Sommer 2009, das erste Klassentreffen seit 18 Jahren. Man redet über den Job, die Kinder und über die Schulzeit. Damals hofften alle, dass irgendwann einmal der dicke Kanzler abgewählt werden würde, sie waren Linke. Versammelt haben sich Lehrer, Altenpfleger, Juristen, Mediziner und ein Journalist - unser Autor. "Links" sind alle irgendwie immer noch, was das aber heute sein soll, weiß keiner mehr so recht. Also wird der Journalist beauftragt, Genaueres herauszufinden. Mehr als ein Jahr hat Christoph Ruf an der Basis von SPD, Grünen und Linkspartei verbracht und diejenigen begleitet, die so wenig Interviews geben, dass sie sich noch eigene Gedanken leisten können. Bei der SPD, bei den Grünen und bei der Linkspartei hat er junge Menschen mit neuen Ideen getroffen - und ältere, deren Klugheit plötzlich wieder gefragt war. So entsteht eine dichte Beschreibung des linken politischen Milieus, seiner Menschen, Ideen und Perspektiven. Im Schatten der Kameras sprießen die ersten Triebe einer rot-rot-grünen Reformkoalition, in der zusammenwächst, was zusammengehört. Denn auf die Probleme des 21. Jahrhunderts kann nur die geeinte Linke eine politische Antwort geben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.2011Ausstieg in Fahrtrichtung links
An der Basis von SPD, Grünen und Linkspartei: Christoph Ruf spiegelt die große Politik in kleinen Milieustudien
Vor ein paar Wochen machte sich Unmut unter den Grünen in Sachsen-Anhalt breit. Die Landtagswahl sicherte ihnen zwar den Einzug ins Landesparlament, aber sie störten sich dort an den ihnen zugedachten Sitzplätzen: "Ganz rechts ist nicht der Platz der Grünen", sagte ihre Fraktionschefin, Claudia Dalbert. Die Begriffe "links" und "rechts" sollen auf die französische Abgeordnetenkammer von 1814 zurückgehen: Links vom Präsidenten saßen die Bürger, rechts von ihm der Adel. Im Berliner Bundestag sitzen die Grünen in der Mitte. Die Sitzordnung dort orientiere sich am Muster der französischen Volksversammlung, ist auf der Internetseite des Bundestags zu lesen. Gleich danach folgt der Hinweis, dass man die Parteien damit inhaltlich aber nicht festlegen wolle. Selbst wenn man wollte, müsste man erst einmal wissen, was "links" und "rechts" heute überhaupt heißt.
Christoph Ruf will zumindest den linken Teil dieser Frage beantworten. In seinem aktuellen Buch "Was ist links?" nähert er sich der Thematik aus der Sicht des Reporters. Die Recherchen für sein Buch führen ihn quer durchs Land, er besucht etwa SPD-Mitglieder in Sachsen, die sozialdemokratischen Oberbürgermeister von Gera und Nürnberg, Bewohner des grün geprägten Freiburger Quartier Vauban und Wahlkampfveranstaltungen der Linken in Köln. Was Ruf interessiert, sind ihre Ideen und die Gründe für ihr politisches Engagement.
Seine Gesprächspartner sind Mitglieder von SPD, Grünen oder der Linkspartei - und nicht etwa der Deutschen Kommunistischen Partei oder der Antifa. Grund ist, dass diese drei Parteien im Parlament vertreten sind, als links gelten und Ruf - der früher einmal für kurze Zeit bei den Grünen aktiv war - einen Politikwechsel herbeisehnt. Der schwarz-gelben Regierung unter Angela Merkel wirft er vor, Wirtschaftswachstum ernster zu nehmen als Klimawandel, die biologische Landwirtschaft schmählich zu behandeln und einen "nicht besonders christlichen Geist" zu verbreiten, wie er beispielsweise im Sparpaket stecke. Ruf will wissen, ob sich die deutsche Linke mit "Themen befasst, die unseren Alltag noch in 20, 30 Jahren bestimmen werden".
Er sucht Gesprächspartner jenseits der Parteispitze, die man tagtäglich in den Nachrichten sieht - je weniger sie in den Medien präsent sind, so nimmt Ruf an, desto frischer ist ihre Sicht auf die Dinge. Katja Kipping etwa berichtet ihm von ihrem Kampf in der Linken für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Eva Brackelmann trat der Bürgerbeteiligung und der Emanzipation wegen der SPD bei, Nils Schmid setzt sich dort für kostenfreie Kindergärten und die Abschaffung der Studiengebühren ein, Michael Halmbrecht wechselte wegen Sarrazin zu den Grünen. Wieder und wieder kommt die Sprache auf die Hartz-Regelungen, die Rot-Grün unter Schröder beschloss und die seitdem umstritten sind. "Es gärt an der Basis - bei allen drei Parteien" ist eine von Rufs Schlussfolgerungen.
Das ist fast schon ein Grund, sich zusammenzutun. Gerade für die Jüngeren sei Rot-Rot-Grün "die zwangsläufige Koalition", resümiert Ruf. Er berichtet von Gremien, die einer geeinten Linken den Weg bereiten. Was sie zu Linken macht und als solche verbinden soll, sind die gängigen Platituden: "Gesellschaftliche Liberalität, soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität". Die Erkenntnisse darüber, wie eine gemeinsame politische Agenda aussehen könnte, bleiben fragmentarisch: Ruf nennt den Atomausstieg, Mindeststundenlöhne von acht Euro und einen flinken Abzug aus Afghanistan.
Mit humorvollen Kommentaren distanziert er sich zwar von manchen inhaltlichen Auswüchsen linker Ideologie (zum Beispiel von jenen "Irrlichtern", die Gerichte für entbehrlich halten), und er spielt mit den Klischees von Linken ("Ich habe noch nie verstanden, warum man sich als Linker schlecht ernähren muss"). Aber Ruf scheint so entflammt von der Idee einer geeinten Linken, dass er zur Schwarzweißmalerei neigt. Unterschiede zwischen den linken Parteien versucht er wegzureden, von der programmatischen Annäherung der beiden großen Volksparteien SPD und CDU will er auch nichts wissen - obwohl sie ja überhaupt erst die Frage aufwirft, was unter "links" zu verstehen ist. Und es bleibt die Diskrepanz bestehen zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Nur ein Beispiel, das sogar in Rufs Buch vorkommt, ist die Koalition in Thüringen: Christoph Matschie, SPD, ließ sich nach den Wahlen 2009 schließlich doch lieber auf die Union ein - statt auf die Linke.
Rufs Buch ist hochaktuell, er beendet seine Recherchen zwar vor Fukushima, aber noch während des Wahlkampfs in Baden-Württemberg. Das Wahlergebnis scheint ihm dann doch ein bisschen recht zu geben. Vor allem, dass Kretschmann bei dem rot-grünen Bündnis von einer "Liebesheirat" sprach - wenn auch der Zusatz "mit getrennten Betten" nicht lange auf sich warten ließ.
JULIA LAUER.
Christoph Ruf: "Was ist links?" Reportagen aus einem politischen Milieu.
Verlag C.H. Beck, München 2011. 253 S., br., 12,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
An der Basis von SPD, Grünen und Linkspartei: Christoph Ruf spiegelt die große Politik in kleinen Milieustudien
Vor ein paar Wochen machte sich Unmut unter den Grünen in Sachsen-Anhalt breit. Die Landtagswahl sicherte ihnen zwar den Einzug ins Landesparlament, aber sie störten sich dort an den ihnen zugedachten Sitzplätzen: "Ganz rechts ist nicht der Platz der Grünen", sagte ihre Fraktionschefin, Claudia Dalbert. Die Begriffe "links" und "rechts" sollen auf die französische Abgeordnetenkammer von 1814 zurückgehen: Links vom Präsidenten saßen die Bürger, rechts von ihm der Adel. Im Berliner Bundestag sitzen die Grünen in der Mitte. Die Sitzordnung dort orientiere sich am Muster der französischen Volksversammlung, ist auf der Internetseite des Bundestags zu lesen. Gleich danach folgt der Hinweis, dass man die Parteien damit inhaltlich aber nicht festlegen wolle. Selbst wenn man wollte, müsste man erst einmal wissen, was "links" und "rechts" heute überhaupt heißt.
Christoph Ruf will zumindest den linken Teil dieser Frage beantworten. In seinem aktuellen Buch "Was ist links?" nähert er sich der Thematik aus der Sicht des Reporters. Die Recherchen für sein Buch führen ihn quer durchs Land, er besucht etwa SPD-Mitglieder in Sachsen, die sozialdemokratischen Oberbürgermeister von Gera und Nürnberg, Bewohner des grün geprägten Freiburger Quartier Vauban und Wahlkampfveranstaltungen der Linken in Köln. Was Ruf interessiert, sind ihre Ideen und die Gründe für ihr politisches Engagement.
Seine Gesprächspartner sind Mitglieder von SPD, Grünen oder der Linkspartei - und nicht etwa der Deutschen Kommunistischen Partei oder der Antifa. Grund ist, dass diese drei Parteien im Parlament vertreten sind, als links gelten und Ruf - der früher einmal für kurze Zeit bei den Grünen aktiv war - einen Politikwechsel herbeisehnt. Der schwarz-gelben Regierung unter Angela Merkel wirft er vor, Wirtschaftswachstum ernster zu nehmen als Klimawandel, die biologische Landwirtschaft schmählich zu behandeln und einen "nicht besonders christlichen Geist" zu verbreiten, wie er beispielsweise im Sparpaket stecke. Ruf will wissen, ob sich die deutsche Linke mit "Themen befasst, die unseren Alltag noch in 20, 30 Jahren bestimmen werden".
Er sucht Gesprächspartner jenseits der Parteispitze, die man tagtäglich in den Nachrichten sieht - je weniger sie in den Medien präsent sind, so nimmt Ruf an, desto frischer ist ihre Sicht auf die Dinge. Katja Kipping etwa berichtet ihm von ihrem Kampf in der Linken für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Eva Brackelmann trat der Bürgerbeteiligung und der Emanzipation wegen der SPD bei, Nils Schmid setzt sich dort für kostenfreie Kindergärten und die Abschaffung der Studiengebühren ein, Michael Halmbrecht wechselte wegen Sarrazin zu den Grünen. Wieder und wieder kommt die Sprache auf die Hartz-Regelungen, die Rot-Grün unter Schröder beschloss und die seitdem umstritten sind. "Es gärt an der Basis - bei allen drei Parteien" ist eine von Rufs Schlussfolgerungen.
Das ist fast schon ein Grund, sich zusammenzutun. Gerade für die Jüngeren sei Rot-Rot-Grün "die zwangsläufige Koalition", resümiert Ruf. Er berichtet von Gremien, die einer geeinten Linken den Weg bereiten. Was sie zu Linken macht und als solche verbinden soll, sind die gängigen Platituden: "Gesellschaftliche Liberalität, soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität". Die Erkenntnisse darüber, wie eine gemeinsame politische Agenda aussehen könnte, bleiben fragmentarisch: Ruf nennt den Atomausstieg, Mindeststundenlöhne von acht Euro und einen flinken Abzug aus Afghanistan.
Mit humorvollen Kommentaren distanziert er sich zwar von manchen inhaltlichen Auswüchsen linker Ideologie (zum Beispiel von jenen "Irrlichtern", die Gerichte für entbehrlich halten), und er spielt mit den Klischees von Linken ("Ich habe noch nie verstanden, warum man sich als Linker schlecht ernähren muss"). Aber Ruf scheint so entflammt von der Idee einer geeinten Linken, dass er zur Schwarzweißmalerei neigt. Unterschiede zwischen den linken Parteien versucht er wegzureden, von der programmatischen Annäherung der beiden großen Volksparteien SPD und CDU will er auch nichts wissen - obwohl sie ja überhaupt erst die Frage aufwirft, was unter "links" zu verstehen ist. Und es bleibt die Diskrepanz bestehen zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Nur ein Beispiel, das sogar in Rufs Buch vorkommt, ist die Koalition in Thüringen: Christoph Matschie, SPD, ließ sich nach den Wahlen 2009 schließlich doch lieber auf die Union ein - statt auf die Linke.
Rufs Buch ist hochaktuell, er beendet seine Recherchen zwar vor Fukushima, aber noch während des Wahlkampfs in Baden-Württemberg. Das Wahlergebnis scheint ihm dann doch ein bisschen recht zu geben. Vor allem, dass Kretschmann bei dem rot-grünen Bündnis von einer "Liebesheirat" sprach - wenn auch der Zusatz "mit getrennten Betten" nicht lange auf sich warten ließ.
JULIA LAUER.
Christoph Ruf: "Was ist links?" Reportagen aus einem politischen Milieu.
Verlag C.H. Beck, München 2011. 253 S., br., 12,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Anregend fand Rezensent Sven Hanuschek offenbar Christoph Rufs Erkundungen unter der heutigen Linken, die er in Gesprächen mit Politikern der Grünen, der SPD und der Linken aus dem "Mittelbau" getätigt hat. Der Rezensent hat seine Freude an der wohlformulierten Polemik, den plastisch aufgezeichneten Gesprächen und den treffenden Metaphern, die der Autor aufbietet. Er schätzt Rufs deutliche Meinungsäußerungen, auch wenn er findet, dass der Journalist ein bisschen "reportagenhaft-beschreibendes Drumherum" in seiner Darstellung hätte streichen können. Und Rufs Appell, sich stärker am politischen Leben zu beteiligen, scheint bei Hanuschek auch auf Zustimmung zu stoßen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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