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Zwei befreundete Künstlerfamilien im New Yorker Stadtteil SoHo, zwischen 1975 und der Jahrtausendwende: Siri Hustvedt erzählt vom Aufbrechen und Ankommen, von Idealen und Lebensentwürfen, von Eltern und Kindern - und davon, wie ein tragischer Unfall ein sorgsam geplantes Glück jäh zerstört. "Was ich liebte" ist ein Buch über das Erwachen aus der selbst verschuldeten Naivität und über das Ende der Träume einer Generation.

Produktbeschreibung
Zwei befreundete Künstlerfamilien im New Yorker Stadtteil SoHo, zwischen 1975 und der Jahrtausendwende: Siri Hustvedt erzählt vom Aufbrechen und Ankommen, von Idealen und Lebensentwürfen, von Eltern und Kindern - und davon, wie ein tragischer Unfall ein sorgsam geplantes Glück jäh zerstört. "Was ich liebte" ist ein Buch über das Erwachen aus der selbst verschuldeten Naivität und über das Ende der Träume einer Generation.

Autorenporträt
Siri Hustvedt wurde 1955 in Northfield, Minnesota, geboren. Sie studierte Literatur an der Columbia University und promovierte mit einer Arbeit über Charles Dickens. Sie lebt in Brooklyn. Mit ihrem Roman "Was ich liebte" hatte sie ihren internationalen Durchbruch. Im Februar 1981 lernte sie den Schriftsteller Paul Auster kennen, den sie 1983 heiratete und mit dem sie einen Stiefsohn und eine Tochter hat. Heute arbeitet Siri Hustvedt als Schriftstellerin, Essayistin und Übersetzerin aus dem Norwegischen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.01.2003

Der Traum der Kunst gebiert Ungeheuer
Siri Hustvedts New York-Roman steckt voller Wechselbälger und Hysterikerinnen
Ein Wechselbalg ist ein pseudomenschliches Kuckucksei. Es pflanzt sich als Kopie an die Stelle des echten Kindes, bis seine Monsterfratze hinter der glatten Maske hervorlugt. Dieses ebenso faszinierende wie bösartige Wesen ist ein Meister der Verstellung, dem die Ernährer allzu bereitwillig auf den Leim gehen. Gleichzeitig gibt der Verwandlungskünstler ein perfektes Bild ab für eine Frage, die in der zeitgenössischen Philosophie, Kunst und Literatur einen Ehrenplatz besetzt: Lassen sich Urbild und Imitation überhaupt voneinander trennen, oder andersrum: Wieviel hängt vom Standpunkt des Betrachters ab?
Mit einem postmodernen Wechselbalg endet der Roman „Was ich liebte”, in dem Siri Hustvedt die Denkfiguren der Imitation virtuos in Romanfiguren übersetzt. Im Vordergrund stehen die Lebensgeschichten zweier Paare im New Yorker Stadtteil SoHo. Der Kunsthistoriker Leo Hertzberg erzählt rückblickend von einem intellektuellen Mikrokosmos, der in den siebziger Jahren beginnt und in der Gegenwart verglüht. Alles fängt mit dem mysteriösen Bild eines Malers an, das Leo und seine Frau Erica, beide New Yorker Juden mit deutschen Wurzeln, begeistert. Es trägt den Titel „Selbstporträt”, zeigt aber eine Frau, die ein kleines gelbes Taxi in der Hand hält. Leo, Erica und Bill Wechsler, der Maler mit dem anspielungsreichen Namen, werden Freunde, während Bills erste Frau nicht in den Kreis passt, der so elegant über Beckett, Adorno und Duchamp plaudert. Als beide Paare ein Kind erwarten, wohnt man sogar in zwei benachbarten Lofts. Doch die Ehe des Malers zerbricht, und an die Stelle der Ehefrau tritt das Modell: Violet ist allerdings keine passive Muse, sondern eine Kulturwissenschaftlerin, die sich für die Fin de Siècle-Hysterikerinnen des Pariser Neurologen Charcot interessiert.
Durch Violet bringt Siri Hustvedt, geboren 1955 in Minnesota und verheiratet mit dem Schriftsteller Paul Auster, eine vierte Figur von einer ganz bestimmten intellektuellen Prägung ins Spiel: Allen geht es um die Relativität des Sehens und um die Inszenierungen, die das Wirkliche erst entstehen lassen. Violet beobachtet in Anlehnung an den Wissenschaftshistoriker Georges Didi-Huberman die „Erfindung” der Hysterie. Sie will zeigen, dass die Hysterikerinnen um 1900 genau das Schauspiel bieten, das die Mediziner sich wünschen. Sie imitieren bestimmte Krankheitsformen wie Epilepsie, ohne dass es sich dabei um bewusste Täuschung handelte, und die Ärzte entdecken die Symptome, die ihnen vorschweben. Diesen Zwischenstatus erklärt Violet folgendermaßen: „Ich glaube, ihre Krankheit nahm diese spezielle Form an, weil sie in der Luft lag wie ein Virus – so wie heute Anorexia nervosa.” Bill lässt sich von Violets Idee kultureller Viren anstecken: Seine Installationen thematisieren nicht nur die Patientin Augustine, ein „Pin-Up-Girl der Hysterie”, sondern er verarbeitet auch Violets Forschungen über Essstörungen und Hungerkünstler.
Aber jenseits der geistigen Wechselwirkungen dehnt sich ein unterirdisches erotisches Netz zwischen allen Beteiligten aus. In Bills Kunstwerken und im Leben der Hauptfiguren wimmelt es von Doppelgängern, falschen oder wechselnden Ichs, die das Loft-Idyll zerbröckeln lassen. Ein Todesfall bereitet dieser Welt ein böses Ende, denn 1989 wird Matt, der Sohn von Leo und Erica, Opfer eines Unfalls. Leo besetzt die Leerstelle mit Bills Sohn Mark, der sich immer diabolischer aufführt. Mark entpuppt sich als Lügner und Simulant, der von den ersten Raves nahtlos in ein Leben voller Drogen und Diebstähle abgleitet. „M & M”, wie ihn seine Techno-Freunde nennen, lässt sich mit einem Künstler ein, der durch seine gewaltverherrlichenden Werke bekannt wird und selbst in einen Mordfall verwickelt ist. Bei all den Todesgeschichten geizt die Autorin nicht mit traditioneller Melodramatik, und auch erzähltechnisch riskiert sie wenig. Dass der Roman trotzdem eine fast surrealistische Dichte ausstrahlt, liegt an den Details, die Hustvedt geschickt mit verborgenen Traumwahrheiten ausstattet. Jedes Spielzeugauto lockt mit symbolischem Mehrwert und zwingt zur Spurensuche.
Siri Hustvedt, die seit den Romanen „Die unsichtbare Frau” und „Die Verzauberung der Lily Dahl” längst in der ersten Liga der amerikanischen Schriftsteller spielt, treibt Familiendrama und Psychothriller konsequent ihren Höhepunkten entgegen. Doch im Grunde könnte man „Was ich liebte” als Philothriller bezeichnen: Leos Rückblick ist vor allem ein Rätselraten über den Ursprung des Wechselbalgs, zu dem sich Mark entwickelt hat. Hinter der glatten Unschuldsmiene des Pillenschluckers verbirgt sich eine Welt, zu der die alternden Intellektuellen keinen Zugang mehr haben: Hier die Gewissheit der geistigen Tiefe, die Leo und Violet in der „Kritik”, dem „Zweifel”, der „Subversion” zu finden glauben. Dort die „pure Oberfläche” oder die „seelenlose Mechanik”, die von Mark und seinem unheimlichen Künstlerfreund verkörpert werden. Der Teenager verzichtet auf die klassischen Gesten der Rebellion, die seine liberalen Eltern noch verstehen könnten, und sein Freund produziert Horrorskulpturen, die Gewalt nicht mehr reflektieren, sondern nur noch nachahmen. Die beiden sind eine Form von American Psycho.
Der Clou des Gedankenspiels besteht darin, dass Leos Theorie zum Sehen in der Kunst gerade die Relativität des eigenen Standpunkts hervorhebt. Der Theoretiker des blinden Flecks, der sinnigerweise an einer schweren Augenkrankheit leidet, ist in einem altmodisch-modernen Denken der Tiefe gefangen. Leo starrt auf die Bilder Goyas und übersieht trotzdem, dass er Teil einer Sozialpathologie ist, die boshafte Riesenbabys wie Mark geboren hat. Aber was dem Icherzähler verwehrt bleibt, macht die Vielschichtigkeit des Romans dem Leser möglich. „Was ich liebte” ist ein ebenso spannendes wie intelligentes Panorama der Wechselfälle, die das Leben und die Kunst zu bieten haben.
JUTTA PERSON
SIRI HUSTVEDT: Was ich liebte. Roman. Deutsch von Uli Aumüller, Erica Fischer und Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 480 S., 22,90 Euro.
Die Hysterikerin spielt Ekstase. Eine Abbildung aus Georges Didi-Hubermans „Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean- Martin Charcot.” (Wilhelm Fink Verlag, 38 Euro).
Foto: Fink
Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2003

Ich bin, weil du bist
In ihrem neuen Roman will Siri Hustvedt von der Kunst ins Leben

Im Werbespot für einen Filterkaffee lobte einst ein schwatzhaftes Damenkränzchen die Gastgeberin mit den Worten: "Also Brigitte, dein Kaffee!" Die Szene könnte vorbildhaft sein für den neuen Roman von Siri Hustvedt, in dem der Maler Bill Wechsler seine Frau Lucille, eine Lyrikerin, vor seinen Freunden mit den Worten rühmt: "Ihre Verben sind toll!" Lucille nimmt das zum Anlaß, über metrische Regeln und die Struktur ihre Gedichte zu referieren. Man ist in dieser Abendgesellschaft, zu der noch ein Kunsthistoriker und eine kluge Englisch-Dozentin gehören, durchaus in der Lage, "länger als eine Stunde über Adorno und seinen Satz ,Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch'" zu sprechen. Man führt gepflegte Gespräche über die Darstellung von Haut in der Malerei, zitiert fehlerfrei aus "Tristram Shandy" und gelangt schließlich zu der Frage, ob "ein Roman ein Sack ist, in dem alles mögliche stecken kann".

Siri Hustvedt scheint diese Frage für sich bejaht zu haben. Allzuviel steckt sie bedenkenlos in ihren neuen Roman hinein: Liebe, Sex, Ehe, Trennung, Kinder, Tod, Verzweiflung, Einsamkeit, Hysterie, Drogensucht, Kunst, Transvestitentum, New Yorker Boheme, Mord, Lüge und Verrat. Für den Fall, daß das nicht genug sein sollte, erhalten zwei der Figuren noch einen jüdischen Hintergrund. Sie mußten als Kinder mit ihren Eltern aus NS-Deutschland emigrieren und verloren die Verwandtschaft, die in Auschwitz ermordet wurde. Mit dieser Geschichte ist der Anspruch auf Jahrhundertromanniveau gehoben. Erzählt werden aber nur die letzten fünfundzwanzig Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, und auch die nur aus der engen Perspektive zweier New Yorker Paare, die sich in erster Linie für sich selbst und ihre beiden Söhne interessieren. Die jüdische Identität spielt für sie keine Rolle und ist allenfalls von symbolischer Bedeutung. Sie, die Kinder der Emigranten, leben in Lofts in der Bovery und repräsentieren das intellektuelle Künstlermilieu Manhattans.

Siri Hustvedt, Tochter norwegischer Einwanderer, schreibt über eine ihr vertraute Welt, die in ihrem kunstbeflissenen Narzißmus an Woody Allens Gesellschaftstänzchen erinnert. Vielleicht geht es bei ihr und ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Paul Auster, ganz ähnlich zu, wenn sie Gäste empfangen. Vielleicht sagt dann Paul Auster zu ihr: "Also Siri, deine Verben!", während er ihr Glas mit Wein nachfüllt.Daß die beiden sich über ihre Arbeit austauschen, ist jedenfalls unübersehbar. Auster hat mit dem "Buch der Illusionen" zuletzt einen Künstlerroman über einen vergessenen Stummfilmstar geschrieben und erfand spannende Drehbücher für seinen fiktiven Helden. Siri Hustvedt konzipiert für ihren Maler Bill Wechsler nun komplette Ausstellungssequenzen und Schaffensperioden - ohne Rücksicht auf deren geringe Originalität. Sie läßt ihn das Märchen von Hänsel und Gretel in kleinen Schaukästen als Geschichte über Völlerei und Hungern interpretieren - eine puppenstubenhafte Kunst schlichtester Geistesart, die sie jedoch mit großem Ernst und zäher Ausdauer seitenlang referiert.

Möglich ist das nur, weil es sich bei ihrem Ich-Erzähler um den emeritierten Kunsthistoriker Leo Hertzberg handelt, der mit Bill intensiv befreundet ist. Er ist zum Zeitpunkt seiner Lebensbeichte siebzig Jahre alt und leidet an einer Makuladegeneration, die ihn allmählich erblinden läßt. Für einen, dessen Geschäft das genaue Wahrnehmen ist, bedeutet das einen besonders bitteren Verlust. Die Relativität der Perspektive ist dem Kunstgeschichtler durchaus vertraut. Er weiß, daß "Sehen fließend" und "nichts je klar" ist, und will doch wenigstens Überblick über das eigenen Leben gewinnen. Die Sehschwäche, die ihn zwingt, sich Bücher und Zeitungen vorlesen zu lassen, hindert ihn nicht daran, die Schreibmaschine recht fleißig zu bedienen. Bevor es zu spät ist, will er Inventur machen und mit einer abschließenden Gefühlsbilanz seines Lebens erklären, wen und wie er liebte.

"Was ich liebte" ist ein Verlustverzeichnis. Von den Geliebten ist niemand mehr bei Leo. Seine Frau Erica hat ihn verlassen, nachdem Matthew, ihr gemeinsamer Sohn, im Alter von elf Jahren tragisch verunglückte - ein Schicksalsschlag, über den sie nicht hinwegkamen. Auch der Malerfreund Bill liegt eines Tages tot im Atelier. Von Lucille hatte er sich früh getrennt, seine zweite Frau Violet, in die auch Leo verliebt ist, zieht nach seinem Tod nach Paris und in ein neues Leben. Mark aber, der Sohn von Bill und Lucille, gerät in Drogenabhängigkeit und verstrickt sich in ein Verbrechen. Er ist der verlorene Sohn, der im zweiten, dynamischeren Romanteil im Mittelpunkt der Sorge steht.

Leo Hertzberg ist ein geschwätziger und indiskreter Erzähler. Seinem Text hätte man einen Lektor gewünscht, doch für Romanfiguren gibt es keine Lektoren. Intime Liebesbriefe Violets an Bill gibt er ebenso der Öffentlichkeit preis wie die Details seiner erotischen Erinnerungen an Erica. Leo vergißt auch nicht zu erwähnen, daß er sich nach dem Beischlaf mit Lucille in ihrem Bad gewissenhaft wusch. Zu wem, außer zu sich selbst, seinem Analytiker oder einem guten Freund würde ein einsamer älterer Herr so sprechen? An keiner Stelle ist dieser Erzähler in der Lage, Wichtiges von Bedeutungslosem zu unterscheiden. Noch zwanzig Jahre danach findet er es mitteilenswert, was ihm in Betrachtung von Bill Wechslers Hänsel-und-Gretel-Skulpturen durch den Kopf ging: "Rettende Worte, sagte ich zu mir, als ich die Schrift auf dem Körper des Mannes sah. Was genau ich damit meinte, wußte ich nicht, aber ich dachte es dennoch." Doch wozu teilt er es mit?

Daß Siri Hustvedt einen Mann erzählen läßt, funktioniert dagegen erstaunlich gut; vielleicht ist der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Perspektive gar nicht so groß. Im Roman erscheinen die Grenzen zwischen den Geschlechtern immer wieder als fließend. Erica, die ein Buch über "Henry James und die Ambiguität des Dialoges" verfaßt und abends im Bett das Werk von Jacques Lacan liest, spricht es aus: "In Wahrheit haben wir doch alle einen Mann und eine Frau in uns." Von ähnlicher Schlichtheit sind die meisten Erkenntnisse Siri Hustvedts, die mit großem dialogischem Aufwand produziert werden. Auch das erste Bild Bill Wechslers, das Leo Hertzberg vor Augen kommt und mit dem ihre Freundschaft beginnt, thematisiert die sexuelle Identität. Es trägt den Titel "Selbstportrait", zeigt aber eine liegende Frau im T-Shirt und den Fuß einer zweiten Frau, die den Bildausschnitt gerade verläßt. Das Selbstporträt scheint also nicht im Dargestellten, sondern im spezifischen Blick darauf zu liegen. Violet schließlich, die sich mit der Geschichte der Hysterie befaßt, vertritt eine Theorie der Vermischung, wonach der einzelne nie als isoliertes Individuum zu betrachten ist, sondern als dialogisches Wesen. "Descartes hatte unrecht", sagt sie. "Es muß nicht heißen: Ich denke, also bin ich. Es muß heißen, ich bin, weil du bist. Das ist Hegel, na ja, die Kurzfassung."

Psychologisch und ästhetisch so gewappnet, ist es nicht ganz verständlich, warum Sohn Mark Jahre später so viel Angst verursacht, wenn er Transvestitenrollen erprobt und mit blonder Frauenperücke durch Hotelfoyers schreitet. Mark ist eine gewissermaßen identitätslose Figur, die wie ein Chamäleon immer den Bedürfnissen ihres Gegenübers zu entsprechen sucht. Auf Vertrauen antwortet er vertrauensvoll, auf Liebe liebevoll, auf Begehren begehrlich und ist doch immer nur ein Schauspieler. So gerät er in die Abhängigkeit eines dubiosen Künstlers, der publikumswirksam bluttriefende Splatter-Skulpturen ausstellt und in Verdacht gerät, einen Mord als Aktionskunst ausgeführt zu haben. Mark macht Ernst mit den Theorien seiner Eltern und ihrer Freunde, indem er deren lebenslängliche Frage nach dem "Ich" mit totaler Selbstaufgabe beantwortet. Er markiert den Übergang von der Theorie zur Praxis, von der Kunst ins Leben, von der Moral in die Bedenkenlosigkeit. In Mark geht der sehr amerikanische Glaube an die Einzigartigkeit des Individuums unter wie in einem schwarzen Loch. Deshalb ist er der eigentliche Mittelpunkt dieses Künstlerromans, der zum Familiendrama und zum Psychothriller mutiert. Die Frage "Wer bin ich?", um die sich alles dreht, müßte sich gerade an ihm und gegen ihn bewähren. Doch die Sinnbemühungen der Protagonisten sind zu schwächlich, um den Zerfall ihrer Bindungen aufhalten zu können. So gewinnt der lange Zeit zäh dahindümpelnde Roman im letzten Drittel doch noch starke negative Energie und unverhofftes Tempo.

Siri Hustvedt: "Was ich liebte". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Uli Aumüller, Erica Fischer und Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 478 S., geb., 22,90 [Euro].

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Ein Vierteljahrhundert
Der neue Roman von Siri Hustvedt erstreckt sich über das letzte Viertel des vergangenen Jahrhunderts. Um die Geschichte zweier befreundeter New Yorker Paare zu erzählen, schlüpft Hustvedt - übrigens die Frau von Paul Auster - in eine männliche Rolle. (Eine Rolle, die sie erstaunlich gut zu füllen versteht.) Der fast erblindete Ich-Erzähler Leo Hertzberg schildert aus der Retrospektive seine Liebe zu Erica und ihrem gemeinsamen Kind. Seine Freundschaft zu Bill Wechsler, der mit seinen zwei Ehen den Widerpart zu Hertzbergs eigener Ehe bildet, ist die andere Konstante dieser Jahre. Beider Lebens- und Liebesgeschichten sind ineinander verwoben und spiegeln sich gegenseitig.
New Yorker Boheme
Hertzbergs sind Intellektuelle jüdischer Abstammung. Also ein ureigenes New Yorker Gewächs. Er ist Kunsthistoriker, sie ist Anglistin. Sie führen eine leidenschaftslose, aber vernünftige Ehe, in der sich jeder mit den Eigenheiten des anderen arrangiert hat, aber im Wesentlichen sich seinem Beruf widmet. Bill Wechsler ist Künstler; seine erste Frau Lucille, mit der er ein Kind zeugt, Lyrikerin. Deren neurotische Kälte fasziniert ihn lange. Nach schwierigen Jahren trennt er sich jedoch von ihr und beginnt eine leidenschaftliche Ehe mit Violet.
Doch bald brechen Schicksalsschläge über die beiden Paare herein. Leos Sohn stirbt und seine Frau verlässt ihn daraufhin. Eines Tages wird Bill tot in seinem Atelier aufgefunden. Violet, in die Leo verliebt ist, zieht nach Paris, um den Schmerz verarbeiten zu können. Sie ist die lebendigste Figur des Romans. Ihre Theorie vom Menschen als dialogischem Wesen, die sie von ihrer Hysterieforschung ableitet, ist der Schlüssel zu diesem Roman. Denn im Dialog bestimmen sich die Identitäten seiner Protagonisten. Dies wird besonders deutliche in der Person Marks, des Sohns von Bill Wechsler und Lucille. Er verliert sich allerdings darin und funktioniert nur noch als Spiegel seiner Gegenüber, die ihn in den Abgrund treiben.
Großer Roman ohne Blut
Trotz des etwas blutleeren Intellektualismus, mit dem Hustvedt ihren Roman füllt, und der gepflegten Langweile, den ihre Schilderungen besonders im ersten Teil hervorrufen, ist ihr mit Was ich liebte ein großer Roman gelungen. Vor dem Hintergrund der Stadt New York, deren Rauschen und Stöhnen man in den Katastrophen, die über die Protagonisten hereinbrechen, als Echo vernehmen kann, entwarf sie ein akribisch geschildertes Bild zweier Paare, die der Bildungselite angehören. Das Kreisen um die eigenen Probleme und die eigene Arbeit, das die umgebende Wirklichkeit nur vielfach gebrochen - eben als Echo - wahrnehmen lässt, gehört ebenso zu deren urbanen Wirklichkeit wie ihre Gefühllosigkeit. Doch diese Gefühllosigkeit erhält am Leben: Sobald sie sich von ihren Gefühlen und Leidenschaften leiten lassen oder sich ihnen hingeben, verlieren sie es.
Hustvedts Roman ist getragen vom Ton der Melancholie, er bleibt dabei so unaufgeregt und kühl wie die meisten seiner Protagonisten. Einmal ist Leo, dem Erzähler, anzumerken, dass er unter seiner rationalistischen Kühle leidet. Dann verspürt er eine bittere Leere in seinem Mund und sehnt sich nach der Leidenschaftlichkeit, deren Mangel ihn am Leben erhält. Ob Paul Auster und Siri Hustvedt ein glückliches Paar sind? (Andreas Rötzer)
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Am Anfang dieses Romans steht ein Gemälde, dessen Motive im ganzen Roman wiederkehren wird, erklärt die Rezensentin Ursula März: "die Rolle des Künstlers im eigenen Kunstwerk, das Dunkel der Vieldeutigkeit, der Sog des Enigmatischen, das Irrlichtern, Shiften und Verlaufen der Identität". In der Tat beschreibe Siri Hustvedt zwei benachbarte, übereinander wohnende New Yorker Familien, eine Künstlerfamilie um den Maler des eingangs beschriebenen Gemäldes, und eine Intellektuellenfamilie, die beide für die Rezensentin sehr an das kunstliebende "Bürgertum des letzten fin de siecle" erinnern, und deren Leben ineinander greifen und sich symbolisch verschränken. Während sich die Frau des Malers mit psychischen Pathologien beschäftige, erlangten die Kunstwerke des Malers "prophetischen" Charakter, in denen "das Unbewusste der erzählten Geschichte" stecke. "Wer ist wer, und wer lebt wessen Leben?" sind für März die Fragen, die sich subtil aber unaufhaltsam durch den Roman ziehen, so "diskret" und so "indirekt" wie die von der Autorin eingestreuten "Zeichen und Vorzeichen". Denn die "extreme Verlangsamung" des Erzählens sei nichts als "die Ruhe vor dem Sturm", vor der bevorstehenden Katastrophe, dem Tod einer der Söhne. Daraufhin entwickle sich der andere Sohn zu einem "Monster", zu einem "kostümierten Nichts", der einem "sinistren" und gewaltverherrlichenden Künstler anheim falle, in dem die Rezensentin Marilyn Manson zu erkennen meint. Diese "Verbindung dieser Tragödie mit aktueller Kulturgeschichte und mit Kulturkritik" sei auch der Schwachpunkt dieses Romans, der aber trotzdem "Hustvedts bisher eindrucksvollster und ambitioniertester Roman" bleibe.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Ihr Roman zeigt auf geradezu logische Weise, dass selbst das intakteste Miteinander zweier Menschen nicht gegen den Einbruch des Schicksals gefeit ist. Das Buch ist ein Hohelied auf die Freundschaft, die Siri Hustvedt als großen Trostspender und sogar als Lebensretter zeigt; sie erzählt souverän und mitfühlend, ohne gefühlig zu sein. Stern