Gibt es einen neuen Antisemitismus in Deutschland und Europa? Wieviel Israelkritik ist hierzulande erlaubt? Agitiert die islamistische Propaganda mit rassistischen Feindbildern gegen Juden, wie es früher die Nationalsozialisten taten? Und vor allem: Was genau ist Antisemitismus überhaupt? In der Beantwortung dieser Fragen geht Wolfgang Benz ganz und gar nicht akademisch vor, sondern analysiert konkrete Vorfälle wie etwa die Affäre Hohmann, den Streit um Jürgen Möllemann oder auch die zahlreichen Briefe, die in den letzten Jahren beim Zentralrat der Juden in Deutschland eingegangen sind. Im Vordergrund steht nicht der plumpe und offenkundige Antisemitismus, wie er etwa in Friedhofsschändungen oder Hetzparolen zum Ausdruck kommt, sondern vielmehr jene häufig anzutreffende Haltung, die jede Judenfeindschaft empört von sich weist und dabei zugleich geprägt ist von antisemitischen Stereotypen, Klischees und Geschichtsklitterungen. Abschließend erörtert Benz auf der Grundlage zahlreicher aktueller Befunde, welche Bedeutung der Antisemitismus ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust heute hat.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Auch oder vielleicht gerade in Deutschland kursierten seit einigen Jahren antisemitische Klischees mit einer neuen Unbekümmertheit, meint Rezensent Christoph Jahr. Deshalb findet er dieses Buch begrüßenswert, das der Frage nachgeht, was Antisemitismus eigentlich ist. Der Autor Wolfgang Benz, Direktor des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, unterscheide vier Formen der Judenfeindschaft: christlichen Antijudaismus, anthropologisch-biologistischen Rassenantisemitismus, "sekundären" Antisemitismus und einen linken, Israel-kritischen Antizionismus, wobei diese sich oft mischenden Formen latent, manifest oder gewalttätig auftreten können. Benz' Darlegung der Funktionsweise antisemitischer Argumentation lobt Jahr als "engagiert und anschaulich". Der Autor analysiert Briefe an den Zentralrat der Juden in Deutschland sowie Reden von Politikern, Künstlern und Intellektuellen, um die zugrundeliegenden antisemitischen Muster und Stereotypien aufzudecken. "Angenehm" findet Jahr, dass Benz dabei auf "professorale Belehrungsversuche" verzichtet. Eine gewisse Ratlosigkeit bleibt beim Rezensenten allerdings zurück, hätte er doch gern erfahren, welche praktischen Konsequenzen aus den gewonnenen Einsichten zu ziehen wären.
© Perlentaucher Medien GmbH
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