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Produktdetails
  • Verlag: Das Arsenal
  • Seitenzahl: 476
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 444g
  • ISBN-13: 9783921810262
  • Artikelnr.: 25263264
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.1996

Flaneur in Ketten
Victor Auburtin, ein Feuilletonist in Kriegsgefangenschaft

Seit 1994 erscheint im Verlag Das Arsenal die Werkausgabe des Journalisten, Feuilletonisten, Novellisten, Essayisten und Dramatikers Victor Auburtin (1870 bis 1928). Mittlerweile liegen drei der sechs Bände vor, deutlich wird nun die Konzeption des Unternehmens. Man kann ihr nur sehr zustimmen, sie ist dem Rang und dem Charakter des Werkes angemessen. Der Herausgeber Peter Moses-Krause gibt alle vom Autor selbst herausgegebenen Text-Sammlungen in ihrer originalen Form wieder und fügt jeweils die literarisch tendierenden Kurzprosatexte hinzu, die zu etwa der gleichen Zeit, überwiegend in der Tageszeitung, erschienen und seitdem nicht wieder gedruckt worden sind. So wird einerseits Vollständigkeit angestrebt, andererseits bleiben die Auswahlkriterien des Autors erkennbar. Auf Kommentar und Apparat wird weitgehend verzichtet, einerseits, weil der Nachlaß Auburtins und alle Zeitungsarchive verloren sind, andererseits wohl auch, weil es ein Qualitätskriterium feuilletonistischer Prosa ist, ob sie ohne Namens- und Sacherklärungen lesbar bleibt.

Nach den "Pfauenfedern", der Neuausgabe zweier Feuilleton-Sammlungen aus den Jahren 1921/22, liegen nun zwei Bände mit der Prosa aus den Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vor. Der eine enthält "Die Onyxschale" von 1911 und den Vorgänger "Die goldene Kette" von 1910. Diese nach den Erstausgaben nicht wieder aufgelegten und im Antiquariatshandel sehr seltenen Sammlungen präsentieren den vierzigjährigen Auburtin, wie er nach einigen Jahren im Journalismus als Autor kurzer Erzählprosa, manchmal im Stile Maupassants, beginnt. Nicht nur Druckort dieser teils erotischen, teils satirischen Noveletten, auch ihr geistiges Umfeld ist der "Simplicissimus", der um die Jahrhundertwende so bedeutende Autoren wie Polgar, Wedekind, Hamsun und Mynona an sich band.

1911 wechselte Auburtin zum Berliner Tageblatt und zugleich von der erzählerischen zur eher betrachtenden Skizze, zum Feuilleton. Die Produktion für den "Simpl" endete vorerst. In der "Onyxschale", deren Texte allesamt im BT "unter dem Strich" erschienen sind, präsentiert sich Auburtin zum ersten Mal als der kritisch-resignierte Betrachter, den die Zeitungsleser so sehr zu schätzen lernten. Hier spricht, scheinbar im Plauderton, ein vornehmer, humanistisch gebildeter Bürger und Weltmann, der allmählich begreifen muß, daß es ihn fatalerweise ins zwanzigste Jahrhundert und in dessen immer depravierenderen Alltag verschlagen hat. Gerne träumt er sich deshalb bisweilen in eine arkadische Vergangenheit hinein, um freilich kurz vor Ende des Textes mit einer ironischen Wendung zur Gegenwart zu erwachen.

Überwiegend Unbekanntes bringt der Band "Was ich in Frankreich erlebte". Von September 1911 bis Juli 1914 war Auburtin Korrespondent des BT in Paris. Dort leistete er vorwiegend journalistische Routinearbeit. Sie dürfte ihm bisweilen doppelt schwer gefallen sein, denn es war die Zeit der europäischen Krisen und der dramatischen Verschlechterung des deutsch-französischen Verhältnisses. Gerade dieser Tendenz sucht der deutsche Journalist mit französischen Ahnen in den etwa einhundert Alltagsbetrachtungen, Theaterkritiken und Reisebeschreibungen, die jetzt erstmals im Buchdruck vorliegen, nach Kräften entgegenzuwirken. Deutlich spürbar ist sein Bestreben, den Deutschen zu Hause von einem Frankreich zu berichten, das kein Feindbild abgeben kann, weil es, bei allen Schwächen, in seiner Kultur und Lebensart ein gesamteuropäisches Ideal verkörpert. Noch zehn Tage vor dem Ausbruch des Krieges spricht er dem eben begangenen französischen Nationalfeiertag alle chauvinistischen Züge ab.

Unter dem Titel "Was ich in Frankreich erlebte" protokolliert Auburtin sehr ruhig und wie immer angezogen vom Detail, was ihm bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs geschieht. Aufgrund einer böswillig falschen Aussage als Spion verhaftet, entgeht er nur knapp einem Verfahren vor dem Kriegsgericht, ein halbes Jahr lebt er unter Militärsträflingen, dann bleibt er bis zum Dezember 1917 auf Korsika interniert. Diese Zeit vergeht dem Großstadtmenschen mit Langeweile, Schikane, Entbehrungen und Kleinigkeiten. Und vielleicht das Schlimmste: Es ist ihm untersagt zu schreiben.

Dennoch bleibt sich Auburtin weitgehend treu, wenn er auch in diesem autobiographischen Text, der den gleichnamigen Band beschließt, immer wieder versucht, von sich abzusehen und nach dem an der Oberfläche des Geschehens versteckten Gleichnis zu suchen. So fällt seine Klage gegen die, die ihm widerrechtlich dreieinhalb Jahre seines Lebens und seine Gesundheit nahmen, sehr moderat aus. Viel mehr interessiert ihn jetzt wie vorher das Besondere am Banalen, die Banalität des Schrecklichen. Und selbst bei der Rekonstruktion seiner Todesangst bleibt er Skeptiker. Ein bedenkenswertes Resümee des im Handumdrehen zum Kettensträfling gemachten Flaneurs lautet, der Schriftsteller sollte es besser "vermeiden, seine eigenen Passionen zum besten zu geben, da er ja niemals eine echte Passion schlicht empfunden hat wie ein anderer Mensch. In alles, was der Novellist erlebt, wird sich stets der infame Gedanke mit hineinmischen: wie mache ich einen Artikel daraus." Freilich, in einer für ihn typischen Wendung preßt Auburtin selbst dieser Infamie ihr Rettendes ab: "Ich habe in den fürchterlichsten Stunden nie aufgehört, immer gleich im Augenblicke und instinktiv all dieses Unglück literarisch zu verarbeiten. So war mein Elend nicht ganz rein, aber eben deshalb leichter zu ertragen."

Sechs Sammlungen seiner Prosa und zwei Nachlaßbände Auburtins sind in den letzten fünfzig Jahren erschienen; aber erst mit der neuen Ausgabe zeichnet sich das ganze Bild eines der wenigen literarischen Werke ab, die im Umfeld der Presse entstanden sind. BURKHARD SPINNEN

Victor Auburtin: "Die Onyxschale und Die goldene Kette". 246 S., geb., 36,80 DM.

Victor Auburtin: "Was ich in Frankreich erlebte". Beide im Verlag Das Arsenal, Berlin 1995.471 S., geb., 49,80 DM.

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