Von der Mystik der Ägypter bis zum Neo-Schamanismus - auf der Suche nach dem geheimen Wissen Kocku von Stuckrad bietet einen kompakten Überblick über die Geschichte der Esoterik von der Antike bis zur Gegenwart und geht der Frage nach, was die verschiedenen, bis heute weit verbreiteten esoterischen Anschauungen und Praktiken miteinander gemeinsam haben.
Er zeichnet das eindrucksvolle Bild einer langen, trotz aller Brüche relativ einheitlichen religiösen Tradition, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.
Er zeichnet das eindrucksvolle Bild einer langen, trotz aller Brüche relativ einheitlichen religiösen Tradition, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.08.2004Sie spürten Luft von anderen Planeten
Wo wohnt Gott: Kocku von Stuckrad begibt sich auf die esoterische Suche
Dies ist ein zuverlässiges Handbuch, in dem man nachschlagen wird, wenn man einen Gesamtüberblick über die Geschichte der Geheimwissenschaften von der Antike bis zur Gegenwart sucht. Kocku von Stuckrad stellt die Ursprünge der esoterischen Ideen dar und faßt sie in dem Gedanken zusammen, daß das Obere - der Himmel - und die menschlichen Handlungen aufeinander durch Entsprechungen bezogen sind. Das ist eine vorderorientalische Erbschaft, die schon bei Pythagoras in der Lehre von der Sphärenharmonie, bei Platon, im "Timaios", mit der Idee eines Ideen-Sternenhimmels erste rationale Ausformulierungen findet. Hinzu kommt, ebenfalls schon in der Antike, die Idee der Seele, die als unsterblich aufgefaßt wird.
Als die Denker der Renaissance die Antike wiederentdeckten, trat ihnen auch das Geheimwissen, das nie ganz verdrängt worden war, wieder entgegen. Und nun erst, mit dem frühneuzeitlichen Stolz auf die Fähigkeiten des menschlichen Geistes, trat der Magier als Typus und als Ideal verbreiteter auf. Shakespeares Prospero ist ja kein mittelalterlicher Mensch, sondern ein Zeitgenosse der Atlantiküberquerungen.
Was die Esoterik damals bot, waren aber nicht nur Macht und Wissen. Das Versprechen einer überkonfessionellen Weisheit lockte die Geister, die gegen die Kirche zu rebellieren begannen. So waren die ersten rosenkreuzerischen Schriften von einer "General-Reformation" der Welt enthusiasmiert, welche von denen ausgehen sollte, die man mit einem etwas anachronistischen Ausdruck die freischwebende Intelligenz der Frühen Neuzeit nennen könnte. Ähnliche Ideen fanden sich, mit scharfer Wendung gegen die Offenbarungsreligionen, bei Giordano Bruno. Es ist dieses Geheimnis der Geheimlehren - ihre Verbindung zur Entkonfessionalisierung, zur Aufklärung und damit zum Freimaurerwesen -, das von Stuckrad durchaus in den Blick nimmt, wenn er es auch nicht politisch anschärft. Die Verbindungen der Freimaurer und Rosenkreuzer zu den Revolutionsbewegungen des achtzehnten Jahrhunderts - personifiziert in dem Deutschen Georg Forster - und des neunzehnten, als sie die Pariser Kommune unterstützten, hätten das eine oder andere präzisierende Wort verdient.
Auch die Theosophie sah sich über den Konfessionen stehend, als Lehre einer künftigen, verbrüderten Menschheit. Interessant sind die Bemerkungen, die von Stuckrad der Dominanz der Frauen in der theosophischen Bewegung widmet. Nicht nur Helena Blavatsky wird erwähnt, sondern auch ihre Nachfolgerinnen. Oftmals waren es hochgebildete Frauen, die aus unerfüllten Ehen ausgebrochen waren und in der Theosophie dann die gebührende Anerkennung fanden - die in Indien sogar zeitweise eine politische Bedeutung bekamen, weil die Hochschätzung indischer Religion der jungen Unabhängigkeitsbewegung schmeicheln mußte. So kann man von einer feministischen Linie in der neueren Esoterik sprechen. Was die Geschichte der Theosophischen Gesellschaft prägte, war ein regelrechter Geschlechterkampf, und hier wären die Gender Studies wirklich einmal am rechten Ort.
Um nun von den schwächer beleuchteten Seiten des Buches zu sprechen, so ist zunächst der sexualmagische Aspekt mancher esoterischen Vorstellungen weitgehend ausgeblendet, der sich in der indischen Shakti-Lehre findet. Als der Kabbala-Forscher Gershom Scholem in den zwanziger Jahren Gustav Meyrink besuchte, den Autor des "Golem", der tief in esoterische Gedanken versponnen war, die er in okkulten Romanen ausbreitete, fragte der erfolgreiche Autor den jungen Gelehrten: "Wo wohnt Gott?" Scholem muß einen Moment zu lange mit der Antwort gezögert haben, die Meyrink sich dann prompt selbst gab: "Im Rückenmark." Knapper konnte man die indische Lehre von der göttlichen Kraft der "Shakti" nicht formulieren, die bei dem Meditierenden im Rückenmark aufsteigt und dabei bestimmte Knotenpunkte berührt, Chakras, somatische Orte und zugleich Erleuchtungsstufen.
Meyrink, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Alfred Kubin und der Astrologe Oskar A. H. Schmitz bildeten einen Kreis von deutschen und österreichischen Esoterikern. Man findet sie nicht, ebensowenig wie - dieser Ausfall ist gravierender - den in Deutschland immer noch zu wenig bekannten Renée Guenon, der nicht nur eine Kritik der Theosophie verfaßte, sondern auch zum philosophischen Begründer einer Gegenbewegung zum Fortschrittsglauben der anderen esoterischen Lehren wurde. Auf ihn konnte sich Julius Evola berufen, der seine Sympathien für den Faschismus (nachdem er mit dem Dadaismus gebrochen hatte) mit esoterischen Überlegungen verband. Auch Evola fehlt, wie im übrigen das ganze Kapitel einer rechten Esoterik weitgehend ausgespart bleibt, wenn man von dem vereinzelten Hinweis auf Germanenschwärmer absieht. Dabei ist gerade diese Seite gegenwärtig aktiv.
Kocku von Stuckrad hat sich aber vor allem darauf verlegt, die amerikanische Traditionslinie des "Channeling" von Geistwesen in der Nachfolge von Edgar Cayce aufzurollen. Und in der Tat hat auch sie ihre nicht ganz unpolitische Seite, wenn man sich daran erinnert, daß Hillary Clinton, als ihr Mann noch im Weißen Haus amtierte, mit Hilfe eines Mediums Geistkontakt zu Eleanor Roosevelt aufnahm.
Ein weitgehend zuverlässiges Handbuch also, vielleicht aber etwas spannungslos. Camille Paglia und Harold Bloom, die sich der neuen Esoterik, der Traum- und Engelswelt der amerikanischen Subkultur gewidmet haben, liest man lieber. Bei ihnen ist das erregte "tua res agitur" zu spüren, das bei Kocku von Stuckrad zur wissenschaftlichen Übersicht geglättet wurde.
LORENZ JÄGER.
Kocku von Stuckrad: "Was ist Esoterik? Kleine Geschichte des geheimen Wissens." Beck Verlag, München 2004. 280 S., 8 Abb., brosch., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wo wohnt Gott: Kocku von Stuckrad begibt sich auf die esoterische Suche
Dies ist ein zuverlässiges Handbuch, in dem man nachschlagen wird, wenn man einen Gesamtüberblick über die Geschichte der Geheimwissenschaften von der Antike bis zur Gegenwart sucht. Kocku von Stuckrad stellt die Ursprünge der esoterischen Ideen dar und faßt sie in dem Gedanken zusammen, daß das Obere - der Himmel - und die menschlichen Handlungen aufeinander durch Entsprechungen bezogen sind. Das ist eine vorderorientalische Erbschaft, die schon bei Pythagoras in der Lehre von der Sphärenharmonie, bei Platon, im "Timaios", mit der Idee eines Ideen-Sternenhimmels erste rationale Ausformulierungen findet. Hinzu kommt, ebenfalls schon in der Antike, die Idee der Seele, die als unsterblich aufgefaßt wird.
Als die Denker der Renaissance die Antike wiederentdeckten, trat ihnen auch das Geheimwissen, das nie ganz verdrängt worden war, wieder entgegen. Und nun erst, mit dem frühneuzeitlichen Stolz auf die Fähigkeiten des menschlichen Geistes, trat der Magier als Typus und als Ideal verbreiteter auf. Shakespeares Prospero ist ja kein mittelalterlicher Mensch, sondern ein Zeitgenosse der Atlantiküberquerungen.
Was die Esoterik damals bot, waren aber nicht nur Macht und Wissen. Das Versprechen einer überkonfessionellen Weisheit lockte die Geister, die gegen die Kirche zu rebellieren begannen. So waren die ersten rosenkreuzerischen Schriften von einer "General-Reformation" der Welt enthusiasmiert, welche von denen ausgehen sollte, die man mit einem etwas anachronistischen Ausdruck die freischwebende Intelligenz der Frühen Neuzeit nennen könnte. Ähnliche Ideen fanden sich, mit scharfer Wendung gegen die Offenbarungsreligionen, bei Giordano Bruno. Es ist dieses Geheimnis der Geheimlehren - ihre Verbindung zur Entkonfessionalisierung, zur Aufklärung und damit zum Freimaurerwesen -, das von Stuckrad durchaus in den Blick nimmt, wenn er es auch nicht politisch anschärft. Die Verbindungen der Freimaurer und Rosenkreuzer zu den Revolutionsbewegungen des achtzehnten Jahrhunderts - personifiziert in dem Deutschen Georg Forster - und des neunzehnten, als sie die Pariser Kommune unterstützten, hätten das eine oder andere präzisierende Wort verdient.
Auch die Theosophie sah sich über den Konfessionen stehend, als Lehre einer künftigen, verbrüderten Menschheit. Interessant sind die Bemerkungen, die von Stuckrad der Dominanz der Frauen in der theosophischen Bewegung widmet. Nicht nur Helena Blavatsky wird erwähnt, sondern auch ihre Nachfolgerinnen. Oftmals waren es hochgebildete Frauen, die aus unerfüllten Ehen ausgebrochen waren und in der Theosophie dann die gebührende Anerkennung fanden - die in Indien sogar zeitweise eine politische Bedeutung bekamen, weil die Hochschätzung indischer Religion der jungen Unabhängigkeitsbewegung schmeicheln mußte. So kann man von einer feministischen Linie in der neueren Esoterik sprechen. Was die Geschichte der Theosophischen Gesellschaft prägte, war ein regelrechter Geschlechterkampf, und hier wären die Gender Studies wirklich einmal am rechten Ort.
Um nun von den schwächer beleuchteten Seiten des Buches zu sprechen, so ist zunächst der sexualmagische Aspekt mancher esoterischen Vorstellungen weitgehend ausgeblendet, der sich in der indischen Shakti-Lehre findet. Als der Kabbala-Forscher Gershom Scholem in den zwanziger Jahren Gustav Meyrink besuchte, den Autor des "Golem", der tief in esoterische Gedanken versponnen war, die er in okkulten Romanen ausbreitete, fragte der erfolgreiche Autor den jungen Gelehrten: "Wo wohnt Gott?" Scholem muß einen Moment zu lange mit der Antwort gezögert haben, die Meyrink sich dann prompt selbst gab: "Im Rückenmark." Knapper konnte man die indische Lehre von der göttlichen Kraft der "Shakti" nicht formulieren, die bei dem Meditierenden im Rückenmark aufsteigt und dabei bestimmte Knotenpunkte berührt, Chakras, somatische Orte und zugleich Erleuchtungsstufen.
Meyrink, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Alfred Kubin und der Astrologe Oskar A. H. Schmitz bildeten einen Kreis von deutschen und österreichischen Esoterikern. Man findet sie nicht, ebensowenig wie - dieser Ausfall ist gravierender - den in Deutschland immer noch zu wenig bekannten Renée Guenon, der nicht nur eine Kritik der Theosophie verfaßte, sondern auch zum philosophischen Begründer einer Gegenbewegung zum Fortschrittsglauben der anderen esoterischen Lehren wurde. Auf ihn konnte sich Julius Evola berufen, der seine Sympathien für den Faschismus (nachdem er mit dem Dadaismus gebrochen hatte) mit esoterischen Überlegungen verband. Auch Evola fehlt, wie im übrigen das ganze Kapitel einer rechten Esoterik weitgehend ausgespart bleibt, wenn man von dem vereinzelten Hinweis auf Germanenschwärmer absieht. Dabei ist gerade diese Seite gegenwärtig aktiv.
Kocku von Stuckrad hat sich aber vor allem darauf verlegt, die amerikanische Traditionslinie des "Channeling" von Geistwesen in der Nachfolge von Edgar Cayce aufzurollen. Und in der Tat hat auch sie ihre nicht ganz unpolitische Seite, wenn man sich daran erinnert, daß Hillary Clinton, als ihr Mann noch im Weißen Haus amtierte, mit Hilfe eines Mediums Geistkontakt zu Eleanor Roosevelt aufnahm.
Ein weitgehend zuverlässiges Handbuch also, vielleicht aber etwas spannungslos. Camille Paglia und Harold Bloom, die sich der neuen Esoterik, der Traum- und Engelswelt der amerikanischen Subkultur gewidmet haben, liest man lieber. Bei ihnen ist das erregte "tua res agitur" zu spüren, das bei Kocku von Stuckrad zur wissenschaftlichen Übersicht geglättet wurde.
LORENZ JÄGER.
Kocku von Stuckrad: "Was ist Esoterik? Kleine Geschichte des geheimen Wissens." Beck Verlag, München 2004. 280 S., 8 Abb., brosch., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Ein weitgehend zuverlässiges Handbuch" über die Geschichte der Geheimwissenschaften von der Antike bis zur Gegenwart hat Lorenz Jäger in Kocku von Stuckrads "Was ist Esoterik?" gefunden - mehr aber auch nicht. Vor allem vermisst der Rezensent - gerade, wenn es um das Freimaurerwesen geht - politische Anschärfung. Auch den "sexualmagischen Aspekt mancher esoterischen Vorstellungen" sucht er vergebens, ebenso wie Persönlichkeiten wie Gustav Meyrink, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Alfred Kubin, Rene Guenon oder Julius Evola - und mit Letzterem wird auch die ganze rechte Esoterik ausgespart. Lobenswert hingegen findet Jäger, dass von Stuckrad sich der Rolle der Frauen in der theosophischen Bewegung widmet. Fazit: "Vielleicht etwas spannungslos".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH