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Bis zu seinem Tod im April 2015 lebte und arbeitete Günter Grass südlich von Lübeck im ländlichen Schleswig-Holstein. Nur wenige Schritte vom Wohnhaus entfernt befand sich seine Werkstatt: ein ehemaliges Stallgebäude mit zwei Etagen. Hier waren Bücherregale, das Stehpult, an dem er mit der Hand und mit der Reiseschreibmaschine Olivetti schrieb, die Pinnwand für Arbeitspläne und Skizzen, die Töpferscheibe, die Werkbank fürs Lithografieren und Skulpturenformen vereint. Grass arbeitete nicht im Atelier und nicht in einer Bibliothek, sondern ausdrücklich in »meiner Werkstatt«.Nach seinem Tod 2015…mehr

Produktbeschreibung
Bis zu seinem Tod im April 2015 lebte und arbeitete Günter Grass südlich von Lübeck im ländlichen Schleswig-Holstein. Nur wenige Schritte vom Wohnhaus entfernt befand sich seine Werkstatt: ein ehemaliges Stallgebäude mit zwei Etagen. Hier waren Bücherregale, das Stehpult, an dem er mit der Hand und mit der Reiseschreibmaschine Olivetti schrieb, die Pinnwand für Arbeitspläne und Skizzen, die Töpferscheibe, die Werkbank fürs Lithografieren und Skulpturenformen vereint. Grass arbeitete nicht im Atelier und nicht in einer Bibliothek, sondern ausdrücklich in »meiner Werkstatt«.Nach seinem Tod 2015 blieb hier alles unverändert an seinem Platz. In einer präzisen und nüchternen visuellen Bestandsaufnahme hat der Fotograf Hans Grunert eine Archäologie von Günter Grass' Arbeits-Alltag betrieben. Entstanden sind dabei Einblicke in eine Wunderkammer der kleinen Dinge, aus und mit denen Grass große Kunst machte. Dazu gehören Objekte, die er als Zeichenvorlage nutzte: eine Kochmütze, ein Schneckenhaus, Schere und Nägel, Versteinerungen und getrocknete Frösche, Pilze und Vogelfedern. Dazu gehören auch die vielen Werkzeuge, zum Schreiben und Radieren, zum Aquarellieren und Drucken, zum Töpfern. Dazwischen findet sich Alltägliches: eine Arbeitsjacke, Brillen, Feuerzeuge, ein alter Personalausweis und - wie sollte es anders sein - Tabak, Streichhölzer und Pfeife. Hans Grunerts Bilder entdecken diese Dinge neu, wie die Hinterlassenschaften einer fremden, faszinierenden Kultur.
Autorenporträt
Hans Grunert, geboren 1969, lebt und arbeitet als Fotograf in Berlin. Er hat in Berlin und Potsdam studiert und mit einem Master in Fotografie und Design abgeschlossen. Seit 2000 arbeitet er als freier Fotograf und seit über zwanzig Jahren für den Steidl Verlag an verschiedenen Buchprojekten im Bereich Fotografie, Layout und digitale Bildbearbeitung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2023

Aus der Obhut entlassen
Der Fotograf Hans Grunert inventarisiert
Gegenstände von Günter Grass.
Fast alle Dinge werfen Schatten auf diesen Bildern. Dafür hat der Fotograf Hans Grunert gesorgt, als er sie vor dem gleichen Hintergrund aufgenommen hat, einer hellgrauen Fläche. Mal liegt ein Strohhut darauf, mal eine rostige Schere, mal das rote Farbband der Olivetti Schreibmaschine. Diskret beglaubigen die Schatten die Dreidimensionalität der Dinge. Der Raum, dem sie entstammen, ist ihnen abhandengekommen, die Werkstatt des 2015 verstorbenen Günter Grass in der Remise seines Wohnhauses in Behlendorf, in dem er die letzten dreißig Jahre seines Lebens verbrachte.
Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering beschreibt diesen Raum aus eigener Erinnerung im Begleittext zu diesem Bildband. Werkstatt heißt er, weil Grass nicht nur Autor war, sondern auch bildender Künstler, der stets das Handwerkliche seiner Kunst betonte. Ein Kohledruckstift liegt auf der hellgrauen Fläche, ein aufgeklappter Reiseaquarellkasten, ein Blatt Recyclingpapier aus dem VEB Nordhausen in der DDR und eine kupferne Radierplatte, so flach, dass sie wie das Papier keinen Schatten wirft.
Eine Antwort auf die Frage nach dem Moment, in dem die Kamera sie erfasst hat, könnte sein: in dem Moment, in dem sie sich auf den Weg ins Archiv machen. Mag sein, sie gehen später in eine Ausstellung ein. Nicht nur die Olivetti Schreibmaschine des Typs Lettera 22, der Montblanc-Füllfederhalter und die Montblanc-Tinte, die grünen Faber-Castell-Bleistifte in ihrer altgedienten Blechschachtel.
Längst sind die Zeiten vorbei, in denen in Literaturausstellungen die Schriftsteller nur als lesende oder schreibende Wesen auftraten. Längst gehören der Personalausweis und der Herzschrittmacher, die Pfeife, die angebrochene Packung Zigarettentabak zum Selberdrehen („Schwarzer Krause No 1“), die Kochmütze dazu. Und unterhalten nicht die Sammlungsstücke dieses Autors aus dem Tier- und Pflanzenreich, die Unke, der Pilz und der Salamander, enge Beziehungen zu seinem Werk? So würden sie in einer Ausstellung gezeigt, mit Kommentaren versehen. Die kühle Kamera des Fotografen Hans Grunert folgt einer anderen Idee. Sie weist die assoziative Verknüpfung der Dinge mit dem Leben und Werk des Autors nicht ab. Aber sie zeigt die Dinge als Objekte, die aus seiner Obhut entlassen sind, als visuelle Inventarliste eines Nachlasses. Vor dem Hintergrund des immergleichen hellgrauen Rechtecks gewinnen sie ein ästhetisches Eigenleben. Die Streichhölzer in der runden Schale des kleinen bronzenen Aschenbechers und die rostigen Nägel liegen wie Mikadostäbe übereinander, der Heizlüfter, der zusammengelegte Klapphocker und der gefaltete dreibeinige Sitzstuhl sehen aus wie objets trouvés. Ja, alle diese Dinge entstammen der Werkstatt von Günter Grass. Aber zugleich dem Atelier des Fotografen Hans Grunert.
LOTHAR MÜLLER
Hans Grunert: Was übrig bleibt. Die Werkstatt von Günter Grass. Mit einem Text von Heinrich Detering. Steidl Verlag, Göttingen 2023. 128 Seiten, 35 Euro.
Der Reiseaquarellkasten
aus dem Nachlass des
Schriftstellers und Malers Günter Grass.

Foto: Hans Grunert/Steidl
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