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Ob er sich Schriftstellern wie Flaubert, Büchner oder Kafka zuwendet, Orten wie Prag, New York oder Istanbul, der Sprache der Diktatur, der politischen Rhetorik oder dem Ereignisraum des Gedichts - immer ist Kurt Drawert so unbestechlich wie radikal, so herausfordernd wie verletzlich und so klug wie kompromisslos, wenn es um die bedrohte Stellung des Subjekts in der Geschichte geht und um die Verteidigung seines Rechtes auf Anwesenheit. Wie die Systeme der Welt mit ihren Zwängen und Verwerfungen oder auch Widerständen und Ekstasen des Einzelnen sich in den Körper, das Unbewusste und die…mehr

Produktbeschreibung
Ob er sich Schriftstellern wie Flaubert, Büchner oder Kafka zuwendet, Orten wie Prag, New York oder Istanbul, der Sprache der Diktatur, der politischen Rhetorik oder dem Ereignisraum des Gedichts - immer ist Kurt Drawert so unbestechlich wie radikal, so herausfordernd wie verletzlich und so klug wie kompromisslos, wenn es um die bedrohte Stellung des Subjekts in der Geschichte geht und um die Verteidigung seines Rechtes auf Anwesenheit. Wie die Systeme der Welt mit ihren Zwängen und Verwerfungen oder auch Widerständen und Ekstasen des Einzelnen sich in den Körper, das Unbewusste und die Sprache einschreiben, stets in Bewegung zwischen Auflehnung und Anpassung, Selbstbewusstsein und Selbstverlust, das zeichnen diese Essays in der ihnen eigenen sprachlichen Genauigkeit nach. Wir, deren Leser, werden wachgehalten durch sie und geschärft in unserem kritischen Verstand, den Konflikten der Zeit nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Denn "Was gewesen sein wird" entscheiden immer noch wir selbst...

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Autorenporträt
Kurt Drawert wurde 1956 in Hennigsdorf (Brandenburg) geboren und lebt seit 1996 als Autor von Lyrik, Prosa und Dramatik in Darmstadt. Bekannt wurde er vor allem mit seiner seit 1987 veröffentlichten und in zahlreiche Sprachen übersetzten Lyrik.
Für seine Prosa wurde er ausgezeichnet u. a. mit dem "Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung", dem "Uwe-Johnson-Preis" und dem "Ingeborg-Bachmann-Preis", für seine Lyrik mit dem "Leonce-und-Lena-Preis", dem "Lyrikpreis Meran", dem "Nikolaus-Lenau-Preis", 2013 mit dem "Werner-Bergengruen-Preis" und 2014 mit dem "Robert Gernhardt Preis".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Für Michael Braun ist Kurt Drawert der einzige namhafte deutsche Schriftsteller, der die Ideen der französischen (Post-)Strukturalisten Lacan, Foucault, Deleuze und Barthes in eine zusammenhängende ästhetische Theorie übertragen hat. Außerdem sind Drawerts Essays auch stilistisch von den Meisterdenkern geprägt, in ihrer Rätselhaftigkeit und "Verweigerung der geschmeidigen Meinungsfreude", wie der Kritiker hinzufügt. Als zentralen Text des neuen Bandes macht Braun eine Studie über Flaubert aus, in der Drawert das literarische Verfahren des französischen Romanciers nicht nur analysiere und interpretiere, sondern es sich selbst aneigne. Gleichermaßen fesselnd wie luzide findet der Kritiker das. In Anlehung an eine frühere Formulierung Drawerts bilanziert Michael Braun, der Dichter und Essayist bleibe immer in "Rufweite zum Schweigen".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2016

Schon wieder von der Geschichte betrogen
Kurt Drawerts neue Essays und sein Wenderoman "Spiegelland"

"Wie wurde aus dem wütend besessenen Schreiber, der die Texte um die Spirale seiner Befindlichkeit dreht und sie damit an sich und seine Privatwelt bindet, der Künstler, der seine Stoffe so weit von sich fernhalten kann, dass er dahinter als Künstler verschwindet und etwas besonderes Allgemeines schafft?" Fragen wie diesen geht der 1956 geborene Kurt Drawert im Essay "Emma - Ein Weg" nach. Diese Frankreich-Reise auf den Spuren von Flaubert und dessen "Madame Bovary" eröffnet "Was gewesen sein wird", eine Sammlung von Drawerts Essays, Reden, Interpretationen und Reisenotizen aus den Jahren 2004 bis 2014.

Wer Drawerts poetologische Studie "Schreiben - Vom Leben der Texte" (2012) gelesen hat, begegnet in den neuen Essays abermals diesem psychoanalytisch geprägten Blick auf Literatur und Gesellschaft. Dazu gehören die Annahmen einer engen Verzahntheit von Text, Körper und Sprache und dass Literatur dort ihren Ort finde, wo sie sich durch die Sprache an etwas dauerhaft Abwesendes anzunähern versucht. Drawerts Flaubert-Essay fördert auf dieser Grundlage erstaunliche Einsichten zutage und ist ein guter Einstieg auch für diejenigen, die das Werk des Franzosen entdecken wollen. Auch Aufsätze wie "Diktatur der Sprache, Sprache der Diktatur - Elf Versuche zu Viktor Klemperer" oder "Kafka lesen" zeigen Drawert als präzisen Analytiker, der Zusammenhänge zwischen einer bestimmten Weise literarischen Sprechens und einer speziellen gesellschaftlichen Verfasstheit offenlegt.

Die anhand der Person Flauberts diskutierte Frage nach der Genese des Künstlers kann aber auch als Leitfrage beim Blick auf Drawerts eigenes Schreiben dienen. Seinen autobiographisch grundierten Romanerstling "Spiegelland", erstmals 1991 bei Suhrkamp erschienen, hat nun der Wiesbadener Luxbooks-Verlags in durchgesehener, erweiterter Form und ergänzt um einen Apparat neu herausgebracht.

Der ursprünglich gewählte Untertitel "Ein deutscher Monolog" bezeichnet, was zugleich Problem und Faszinosum von "Spiegelland" ist, das die Geschichte einer Dichterwerdung erzählt: Der monologische Text, dessen Titel auf Lacan, Lewis Carroll, das Märchen von Schneewittchen und den Narzissmus anspielt, rechnet voller Wut mit dem Vater und dem Großvater als Mitläufer in DDR-Sozialismus und Nationalsozialismus ab. Er schwankt zwischen beschreibendem und reflektierendem Sprechen. Mal ergänzen sich Episodisches und Thesenhaftes, dann wieder scheinen sie sich gegenseitig zu verdrängen. Der Erzähler, der seine Sozialisation in der DDR schildert, will in seinem Monolog die Zeitläufte reflexiv durchdringen, die er als Ergebnis gesellschaftlicher Diskurse begreift. Er will sich hinausschreiben aus einem erstarrten sprachlichen System, das eine menschenverachtende Ideologie weiterträgt.

Der Wunsch des Erzählers, "die Dinge zu verlassen, die man um sich herum aufgebaut hat, das Bild zu verlassen, das sich die anderen von einem machen und dem man aus Gewohnheit entspricht", ist zunächst trotzige Rebellion in Form von wütendem Schweigen. Die Sprache, die das Kind von den Eltern gelernt hat, entlarvt der sensible Junge als unbrauchbar. Und seine Erinnerungen an die Versuche der Eltern, ihn durch Sprache zu disziplinieren, haben nicht selten etwas Tragikomisches: "Diese Schwierigkeit mit den Worten. Ich war aber auch ein zu blödes Kind. Der Nachbar schloss seinen Geräteschuppen auf, drehte sich zur am Gartenzaun jätenden Mutter. Ist es denn mit dem Lesen und Schreiben schon etwas besser geworden? Naja, stöhnte sie, wir üben gerade hundertmal ,Arbeiter- und Bauernstaat' und ,Revolution'."

Im Versuch des Erzählers, schreibend zu einer Sprache zu finden, die falsche Ideologien überwindet, bewegt sich der Roman weit aus konventionellen Erzählmustern hinaus. Einsamkeit und Ausgesetztheit des Erzählers gehen auf den Leser über. Bisweilen stellen sie hohe Anforderungen an dessen Einfühlungs- und Vorstellungsvermögen. In der ihm von Drawert zugedachten Rolle als "Ohr des Vaters" bleibt im Leser "die Antwort auf die Frage des Schreibenden begraben. Aber sie ist, was der Schreibende nicht weiß, auch wieder nur eine Frage."

Es ist nicht leicht, dieser komplexen Wucht des Sprechens lesend beizukommen, die befremdlich und plausibel zugleich ist, indem sie dem Leser genau das abverlangt, was der Erzähler von sich selbst fordert. Drawerts Text postuliert, dass die Revolution in Ostdeutschland keine echte Wende mit sich bringen konnte, sondern eine von Anfang an zum Scheitern verurteilte gewesen ist, da sie "die Sprache des Systems nicht verließ und lediglich versuchte, sie umzukehren, so dass das System kein gestürztes System, sondern ein lediglich umgekehrtes System geworden ist".

Das Verkehrte, so zeigt "Spiegelland", bleibt verkehrt, wenn man seine Ursachen nicht ergründet, selbst wenn man es vom Kopf auf die Füße stellt: "Der gute Politiker war nun mehr der schlechte Politiker, der Revolutionär der Oppositionelle, die stolzen Väter wurden gebrochene Väter wie die gebrochenen Söhne stolz ihre Väter verließen, und der Entnazifizierung folgte die Entstalinisierung, die Begriffe lösten einander ab nach einer Mechanik, die gleich blieb, für eine Generation bekommt das Leben einen Bruch, für eine ältere Generation einen doppelten Bruch, die einen fühlen sich zum ersten Mal von der Geschichte und ihren Führern betrogen und die anderen werden abermals von der Geschichte und ihren Führern betrogen werden."

Dem Autor aber geht es angesichts dieser Situation zweifellos darum, schreibend die Sprache des Landes in eine Sprache der freier Denkenden und Sprechenden zu wandeln. Oder, in den Worten des Erzählers: "Die Sprache ist das einzige Medium, durch das sich Erfahrungen machen und Erkenntnisse finden lassen können. Nur durch sie entgehen wir der rohen Natur und ihrer gnadenlosen Linearität."

BEATE TRÖGER

Kurt Drawert: "Was gewesen sein wird". Essays 2004 bis 2014.

Verlag C. H. Beck, München 2015. 295 S., geb., 22,95 [Euro].

Kurt Drawert: "Spiegelland". Roman.

Prosa und Material.

Luxbooks, Wiesbaden 2015. 600 S., br., 24,80 [Euro].

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