Ein Wintersonntag im Konzentrationslager Buchenwald, wenige Monate vor Kriegsende. Der Häftling mit der Nummer 44904 (S) steht in Gedanken versunken vor einer großen Buche. Wie kurz ist doch der Weg von diesem Ort des Schreckens zum Weimar Goethes, wie nah liegt der Ort der nationalsozialistischen Barbarei an der Wirkungsstätte der größten deutschen Dichter und Denker! Irgendwo hier, ganz in der Nähe, muss Goethe sein berührendes Gedicht Wanderers Nachtlied geschrieben haben, unter Bäumen wie diesem muss er mit seinem Vertrauten Eckermann spazieren gegangen sein So träumt sich der junge, belesene Häftling fort vom Ort des Grauens, bis ein SS-Mann ihn unsanft wieder in die grauenvolle Realität zurückstößt.
Der Roman Was für ein schöner Sonntag! (1980) ist eine eindringliche Autobiografie Jorge Sempruns, die keinen unberührt lässt. In ihr beschreibt der spanische Schriftsteller den Alltag im Konzentrationslager, die Spannungen zwischen den Häftlingen, die Furcht vor der SS und die Versuche, trotz allem die persönliche Würde zu bewahren. Dabei weitet sich der Bericht zu einer umfassenden Lebensgeschichte des Autors aus, in der sich die Erinnerungen an die Kriegszeit mit denen an das Studium in Paris, an die Zeit als Widerstandskämpfer und an die heimlichen Reisen in den Ostblock nach Kriegsende zu einem faszinierenden Kaleidoskop politischen Lebens im zwanzigsten Jahrhundert zusammensetzen.
Der Roman Was für ein schöner Sonntag! (1980) ist eine eindringliche Autobiografie Jorge Sempruns, die keinen unberührt lässt. In ihr beschreibt der spanische Schriftsteller den Alltag im Konzentrationslager, die Spannungen zwischen den Häftlingen, die Furcht vor der SS und die Versuche, trotz allem die persönliche Würde zu bewahren. Dabei weitet sich der Bericht zu einer umfassenden Lebensgeschichte des Autors aus, in der sich die Erinnerungen an die Kriegszeit mit denen an das Studium in Paris, an die Zeit als Widerstandskämpfer und an die heimlichen Reisen in den Ostblock nach Kriegsende zu einem faszinierenden Kaleidoskop politischen Lebens im zwanzigsten Jahrhundert zusammensetzen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2004 Band 17
Weil man die Wahrheit erfinden muss
Jorge Semprúns Roman „Was für ein schöner Sonntag!”
Ein Gefangener schaut frühmorgens gen Himmel, er ruft, ganz laut: „Was für ein schöner Sonntag!” Der Gefangene ist ein Freund von Jorge Semprún. Nein, ein Freund ist er eigentlich nicht, im KZ sagt man „Kumpel”. Freunde sind miteinander, Kumpel harren aus, nebeneinander. So war es im KZ - bestenfalls. Als Semprún nach Buchenwald kam, war er 21 Jahre alt. Die Bücher, in denen er seither vom KZ erzählt hat, handeln aber nicht allein davon, wie er als junger Mann die Zeit im Lager erlebte. Sein ganzes Leben ist es, das er zum Thema macht in seinen Büchern. Und in keinem anderen seiner Romane, die er deshalb als Romane schreibt, weil „man die Wahrheit ein bisschen erfinden muss”, hat er das bisher so ausführlich getan wie in „Was für ein schöner Sonntag!”. Die Geschichte der beiden Regime, die das zwanzigste Jahrhundert geprägt haben, die des Nazismus und die des sowjetischen Totalitarismus, ist die Geschichte Jorge Semprúns.
Semprún hat viele Jahre lang im Untergrund für die verbotene Kommunistische Partei Spaniens gearbeitet. Anfangs war er ein überzeugter Stalinist. Doch zu Beginn der sechziger Jahre löste er sich von der KP. 1964 wurde er aus der Partei ausgeschlossen.
Der Tod im Lager, dem er entronnen war, und der Tod, der ihm in einem der Gefängnisse Francos drohte: Diese beiden hatten nichts miteinander zu tun. Jahrelang nicht. Bis 1952 bei den Slansky-Prozessen in Prag auch ein tschechischer Kommunist verurteilt wurde, von dem Semprún wusste, dass er unschuldig war. Dieser Mann, DIESER MANN,]Josef Frank, sollte angeblich als Gefangener in Buchenwald mit den Nazis kollaboriert haben.
Das konnte nicht sein, Semprún wusste es: Er hatte damals im Lager zusammen mit Frank für die KP gearbeitet. Wäre dieser ein Büttel der Nazis gewesen, dann hätte Semprún den Tag im Jahr 1952 nicht erlebt, an dem sein ehemaliger Kumpel von den Kommunisten hingerichtet wurde. Der Tod Franks erinnerte Semprún daran, dass er nach dem KZ nicht neu zu leben begonnen hatte. Sein Leben: Es trug nur ein frisches Kleid. Und dem Tod in seinem alten Kleid, altbekannt und nie zerschlissen, ist Semprún noch öfter begegnet.
Als er 1980 „Was für ein schöner Sonntag!” veröffentlichte, hatte er es oftmals erlebt, dass er der Vergangenheit wieder begegnet war. Spiegelungen der Erinnerung, das Déjà-vu, die seltsamen Koinzidenzen des Daseins bestimmen die Form seiner Erzählung. Sein Leben nimmt Semprún nicht als kontinuierlichen Ablauf wahr, sondern als „die gesamte Zeit des Bereits-Gesehenen, des Bereits-Erlebten, der Wiederholung, des Gleichen bis zum Überdruss”, das just durch die stete Wiederholung irgendwann ein neues Gesicht gewinnt. „Was für ein schöner Sonntag!” folgt den Assoziationen der Erinnerung. Und so viel Semprún darin vom KZ erzählt, so sehr er sich darin über seine Zeit als Kommunist Rechenschaft gibt, umgreift das Buch in Wahrheit alle Reminiszenzen, mit denen und in denen er lebt: die mal staubigen, mal schneebedeckten Landschaften, die er gesehen hat; die Klänge der Lieder, die in Hinterhöfen gesungen wurden, an denen sein Weg ihn vorbeiführte; die Wimpern der Frauen, die er traf und in deren Blicken er, wie es Menschen so geht, sich immer auch selbst gespiegelt fand.
FRANZISKA AUGSTEIN
Jorge Semprún
Foto: Suhrkamp Verlag
Weil man die Wahrheit erfinden muss
Jorge Semprúns Roman „Was für ein schöner Sonntag!”
Ein Gefangener schaut frühmorgens gen Himmel, er ruft, ganz laut: „Was für ein schöner Sonntag!” Der Gefangene ist ein Freund von Jorge Semprún. Nein, ein Freund ist er eigentlich nicht, im KZ sagt man „Kumpel”. Freunde sind miteinander, Kumpel harren aus, nebeneinander. So war es im KZ - bestenfalls. Als Semprún nach Buchenwald kam, war er 21 Jahre alt. Die Bücher, in denen er seither vom KZ erzählt hat, handeln aber nicht allein davon, wie er als junger Mann die Zeit im Lager erlebte. Sein ganzes Leben ist es, das er zum Thema macht in seinen Büchern. Und in keinem anderen seiner Romane, die er deshalb als Romane schreibt, weil „man die Wahrheit ein bisschen erfinden muss”, hat er das bisher so ausführlich getan wie in „Was für ein schöner Sonntag!”. Die Geschichte der beiden Regime, die das zwanzigste Jahrhundert geprägt haben, die des Nazismus und die des sowjetischen Totalitarismus, ist die Geschichte Jorge Semprúns.
Semprún hat viele Jahre lang im Untergrund für die verbotene Kommunistische Partei Spaniens gearbeitet. Anfangs war er ein überzeugter Stalinist. Doch zu Beginn der sechziger Jahre löste er sich von der KP. 1964 wurde er aus der Partei ausgeschlossen.
Der Tod im Lager, dem er entronnen war, und der Tod, der ihm in einem der Gefängnisse Francos drohte: Diese beiden hatten nichts miteinander zu tun. Jahrelang nicht. Bis 1952 bei den Slansky-Prozessen in Prag auch ein tschechischer Kommunist verurteilt wurde, von dem Semprún wusste, dass er unschuldig war. Dieser Mann, DIESER MANN,]Josef Frank, sollte angeblich als Gefangener in Buchenwald mit den Nazis kollaboriert haben.
Das konnte nicht sein, Semprún wusste es: Er hatte damals im Lager zusammen mit Frank für die KP gearbeitet. Wäre dieser ein Büttel der Nazis gewesen, dann hätte Semprún den Tag im Jahr 1952 nicht erlebt, an dem sein ehemaliger Kumpel von den Kommunisten hingerichtet wurde. Der Tod Franks erinnerte Semprún daran, dass er nach dem KZ nicht neu zu leben begonnen hatte. Sein Leben: Es trug nur ein frisches Kleid. Und dem Tod in seinem alten Kleid, altbekannt und nie zerschlissen, ist Semprún noch öfter begegnet.
Als er 1980 „Was für ein schöner Sonntag!” veröffentlichte, hatte er es oftmals erlebt, dass er der Vergangenheit wieder begegnet war. Spiegelungen der Erinnerung, das Déjà-vu, die seltsamen Koinzidenzen des Daseins bestimmen die Form seiner Erzählung. Sein Leben nimmt Semprún nicht als kontinuierlichen Ablauf wahr, sondern als „die gesamte Zeit des Bereits-Gesehenen, des Bereits-Erlebten, der Wiederholung, des Gleichen bis zum Überdruss”, das just durch die stete Wiederholung irgendwann ein neues Gesicht gewinnt. „Was für ein schöner Sonntag!” folgt den Assoziationen der Erinnerung. Und so viel Semprún darin vom KZ erzählt, so sehr er sich darin über seine Zeit als Kommunist Rechenschaft gibt, umgreift das Buch in Wahrheit alle Reminiszenzen, mit denen und in denen er lebt: die mal staubigen, mal schneebedeckten Landschaften, die er gesehen hat; die Klänge der Lieder, die in Hinterhöfen gesungen wurden, an denen sein Weg ihn vorbeiführte; die Wimpern der Frauen, die er traf und in deren Blicken er, wie es Menschen so geht, sich immer auch selbst gespiegelt fand.
FRANZISKA AUGSTEIN
Jorge Semprún
Foto: Suhrkamp Verlag