Diese Distel hat noch viele Stacheln
Peter Ensikat über sein Buch:
"Als wir Ostdeutschen im November '89 endlich anfingen, in der Welt von uns reden zu machen, hat uns das die Sprache verschlagen. Mehr als die zwei kurzen Sätze 'Wir sind das Volk!' und später 'Wir sind ein Volk!' brachten wir nicht hervor. Danach war alles nur noch 'Wahnsinn!' Als wir Ostdeutschen nach jener kurzen Feierabend-Revolution die Sprache wiedergefunden hatten, war schon keine Rede mehr von uns. Bis zum März 1990 spielten wir am runden Tisch noch ein bisschen Dritter-Weg-Laden, um gleich danach eine Regierung zu wählen, die nur noch eine Aufgabe zu erfüllen hatte - die besenreine Übergabe des Beitrittsgebiets.
Nach vierzig Jahren Leben in einer Diktatur und zehn Jahren Demokratie versuche ich für mich herauszufinden, welche Spuren beide Systeme in mir hinterlassen haben und welche Spuren ich hinterlassen haben könnte. Und so befinde ich mich auf der Flucht vor den bösen Erinnerungen und der Suche nach den guten. Zu dem, was ich noch vergessen wollte, gehören auch die hier gesammelten Irrtümer eines fast sechzigjährigen Lebens, aus dem ich bis heute nicht schlau geworden bin. Fest steht für mich aus dem Abstand der Jahre: Auch in der DDR wurde ich nicht gelebt, ich habe gelebt. Darauf lege ich Wert, selbst wenn ich mir damit den Vorwurf einhandlen kann, nicht anders gelebt zu habenl."
Peter Ensikat über sein Buch:
"Als wir Ostdeutschen im November '89 endlich anfingen, in der Welt von uns reden zu machen, hat uns das die Sprache verschlagen. Mehr als die zwei kurzen Sätze 'Wir sind das Volk!' und später 'Wir sind ein Volk!' brachten wir nicht hervor. Danach war alles nur noch 'Wahnsinn!' Als wir Ostdeutschen nach jener kurzen Feierabend-Revolution die Sprache wiedergefunden hatten, war schon keine Rede mehr von uns. Bis zum März 1990 spielten wir am runden Tisch noch ein bisschen Dritter-Weg-Laden, um gleich danach eine Regierung zu wählen, die nur noch eine Aufgabe zu erfüllen hatte - die besenreine Übergabe des Beitrittsgebiets.
Nach vierzig Jahren Leben in einer Diktatur und zehn Jahren Demokratie versuche ich für mich herauszufinden, welche Spuren beide Systeme in mir hinterlassen haben und welche Spuren ich hinterlassen haben könnte. Und so befinde ich mich auf der Flucht vor den bösen Erinnerungen und der Suche nach den guten. Zu dem, was ich noch vergessen wollte, gehören auch die hier gesammelten Irrtümer eines fast sechzigjährigen Lebens, aus dem ich bis heute nicht schlau geworden bin. Fest steht für mich aus dem Abstand der Jahre: Auch in der DDR wurde ich nicht gelebt, ich habe gelebt. Darauf lege ich Wert, selbst wenn ich mir damit den Vorwurf einhandlen kann, nicht anders gelebt zu habenl."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2001Eine Mauer wie aus Watte
Leicht geschmunzelt: Was Peter Ensikat noch vergessen wollte
Tausendmal in tausend Zusammenhängen fiel dieser Satz: "DDR? Kannste verjessen." Die stehende Rede vergangener Tage liefert Peter Ensikat die Pointe zu einem seiner über fünfzig Texte, die er unter dem Titel "Was ich noch vergessen wollte" nun als Buch vorlegt. Das Vergangene ist allgegenwärtig in seinen Betrachtungen über das Leben nach der Wende. Der Bericht vom gestohlenen Laptop etwa beginnt mit der Mitteilung: "Zu DDR-Zeiten blieb meine Haustür meist unverschlossen." Vom nämlichen Ausgangspunkt wird auch die Frage beantwortet: "Ist Mülltrennung erlernbar?" oder setzt das Nachdenken über "Furcht und Elend beim Leeren des Briefkastens" ein. Früher waren die Mauern aus Beton, heute stößt man, "wenn überhaupt noch - auf Watte", heißt es zur Frage, ob Freiheit glücklich macht, die Ensikat für sich selbst mit einem "Ich weiß nicht" beantwortet. Klüger sei er jedenfalls "in der Freiheit" nicht geworden.
Wie auch schon in den "Nachrichten aus den neuen Ostprovinzen" (1993), spricht der Kabarett-Autor über sich und seine Welt. Er spricht tatsächlich, und das muß der Lektüre eigentlich nicht abträglich sein, wenn ein Autor zum Leser spricht. Doch spricht Ensikat eben so, wie es der Vortrag im Kabarett erfordert, gewissermaßen in kleinsten gedanklichen Einheiten. Zwei Sätze, und der Lacher muß stehn. "Ja, auch die DDR hatte ein Wirtschaftswunder. Es bestand darin, daß es ganze vierzig Jahre brauchte, um zusammenzubrechen", liest man und schmunzelt vielleicht. In der Berliner "Distel", die Ensikat seit 1999 leitet, hätte das Publikum wahrscheinlich mit Szenenapplaus reagiert, wie auch auf die Bemerkung: "Von der DDR-Mikroelektronik wußten wir doch alle: Sie war nicht kleinzukriegen." Das ist witzig, und als Profi, der seit dreißig Jahren sein Publikum bedient, scheut Ensikat auch den Kalauer nicht, wenn er etwa Botho Strauß zuruft, der sich im Märkischen ansiedelte: "Die Uckermark ist etwas ganz anderes als die D-Mark." Oder über einen Medienmächtigen sagt: "Der Riese Kirch ist im Dorf geblieben." Aufs Ganze bezogen, entsteht dann aber doch der Eindruck, daß hier einer Funken schlägt, ohne durch Neuigkeiten für Erleuchtung zu sorgen. Man geht aus diesem Buch wie aus dem Kabarett, wo man ja auch nichts Neues erfährt, sondern geradezu vorausgesetzt wird, daß jeder weiß, worüber auf der Bühne gesprochen wird.
SIEGFRIED STADLER
Peter Ensikat: "Was ich noch vergessen wollte". Karl Blessing Verlag, München 2000. 284 S., geb., 42,-DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leicht geschmunzelt: Was Peter Ensikat noch vergessen wollte
Tausendmal in tausend Zusammenhängen fiel dieser Satz: "DDR? Kannste verjessen." Die stehende Rede vergangener Tage liefert Peter Ensikat die Pointe zu einem seiner über fünfzig Texte, die er unter dem Titel "Was ich noch vergessen wollte" nun als Buch vorlegt. Das Vergangene ist allgegenwärtig in seinen Betrachtungen über das Leben nach der Wende. Der Bericht vom gestohlenen Laptop etwa beginnt mit der Mitteilung: "Zu DDR-Zeiten blieb meine Haustür meist unverschlossen." Vom nämlichen Ausgangspunkt wird auch die Frage beantwortet: "Ist Mülltrennung erlernbar?" oder setzt das Nachdenken über "Furcht und Elend beim Leeren des Briefkastens" ein. Früher waren die Mauern aus Beton, heute stößt man, "wenn überhaupt noch - auf Watte", heißt es zur Frage, ob Freiheit glücklich macht, die Ensikat für sich selbst mit einem "Ich weiß nicht" beantwortet. Klüger sei er jedenfalls "in der Freiheit" nicht geworden.
Wie auch schon in den "Nachrichten aus den neuen Ostprovinzen" (1993), spricht der Kabarett-Autor über sich und seine Welt. Er spricht tatsächlich, und das muß der Lektüre eigentlich nicht abträglich sein, wenn ein Autor zum Leser spricht. Doch spricht Ensikat eben so, wie es der Vortrag im Kabarett erfordert, gewissermaßen in kleinsten gedanklichen Einheiten. Zwei Sätze, und der Lacher muß stehn. "Ja, auch die DDR hatte ein Wirtschaftswunder. Es bestand darin, daß es ganze vierzig Jahre brauchte, um zusammenzubrechen", liest man und schmunzelt vielleicht. In der Berliner "Distel", die Ensikat seit 1999 leitet, hätte das Publikum wahrscheinlich mit Szenenapplaus reagiert, wie auch auf die Bemerkung: "Von der DDR-Mikroelektronik wußten wir doch alle: Sie war nicht kleinzukriegen." Das ist witzig, und als Profi, der seit dreißig Jahren sein Publikum bedient, scheut Ensikat auch den Kalauer nicht, wenn er etwa Botho Strauß zuruft, der sich im Märkischen ansiedelte: "Die Uckermark ist etwas ganz anderes als die D-Mark." Oder über einen Medienmächtigen sagt: "Der Riese Kirch ist im Dorf geblieben." Aufs Ganze bezogen, entsteht dann aber doch der Eindruck, daß hier einer Funken schlägt, ohne durch Neuigkeiten für Erleuchtung zu sorgen. Man geht aus diesem Buch wie aus dem Kabarett, wo man ja auch nichts Neues erfährt, sondern geradezu vorausgesetzt wird, daß jeder weiß, worüber auf der Bühne gesprochen wird.
SIEGFRIED STADLER
Peter Ensikat: "Was ich noch vergessen wollte". Karl Blessing Verlag, München 2000. 284 S., geb., 42,-DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine "stehende Rede vergangener Tage", so Siegfried Stadler, liefert die titelgebende Pointe zu den über fünfzig in diesem Buch versammelten Texten: "DDR? Kannste verjessen." Und das Vergangene sei in den Betrachtungen allgegenwärtig. Allerdings wohl nicht immer zum reinen Vergnügen des Rezensenten. Denn Kabarett-Autor Ensikat spreche, wie es eben der Vortrag im Kabarett erfordere, in kleinsten gedanklichen Einheiten: "zwei Sätze, und der Lacher muss stehen". Zuweilen kann auch unser Rezensent ein Schmunzeln nicht verkneifen, freut sich hie und da auch über kleine Sticheleien. Am Ende ist er aus diesem Buch dann doch wie aus dem Kabarett fortgegangen, "wo man ja auch nichts Neues erfährt, sondern geradezu vorausgesetzt wird, dass jeder weiß, worüber auf der Bühne gesprochen wird."
© Perlentaucher Medien GmbH
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