Trotz aller Selbstverständlichkeit, mit der man den Begriff »Macht« verwendet, ist seine eigentliche Bedeutung unklar. Der vorliegende Band versucht, diese Unklarheit zu beheben. Das Phänomen der Macht wird unter systematischen Gesichtspunkten analysiert: Gibt es eine allgemeine Logik der Macht? Durch welche Mechanismen wirkt die Macht? Welche metaphysischen Vorstellungen liegen dem Begriff zugrunde? Wie äußert sich Macht in der Politik? Inwiefern ist eine Ethik der Macht denkbar?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2005Der Jubel, mit dem die Macht begrüßt wird, ist ein Grenzfall
Byung-Chul Han fragt, was uns auf andere so hören läßt wie auf uns selbst, und zitiert sich machtvoll durch die Theoretiker
Neben Luhmann, Foucault, Bourdieu, Bataille, Schmitt, Heidegger, Arendt, Habermas kann Byung-Chul Han auch Max Weber nicht recht geben. Daß der Begriff der Macht soziologisch amorph ist, stimme "gewiß nicht", entspringe "nur einer beschränkten Sichtweise", die komplexe und indirekte Formen von Macht nicht in den Blick bekomme. Und die berühmte Definition der Macht als Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, enthalte den Fehler, den sie alle machen, nämlich Macht von der Gewalt her zu denken, während die eigentliche Macht doch die sei, der die Unterworfenen wie ihrem eigenen Willen folgen.
Die Kritik ist offenbar ungerecht. Einerseits gehört für Weber sehr ausdrücklich wenigstens ein Minimum an Gehorchenwollen, an Interesse am Gehorchen, zu jeder Herrschaft. Andererseits meint "auch gegen Widerstreben" nur, daß dem freiwillig Gehorchenden, falls er einmal auf den Gedanken eines abweichenden Willens kommen sollte, zu fürchtende Sanktionen vor Augen stehen, wie begründet immer diese Furcht sein mag, worin immer diese Sanktionen bestehen mögen. Wo bei abweichendem Eigenwillen keine Sanktionen mehr gefürchtet werden, spricht niemand mehr von Macht. Im übrigen kann von einem Übersehen "still wirkender, weniger offensichtlicher" Formen von Macht bei dem Theoretiker der Macht religiöser Ideen auf Wirtschaft und Gesellschaft wohl kaum die Rede sein. Nur den Begriff hält Weber für amorph. Und Han selber gibt den besten Beleg. Er zitiert sich durch die Theoretiker. Die Nachfrage, an welche Phänomene er dabei eigentlich denkt, würde er wohl als beschränkte Sichtweise angesichts der "Komplexität und Indirektheit" von Macht zurückweisen.
Damit soll nun nicht gesagt sein, daß an dem Bändchen "Was ist Macht?" gar nichts dran wäre. Es ist ja richtig, daß, zwar nicht in der Theorie, aber doch im Alltagsbewußtsein, Macht einseitig als etwas Negatives, das Individuum Übermächtigendes, Unterdrückendes verstanden wird. Vor allem die Orientierung an rein verständigungsorientiertem Handeln oder einer unverzerrten Kommunikation lasse jede soziale Asymmetrie sofort als Gewalt erscheinen. Doch durch bloßes Sichverständigen wird keine Idee zur Wirklichkeit. Es bedarf koordinierten, erfolgsorientierten, strategischen Handelns. Die Idee muß zur Macht werden und das heißt für Han zu einem übergreifenden Subjekt, dem eine "Entschlossenheit zu sich innewohnt". Umgekehrt sei es gerade ein Zeichen der Schwäche von Macht, wenn sie sich nur durch die Androhung von Gewalt erhalten kann. Schon im eigenen Interesse, zitiert Han Luhmann, sichert der Chef seinen Untergebenen Möglichkeiten der Einflußnahme. In Wahrheit eröffnet Macht "einen Raum, in dem eine Handlung erst eine Richtung, d.h. einen Sinn erhält". "Statt Blockaden zu errichten, stellt die Macht ein Beziehungssystem, ein Kommunikationsnetz her." Weit mehr noch als bloßes Mittel zur Durchsetzung von Ideen, ist die Macht der Ort, an dem Ideen überhaupt erst entstehen können. Noch wer beklagt, daß die wahre Macht meistens in den Vorräumen der Macht, den Korridoren, der Lobby, liege, übersieht in der angeblichen Korrumpierung "die strukturelle, konstitutive Streuung, die Verräumlichung der Macht".
Die Kritik an Konsens und herrschaftsfreiem Diskurs ist freilich nicht gerade neu, und das Raumschaffende der Macht liest der Autor Hannah Arendt ab, die er zugleich als unscharfe Denkerin beschimpft. Sein eigener Beitrag besteht darin, Foucaults allumfassenden Machtbegriff mit den Mittel der Hegelschen Reflexionslogik auszuformulieren. Macht gilt ihm als Vermögen, im Anderen bei sich selbst zu sein. Und seine Lieblingsbegriffe sind, daß die Macht sich im Anderen "kontinuiere" und daß die auf Gewalt fußende Macht "vermittlungsarm" sei. Doch damit verkürzt er Hegels Dialektik um die andere Hälfte. Es ist einzig die Perspektive der Macht, die er rekonstruiert, dem Knecht bleibt nur die Zustimmung. "Nicht das innere Nein, sondern das emphatische Ja ist die Antwort auf eine höhere Macht." Han beklagt, daß man Macht immer nur vom Grenzfall der Gewalt her denke. Der "Jubel", mit dem die Macht begrüßt wird, ist wohl nicht weniger Grenzfall. Allenfalls könnte man auffordern, daß die einzelnen die Macht als Bedingung der Möglichkeit vermittlungsreichen Lebens anerkennen sollten. Oder will Han in Wahrheit sagen, daß Foucault das Wirken der Macht noch gar nicht in all ihrem Raffinement verstanden hat?
Das Bändchen schließt mit einem Lob der Freundlichkeit als Fähigkeit, das Andere ein Anderes sein zu lassen, sich nicht in ihm kontinuieren zu wollen. Demgegenüber müßte die Macht, obwohl sie andererseits den Raum für soziales Handeln schafft, als das radikal Falsche gelten. Es ist einfach das Ärgerliche an Arbeiten der dekonstruktivistischen Tradition, daß sie viel immanente Textkritik bringen, einige Argumente, aber nie eine klare Behauptung. So bleiben ihre Theorien ganz wie der Begriff einer Macht, von der nicht deutlich wird, ob Gott, der Staat, Ideen, Institutionen, Gruppen mit ihm gemeint sind, und von der nie untersucht wird, wie sie wirkt, letztlich amorph.
GUSTAV FALKE
Byung-Chul Han: "Was ist Macht?" Reclam Verlag, Stuttgart 2005. 148 S., br., 4,60 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Byung-Chul Han fragt, was uns auf andere so hören läßt wie auf uns selbst, und zitiert sich machtvoll durch die Theoretiker
Neben Luhmann, Foucault, Bourdieu, Bataille, Schmitt, Heidegger, Arendt, Habermas kann Byung-Chul Han auch Max Weber nicht recht geben. Daß der Begriff der Macht soziologisch amorph ist, stimme "gewiß nicht", entspringe "nur einer beschränkten Sichtweise", die komplexe und indirekte Formen von Macht nicht in den Blick bekomme. Und die berühmte Definition der Macht als Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, enthalte den Fehler, den sie alle machen, nämlich Macht von der Gewalt her zu denken, während die eigentliche Macht doch die sei, der die Unterworfenen wie ihrem eigenen Willen folgen.
Die Kritik ist offenbar ungerecht. Einerseits gehört für Weber sehr ausdrücklich wenigstens ein Minimum an Gehorchenwollen, an Interesse am Gehorchen, zu jeder Herrschaft. Andererseits meint "auch gegen Widerstreben" nur, daß dem freiwillig Gehorchenden, falls er einmal auf den Gedanken eines abweichenden Willens kommen sollte, zu fürchtende Sanktionen vor Augen stehen, wie begründet immer diese Furcht sein mag, worin immer diese Sanktionen bestehen mögen. Wo bei abweichendem Eigenwillen keine Sanktionen mehr gefürchtet werden, spricht niemand mehr von Macht. Im übrigen kann von einem Übersehen "still wirkender, weniger offensichtlicher" Formen von Macht bei dem Theoretiker der Macht religiöser Ideen auf Wirtschaft und Gesellschaft wohl kaum die Rede sein. Nur den Begriff hält Weber für amorph. Und Han selber gibt den besten Beleg. Er zitiert sich durch die Theoretiker. Die Nachfrage, an welche Phänomene er dabei eigentlich denkt, würde er wohl als beschränkte Sichtweise angesichts der "Komplexität und Indirektheit" von Macht zurückweisen.
Damit soll nun nicht gesagt sein, daß an dem Bändchen "Was ist Macht?" gar nichts dran wäre. Es ist ja richtig, daß, zwar nicht in der Theorie, aber doch im Alltagsbewußtsein, Macht einseitig als etwas Negatives, das Individuum Übermächtigendes, Unterdrückendes verstanden wird. Vor allem die Orientierung an rein verständigungsorientiertem Handeln oder einer unverzerrten Kommunikation lasse jede soziale Asymmetrie sofort als Gewalt erscheinen. Doch durch bloßes Sichverständigen wird keine Idee zur Wirklichkeit. Es bedarf koordinierten, erfolgsorientierten, strategischen Handelns. Die Idee muß zur Macht werden und das heißt für Han zu einem übergreifenden Subjekt, dem eine "Entschlossenheit zu sich innewohnt". Umgekehrt sei es gerade ein Zeichen der Schwäche von Macht, wenn sie sich nur durch die Androhung von Gewalt erhalten kann. Schon im eigenen Interesse, zitiert Han Luhmann, sichert der Chef seinen Untergebenen Möglichkeiten der Einflußnahme. In Wahrheit eröffnet Macht "einen Raum, in dem eine Handlung erst eine Richtung, d.h. einen Sinn erhält". "Statt Blockaden zu errichten, stellt die Macht ein Beziehungssystem, ein Kommunikationsnetz her." Weit mehr noch als bloßes Mittel zur Durchsetzung von Ideen, ist die Macht der Ort, an dem Ideen überhaupt erst entstehen können. Noch wer beklagt, daß die wahre Macht meistens in den Vorräumen der Macht, den Korridoren, der Lobby, liege, übersieht in der angeblichen Korrumpierung "die strukturelle, konstitutive Streuung, die Verräumlichung der Macht".
Die Kritik an Konsens und herrschaftsfreiem Diskurs ist freilich nicht gerade neu, und das Raumschaffende der Macht liest der Autor Hannah Arendt ab, die er zugleich als unscharfe Denkerin beschimpft. Sein eigener Beitrag besteht darin, Foucaults allumfassenden Machtbegriff mit den Mittel der Hegelschen Reflexionslogik auszuformulieren. Macht gilt ihm als Vermögen, im Anderen bei sich selbst zu sein. Und seine Lieblingsbegriffe sind, daß die Macht sich im Anderen "kontinuiere" und daß die auf Gewalt fußende Macht "vermittlungsarm" sei. Doch damit verkürzt er Hegels Dialektik um die andere Hälfte. Es ist einzig die Perspektive der Macht, die er rekonstruiert, dem Knecht bleibt nur die Zustimmung. "Nicht das innere Nein, sondern das emphatische Ja ist die Antwort auf eine höhere Macht." Han beklagt, daß man Macht immer nur vom Grenzfall der Gewalt her denke. Der "Jubel", mit dem die Macht begrüßt wird, ist wohl nicht weniger Grenzfall. Allenfalls könnte man auffordern, daß die einzelnen die Macht als Bedingung der Möglichkeit vermittlungsreichen Lebens anerkennen sollten. Oder will Han in Wahrheit sagen, daß Foucault das Wirken der Macht noch gar nicht in all ihrem Raffinement verstanden hat?
Das Bändchen schließt mit einem Lob der Freundlichkeit als Fähigkeit, das Andere ein Anderes sein zu lassen, sich nicht in ihm kontinuieren zu wollen. Demgegenüber müßte die Macht, obwohl sie andererseits den Raum für soziales Handeln schafft, als das radikal Falsche gelten. Es ist einfach das Ärgerliche an Arbeiten der dekonstruktivistischen Tradition, daß sie viel immanente Textkritik bringen, einige Argumente, aber nie eine klare Behauptung. So bleiben ihre Theorien ganz wie der Begriff einer Macht, von der nicht deutlich wird, ob Gott, der Staat, Ideen, Institutionen, Gruppen mit ihm gemeint sind, und von der nie untersucht wird, wie sie wirkt, letztlich amorph.
GUSTAV FALKE
Byung-Chul Han: "Was ist Macht?" Reclam Verlag, Stuttgart 2005. 148 S., br., 4,60 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zurückhaltend äußert sich Rezensent Detlef Horster über Byung-Chul Hans Versuch, den Begriff der Macht zu klären. Dem Anspruch, die Grundform der Macht und ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen zu entwickeln, wird der Autor seines Erachtens nicht wirklich gerecht. Horster hält ihm vor, sich zu stark an der Linie Hegel, Nietzsche, Heidegger, Foucault zu orientieren und dementsprechend andere Theorien der Macht nicht angemessen zu interpretieren. Mit Hans Interpretation von Luhmanns Machttheorie etwa ist Horster ganz und gar nicht einverstanden. Potenziell allerdings scheint ihm das Buch durchaus aufschlussreich. So räumt er, wenn auch im Konjunktiv ein: "Wenn Han seinen Anspruch ermäßigte und sagen würde, dass er verschiedene Machtinterpretationen vorstellt und diskutiert, dann würde man hier finden, was man sucht."
© Perlentaucher Medien GmbH
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