Malte Spitz ist Spitzenpolitiker der Grünen und Digital Native. Während alle nur theoretisch über Datenschutz
diskutieren, will er es genau wissen. Wer hat welche Information über mich gespeichert, wer verarbeitet welche Angaben über mein Leben? Er wagt eine Expedition zu den Orten, an denen sonst keiner hartnäckig nachfragt: Behörden, Mobilfunkanbieter, Krankenkassen, Datenbanken und Rechenzentren. Denn wer auch immer unsere Daten sammelt, gewinnt Macht über uns. Der Datenschutz ist deshalb die zentrale Machtfrage des 21. Jahrhunderts. Malte Spitz liefert die längst überfälligen Grundlagen für eine Diskussion, die gerade erst an ihrem Anfang steht.
diskutieren, will er es genau wissen. Wer hat welche Information über mich gespeichert, wer verarbeitet welche Angaben über mein Leben? Er wagt eine Expedition zu den Orten, an denen sonst keiner hartnäckig nachfragt: Behörden, Mobilfunkanbieter, Krankenkassen, Datenbanken und Rechenzentren. Denn wer auch immer unsere Daten sammelt, gewinnt Macht über uns. Der Datenschutz ist deshalb die zentrale Machtfrage des 21. Jahrhunderts. Malte Spitz liefert die längst überfälligen Grundlagen für eine Diskussion, die gerade erst an ihrem Anfang steht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2015Odyssee
durchs Datenmeer
Der Politiker Malte Spitz begehrte Einsicht in die
über ihn gespeicherten Daten – und war entgeistert
VON BERND GRAFF
Das Buch des Politikers Malte Spitz heißt „Was macht ihr mit meinen Daten?“ Besser hätte es geheißen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.“ Denn Spitz verfolgte hartnäckig eine Frage, die naheliegend und wichtig ist, die aber von kaum jemandem für naheliegend und zwingend erachtet wird. Und zwar deswegen, weil kaum jemandem klar ist, wie wichtig das Anliegen von Spitz tatsächlich ist.
Spitz, Mitglied im Parteirat der Grünen, machte sich auf die Suche nach seinen Daten, und zwar all diesen immer wie beiläufig abgefragten und dann nachhaltig registrierten Daten, die jeder pausenlos irgendwo einspeist und auch einspeisen muss, oft ohne zu bemerken, dass er gerade wieder dazu beigetragen hat, einen unverwüstlichen Datenschatten seiner selbst aufzubauen – der begierig von Ämtern, Behörden, Unternehmen, Institutionen in zumeist anonymen „Systemen“ erfasst und gespeichert wird.
Dabei hat der Autor, der seinen Selbstversuch mit der Journalistin Brigitte Biermann zusammen verfasst hat, lediglich das getan, was ihm das Bundesdatenschutzgesetz im Passus zu „Auskunft an den Betroffenen“ ausdrücklich gestattet: „Die verantwortliche Stelle hat dem Betroffenen auf Verlangen Auskunft zu erteilen über die zu seiner Person gespeicherten Daten“, heißt es in Paragraf 34 des Gesetzes.
Spitz’ erstes Fazit: Die meisten „verantwortlichen Stellen“ sind nicht vorbereitet auf solche Anfragen und haben also folglich auch keine Verfahren entwickelt, wie mit ihnen umzugehen ist. Darum ist die erste Reaktion von Flug- und Telefongesellschaften, von Banken, Krankenkassen und Meldebehörden meist gleich: Sie wimmeln erst einmal ab.
So antwortete eine Fluggesellschaft auf Spitz’ Anfrage, die dort von ihm gespeicherten Daten herauszurücken, mit dem Satz: „Natürlich wissen wir, dass Sie sich auf Ihre Flüge und Ihre Reise gefreut haben und eine reibungslose Buchung bis zur Betreuung an Bord erwarten.“ Da Spitz sich mit solchen ausweichenden, gewundenen Oberflächlichkeiten nie zufriedengibt und insistiert, erhält er nach weiterem Schriftverkehr die Mitteilung, dass in einem sogenannten Fluggastdatensatz, dem für jeden Reisenden erstellten Passenger Name Record (PNR), je nach Gesellschaft gelistet wird, „welche IP-Adresse ich wann benutzt habe, um einen Flug zu buchen oder eine Änderung, die Sitzplatzwahl oder den Online-Check-in vorzunehmen. Es wird hinterlegt, wenn ich nach einem Platz am Notausgang frage, wann ich ein Upgrade kaufe und zu welchen Konditionen.“ Bei einer Gesellschaft kommt sogar noch „der Hinweis“ hinzu, „dass ich per Mail Kontakt aufgenommen und um Bestätigung gebeten habe“.
Und diese Daten bleiben nicht bei den Fluggesellschaften, sondern werden an ausländische Behörden übermittelt. „Jahrelang konnten amerikanische Behörden direkt auf die Datenbanken unserer großen Fluglinien zugreifen, Passagierlisten und Buchungsinformationen einsehen.“
Mitunter wird nur gesammelt, weil das machbar ist; und die Daten werden ungefiltert weitergereicht, weil sie da sind. Datenschutz ist ein Witz – auch und gerade im Telekommunikationsbereich. Spitz’ Bemühen um Herausgabe seiner Handydaten erbrachte einen Datensatz von 35 830 Einträgen, die über den Zeitraum von mehreren Jahren mit genauen Zeitstempeln alles enthielten, was man mit Handys so machen kann – Informationen über die Gesprächspartner, Internetverbindungen, Lokalisierung mit Ländercode, Funkzelle, selbst die genutzten Sendemasten waren nach Längen- und Breitengraden für jedes einzelne Gespräch gelistet. Daraus hat Spitz sein Bewegungsprofil erstellen lassen und veröffentlicht, was einen Artikel der New York Times nach sich zog, die verschreckt titelte, das Handy erfasse „jede deiner Bewegungen – und du merkst es nicht einmal“.
Am Ende der mühsamen Hatz nach seinen Daten bilanziert Spitz ernüchtert: „Zufrieden mit den erhaltenen Auskünften bin ich nicht.“ Aber auch der jeweils unvollständig rückgemeldete Datenschatten ist schon erschreckend groß. Und wahrhaft beunruhigend wird es, wenn „die einzelnen Informationen verknüpft und zu Profilen verbunden werden – denn jedes einzelne Datum trägt wie ein Mosaiksteinchen zu einem umfassenden Persönlichkeitsbild bei, ist ein Schritt zum gläsernen Menschen“. Malte Spitz hat ein notwendiges Buch im besten Sinne der Aufklärung geschrieben.
Malte Spitz: Was macht ihr mit meinen Daten? Hoffmann und Campe, 2014. 240 S., 17,99 Euro.
Im Bundesdatenschutzgesetz
heißt es, auf Verlangen müssten
die Daten herausgegeben werden
Den meisten Handynutzern ist nicht bewusst, wie sehr sie sich zum gläsernen Menschen machen.
Zeichnung: Gerhard Glück
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
durchs Datenmeer
Der Politiker Malte Spitz begehrte Einsicht in die
über ihn gespeicherten Daten – und war entgeistert
VON BERND GRAFF
Das Buch des Politikers Malte Spitz heißt „Was macht ihr mit meinen Daten?“ Besser hätte es geheißen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.“ Denn Spitz verfolgte hartnäckig eine Frage, die naheliegend und wichtig ist, die aber von kaum jemandem für naheliegend und zwingend erachtet wird. Und zwar deswegen, weil kaum jemandem klar ist, wie wichtig das Anliegen von Spitz tatsächlich ist.
Spitz, Mitglied im Parteirat der Grünen, machte sich auf die Suche nach seinen Daten, und zwar all diesen immer wie beiläufig abgefragten und dann nachhaltig registrierten Daten, die jeder pausenlos irgendwo einspeist und auch einspeisen muss, oft ohne zu bemerken, dass er gerade wieder dazu beigetragen hat, einen unverwüstlichen Datenschatten seiner selbst aufzubauen – der begierig von Ämtern, Behörden, Unternehmen, Institutionen in zumeist anonymen „Systemen“ erfasst und gespeichert wird.
Dabei hat der Autor, der seinen Selbstversuch mit der Journalistin Brigitte Biermann zusammen verfasst hat, lediglich das getan, was ihm das Bundesdatenschutzgesetz im Passus zu „Auskunft an den Betroffenen“ ausdrücklich gestattet: „Die verantwortliche Stelle hat dem Betroffenen auf Verlangen Auskunft zu erteilen über die zu seiner Person gespeicherten Daten“, heißt es in Paragraf 34 des Gesetzes.
Spitz’ erstes Fazit: Die meisten „verantwortlichen Stellen“ sind nicht vorbereitet auf solche Anfragen und haben also folglich auch keine Verfahren entwickelt, wie mit ihnen umzugehen ist. Darum ist die erste Reaktion von Flug- und Telefongesellschaften, von Banken, Krankenkassen und Meldebehörden meist gleich: Sie wimmeln erst einmal ab.
So antwortete eine Fluggesellschaft auf Spitz’ Anfrage, die dort von ihm gespeicherten Daten herauszurücken, mit dem Satz: „Natürlich wissen wir, dass Sie sich auf Ihre Flüge und Ihre Reise gefreut haben und eine reibungslose Buchung bis zur Betreuung an Bord erwarten.“ Da Spitz sich mit solchen ausweichenden, gewundenen Oberflächlichkeiten nie zufriedengibt und insistiert, erhält er nach weiterem Schriftverkehr die Mitteilung, dass in einem sogenannten Fluggastdatensatz, dem für jeden Reisenden erstellten Passenger Name Record (PNR), je nach Gesellschaft gelistet wird, „welche IP-Adresse ich wann benutzt habe, um einen Flug zu buchen oder eine Änderung, die Sitzplatzwahl oder den Online-Check-in vorzunehmen. Es wird hinterlegt, wenn ich nach einem Platz am Notausgang frage, wann ich ein Upgrade kaufe und zu welchen Konditionen.“ Bei einer Gesellschaft kommt sogar noch „der Hinweis“ hinzu, „dass ich per Mail Kontakt aufgenommen und um Bestätigung gebeten habe“.
Und diese Daten bleiben nicht bei den Fluggesellschaften, sondern werden an ausländische Behörden übermittelt. „Jahrelang konnten amerikanische Behörden direkt auf die Datenbanken unserer großen Fluglinien zugreifen, Passagierlisten und Buchungsinformationen einsehen.“
Mitunter wird nur gesammelt, weil das machbar ist; und die Daten werden ungefiltert weitergereicht, weil sie da sind. Datenschutz ist ein Witz – auch und gerade im Telekommunikationsbereich. Spitz’ Bemühen um Herausgabe seiner Handydaten erbrachte einen Datensatz von 35 830 Einträgen, die über den Zeitraum von mehreren Jahren mit genauen Zeitstempeln alles enthielten, was man mit Handys so machen kann – Informationen über die Gesprächspartner, Internetverbindungen, Lokalisierung mit Ländercode, Funkzelle, selbst die genutzten Sendemasten waren nach Längen- und Breitengraden für jedes einzelne Gespräch gelistet. Daraus hat Spitz sein Bewegungsprofil erstellen lassen und veröffentlicht, was einen Artikel der New York Times nach sich zog, die verschreckt titelte, das Handy erfasse „jede deiner Bewegungen – und du merkst es nicht einmal“.
Am Ende der mühsamen Hatz nach seinen Daten bilanziert Spitz ernüchtert: „Zufrieden mit den erhaltenen Auskünften bin ich nicht.“ Aber auch der jeweils unvollständig rückgemeldete Datenschatten ist schon erschreckend groß. Und wahrhaft beunruhigend wird es, wenn „die einzelnen Informationen verknüpft und zu Profilen verbunden werden – denn jedes einzelne Datum trägt wie ein Mosaiksteinchen zu einem umfassenden Persönlichkeitsbild bei, ist ein Schritt zum gläsernen Menschen“. Malte Spitz hat ein notwendiges Buch im besten Sinne der Aufklärung geschrieben.
Malte Spitz: Was macht ihr mit meinen Daten? Hoffmann und Campe, 2014. 240 S., 17,99 Euro.
Im Bundesdatenschutzgesetz
heißt es, auf Verlangen müssten
die Daten herausgegeben werden
Den meisten Handynutzern ist nicht bewusst, wie sehr sie sich zum gläsernen Menschen machen.
Zeichnung: Gerhard Glück
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»Endlich mal eine greifbare Diskussionsgrundlage für die noch lange nicht ausgestandene Debatte.« Kurier am Sonntag, 21.12.2014