Eine junge Frau auf der Suche nach Identität und Halt, und doch getrieben von der Lust am Exzess, der Lust, Grenzen zu überschreiten und ihr Leben zu riskieren. In immer neuen Figuren und Konstellationen, an immer neuen Orten und Unorten erzählt Noémi Kiss suggestiv und körperlich erfahrbar vom Taumeln zwischen den Extremen und vom brutalen Zurück geworfenwerden auf sich selbst, Sie bewegt sich zwischen Traum und Wirklichkeit, Angst und Sehnsucht, dem sexuellen Exzess folgt der Fall und die Reflexion.
Kiss spiegelt in ihren scharfen Beobachtungen und mit ihrer präzisen Sprache die Einsamkeit und Gefühlskälte unserer Zeit wider. Sie ist damit die Stimme einer neuen literarischen Generation: existentialistischer in der Haltung, obszöner im Ton, schärfer in der Analyse, härter in den Konsequenzen.
Kiss spiegelt in ihren scharfen Beobachtungen und mit ihrer präzisen Sprache die Einsamkeit und Gefühlskälte unserer Zeit wider. Sie ist damit die Stimme einer neuen literarischen Generation: existentialistischer in der Haltung, obszöner im Ton, schärfer in der Analyse, härter in den Konsequenzen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2009Unterwegs mit der transsexuellen Eisenbahn
Zwischen E.T.A. Hoffmann und Gender-Studien: Die junge Autorin Noémi Kiss ist eine neue aufregende Stimme im Männergesangverein der ungarischen Literatur, die beweist, dass bei einer elaborierten Poetologie das Lesevergnügen nicht zwangsläufig auf der Strecke bleiben muss.
Eine Schreibmaschine namens Olimpia. Oder eben die Automatenfrau in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann". Beinahe zwangsläufig steuern die sechs Erzählungen der ungarischen Autorin Noémi Kiss, die unter dem Titel "Was geschah, während wir schliefen" nun auf Deutsch vorliegen, auf eine Umschrift dieser kanonisch gewordenen Roboterphantasie aus dem Geist einer delirant medienkritischen Romantik zu - ebenfalls mit einer Olimpia genannten Protagonistin, aber übertragen in die Gegenwart.
Man merkt Noémi Kiss, die als neue Stimme im Männergesangverein der ungarischen Gegenwartsliteratur kaum mehr zu überhören ist, ihre akademische Herkunft an: das literaturwissenschaftliche Studium an der Universität in Konstanz, den Unterstrom aus kulturwissenschaftlicher Theorie, der ihre trotzdem souverän und gar nicht langweilig erzählten Geschichten durchläuft. Dass Liebe und sexuelles Begehren - denn davon handeln sie vor allem - nicht als naturwüchsig zu begreifen sind, dass den Formatierungen der Geschlechter durch Medien und Macht ins Auge geschaut werden muss, dass sich der Text in den Körper schreibt und Affekte, allen voran die romantischen, für sich genommen eine Illusion sind - diese Lernziele der Kulturwissenschaft und Gender-Theorie sind der Literatur dieser Autorin vorausgesetzt.
Ist das nicht, so der erste Verdacht, ein allzu prätentiöser Versuch, Theorie zu literarisieren, und bleibt über dieser Übersetzung (der ungarische Originaltitel dieses Buches ist "Trans") und Poetologie nicht zwangsläufig das unmittelbare Lesevergnügen auf der Strecke? Noémi Kiss' größte Leistung besteht wohl darin, dass sie genau diesen Spagat meistert. In allen Geschichten gibt es eine Ich-Erzählerin; unklar ist aber, wie ähnlich diese der Autorin jeweils selbst wird. Die Geschichten scheinen durch scharfe Beobachtungsgabe der Realität abgewonnen zu sein, sie kippen aber, immer dort, wo sich dieser Eindruck verdichtet, ins traumhaft Phantastische - schließlich kommt keine Liebe, kein Begehren ohne Autosuggestion und Projektion aus.
Trans: Das bezieht sich in diesem Buch zum einen auf die weit verstreuten Schauplätze diesseits und jenseits der ehemaligen Zonengrenze: West-Berlin, Frankfurt (Oder), Budapest, Belgrad. Es bezeichnet aber auch die labilen Rollenverständnisse der Protagonisten, die gerade in sexuellen Angelegenheiten hin und her gerissen sind. In einer abgetakelten Berlin-Schöneberger Szenekneipe begegnet der Leser polnischen Transvestiten, notgeilen Arabern, künstlichen Brüsten und synthetischen Drogen - es ist ein Wartesaal voller Melancholie und Gier: Denn diese Reise ans Ende der Nacht gerät zum Exzess, samt Drogen und flüchtigem Sex auf der verdreckten Toilette. Weil der eifersüchtige Transvestit eben dort die Geliebte des Barmanns umbringt, schaut zwischendurch sogar die Polizei vorbei.
In einer Kreuzberger "Gay-Queer- und Lesben-WG" liest derweil eine Ungarin mit ihrer Geliebten Walter Benjamin und träumt mit ihr davon, der Spießigkeit der Mitbewohner zu entfliehen. Dass die beiden Lesben den Ausbruch ausgerechnet nach Osteuropa unternehmen, entpuppt sich als fatal: "Je mehr wir uns nach Osten bewegten, desto mehr wuchsen in uns Scham, Härte und Strenge, Verachtung und Zynismus fielen direkt auf uns zurück." Auch diese Geschichte endet tödlich.
Ein Autounfall, eine Abtreibung: Die Liebes-Kollisionen, die Noémi Kiss beschäftigen, münden in teils drastischen Realien. Eine Nacherzählung der verschiedenen Handlungsstränge kann dem Buch aber kaum gerecht werden. Im Gegenteil: Sie vernebelt auf schon unzulässige Weise den eigentlichen, stets zumindest doppelbödigen Charakter dieser Literatur. Noémi Kiss, diese ungarische E.T.A.-Hoffmann-Exegetin, hält es wie dieser mit einer verschlungen, stets wie durch ein Prisma gebrochenen Realität. Der Leser reibt sich darüber oft die Augen, denn nichts ist, wie es zunächst scheint.
STEFANIE PETER
Noémi Kiss: "Was geschah, während wir schliefen". Erzählungen. Aus dem Ungarischen von Agnes Relle. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2009. 182 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen E.T.A. Hoffmann und Gender-Studien: Die junge Autorin Noémi Kiss ist eine neue aufregende Stimme im Männergesangverein der ungarischen Literatur, die beweist, dass bei einer elaborierten Poetologie das Lesevergnügen nicht zwangsläufig auf der Strecke bleiben muss.
Eine Schreibmaschine namens Olimpia. Oder eben die Automatenfrau in E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann". Beinahe zwangsläufig steuern die sechs Erzählungen der ungarischen Autorin Noémi Kiss, die unter dem Titel "Was geschah, während wir schliefen" nun auf Deutsch vorliegen, auf eine Umschrift dieser kanonisch gewordenen Roboterphantasie aus dem Geist einer delirant medienkritischen Romantik zu - ebenfalls mit einer Olimpia genannten Protagonistin, aber übertragen in die Gegenwart.
Man merkt Noémi Kiss, die als neue Stimme im Männergesangverein der ungarischen Gegenwartsliteratur kaum mehr zu überhören ist, ihre akademische Herkunft an: das literaturwissenschaftliche Studium an der Universität in Konstanz, den Unterstrom aus kulturwissenschaftlicher Theorie, der ihre trotzdem souverän und gar nicht langweilig erzählten Geschichten durchläuft. Dass Liebe und sexuelles Begehren - denn davon handeln sie vor allem - nicht als naturwüchsig zu begreifen sind, dass den Formatierungen der Geschlechter durch Medien und Macht ins Auge geschaut werden muss, dass sich der Text in den Körper schreibt und Affekte, allen voran die romantischen, für sich genommen eine Illusion sind - diese Lernziele der Kulturwissenschaft und Gender-Theorie sind der Literatur dieser Autorin vorausgesetzt.
Ist das nicht, so der erste Verdacht, ein allzu prätentiöser Versuch, Theorie zu literarisieren, und bleibt über dieser Übersetzung (der ungarische Originaltitel dieses Buches ist "Trans") und Poetologie nicht zwangsläufig das unmittelbare Lesevergnügen auf der Strecke? Noémi Kiss' größte Leistung besteht wohl darin, dass sie genau diesen Spagat meistert. In allen Geschichten gibt es eine Ich-Erzählerin; unklar ist aber, wie ähnlich diese der Autorin jeweils selbst wird. Die Geschichten scheinen durch scharfe Beobachtungsgabe der Realität abgewonnen zu sein, sie kippen aber, immer dort, wo sich dieser Eindruck verdichtet, ins traumhaft Phantastische - schließlich kommt keine Liebe, kein Begehren ohne Autosuggestion und Projektion aus.
Trans: Das bezieht sich in diesem Buch zum einen auf die weit verstreuten Schauplätze diesseits und jenseits der ehemaligen Zonengrenze: West-Berlin, Frankfurt (Oder), Budapest, Belgrad. Es bezeichnet aber auch die labilen Rollenverständnisse der Protagonisten, die gerade in sexuellen Angelegenheiten hin und her gerissen sind. In einer abgetakelten Berlin-Schöneberger Szenekneipe begegnet der Leser polnischen Transvestiten, notgeilen Arabern, künstlichen Brüsten und synthetischen Drogen - es ist ein Wartesaal voller Melancholie und Gier: Denn diese Reise ans Ende der Nacht gerät zum Exzess, samt Drogen und flüchtigem Sex auf der verdreckten Toilette. Weil der eifersüchtige Transvestit eben dort die Geliebte des Barmanns umbringt, schaut zwischendurch sogar die Polizei vorbei.
In einer Kreuzberger "Gay-Queer- und Lesben-WG" liest derweil eine Ungarin mit ihrer Geliebten Walter Benjamin und träumt mit ihr davon, der Spießigkeit der Mitbewohner zu entfliehen. Dass die beiden Lesben den Ausbruch ausgerechnet nach Osteuropa unternehmen, entpuppt sich als fatal: "Je mehr wir uns nach Osten bewegten, desto mehr wuchsen in uns Scham, Härte und Strenge, Verachtung und Zynismus fielen direkt auf uns zurück." Auch diese Geschichte endet tödlich.
Ein Autounfall, eine Abtreibung: Die Liebes-Kollisionen, die Noémi Kiss beschäftigen, münden in teils drastischen Realien. Eine Nacherzählung der verschiedenen Handlungsstränge kann dem Buch aber kaum gerecht werden. Im Gegenteil: Sie vernebelt auf schon unzulässige Weise den eigentlichen, stets zumindest doppelbödigen Charakter dieser Literatur. Noémi Kiss, diese ungarische E.T.A.-Hoffmann-Exegetin, hält es wie dieser mit einer verschlungen, stets wie durch ein Prisma gebrochenen Realität. Der Leser reibt sich darüber oft die Augen, denn nichts ist, wie es zunächst scheint.
STEFANIE PETER
Noémi Kiss: "Was geschah, während wir schliefen". Erzählungen. Aus dem Ungarischen von Agnes Relle. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2009. 182 S., geb., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Stefanie Peter musst sich mehr als einmal die Augen reiben bei dieser Lektüre. So sehr ihr der kulturwissenschaftliche Unterbau der Geschichten der Ungarin Noemi Kiss auch ins Auge springt, so sehr sieht sie sich immer wieder auch überrascht von der Souveränität der Autorin im Umgang mit dem Fantastischen oder mit den drastischen Realien ihrer "Liebes-Kollisionen", etwa innerhalb der Kreuzberger Gay- und Queerszene. E.T.A.-Hoffmann-Exegetik solchen Kalibers ist für Peter eine Freude und Kiss eine "neue aufregende Stimme im Männergesangverein der ungarischen Literatur".
© Perlentaucher Medien GmbH
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