Die analytische Philosophie, wie sie die angloamerikanischen Universitäten lehren, hat in den vergangenen Jahrzehnten in Kontinentaleuropa und vor allem in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewonnen. Was aber zeichnet diese philosophische Disziplin aus? Wie unterscheidet sie sich in ihrer Methode, ihrem Stil und ihrem geschichtlichen Ursprung von der nicht-analytischen Philosophie? Und was ist von der Gegenüberstellung von analytischer und kontinentaler Philosophie zu halten? Hans-Johann Glock ist ein ausgewiesener Kenner der analytischen Philosophie und lehrte viele Jahre an englischen Universitäten. In diesem fachlich fundierten, gut verständlichen und mit viel Souveränität und Scharfsinn geschriebenen Buch, geht er diesen Fragen nach.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Friedemann Bieber ist schon zufrieden, wenn der Autor bei seinem Versuch einer Charakterisierung der analytischen Philosophie Ähnlichkeiten feststellt. Dass dieser Ansatz sehr liberal ist und die Gefahr besteht, auf die Art sogar Kant zum Analytiker werden zu lassen, räumt der Rezensent ein. Ebenso die Begrenzung der Perspektive im Buch auf Denker des 20. Jahrhunderts. Dass ihm Hans-Johann Glocks Buch dennoch gefällt, liegt wohl daran, dass der Autor ein Panorama verschiedener Strömungen innerhalb der analytischen Philosophie nebst einem Abriss zu ihrer Entstehung und Entwicklung erarbeitet, während er zu definieren versucht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2015Denkerische Familienbande
Hans-Johann Glock sondiert die analytische Philosophie
"Ich bin ein analytischer Philosoph, ich denke selbständig", soll John Searle einmal gesagt haben, als ihm ein Vertreter der philosophischen Phänomenologie vorgestellt wurde. Die Gräben, die zwischen der analytischen und kontinentalen Philosophie verlaufen, sind eben tief: Viele analytische Philosophen sehen in ihren kontinentalen Kollegen Mystiker, die mehr oder weniger eloquenten Unsinn formulieren. Jene wiederum werfen Analytikern vor, das Wesentliche der Philosophie zu verfehlen. Es überrascht kaum, dass einige Fachtagungen und Journale das Beiwort "analytisch" oder "kontinental" bereits, wie zur Warnung, im Titel führen.
Dabei wirkt die Gegenüberstellung einer geographischen und einer methodischen Kennzeichnung schief. Natürlich gibt es auch auf dem Kontinent zahlreiche analytische Philosophen. Aber was genau macht dann den Gegensatz aus? Und gibt es wirklich zwei und genau zwei verschiedene Arten des Philosophierens? Diese Fragen treiben Hans-Johann Glock, Professor für Philosophie in Zürich, um. Er geht in seinem Buch, das zuerst auf Englisch erschien und nun in einer gelungenen Übersetzung vorliegt, über einen taxonomischen Versuch hinaus. Die Diskussion verschiedener Definitionsversuche formt Glock zu einem Panorama der Strömungen innerhalb der analytischen Philosophie und ihrer Bezüge zu anderen Traditionen.
Obwohl der Autor, der in Deutschland studierte und dann für die Promotion nach Oxford ging, sich selbst als analytischen Philosophen bezeichnet, übersteigt sein Projekt die Gräben der Disziplin. Glock gibt zuerst einen Abriss der Entstehung und Entwicklung der analytischen Philosophie und präsentiert eine Übersicht dessen, was heute unter dieser Bezeichnung gefasst wird. Auf Gottlob Frege, Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein gründend, gehören die logischen Positivisten um Moritz Schlick und Rudolf Carnap, die Oxforder Sprachphilosophen um Gilbert Ryle und J. L. Austin, aber auch der amerikanische Naturalist Willard Van Orman Quine, sein Schüler Donald Davidson und der Logiker Saul Kripke zum Kern der analytischen Tradition.
Dann werden alle gängigen Versuche einer Bestimmung der analytischen Philosophie durchgemustert - und keiner kann bestehen. Einige Beispiele: Die analytische Philosophie als anglo-österreichisches Phänomen - diese Auffassung ignoriere den Einfluss deutscher Philosophen, vor allem Freges. Die analytische Philosophie als Kreuzzug gegen die Metaphysik - dieser Gedanke greife zu kurz, da Quine durchaus Behauptungen darüber mache, welche Dinge eigentlich existieren. Die analytische Philosophie als ahistorische Bewegung - ein Vorurteil, setzten sich doch viele analytische Philosophen sehr wohl mit der Geschichte auseinander, nur eher problemorientiert als exegetisch. Schließlich die Idee, die analytische Philosophie zeichne sich durch die Methode der Analyse, eines Auflösens der Begriffe, aus - auch diesen Ansatz verwirft Glock, sei doch selbst Heidegger, das "Urschreckgespenst der analytischen Philosophie", einer "Seinsanalyse" nachgegangen.
Glocks eigener Versuch einer Charakterisierung der analytischen Philosophie, der nur knapp dreißig Seiten einnimmt, gründet auf Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeiten. Die Idee: So, wie wir die Mitglieder einer Familie nicht an einem bestimmten Merkmal identifizieren, sondern an übergreifenden Ähnlichkeiten, etwa in Gesichtszügen, Wuchs und Temperament, so müssen wir auch die analytische Philosophie verstehen: Statt nach einer bestimmten Gemeinsamkeit zu suchen, die alle analytischen Philosophen (oder ihre Texte) teilen, sollten wir solchen Ähnlichkeiten nachspüren.
Ein geschicktes Manöver, denn so kann Glock die zuvor verworfenen Merkmale - etwa die Abwendung von der Metaphysik, die Hinwendung zur Sprache oder die Orientierung an der Wissenschaft - rehabilitieren und kombinieren. Allerdings ist dieser Ansatz so liberal, dass plötzlich auch Immanuel Kant zu den Analytikern zählt. Glocks Lösung: Die analytische Philosophie zeichne sich zudem durch die gegenseitige Beeinflussung ihrer Vertreter aus. Indem Glock von einem Kreis paradigmatischer Denker ausgeht, begrenzt er die analytische Philosophie damit auf das zwanzigste Jahrhundert. Und seine Antwort auf die Titelfrage lautet, dass "die analytische Philosophie eine Tradition ist, die sowohl durch Verbindungen gegenseitiger Beeinflussung als auch durch Familienähnlichkeiten zusammengehalten wird". Aber ist das eine Antwort? Einerseits nein: Die Charakterisierung bleibt so schemenhaft, dass sie auf jede breitere intellektuelle Strömung zutrifft. Andererseits: Vielleicht lässt sich tatsächlich mehr einfach nicht sagen. Jedenfalls gelingt Glock eine so nuancierte Verortung der analytischen Philosophie, dass die übergreifenden Ähnlichkeiten innerhalb einer weitverzweigten Familie wie auch die Einflüsse entfernterer Verwandter markant hervortreten.
FRIEDEMANN BIEBER
Hans-Johann Glock: "Was ist analytische Philosophie?".
Aus dem Englischen von Erich Ammereller. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014. 304 S., geb., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hans-Johann Glock sondiert die analytische Philosophie
"Ich bin ein analytischer Philosoph, ich denke selbständig", soll John Searle einmal gesagt haben, als ihm ein Vertreter der philosophischen Phänomenologie vorgestellt wurde. Die Gräben, die zwischen der analytischen und kontinentalen Philosophie verlaufen, sind eben tief: Viele analytische Philosophen sehen in ihren kontinentalen Kollegen Mystiker, die mehr oder weniger eloquenten Unsinn formulieren. Jene wiederum werfen Analytikern vor, das Wesentliche der Philosophie zu verfehlen. Es überrascht kaum, dass einige Fachtagungen und Journale das Beiwort "analytisch" oder "kontinental" bereits, wie zur Warnung, im Titel führen.
Dabei wirkt die Gegenüberstellung einer geographischen und einer methodischen Kennzeichnung schief. Natürlich gibt es auch auf dem Kontinent zahlreiche analytische Philosophen. Aber was genau macht dann den Gegensatz aus? Und gibt es wirklich zwei und genau zwei verschiedene Arten des Philosophierens? Diese Fragen treiben Hans-Johann Glock, Professor für Philosophie in Zürich, um. Er geht in seinem Buch, das zuerst auf Englisch erschien und nun in einer gelungenen Übersetzung vorliegt, über einen taxonomischen Versuch hinaus. Die Diskussion verschiedener Definitionsversuche formt Glock zu einem Panorama der Strömungen innerhalb der analytischen Philosophie und ihrer Bezüge zu anderen Traditionen.
Obwohl der Autor, der in Deutschland studierte und dann für die Promotion nach Oxford ging, sich selbst als analytischen Philosophen bezeichnet, übersteigt sein Projekt die Gräben der Disziplin. Glock gibt zuerst einen Abriss der Entstehung und Entwicklung der analytischen Philosophie und präsentiert eine Übersicht dessen, was heute unter dieser Bezeichnung gefasst wird. Auf Gottlob Frege, Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein gründend, gehören die logischen Positivisten um Moritz Schlick und Rudolf Carnap, die Oxforder Sprachphilosophen um Gilbert Ryle und J. L. Austin, aber auch der amerikanische Naturalist Willard Van Orman Quine, sein Schüler Donald Davidson und der Logiker Saul Kripke zum Kern der analytischen Tradition.
Dann werden alle gängigen Versuche einer Bestimmung der analytischen Philosophie durchgemustert - und keiner kann bestehen. Einige Beispiele: Die analytische Philosophie als anglo-österreichisches Phänomen - diese Auffassung ignoriere den Einfluss deutscher Philosophen, vor allem Freges. Die analytische Philosophie als Kreuzzug gegen die Metaphysik - dieser Gedanke greife zu kurz, da Quine durchaus Behauptungen darüber mache, welche Dinge eigentlich existieren. Die analytische Philosophie als ahistorische Bewegung - ein Vorurteil, setzten sich doch viele analytische Philosophen sehr wohl mit der Geschichte auseinander, nur eher problemorientiert als exegetisch. Schließlich die Idee, die analytische Philosophie zeichne sich durch die Methode der Analyse, eines Auflösens der Begriffe, aus - auch diesen Ansatz verwirft Glock, sei doch selbst Heidegger, das "Urschreckgespenst der analytischen Philosophie", einer "Seinsanalyse" nachgegangen.
Glocks eigener Versuch einer Charakterisierung der analytischen Philosophie, der nur knapp dreißig Seiten einnimmt, gründet auf Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeiten. Die Idee: So, wie wir die Mitglieder einer Familie nicht an einem bestimmten Merkmal identifizieren, sondern an übergreifenden Ähnlichkeiten, etwa in Gesichtszügen, Wuchs und Temperament, so müssen wir auch die analytische Philosophie verstehen: Statt nach einer bestimmten Gemeinsamkeit zu suchen, die alle analytischen Philosophen (oder ihre Texte) teilen, sollten wir solchen Ähnlichkeiten nachspüren.
Ein geschicktes Manöver, denn so kann Glock die zuvor verworfenen Merkmale - etwa die Abwendung von der Metaphysik, die Hinwendung zur Sprache oder die Orientierung an der Wissenschaft - rehabilitieren und kombinieren. Allerdings ist dieser Ansatz so liberal, dass plötzlich auch Immanuel Kant zu den Analytikern zählt. Glocks Lösung: Die analytische Philosophie zeichne sich zudem durch die gegenseitige Beeinflussung ihrer Vertreter aus. Indem Glock von einem Kreis paradigmatischer Denker ausgeht, begrenzt er die analytische Philosophie damit auf das zwanzigste Jahrhundert. Und seine Antwort auf die Titelfrage lautet, dass "die analytische Philosophie eine Tradition ist, die sowohl durch Verbindungen gegenseitiger Beeinflussung als auch durch Familienähnlichkeiten zusammengehalten wird". Aber ist das eine Antwort? Einerseits nein: Die Charakterisierung bleibt so schemenhaft, dass sie auf jede breitere intellektuelle Strömung zutrifft. Andererseits: Vielleicht lässt sich tatsächlich mehr einfach nicht sagen. Jedenfalls gelingt Glock eine so nuancierte Verortung der analytischen Philosophie, dass die übergreifenden Ähnlichkeiten innerhalb einer weitverzweigten Familie wie auch die Einflüsse entfernterer Verwandter markant hervortreten.
FRIEDEMANN BIEBER
Hans-Johann Glock: "Was ist analytische Philosophie?".
Aus dem Englischen von Erich Ammereller. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2014. 304 S., geb., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Glock argmentiert, dass es kein einziges Merkmal gibt, das von allen und nur von analytischen Philosophen geteilt wird. Dennoch besteht ein komplexes Netzwerk an Gemeinsamkeiten - in Wittgensteins Worten 'Familienähnlichkeiten' -, das sie verbindet und sie von anderen philosophischen Strömungen abhebt. Jeder, der sich für analytische Philosophie interessiert, möchte dieses aufschlussreiche und elegant geschriebene Buch lesen. Zusammengefasst: Empfohnen.« D. Haugen, Choice »Dies ist ein sehr anspruchsvolles und bemerkenswert erfolgreiches Buch, das sich mit Themen auseinandersetzt, die wesentlich für das Verständnis des Charakters philosophischer Vorhaben sind. Es liefert nicht bloß eine klare und meiner Meinung nach überzeugende Antwort auf die Frage, die der Titel stellt; es liefert zusätzlich eine kurze und unkomplizierte Geschichte der analytischen Philosophie und eine fesselnde und unterhaltsame Studie der Antworten, die bisher erörtert wurden. Ein Lese-Muss: Eine hochmoderne Studie, die Experten herausfordern und informieren wird, die aber auch einen leichten Einstieg für Laien liefert.« David G. Stern, University of Iowa