Warum Protest viel mehr kann, als wir denken - und jeder Einzelne entscheidet
Der Mensch kann brutal egoistisch sein, selbstgerecht und rücksichtslos. Dennoch: Wenn erst einmal eine kleine kritische Masse für ein größeres Ziel in Bewegung kommt, kann sie unaufhaltsam werden in ihrer Wirkmacht und revolutionäre Veränderungen schaffen. Kaum eine Errungenschaft unserer Demokratien wäre ohne kollektiven Mut denkbar gewesen. Viele der heute drängenden Kämpfe - allen voran den um unsere Lebensgrundlagen - haben die meisten jedoch nicht einmal begonnen. Politik und die eigene Einwirkung darauf scheint für zu viele Menschen zu weit entfernt. Wie lässt sich das ändern? Dafür müssen wir uns entscheidenden Fragen widmen: Was kann und will Aktivismus und Protest? Welche Mechanismen stehen dahinter? Wie organisiert sich effizientes Engagement? Wann setzen sich Menschen in Bewegung? Und wie viele müssen sich trauen, um die anderen mitzureißen? Mit Verve und Humor durchmisst Friedemann Karig Theorie und Praxis des Aufbegehrens. Er betrachtet historische wie aktuelle Protestbewegungen, deren Beispiele zeigen, dass hartnäckiger Protest und ziviler Ungehorsam Fundamentales ausrichten können. Karigs Buch verdeutlicht unsere riesige Chance, viel mehr erreichen zu können, als heute möglich scheint - auch, weil es vom vielleicht kostbarsten Gut unserer Tage erzählt: der Hoffnung.
Der Mensch kann brutal egoistisch sein, selbstgerecht und rücksichtslos. Dennoch: Wenn erst einmal eine kleine kritische Masse für ein größeres Ziel in Bewegung kommt, kann sie unaufhaltsam werden in ihrer Wirkmacht und revolutionäre Veränderungen schaffen. Kaum eine Errungenschaft unserer Demokratien wäre ohne kollektiven Mut denkbar gewesen. Viele der heute drängenden Kämpfe - allen voran den um unsere Lebensgrundlagen - haben die meisten jedoch nicht einmal begonnen. Politik und die eigene Einwirkung darauf scheint für zu viele Menschen zu weit entfernt. Wie lässt sich das ändern? Dafür müssen wir uns entscheidenden Fragen widmen: Was kann und will Aktivismus und Protest? Welche Mechanismen stehen dahinter? Wie organisiert sich effizientes Engagement? Wann setzen sich Menschen in Bewegung? Und wie viele müssen sich trauen, um die anderen mitzureißen? Mit Verve und Humor durchmisst Friedemann Karig Theorie und Praxis des Aufbegehrens. Er betrachtet historische wie aktuelle Protestbewegungen, deren Beispiele zeigen, dass hartnäckiger Protest und ziviler Ungehorsam Fundamentales ausrichten können. Karigs Buch verdeutlicht unsere riesige Chance, viel mehr erreichen zu können, als heute möglich scheint - auch, weil es vom vielleicht kostbarsten Gut unserer Tage erzählt: der Hoffnung.
Rezensent Jannis Koltermann lässt sich von Friedemann Karig erklären, wie Protest wirklich wirkt. Zumindest ist das das Anliegen des Autors. Bei Koltermann kommt aber nicht allzu viel an, denn Karigs Text ist "unstrukturiert und assoziativ" und wenig wissenschaftlich, wie der Rezensent kritisiert. Was Karig zur Massenpsychologie oder zu historischen Beispielen des Protests einfällt, vergisst Koltermann schnell wieder, weil es ohne Tiefe und These bleibt. Das Buch ist mit "heißer Nadel" gestrickt, schließt Koltermann, dem das von "kitschigem Pathos" statt von einem differenzierten Blick geprägte Verhältnis des Autors zum Protest ganz und gar nicht behagt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Jannis Koltermann lässt sich von Friedemann Karig erklären, wie Protest wirklich wirkt. Zumindest ist das das Anliegen des Autors. Bei Koltermann kommt aber nicht allzu viel an, denn Karigs Text ist "unstrukturiert und assoziativ" und wenig wissenschaftlich, wie der Rezensent kritisiert. Was Karig zur Massenpsychologie oder zu historischen Beispielen des Protests einfällt, vergisst Koltermann schnell wieder, weil es ohne Tiefe und These bleibt. Das Buch ist mit "heißer Nadel" gestrickt, schließt Koltermann, dem das von "kitschigem Pathos" statt von einem differenzierten Blick geprägte Verhältnis des Autors zum Protest ganz und gar nicht behagt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2024Tiefe Wärme
Friedemann Karig sinniert über Protest
Das Frühjahr 2024 ist kein schlechter Zeitpunkt, über die Wirksamkeit politischer Proteste nachzudenken. Während die "Klimakleber" der Letzten Generation Anfang des Jahres bekannt gaben, künftig auf Straßenblockaden verzichten zu wollen, erreichte eine Schar protestierender Landwirte die rasche Rücknahme einiger Reformbeschlüsse, ohne sich aber (bislang) zu der häufig befürchteten deutschen "Gelbwesten-Bewegung" zu entwickeln. Kurze Zeit später führten Massendemonstrationen "gegen rechts" immerhin dazu, dass die AfD zwei oder drei Prozent in den Umfragen einbüßte. Unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Methoden, unterschiedliche Ergebnisse.
Vor diesem Hintergrund möchte Friedemann Karig darüber aufklären, "wie Protest wirklich wirkt". Diesem deskriptiven Ziel steht ein normatives zur Seite: Der Autor findet Protest gut und glaubt, dass mehr Menschen protestieren würden, wenn sie nur verstünden, wie er funktioniert: "Ich werde in diesem Buch (. . .) zu erklären versuchen, warum mir eine tiefgreifende Veränderung unseres Verhältnisses zu Politik und Gesellschaft unausweichlich erscheint, wie sie vonstattengehen könnte und was sie erfordert."
Allerdings sind die Gedankengänge des Autors unstrukturiert und assoziativ. Um den protestgeneigten Leser nicht zu überfordern, werden wissenschaftliche Studien und Theorien nur kurz angerissen und sodann mit persönlichen Erfahrungen und ebenfalls knapp behandelten historischen Beispielen zu etwas vermengt, das sich zwar leicht lesen, aber auch ebenso leicht wieder vergessen lässt.
Einmal zum Beispiel referiert Karig zunächst eine von ihm selbst als umstritten bezeichnete Studie, nach der 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung ausreichten, um eine autokratische Regierung zu stürzen (leben wir aber nicht in einer Demokratie?). Es folgen unvermittelt zwei Abschnitte zur Massenpsychologie, der Autor erzählt von seiner eigenen, traurig-protestarmen Jugend, und schließlich darf Luisa Neubauer "fear of missing out" als die zentrale Triebkraft großer Demonstrationen bezeichnen, was Karig noch rasch mit einem Zitat des Soziologen Andreas Reckwitz unterfüttert, aber dann doch wieder relativiert. Wo doch einmal Thesen durchscheinen, sind sie vorhersehbar: Proteste bräuchten Gemeinschaftsgefühl, überzeugende Narrative und moralische Klarheit.
Zudem scheint Karig unempfindlich für die Ambivalenzen des Protests. Zwar erfüllt dieser eine wichtige Rolle auch in Demokratien, doch kann er institutionalisierte Verfahren wie Abstimmungen und Wahlen nicht ersetzen, denn nur durch sie erhalten Entscheidungen ihre verfassungsmäßige Legitimität. Ob wirklich ein Zustand wünschenswert ist, in dem alle Menschen einmal die Woche protestieren gehen, ist fraglich; ganz abgesehen davon, dass nicht jeder die gleichen Hochgefühle beim Besuch von Demonstrationen empfinden mag wie Karig: "Ich kann es nur als tiefe Wärme beschreiben, als innere Heizung, als tiefes Durchatmen."
An dieser Stelle hätte man auch über die Nachteile der Polarisierung und Vereinfachung sprechen müssen, die Protest zwangsläufig mit sich bringt und die auch Karig immer wieder einfordert. Dass er diese Nachteile kaum beleuchtet, liegt wohl auch daran, dass er durchgehend linken, "progressiven" Protest vor Augen hat und anderen Protest nur in einem kurzen Abschnitt als weitgehend antidemokratisch abkanzelt. Wenn er dann abschließend ein stärkeres politisches Engagement der Bürger fordert, möchte man ihm trotz des teils etwas kitschigen Pathos zustimmen; nur muss "engagieren" ja nicht "protestieren" heißen.
Dass Karigs Abhandlung mit heißer Nadel gestrickt wurde, zeigt sich auch auf formaler Ebene. Die Belege sind dürr, die Shakespeare-Anspielung des Titels erschließt sich ebenso wenig wie der Titel selbst, und der Gebrauch der Gendersprache ist manchmal merkwürdig inkonsequent - wenn "Aktivist:innen" alle Geschlechter umfassen soll, sind die "Handlanger und Nutznießer" autoritärer Regime dann ausschließlich männlich? Karigs Buch regt zu Protest an, doch nicht ausschließlich so, wie der Autor es sich wünscht. JANNIS KOLTERMANN
Friedemann Karig: "Was ihr wollt". Wie Protest wirklich wirkt.
Ullstein Verlag, Berlin 2024. 192 S., geb., 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedemann Karig sinniert über Protest
Das Frühjahr 2024 ist kein schlechter Zeitpunkt, über die Wirksamkeit politischer Proteste nachzudenken. Während die "Klimakleber" der Letzten Generation Anfang des Jahres bekannt gaben, künftig auf Straßenblockaden verzichten zu wollen, erreichte eine Schar protestierender Landwirte die rasche Rücknahme einiger Reformbeschlüsse, ohne sich aber (bislang) zu der häufig befürchteten deutschen "Gelbwesten-Bewegung" zu entwickeln. Kurze Zeit später führten Massendemonstrationen "gegen rechts" immerhin dazu, dass die AfD zwei oder drei Prozent in den Umfragen einbüßte. Unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Methoden, unterschiedliche Ergebnisse.
Vor diesem Hintergrund möchte Friedemann Karig darüber aufklären, "wie Protest wirklich wirkt". Diesem deskriptiven Ziel steht ein normatives zur Seite: Der Autor findet Protest gut und glaubt, dass mehr Menschen protestieren würden, wenn sie nur verstünden, wie er funktioniert: "Ich werde in diesem Buch (. . .) zu erklären versuchen, warum mir eine tiefgreifende Veränderung unseres Verhältnisses zu Politik und Gesellschaft unausweichlich erscheint, wie sie vonstattengehen könnte und was sie erfordert."
Allerdings sind die Gedankengänge des Autors unstrukturiert und assoziativ. Um den protestgeneigten Leser nicht zu überfordern, werden wissenschaftliche Studien und Theorien nur kurz angerissen und sodann mit persönlichen Erfahrungen und ebenfalls knapp behandelten historischen Beispielen zu etwas vermengt, das sich zwar leicht lesen, aber auch ebenso leicht wieder vergessen lässt.
Einmal zum Beispiel referiert Karig zunächst eine von ihm selbst als umstritten bezeichnete Studie, nach der 3,5 Prozent der Gesamtbevölkerung ausreichten, um eine autokratische Regierung zu stürzen (leben wir aber nicht in einer Demokratie?). Es folgen unvermittelt zwei Abschnitte zur Massenpsychologie, der Autor erzählt von seiner eigenen, traurig-protestarmen Jugend, und schließlich darf Luisa Neubauer "fear of missing out" als die zentrale Triebkraft großer Demonstrationen bezeichnen, was Karig noch rasch mit einem Zitat des Soziologen Andreas Reckwitz unterfüttert, aber dann doch wieder relativiert. Wo doch einmal Thesen durchscheinen, sind sie vorhersehbar: Proteste bräuchten Gemeinschaftsgefühl, überzeugende Narrative und moralische Klarheit.
Zudem scheint Karig unempfindlich für die Ambivalenzen des Protests. Zwar erfüllt dieser eine wichtige Rolle auch in Demokratien, doch kann er institutionalisierte Verfahren wie Abstimmungen und Wahlen nicht ersetzen, denn nur durch sie erhalten Entscheidungen ihre verfassungsmäßige Legitimität. Ob wirklich ein Zustand wünschenswert ist, in dem alle Menschen einmal die Woche protestieren gehen, ist fraglich; ganz abgesehen davon, dass nicht jeder die gleichen Hochgefühle beim Besuch von Demonstrationen empfinden mag wie Karig: "Ich kann es nur als tiefe Wärme beschreiben, als innere Heizung, als tiefes Durchatmen."
An dieser Stelle hätte man auch über die Nachteile der Polarisierung und Vereinfachung sprechen müssen, die Protest zwangsläufig mit sich bringt und die auch Karig immer wieder einfordert. Dass er diese Nachteile kaum beleuchtet, liegt wohl auch daran, dass er durchgehend linken, "progressiven" Protest vor Augen hat und anderen Protest nur in einem kurzen Abschnitt als weitgehend antidemokratisch abkanzelt. Wenn er dann abschließend ein stärkeres politisches Engagement der Bürger fordert, möchte man ihm trotz des teils etwas kitschigen Pathos zustimmen; nur muss "engagieren" ja nicht "protestieren" heißen.
Dass Karigs Abhandlung mit heißer Nadel gestrickt wurde, zeigt sich auch auf formaler Ebene. Die Belege sind dürr, die Shakespeare-Anspielung des Titels erschließt sich ebenso wenig wie der Titel selbst, und der Gebrauch der Gendersprache ist manchmal merkwürdig inkonsequent - wenn "Aktivist:innen" alle Geschlechter umfassen soll, sind die "Handlanger und Nutznießer" autoritärer Regime dann ausschließlich männlich? Karigs Buch regt zu Protest an, doch nicht ausschließlich so, wie der Autor es sich wünscht. JANNIS KOLTERMANN
Friedemann Karig: "Was ihr wollt". Wie Protest wirklich wirkt.
Ullstein Verlag, Berlin 2024. 192 S., geb., 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main