Wie wird es ausgehen, wenn ein Mädchen am Strand einen Illustrierten-Fragebogen zum Thema »Wenn Sie aus einem erotischen Traum erwachen...« ausfüllt und dabei von drei braungebrannten, gutgebauten jungen Männern angesprochen wird?Oder: Was passiert, wenn zweien die letzte Tram gerade davonfährt, er romantisch durch die milde Sommernacht spazieren, sie aber so schnell wie möglich nach Hause zu handfesteren Beschäftigungen will und ihre ganze verbale Verführungskraft einsetzt?Oder: Welches Herz wird die Kreatur auf Lady Frankensteins Operationstisch wählen: das zynische oder das sentimentale?Tiziano Scarpas dicht geschriebene und raffiniert gebaute Erzählungen führen immer wieder in die Irre und nehmen überraschende Wendungen, die selbst den erfahrenen Leser verblüffen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2004Zerstreut am Lagerfeuer
Kopflos unter der Gürtellinie: Tiziano Scarpa will zuviel zu schnell
Als "boccaccesco" bezeichnen Italiener Anmerkungen, die genüßlich unter die Gürtellinie zielen, manchmal allerdings nicht die Raffinesse besitzen, kunstfertig und doch genauso eindeutig die Gürtelschnalle zu beschreiben - und den Rest der Phantasie zu überlassen, wie es Boccaccio ausgiebig im "Decamerone" tat.
"Was ich von dir will" hält sich Tiziano Scarpa im Titel seines aktuellen Buches zunächst dezent zurück, um dann in zehn Erzählungen und Dialogen intimste Details aus allen Körperregionen auszuplaudern, womit der 1963 geborene Italiener dem Stil seiner bisherigen Veröffentlichungen treu bleibt. "Als ich aus dem Erziehungsheim entlassen wurde" heißt die längste und gelungenste Erzählung dieses Bandes, in der ein junger Gewalttäter sich als Küchengehilfe in einem Ferienlager bewähren soll, dort aber lieber in lustvoll-lasterhafte Phantasien abschweift und darüber die vielleicht einzig mögliche Nähe zu einer stillen Mitarbeiterin, für ihn nur "die Schabracke", versäumt. Es sinniert sich doch so viel leichter über die vielfältige Nutzung von Artischocken oder die enormen Brüste der Köchin - die somit drei Köpfe hatte, "einen auf dem Hals und zwei vorne an der Brust" -, als sich mit dem Mord, den man begangen hat, auseinanderzusetzen. Selbst beim Versuch, am Lagerfeuer sein Leben zu erzählen und damit, ganz im Sinne Boccaccios, Ordnung hineinzubringen, scheitert er kläglich.
Scarpas Helden sind geschwätzige Monaden, die Sehnsucht nach Nähe durch einen pervertierten Rededrang und abstrusen Aktionismus kompensieren. Sie alle sind vom Verlangen gezeichnet. Wie jener Perückenliebhaber, der sich am abgeschnittenen Zopf der Angebeteten zunächst ergötzt, ihn dann als Perücke verkauft, später irrtümlich auf dem Kopf einer Passantin zu erkennen glaubt und diese kurzerhand skalpiert.
Surreal und doch nicht unheimlich, dialektisch und doch nicht spannend, voller sexueller Bezüge und doch nicht erotisch, so erschöpfen sich die meisten Erzählungen in abstrusen Handlungen oder finstersten Brütereien, die dann rasch in unerfreuliche Details abgleiten. Solange die verschwurbelten Assoziationsketten als Bekenntnisse einer gequälten Seele hervorquellen, folgt man den erzählerischen Volten des Autors wenn schon nicht freudig, so doch willig. Meist jedoch bleibt es beim Gestus des Aufrührerischen, des gewollt Unergründlichen und des forciert Provokanten. Da möchte man dem Band trotz all seiner Griffe unter die Gürtellinie nicht einmal das schwungvolle Prädikat "alla boccaccesca" zuerkennen.
ELKE BIHUSCH
Tiziano Scarpa: "Was ich von dir will". Aus dem Italienischen übersetzt von Olaf Roth. Wagenbach Verlag, Berlin 2004. 156 S., br., 10,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kopflos unter der Gürtellinie: Tiziano Scarpa will zuviel zu schnell
Als "boccaccesco" bezeichnen Italiener Anmerkungen, die genüßlich unter die Gürtellinie zielen, manchmal allerdings nicht die Raffinesse besitzen, kunstfertig und doch genauso eindeutig die Gürtelschnalle zu beschreiben - und den Rest der Phantasie zu überlassen, wie es Boccaccio ausgiebig im "Decamerone" tat.
"Was ich von dir will" hält sich Tiziano Scarpa im Titel seines aktuellen Buches zunächst dezent zurück, um dann in zehn Erzählungen und Dialogen intimste Details aus allen Körperregionen auszuplaudern, womit der 1963 geborene Italiener dem Stil seiner bisherigen Veröffentlichungen treu bleibt. "Als ich aus dem Erziehungsheim entlassen wurde" heißt die längste und gelungenste Erzählung dieses Bandes, in der ein junger Gewalttäter sich als Küchengehilfe in einem Ferienlager bewähren soll, dort aber lieber in lustvoll-lasterhafte Phantasien abschweift und darüber die vielleicht einzig mögliche Nähe zu einer stillen Mitarbeiterin, für ihn nur "die Schabracke", versäumt. Es sinniert sich doch so viel leichter über die vielfältige Nutzung von Artischocken oder die enormen Brüste der Köchin - die somit drei Köpfe hatte, "einen auf dem Hals und zwei vorne an der Brust" -, als sich mit dem Mord, den man begangen hat, auseinanderzusetzen. Selbst beim Versuch, am Lagerfeuer sein Leben zu erzählen und damit, ganz im Sinne Boccaccios, Ordnung hineinzubringen, scheitert er kläglich.
Scarpas Helden sind geschwätzige Monaden, die Sehnsucht nach Nähe durch einen pervertierten Rededrang und abstrusen Aktionismus kompensieren. Sie alle sind vom Verlangen gezeichnet. Wie jener Perückenliebhaber, der sich am abgeschnittenen Zopf der Angebeteten zunächst ergötzt, ihn dann als Perücke verkauft, später irrtümlich auf dem Kopf einer Passantin zu erkennen glaubt und diese kurzerhand skalpiert.
Surreal und doch nicht unheimlich, dialektisch und doch nicht spannend, voller sexueller Bezüge und doch nicht erotisch, so erschöpfen sich die meisten Erzählungen in abstrusen Handlungen oder finstersten Brütereien, die dann rasch in unerfreuliche Details abgleiten. Solange die verschwurbelten Assoziationsketten als Bekenntnisse einer gequälten Seele hervorquellen, folgt man den erzählerischen Volten des Autors wenn schon nicht freudig, so doch willig. Meist jedoch bleibt es beim Gestus des Aufrührerischen, des gewollt Unergründlichen und des forciert Provokanten. Da möchte man dem Band trotz all seiner Griffe unter die Gürtellinie nicht einmal das schwungvolle Prädikat "alla boccaccesca" zuerkennen.
ELKE BIHUSCH
Tiziano Scarpa: "Was ich von dir will". Aus dem Italienischen übersetzt von Olaf Roth. Wagenbach Verlag, Berlin 2004. 156 S., br., 10,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gar nicht empfehlen kann Elke Bihusch Tiziano Scarpas neuen Erzählungsband "Was ich von dir will". Sie findet alles aufgesetzt und ungekonnt, geschwätzig und effekthascherisch, und auch die Figuren kommen über den Rang von Dampfplaudertaschen nicht hinaus. Was sie von dem Autor wollen soll, wird ihr nicht klar. Intime Detailbekenntnisse, die man gar nicht hören möchte - mit diesem Genre bleibt der italienische Autor sich treu, befindet die Rezensentin - aber das war's dann offensichtlich auch schon. Bihusch skizziert flüchtig eine Erzählung, die ihrer Meinung nach gelungenste; in dieser geht es um einen jungen Mann, der einen Mord begangen hat, bei der Resozialisation im Ferienlager aber lediglich von den drei Köpfen der Köchin - er findet "einen auf dem Hals und zwei vorne an der Brust" - schwärmt. Psychologisch eindringlich ist das nicht gerade, urteilt Bihusch, erotisch auch nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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