Haben Sie schon bemerkt, dass ein Schlüsselbund von Liebe sprechen kann? Wussten Sie, dass eine Waschmaschine mitunter von Seelenwanderung erzählt und der Einkaufswagen von der Verwirrung der Gefühle? Schauen Sie sich um! Sie sind nicht nur von menschlichen Wesen umgeben. Heute gibt es mehr Dinge auf der Welt als jemals zuvor. Im gleichen Maße, wie sie sich vermehren, nehmen wir sie nicht mehr wahr.
Darum: Machen Sie philosophische Erfahrungen mit den Dingen des Alltags, erleben Sie die Revolution des Staubsaugers! Mit Aufmerksamkeit, einem gewissen Humor und etwas Verrücktheit werden Sie einen Weg entdecken, die Welt mit neuen Augen zu sehen!
Darum: Machen Sie philosophische Erfahrungen mit den Dingen des Alltags, erleben Sie die Revolution des Staubsaugers! Mit Aufmerksamkeit, einem gewissen Humor und etwas Verrücktheit werden Sie einen Weg entdecken, die Welt mit neuen Augen zu sehen!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.06.2005Die Dinge stehen schlecht
Roger-Pol Droits Prosaminiaturen über Alltagsgegenstände
Der „Alltag” ist in den letzten Jahren zu einer etwas überstrapazierten Kategorie der Essayistik geworden. Ließ sich das Augenmerk auf den vermeintlichen Marginalitäten des Lebens einmal als provokative Geste gegenüber den kanonischen Abhandlungen großer Ereignisse verstehen, hat sich dieses Potenzial längst erschöpft. Reflexionen über Frühstücksgewohnheiten und Fernsehrituale bilden mittlerweile selbst einen elementaren Bestandteil des essayistischen Kanons. Das Gelingen solcher Texte bemisst sich vielleicht an einem einzigen Kriterium: ob sie der Versuchung widerstehen können, das Kontingente und Beliebige des Sujets in den Tonfall des Erzählens zu übertragen. Nichts scheint eine größere schriftstellerische Strenge zu erfordern als das Schreiben über Beiläufigkeiten.
Ein Buch ist in deutscher Übersetzung erschienen, das die „Erfahrungen mit Alltagsdingen” bereits im Untertitel führt: Roger-Pol Droits Aufzeichnungen „Was Sachen mit uns machen”, in Frankreich äußerst erfolgreich, versammeln etwa fünfzig kurze Essays über Möbel, Werkzeuge, Kleidungsstücke, Haushaltsgegenstände, Elektrogeräte und so weiter, wobei es dem Autor um mehr geht als eine bloße Aneinanderreihung versprengter Einzeltexte. Die Klammer des Buches bildet ein einjähriges „Experiment”, dessen Verlauf Droit in mehreren Zwischenkapiteln kommentiert: Ausgehend von der wortwörtlich verstandenen Begrüßungsformel eines Bekannten - „Wie stehen die Dinge” - will er sich an die Klassifikation der unüberschaubaren Gegenstandswelt wagen, will zu einem Linné der Dinge werden, um ihre Eigenschaften zu untersuchen, ihre Verteilung und vor allem ihre Beziehung zu den Menschen.
Auf die Frage der zunehmend unklaren Demarkationslinien zwischen den (Menschen-)Körpern und den Dingen, etwa im Zeitalter implantierter Prothesen und Computerchips, kommt Droit in diesen Zwischenkapiteln mehrfach zu sprechen, ohne die aufschlussreichen Konsequenzen für eine Theorie der Dinge in den Einzeltexten jedoch aufzugreifen. Deren Auswahl ist eher bestimmt von den basalsten, in ihrer Selbstverständlichkeit beinahe ahistorisch gewordenen Gegenständen wie dem Tisch, dem Bett, der Tür, dem Herd.
Das undiskrete Ich
Auch wenn sich in den programmatischen Abschnitten des Buches also bedenkenswerte, wenngleich unausgeführte, Fragestellungen finden: Die Lektüre dieser in launigem Plauderton gehaltenen Aufzeichnungen ist bemerkenswert unergiebig und mit fortschreitender Dauer ärgerlich. Wenn man nach den Gründen für den bescheidenen Erfolg des „Experiments” fragt, muss man sich am ehesten mit dem Gebrauch der Ich-Form in diesem Textgenre auseinander setzen. Droit, Pariser Philosoph und Journalist, kann ja auf eine lange Tradition vergleichbarer Unterfangen in Frankreich zurückblicken, in denen der Versuch unternommen wurde, von der konkreten subjektiven Erfahrung aus zu semiologischer oder kulturtheoretischer Erkenntnis zu gelangen: Man denke an Gaston Bachelards späte Bücher, Marc Augés ethnologische Bruchstücke und allen voran an Roland Barthes.
Was etwa den Glanz der autobiografisch geprägten Fragmente von Barthes ausmacht, ist eine bestimmte Disziplinierung der Ich-Form, die all das konsequent ausspart, was nicht in den Dienst der jeweiligen Denkfigur gestellt wird. Das „Ich” ist kein Erzähler, sondern das diskrete Vehikel einer Reflexion. In Droits Texten verstreut sich dagegen ein opulentes, vollkommen ungezügeltes Ich; anstatt sich zurückzunehmen hinter der präzisen Beschreibung einer Wasserwaage, eines Staubsaugers, einer Sandale, einer Kaffeeschale, anstatt das Allgemeine und Notwendige kontingenter subjektiver Erfahrung herauszupräparieren, stellt sich dieses Ich unaufhörlich in den Vordergrund und gibt seine Vorlieben zum Besten.
In fast allen Aufzeichnungen finden sich Einlassungen wie diese: „Ich trage selten eine Sonnenbrille, außer im Süden und im Hochsommer.” - „Seit gestern ist es richtig kalt geworden. Jedenfalls wenn Sie mich fragen.” - „Ich hätte die Sommersachen schon lange forträumen müssen.” - „Ich habe eine hartnäckige Schwäche für Schrauben.” Und am Ende hat man so gut wie keinen Aufschluss über die Erscheinungsweise der Dinge bekommen, sondern nur einen Querschnitt durch das leidlich interessante Leben eines Pariser Intellektuellen mit Faible für Gartenarbeit und Heimwerkertum.
Staubsaugerfantasien
Beigemischt ist den Texten eine beträchtliche Menge von Weisheiten folgenden Kalibers: „Die letzten Tage vor dem Urlaub sind immer ein merkwürdiger Augenblick.” - „Man muss kein Philosoph sein, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die Erscheinung von unserer Sichtweise abhängt.” - „Die Uhr unterwirft Körper und Seele, den ganzen Menschen, den strengen Gesetzen einer peniblen und regulierten Zeit.” Und als wären all diese Fahrlässigkeiten noch nicht genug, verfällt Droit auch noch auf die Idee, in nahezu jedem Text zur direkten Anrede des Lesers zu greifen; Wendungen wie „Stellen Sie sich beispielsweise vor” oder „Stellen Sie sich einen Augenblick lang vor” kommen mehr als ein Dutzend Mal vor.
Vor allem auch an den Essays zu Gegenständen neuer Technologie wie dem Handy oder der CD erweist sich die erstaunliche Redundanz dieses Buches. Welch dankbares Feld könnte etwa die Gestalt des Mobiltelefons den Operationen phänomenologischer Analyse bieten? Droit belässt es bei simpler Kulturkritik: Das Handy gehöre zu den „Dingen der schlimmsten Art , ist Hilfe und Fessel zugleich. Seine Bequemlichkeit, seine Verfügbarkeit, seine Allgegenwärtigkeit sind auch die Gründe für seine Unausstehlichkeit.”
Zudem stellt sich im Lauf der Lektüre heraus, dass die einzelnen Texte immer wieder auf identische Pointen zulaufen: Der Wunsch, dass Gegenstände ihre handfeste Funktionalität auch im abstrakten Sinne entfalten sollten (Wasserwaagen für moralische Handlungen, Schleifgeräte für Texte), steht mehrere Male am Ende eines Fragments, ebenso die Fantasie, ein Ding möge das gesamte All in sich aufnehmen (der Schwamm, der Staubsauger, die CD). In einem der Zwischenkapitel schreibt Roger-Pol Droit über die vermessene Ambition seines Buches: „Ich hoffe zumindest, das Rätsel der Dinge neu zu formulieren.” Unter seiner Hand jedoch bleiben sie stumm.
ANDREAS BERNARD
ROGER-POL DROIT: Was Sachen mit uns machen. Philosophische Erfahrungen mit Alltagsdingen. Hoffmann und Campe. Hamburg, 2005. 223 Seiten, 14,95 Euro.
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Roger-Pol Droits Prosaminiaturen über Alltagsgegenstände
Der „Alltag” ist in den letzten Jahren zu einer etwas überstrapazierten Kategorie der Essayistik geworden. Ließ sich das Augenmerk auf den vermeintlichen Marginalitäten des Lebens einmal als provokative Geste gegenüber den kanonischen Abhandlungen großer Ereignisse verstehen, hat sich dieses Potenzial längst erschöpft. Reflexionen über Frühstücksgewohnheiten und Fernsehrituale bilden mittlerweile selbst einen elementaren Bestandteil des essayistischen Kanons. Das Gelingen solcher Texte bemisst sich vielleicht an einem einzigen Kriterium: ob sie der Versuchung widerstehen können, das Kontingente und Beliebige des Sujets in den Tonfall des Erzählens zu übertragen. Nichts scheint eine größere schriftstellerische Strenge zu erfordern als das Schreiben über Beiläufigkeiten.
Ein Buch ist in deutscher Übersetzung erschienen, das die „Erfahrungen mit Alltagsdingen” bereits im Untertitel führt: Roger-Pol Droits Aufzeichnungen „Was Sachen mit uns machen”, in Frankreich äußerst erfolgreich, versammeln etwa fünfzig kurze Essays über Möbel, Werkzeuge, Kleidungsstücke, Haushaltsgegenstände, Elektrogeräte und so weiter, wobei es dem Autor um mehr geht als eine bloße Aneinanderreihung versprengter Einzeltexte. Die Klammer des Buches bildet ein einjähriges „Experiment”, dessen Verlauf Droit in mehreren Zwischenkapiteln kommentiert: Ausgehend von der wortwörtlich verstandenen Begrüßungsformel eines Bekannten - „Wie stehen die Dinge” - will er sich an die Klassifikation der unüberschaubaren Gegenstandswelt wagen, will zu einem Linné der Dinge werden, um ihre Eigenschaften zu untersuchen, ihre Verteilung und vor allem ihre Beziehung zu den Menschen.
Auf die Frage der zunehmend unklaren Demarkationslinien zwischen den (Menschen-)Körpern und den Dingen, etwa im Zeitalter implantierter Prothesen und Computerchips, kommt Droit in diesen Zwischenkapiteln mehrfach zu sprechen, ohne die aufschlussreichen Konsequenzen für eine Theorie der Dinge in den Einzeltexten jedoch aufzugreifen. Deren Auswahl ist eher bestimmt von den basalsten, in ihrer Selbstverständlichkeit beinahe ahistorisch gewordenen Gegenständen wie dem Tisch, dem Bett, der Tür, dem Herd.
Das undiskrete Ich
Auch wenn sich in den programmatischen Abschnitten des Buches also bedenkenswerte, wenngleich unausgeführte, Fragestellungen finden: Die Lektüre dieser in launigem Plauderton gehaltenen Aufzeichnungen ist bemerkenswert unergiebig und mit fortschreitender Dauer ärgerlich. Wenn man nach den Gründen für den bescheidenen Erfolg des „Experiments” fragt, muss man sich am ehesten mit dem Gebrauch der Ich-Form in diesem Textgenre auseinander setzen. Droit, Pariser Philosoph und Journalist, kann ja auf eine lange Tradition vergleichbarer Unterfangen in Frankreich zurückblicken, in denen der Versuch unternommen wurde, von der konkreten subjektiven Erfahrung aus zu semiologischer oder kulturtheoretischer Erkenntnis zu gelangen: Man denke an Gaston Bachelards späte Bücher, Marc Augés ethnologische Bruchstücke und allen voran an Roland Barthes.
Was etwa den Glanz der autobiografisch geprägten Fragmente von Barthes ausmacht, ist eine bestimmte Disziplinierung der Ich-Form, die all das konsequent ausspart, was nicht in den Dienst der jeweiligen Denkfigur gestellt wird. Das „Ich” ist kein Erzähler, sondern das diskrete Vehikel einer Reflexion. In Droits Texten verstreut sich dagegen ein opulentes, vollkommen ungezügeltes Ich; anstatt sich zurückzunehmen hinter der präzisen Beschreibung einer Wasserwaage, eines Staubsaugers, einer Sandale, einer Kaffeeschale, anstatt das Allgemeine und Notwendige kontingenter subjektiver Erfahrung herauszupräparieren, stellt sich dieses Ich unaufhörlich in den Vordergrund und gibt seine Vorlieben zum Besten.
In fast allen Aufzeichnungen finden sich Einlassungen wie diese: „Ich trage selten eine Sonnenbrille, außer im Süden und im Hochsommer.” - „Seit gestern ist es richtig kalt geworden. Jedenfalls wenn Sie mich fragen.” - „Ich hätte die Sommersachen schon lange forträumen müssen.” - „Ich habe eine hartnäckige Schwäche für Schrauben.” Und am Ende hat man so gut wie keinen Aufschluss über die Erscheinungsweise der Dinge bekommen, sondern nur einen Querschnitt durch das leidlich interessante Leben eines Pariser Intellektuellen mit Faible für Gartenarbeit und Heimwerkertum.
Staubsaugerfantasien
Beigemischt ist den Texten eine beträchtliche Menge von Weisheiten folgenden Kalibers: „Die letzten Tage vor dem Urlaub sind immer ein merkwürdiger Augenblick.” - „Man muss kein Philosoph sein, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die Erscheinung von unserer Sichtweise abhängt.” - „Die Uhr unterwirft Körper und Seele, den ganzen Menschen, den strengen Gesetzen einer peniblen und regulierten Zeit.” Und als wären all diese Fahrlässigkeiten noch nicht genug, verfällt Droit auch noch auf die Idee, in nahezu jedem Text zur direkten Anrede des Lesers zu greifen; Wendungen wie „Stellen Sie sich beispielsweise vor” oder „Stellen Sie sich einen Augenblick lang vor” kommen mehr als ein Dutzend Mal vor.
Vor allem auch an den Essays zu Gegenständen neuer Technologie wie dem Handy oder der CD erweist sich die erstaunliche Redundanz dieses Buches. Welch dankbares Feld könnte etwa die Gestalt des Mobiltelefons den Operationen phänomenologischer Analyse bieten? Droit belässt es bei simpler Kulturkritik: Das Handy gehöre zu den „Dingen der schlimmsten Art , ist Hilfe und Fessel zugleich. Seine Bequemlichkeit, seine Verfügbarkeit, seine Allgegenwärtigkeit sind auch die Gründe für seine Unausstehlichkeit.”
Zudem stellt sich im Lauf der Lektüre heraus, dass die einzelnen Texte immer wieder auf identische Pointen zulaufen: Der Wunsch, dass Gegenstände ihre handfeste Funktionalität auch im abstrakten Sinne entfalten sollten (Wasserwaagen für moralische Handlungen, Schleifgeräte für Texte), steht mehrere Male am Ende eines Fragments, ebenso die Fantasie, ein Ding möge das gesamte All in sich aufnehmen (der Schwamm, der Staubsauger, die CD). In einem der Zwischenkapitel schreibt Roger-Pol Droit über die vermessene Ambition seines Buches: „Ich hoffe zumindest, das Rätsel der Dinge neu zu formulieren.” Unter seiner Hand jedoch bleiben sie stumm.
ANDREAS BERNARD
ROGER-POL DROIT: Was Sachen mit uns machen. Philosophische Erfahrungen mit Alltagsdingen. Hoffmann und Campe. Hamburg, 2005. 223 Seiten, 14,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Andreas Bernard lässt kein gutes Haar an diesen kurzen Texten mit philosophischem Anstrich, die ihn etwas ungehalten gemacht haben. Das Thema Alltag ist seiner Meinung nach schon längst zu einer "etwas überstrapazierten Kategorie der Essayistik" geworden, und wenn, dann müsse man es machen wie seinerzeit Roland Barthes: mit "schriftstellerischer Strenge" und einem Ich als "diskreten Vehikel einer Reflexion". Das Ich von Roger-Pol Droit dagegen, stellt Bernard fest, ist schwatzhaft, eitel und schwadronierend. Anstatt die ganz brauchbaren Ansätze der theoretischen Zwischentexte umzusetzen, in denen ein Projekt der Klassifizierung von Dingen anhand ihrer gegenwärtigen Beziehung zum Menschen entworfen wird, "gibt es seine Vorlieben zum Besten". So erfahre man wenig über die "Erscheinungsweise der Dinge", dafür aber alles, was man nicht wissen wolle über das "leidlich interessante Leben" eines Pariser Intellektuellen mit einem "Faible für Gartenarbeit und Heimwerkertum". Erkenntnisgewinn, so Bernard, bleibt bei diesem redundanten Bombardement mit Binsenweisheiten, "simpler Kulturkritik" und onkelhaften Pointen aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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