Fröhliches Lachen bejaht, bitteres Lachen beweint. Das eine sagt ja, das andere nein. Wittgenstein drückte es so aus: Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen. Das gilt auch für ihr Lachen. Ágnes Heller denkt als Erste aus philosophischer Sicht darüber nach, was komisch ist und warum. Als Schauplätze wählt sie Film, Theater, Roman oder Witz - und das Leben selbst. Sie lässt verschiedene Theorien des Komischen Revue passieren und schildert moderne Denkansätze: systematische, psychologische und existenzielle.Und sie kommt zu dem Schluss, dass es letztlich immer der Abgrund zwischen unseren persönlichen Anlagen und unserer Gesellschaft ist, der uns zum Lachen bringt. Lachen und Weinen sind die elementaren Antworten auf das Dasein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.2018Zu rechtfertigen ist die Welt nur in der Komödie
Philosophische Vermessungen: Ágnes Heller blickt zurück auf ihren intellektuellen Weg und denkt über die Macht des Komischen nach
Eine schlüssige Antwort auf die Frage zu finden, wie Menschen im zwanzigsten Jahrhundert das haben tun können, was sie angerichtet haben, sei das Hauptanliegen ihres Philosophierens. Zwar hätten sich ihre Antworten während der sechzig Jahre ihres Vor- und Nachdenkens fortwährend verändert, manchmal sogar radikal - ihre Leidenschaft für Ethik und Geschichte sei aber stets gleich stark geblieben.
Diese Sätze stehen am Beginn von Ágnes Hellers "Kurzen Geschichte meiner Philosophie", die die Autorin keinesfalls als eine Autobiographie, sondern als eine Art Selbst-Reportage über einen Denkweg verstanden wissen möchte. In der Tat ist von Hellers persönlichem Leben - dem Überleben des Holocausts, von Freundschaften und Zerwürfnissen, Erfolgen und Enttäuschungen - in dem Buch so gut wie niemals die Rede.
Ágnes Heller gehört zu den vielleicht letzten großen Repräsentantinnen eines im besten Sinne "alteuropäischen" Denkens, vergleichbar mit Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir. Ihr Buch ist die nüchterne, oft selbstkritische Vermessung eines Denkraums, genauer: einer weitläufigen Denkwohnung, die mit Systemen und Ideologien, mit allerlei Diskursen und Geschichtsphilosophien möbliert ist. Heller, so scheint es, vermag sich in allen diesen Zimmern gleichzeitig aufzuhalten. So springt sie spielerisch von einem Thema zum anderen. Innerhalb weniger Seiten geht es von Platon zu Kant, weiter zu Hegel und Marx, und langt dann häufig bei Heidegger an, den für sie zentralen Vordenker des in die Welt geworfenen Daseins.
Doch zumeist berichtet Heller über die Entwicklung ihres Denkens chronologisch, beginnend mit ihren "Lehrjahren" (1950-1964) im Geiste des Marxismus stalinistischer Prägung, den ersten Gehversuchen vorbei an dessen dogmatischen Denkverboten, der Prägung durch den Lehrer Georg Lukács, der Entdeckung Kants als den für sie "wichtigsten" Moralphilosophen. Der Beitritt zur "Budapester Schule" markiert den Beginn ihrer "Dialogjahre" (1965-1980). Sie wendet sich vom Marxismus ab, treibt im Geiste Jacob Burckhardts und Michail Bachtins Studien zur Renaissance, entdeckt Kierkegaard und vor allem Heidegger. Dessen Formel von der "Geworfenheit des Daseins" wird zur Leitkategorie, die wie ein roter Faden ihre zahlreichen Bücher zur Geschichte und Ethik des Alltagslebens und des Schicksals des menschlichen Leibes durchzieht.
Studien und Arbeiten zu einer Ethik und Ästhetik des Daseins in seiner lebensweltlichen Alltäglichkeit prägen eine weitere Phase ihres Denkens. Sie folgt 1980 einem Ruf an die La Trobe University im australischen Melbourne und experimentiert, wenn auch nach eigenem Bekunden nicht immer erfolgreich, mit der Idee des "guten Menschen" als regulativer Idee für eine "Ethik der Persönlichkeit". Deren Imperativ besteht darin, den "existenzialen Hiatus" zwischen dem "genetischen" Apriori" (der Geworfenheit in die Welt) und dem "sozialen" (der Teilhabe an der Lebenswelt) durch konstante Arbeit an sich selbst und der Kultur abzumildern.
Im letzten Abschnitt des Buches ("Wanderjahre", ab 1995) führt Heller den Leser an die New Yorker New School, wo sie als Nachfolgerin von Hannah Arendt mit Foucault die Leiblichkeit und die an sie geknüpften Diskurse der Macht als das verborgene Agens der Moderne entdeckt. Hinzu kommen Studien zu Themen der Bibel und eine intensive Beschäftigung mit der Ästhetik, vor allem den Spielarten des Komischen in Kunst und Literatur, aus der die großangelegte Studie "Was ist komisch?" hervorgegangen ist.
Heller selbst bewertet dieses Buch als ihr gelungenstes. Es bietet dem Leser in der Tat einen guten Zugang, um die undogmatische Art, thematische Vielfalt und methodische Heterodoxie ihres Denkens kennenzulernen. Die hin und wieder irritierende Sprunghaftigkeit der Autorin in der "Kurzen Geschichte" erweist sich bei der Untersuchung des Komischen als eine ihrer größten Stärken.
In der theoretisch anspruchsvollen philosophischen Einleitung formuliert Heller als ihre Grundthese, dass das "Tragische" fokussiere und vereinheitliche (und deshalb von der abendländischen Philosophie geschätzt werde), während das Komische ein "unbestimmbares Wesen" besitze (und daher vernachlässigt worden sei). Das Tragische vereinsame, das Komische stifte dagegen Geselligkeit als Ausdruck von Gemeinschaftlichkeit. Und das Komische ist, so Heller, diejenige Kunstform, die das Leben rechtfertigt, weil sie, trotz ihrer manchmal grausamen Schonungslosigkeit, doch den Vorschein einer besseren Welt aufblitzen lässt, den die Ästhetik der Negativität so nachdrücklich verweigere.
In den folgenden Kapiteln geht Heller die Sparten des Komischen im Einzelnen durch: vom antiken derben Volksstück bis zum "existenzialen" (Heidegger!) Theater des Absurden; der Untersuchung des Witzes folgt das Komische in Bildkunst und Kino. Zur Sprache kommen dabei die zu erwartenden Referenzautoren - von Aristophanes und Plautus über Shakespeare, Cervantes, Molière bis hin zu Beckett und Ionesco; die Maler grotesker oder derber Szenen von Bosch und Brueghel bis Hogarth und Daumier; die tragikomischen Filmgestalten Chaplin und Keaton, und nicht zuletzt eine Sammlung jüdischer Schtetl-Witze.
Obwohl Heller immer wieder betont, dass sie keine Geschichte des Komischen, sondern eine "philosophische Phänomenologie des Komischen im Allgemeinen" schreiben wolle, darf ihr Buch fast als eine Enzyklopädie des Genres (zumindest im Westen) und zugleich als eine Summa ihres philosophischen Lebenswerks gelten. Die stupende Belesenheit der Autorin und die äußerst gedrängte Darstellung des Materials, zusammen mit ihrer zuweilen recht akademischen Neigung zu akribischer Typologisierung, Rubrizierung und Klassifizierung des Komischen, machen allerdings die Lektüre hin und wieder zu einem mühseligen Unterfangen, und manche wortreiche Erklärung erscheint überflüssig - was wiederum den Ernst ihrer Darstellung zuweilen selbst ins Komische kippen lässt.
Ob dies in der Absicht der Autorin liegt, möge der Leser selbst entscheiden. Dafür spricht zumindest, dass sie ihr Buch mit einem beliebten Stilmittel des Genres beschließt: einer Parabase. Dabei lässt sie sich einmal kurz in ihre philosophischen Karten gucken. Das Komische, so wenig systematisierbar es sei, gewinne seine Bedeutung für das menschliche Leben durch das "Lachen-Machen": Das "hohe" Komische bringe (potenziell) alle Menschen zum Lachen, das "niedere" hingegen nur gewisse Gruppen. In seiner "existenzialen" Funktion aber sei jede Art des Lachens "gleichursprünglich": Wir lachen über den Tod, über die Endlichkeit der Dinge in der Welt, über die Faktizität unseres "Da-seins". Heller: "Solange wir sterblich bleiben, wird die Komödie unsterblich sein." - Vorhang.
MATTHIAS KROSS
Ágnes Heller: "Eine kurze Geschichte meiner Philosophie".
Edition Konturen, Wien 2017. 238 S., geb., 28,80 [Euro].
Ágnes Heller: " Was ist komisch?" Kunst, Literatur, Leben und die unsterbliche Komödie.
Edition Konturen, Wien 2018. 263 S., geb., 29,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Philosophische Vermessungen: Ágnes Heller blickt zurück auf ihren intellektuellen Weg und denkt über die Macht des Komischen nach
Eine schlüssige Antwort auf die Frage zu finden, wie Menschen im zwanzigsten Jahrhundert das haben tun können, was sie angerichtet haben, sei das Hauptanliegen ihres Philosophierens. Zwar hätten sich ihre Antworten während der sechzig Jahre ihres Vor- und Nachdenkens fortwährend verändert, manchmal sogar radikal - ihre Leidenschaft für Ethik und Geschichte sei aber stets gleich stark geblieben.
Diese Sätze stehen am Beginn von Ágnes Hellers "Kurzen Geschichte meiner Philosophie", die die Autorin keinesfalls als eine Autobiographie, sondern als eine Art Selbst-Reportage über einen Denkweg verstanden wissen möchte. In der Tat ist von Hellers persönlichem Leben - dem Überleben des Holocausts, von Freundschaften und Zerwürfnissen, Erfolgen und Enttäuschungen - in dem Buch so gut wie niemals die Rede.
Ágnes Heller gehört zu den vielleicht letzten großen Repräsentantinnen eines im besten Sinne "alteuropäischen" Denkens, vergleichbar mit Hannah Arendt oder Simone de Beauvoir. Ihr Buch ist die nüchterne, oft selbstkritische Vermessung eines Denkraums, genauer: einer weitläufigen Denkwohnung, die mit Systemen und Ideologien, mit allerlei Diskursen und Geschichtsphilosophien möbliert ist. Heller, so scheint es, vermag sich in allen diesen Zimmern gleichzeitig aufzuhalten. So springt sie spielerisch von einem Thema zum anderen. Innerhalb weniger Seiten geht es von Platon zu Kant, weiter zu Hegel und Marx, und langt dann häufig bei Heidegger an, den für sie zentralen Vordenker des in die Welt geworfenen Daseins.
Doch zumeist berichtet Heller über die Entwicklung ihres Denkens chronologisch, beginnend mit ihren "Lehrjahren" (1950-1964) im Geiste des Marxismus stalinistischer Prägung, den ersten Gehversuchen vorbei an dessen dogmatischen Denkverboten, der Prägung durch den Lehrer Georg Lukács, der Entdeckung Kants als den für sie "wichtigsten" Moralphilosophen. Der Beitritt zur "Budapester Schule" markiert den Beginn ihrer "Dialogjahre" (1965-1980). Sie wendet sich vom Marxismus ab, treibt im Geiste Jacob Burckhardts und Michail Bachtins Studien zur Renaissance, entdeckt Kierkegaard und vor allem Heidegger. Dessen Formel von der "Geworfenheit des Daseins" wird zur Leitkategorie, die wie ein roter Faden ihre zahlreichen Bücher zur Geschichte und Ethik des Alltagslebens und des Schicksals des menschlichen Leibes durchzieht.
Studien und Arbeiten zu einer Ethik und Ästhetik des Daseins in seiner lebensweltlichen Alltäglichkeit prägen eine weitere Phase ihres Denkens. Sie folgt 1980 einem Ruf an die La Trobe University im australischen Melbourne und experimentiert, wenn auch nach eigenem Bekunden nicht immer erfolgreich, mit der Idee des "guten Menschen" als regulativer Idee für eine "Ethik der Persönlichkeit". Deren Imperativ besteht darin, den "existenzialen Hiatus" zwischen dem "genetischen" Apriori" (der Geworfenheit in die Welt) und dem "sozialen" (der Teilhabe an der Lebenswelt) durch konstante Arbeit an sich selbst und der Kultur abzumildern.
Im letzten Abschnitt des Buches ("Wanderjahre", ab 1995) führt Heller den Leser an die New Yorker New School, wo sie als Nachfolgerin von Hannah Arendt mit Foucault die Leiblichkeit und die an sie geknüpften Diskurse der Macht als das verborgene Agens der Moderne entdeckt. Hinzu kommen Studien zu Themen der Bibel und eine intensive Beschäftigung mit der Ästhetik, vor allem den Spielarten des Komischen in Kunst und Literatur, aus der die großangelegte Studie "Was ist komisch?" hervorgegangen ist.
Heller selbst bewertet dieses Buch als ihr gelungenstes. Es bietet dem Leser in der Tat einen guten Zugang, um die undogmatische Art, thematische Vielfalt und methodische Heterodoxie ihres Denkens kennenzulernen. Die hin und wieder irritierende Sprunghaftigkeit der Autorin in der "Kurzen Geschichte" erweist sich bei der Untersuchung des Komischen als eine ihrer größten Stärken.
In der theoretisch anspruchsvollen philosophischen Einleitung formuliert Heller als ihre Grundthese, dass das "Tragische" fokussiere und vereinheitliche (und deshalb von der abendländischen Philosophie geschätzt werde), während das Komische ein "unbestimmbares Wesen" besitze (und daher vernachlässigt worden sei). Das Tragische vereinsame, das Komische stifte dagegen Geselligkeit als Ausdruck von Gemeinschaftlichkeit. Und das Komische ist, so Heller, diejenige Kunstform, die das Leben rechtfertigt, weil sie, trotz ihrer manchmal grausamen Schonungslosigkeit, doch den Vorschein einer besseren Welt aufblitzen lässt, den die Ästhetik der Negativität so nachdrücklich verweigere.
In den folgenden Kapiteln geht Heller die Sparten des Komischen im Einzelnen durch: vom antiken derben Volksstück bis zum "existenzialen" (Heidegger!) Theater des Absurden; der Untersuchung des Witzes folgt das Komische in Bildkunst und Kino. Zur Sprache kommen dabei die zu erwartenden Referenzautoren - von Aristophanes und Plautus über Shakespeare, Cervantes, Molière bis hin zu Beckett und Ionesco; die Maler grotesker oder derber Szenen von Bosch und Brueghel bis Hogarth und Daumier; die tragikomischen Filmgestalten Chaplin und Keaton, und nicht zuletzt eine Sammlung jüdischer Schtetl-Witze.
Obwohl Heller immer wieder betont, dass sie keine Geschichte des Komischen, sondern eine "philosophische Phänomenologie des Komischen im Allgemeinen" schreiben wolle, darf ihr Buch fast als eine Enzyklopädie des Genres (zumindest im Westen) und zugleich als eine Summa ihres philosophischen Lebenswerks gelten. Die stupende Belesenheit der Autorin und die äußerst gedrängte Darstellung des Materials, zusammen mit ihrer zuweilen recht akademischen Neigung zu akribischer Typologisierung, Rubrizierung und Klassifizierung des Komischen, machen allerdings die Lektüre hin und wieder zu einem mühseligen Unterfangen, und manche wortreiche Erklärung erscheint überflüssig - was wiederum den Ernst ihrer Darstellung zuweilen selbst ins Komische kippen lässt.
Ob dies in der Absicht der Autorin liegt, möge der Leser selbst entscheiden. Dafür spricht zumindest, dass sie ihr Buch mit einem beliebten Stilmittel des Genres beschließt: einer Parabase. Dabei lässt sie sich einmal kurz in ihre philosophischen Karten gucken. Das Komische, so wenig systematisierbar es sei, gewinne seine Bedeutung für das menschliche Leben durch das "Lachen-Machen": Das "hohe" Komische bringe (potenziell) alle Menschen zum Lachen, das "niedere" hingegen nur gewisse Gruppen. In seiner "existenzialen" Funktion aber sei jede Art des Lachens "gleichursprünglich": Wir lachen über den Tod, über die Endlichkeit der Dinge in der Welt, über die Faktizität unseres "Da-seins". Heller: "Solange wir sterblich bleiben, wird die Komödie unsterblich sein." - Vorhang.
MATTHIAS KROSS
Ágnes Heller: "Eine kurze Geschichte meiner Philosophie".
Edition Konturen, Wien 2017. 238 S., geb., 28,80 [Euro].
Ágnes Heller: " Was ist komisch?" Kunst, Literatur, Leben und die unsterbliche Komödie.
Edition Konturen, Wien 2018. 263 S., geb., 29,80 [Euro].
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