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"Der bedeutende Kunsthistoriker Wolfgang Kemp ist auch ein großer Erzähler von Geschichten. Seine immer ironischen, klugen, manchmal sardonischen, durch einen sanften Dreh ins Absurde rutschenden Sommergeschichten sind ein großer Spaß. Natürlich lacht man immer gerne über die angestrengten, tölpelhaften, heillos überforderten anderen, aber bei Kemp gewöhnt man sich daran, auch sich selber nicht ganz ernst zu nehmen. So ganz ungeschoren kommt der Leser nicht davon. Was bei diesem Autor immer heiter beginnt und sich frivol und anspielungsreich fortsetzt, endet meistens im Desaster. Er ist als…mehr

Produktbeschreibung
"Der bedeutende Kunsthistoriker Wolfgang Kemp ist auch ein großer Erzähler von Geschichten. Seine immer ironischen, klugen, manchmal sardonischen, durch einen sanften Dreh ins Absurde rutschenden Sommergeschichten sind ein großer Spaß. Natürlich lacht man immer gerne über die angestrengten, tölpelhaften, heillos überforderten anderen, aber bei Kemp gewöhnt man sich daran, auch sich selber nicht ganz ernst zu nehmen. So ganz ungeschoren kommt der Leser nicht davon. Was bei diesem Autor immer heiter beginnt und sich frivol und anspielungsreich fortsetzt, endet meistens im Desaster. Er ist als Geschichtenerzähler ein Balzac der kurzen Form. Wunderbar!"Michael Krüger Die Bundesrepublik sei der freieste Staat der deutschen Geschichte, ist oft zu hören. Aber welches Gesicht hat diese Freiheit? Wenn ein Kunsthistoriker und Polyhistor vom Range eines Wolfgang Kemp sich dieser Frage widmet, will er den spezifischen Stil dieser Gesellschaft analysieren. Er kann nichts dafür, wenn das Ergebnis seiner Recherche einer grausamen Satire ähnelt, denn schön ist es nicht, das Gesicht unserer Freiheit.Martin Mosebach
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Autorenporträt
Kemp, WolfgangWolfgang Kemp ist einer der renommiertesten Kunsthistoriker Deutschlands und erhielt 2018 den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen erschien u.a. 1983 seine Biografie über John Ruskin, ein "Deutschlandbuch" über das Deutschlandbild der Deutschen in der Zeit der Weimarer Republik (2017), soziologische Essays ("Der Oligarch", 2016; "Der Scheich", 2018) und ein Band mit Erzählungen ("Vertraulicher Bericht über den Verkauf einer Kommode und andere Kunstgeschichten", 2002).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2019

Man sieht sich an der Sommerfrischetheke
Urlaub von der Wissenschaft: Der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp debütiert als Kurzgeschichtenerzähler

David passt nicht in eine Story über folgenlose Flirts in griechischen Nachtbars. Jedenfalls nicht in der Version von Michelangelo. Und das ist nun einmal diejenige, die jedermann kennt. Der florentinische Gigantenkiller ist über sein Opfer hinausgewachsen, verkörpert im XXL-Format die Idee der künstlerischen Größe. Stünde das bekannte Meisterwerk in all seiner tonnenschweren Pracht in dem Erzählraum herum, den Wolfgang Kemp in der Geschichte "Mit der Nomenklatura auf Naxos" für ein Häuflein deutscher Urlauber in Leichtbauweise errichtet hat, sähen neben der Referenzgröße aller Klassen die von Kemp erfundenen Figuren lächerlich und mickrig aus. Und das wäre keine Information.

Denn ohne allegorischen Apparat sehen wir, dass wir es mit Kleinmutbürgern zu tun haben, die alle Vorstellungen von Abenteuer und auch vom Abenteuer im Abenteuer, von der Eskapade im Urlaub, auf ein kurzprosaisches, schulbuchtaugliches Maß gestutzt haben. Die Namen der Bars, in denen sie ihren Glücksersatz suchen, "Amnesia" (zwei Herren, eine Dame) und "Eclipse" (zwei Damen, ein Herr), kündigen nicht nur an, was ihnen in der Geschichte am Ende der Nacht bevorsteht, sondern sind auch metafiktionale Etiketten. Die Finsternis der Rumpelkammer unseres Lektüregedächtnisses wird die Figuren verschlucken, sie haben es verdient, vergessen zu werden.

Man darf sich vorstellen, dass der Autor dieses Taschenbuchs mit acht Episoden aus der Sommerfrische nicht selten aus eigener Anschauung, Lauscherfahrung und Ortskenntnis schreibt, wenn er pseudo-intellektuelle Tonfälle und demi-mondäne Kleidungsvorlieben karikiert. Aber es ist schwer vorstellbar, dass in hundert Jahren ein gelehrter Arzt in einem Nachbarland eine Wolfgang-Kemp-Gesellschaft gründen wird, um auf jährlichen Wolfgang-Kemp-Symposien das Problem der Vorbilder von Kemps Personal im echten bürgerlichen Leben untersuchen zu lassen.

Literatur, deren Ehrgeiz sich auf das Klassische richtet, ist Kemps Sache nicht. Wenn der Kunsthistoriker, der schon immer Essays fast noch lieber als Abhandlungen schrieb, als Emeritus unter die Kurzgeschichtenerzähler gegangen ist, will er keinen Paragone von Bilder machender und Worte findender Kunst anzetteln. Er macht Urlaub von der Wissenschaft und sähe keinen Reiz darin, die Phantasiewelt seines Arkadiens mit Bedeutungsgaranten aus seinem Berufsalltag zu dekorieren. Darum führt er Michelangelos David ins Bargespräch ein - aber als Attrappe.

An der Theke der "Eclipse" erzählt die Besitzerin zweier Second-Hand-Boutiquen in der Nähe von Düsseldorf, dass sie einmal mit einem David zusammen gewesen sei und diesem zum vierzigsten Geburtstag einen David geschenkt habe. Zwei Meter hoch - gemessen an den fünf Metern des Originals ist das kläglich, aber es war immer noch zu viel für das reihenhäusliche Glück der unternehmerischen Nahezu-Düsseldorferin mit den zwei Eisen im Feuer des Marktes für Altkleidersammlerstücke ("Second Luck" und "Jacke wie Hose"). Erst passte der Kleiderlose nicht durch die Tür, dann war er auch noch zu groß für den Garten, und als der vorschnell vergötterte David aus Fleisch und Blut das Weite suchte, ließ er seinen Doppelgänger zurück.

Ein gewisser Manfred nahm der düpierten Schenkerin den steinernen Gast und die Sorge um ihn ab. Sie musste den David nicht als Ladenhüter im "Second Luck" oder im "Jacke wie Hose" aufstellen, Manfred verschenkte ihn weiter, an eine Schwulenbar in der Düsseldorfer Altstadt. Beim Erzählen von dieser galanten Heldentat des David-Ersatzmanns sucht die Erzählerin ein Gedanke heim, den weder sie noch der Erzähler von "Mit der Nomenklatura auf Naxos" ausspricht. "Manfred tue einfach immer das Richtige. Sie dagegen brach ab, in ihrem Gesicht wechselte es - erstaunlich, wie eine perfekte Bräune ohne Beseelung mit einem Mal maskenhaft erstarrt oder der düstere Schatten der Selbsterkenntnis sich über sie legt. Sie winkte ab."

An dieser Stelle kommt ihr ein anderer Gast zu Hilfe, der in jeder Lage den passenden Schlager auf den Lippen hat. Hier einen Klassiker der Broilers, einer Düsseldorfer Punkband, die der Landsmännin den Kraftschöpfakt der Selbstzurechnung des unbenannten Schicksalsschlags souffliert: "Meine Sache, mein Problem, ich werd nicht untergehn." Dieser Gast, der auch beruflich mit der trotzfrechen Trostmusik zu tun hat, auf der Insel nämlich deutsche Schlagerabende veranstaltet und sich Impresario nennt, sitzt allerdings in der anderen Bar, im "Amnesia". Hat der Erzähler das vergessen?

Keineswegs, er verwendet korrekt den Konditionalis, wenn er einlegt, was der Impresario zum Auflegen empfehlen würde, wäre er in die "Eclipse" und nicht ins "Amnesia" eingekehrt. Nun sitzt der Schlagerkenner natürlich dort, wo ihn der vom Autor nur schwer zu unterscheidende Erzähler hingesetzt hat. Indem dieser die ursprünglich gewählte Personenkonstellation noch einmal durchmischt und in die Fiktion eine zweite fiktive Ebene einzieht, gibt er sein spielerisches Temperament zu erkennen. Er hat sich alles ausgedacht, aber wenn er Kurzgeschichten vorlegen will, die sich sehen lassen können, dann muss er sich an die Regeln halten. Dadurch, dass er sich ins Wort fällt und Abwechslungen in Erwägung zieht, welche die Regeln nicht hergeben, bekommt der Duktus der Erzählungen etwas Lockeres, Beiläufiges. Sie gleichen sich dem an, was man tatsächlich im Gespräch in einer Bar zu hören bekommen könnte.

Nicht weniger lächerlich als die Boutiquenbesitzerin, die sich von der Namensgleichheit der beiden Davids täuschen ließ, nehmen sich die beiden Hauptfiguren dieser Geschichte aus, die nachts getrennt voneinander im "Amnesia" und in der "Eclipse" sitzen und tagsüber im Wettstreit miteinander allen Dingen neue Namen geben müssen.

Für dieses Hobby haben sie auch einen nach dessen Regeln gebildeten Namen: Sie sind die Nomenklatura. Hat auch das Benennen und Beschreiben, das Umschreiben und Umbenennen, in dem der Autor sich gefällt, einen solchen Zug ins hoffnungslos Alberne? Dass der Verdacht nicht aufkommt, ist der Beweis der Kunst von Wolfgang Kemp.

PATRICK BAHNERS

Wolfgang Kemp: "Was für ein Sommer". Acht Geschichten für Reisefertige oder bereits am Strand Liegende.

Wolff Verlag, Breitungen/Berlin 2019. 204 S., br., 19,- [Euro].

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