüsiert sich die Rezensentin. Zudem ist hier einmal mehr der Meister surrealer Überspitzung zu entdecken, als der er auch in seinen Romanen zutage tritt, so die Rezensentin gefesselt. Etwas mehr Spannung, das muss Person einräumen, hätten diesem ausufernden Geschichtenfluss mitunter ganz gut getan. Insgesamt aber zeigt sie sich entzückt, wie Celati mit leichter Hand "große italienische Nachkriegsfetische" "aufs Korn" nimmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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