Es gibt ein Versprechen, abgegeben viele Jahre zuvor: Wer als Erster in der großen Stadt Fuß fasst, zieht den anderen nach. Nun ist sie ihrem Freund über den Ozean gefolgt, erst einmal auf Probe in die ferne Metropole. Was als Neuanfang gedacht war, stellt sich aber als der Beginn eines Abschieds heraus. Da sind Gregors Überstunden und die abendliche Beklommenheit, wenn beide in der Dunkelheit nebeneinanderliegen. Und die Katze im Innenhof, die er füttert, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Getrieben von ihrer Sehnsucht nach vertrautem Terrain, wandert die Erzählerin tagsüber durch die winterlichen Straßen, auf der Suche nach den Indizien der Liebe und der früheren Intimität. Aber alles bleibt fremd, nichts kann mehr zugeordnet werden. Der Versuch, neue Rituale zu schaffen, scheitert, und an alte anzuknüpfen, scheint unmöglich. Sie tastet sich durch den Dunst der Februartage, seltsam in Watte gepackt, versucht mitzuhalten mit der Schnelligkeit der Stadt, wenn sie unvermittelt in ihren Rhythmus gezogen wird. Szenen ihrer ersten Monate steigen in ihr auf, als das Spiel der Körper noch die Grenzen zwischen ihnen aufzulösen schien und sie gemeinsamen Träumen nachhingen, als sie ihm die Unterlagen für die Greencard- Lotterie vorlegte in dem Glauben, ihrer Zukunft einen Schubs zu geben. Nun muss sie schmerzlich hinnehmen, wie er ihre Wärme ablehnt und sich in sich zurückzieht. Ein gemeinsamer Opernbesuch wird zum Fiasko. Es ist ein Atemanhalten, eine Stimmung zerbrechlich wie Glas. Bis zu dem Moment, als sie gemeinsam auf einer Party sind und eine Szene aus ihrer Erinnerung aufblitzt, der Augenblick, als vor einer geöffneten Kühlschranktür bereits alles unbemerkt zwischen ihnen zerbrach. Mit pointierter, klarer Sprache erschafft Britta Boerdner eine Gefühlswelt von hoher Authentizität, einen melancholischen Mikrokosmos innerhalb einer Weltstadt, in dessen Starre sich schon der Aufbruch ankündigt, und schildert in eindrücklichen Bildern den Moment, in dem eine Liebesbeziehung schweigend - im Verborgenen - zu Ende geht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2013Verlorene Kinder
Selbstgespräch einer Frau: Britta Boerdners Debüt
Sie begegnet sich in einer Schaufensterscheibe als "wattiertes Paket", ist aber nur "äußerlich unförmig" - unter aller Kleidung ist ihr "schmaler Sommerkörper" verborgen. Nur eben diesen Innenkörper will Freund Gregor nicht mehr, dessentwegen sie in "die große Stadt" gekommen ist, mit der New York gemeint ist. Denn dort wollten sie, getrieben von der Sehnsucht eines vergangenen Urlaubs, zusammenleben. Er hat bereits einen Job, sie soll nachkommen. Die Probewochen werden zur Endqual, nachts liegen sie unter der Decke "wie verlorene Kinder" und finden keine Nähe. Und dieser Gregor, der "schönste Mann der Welt", den sie für sich, an eine frühere, glücklichere Episode zurückdenkend, einmal "mein kleines, dunkles Mädchen" nennt, erscheint als arbeitswütiger Pedant, als anpackender Selfmade-Optimierer, als emotionaler Positivist, der sie ermahnt, sie solle ihre Zeit besser nutzen. Sie, namenlos, ist verloren in seiner Welt, es gibt nur seine Orte, seine Kollegen und Rituale, und alle ihre Versuche, Gemeinsamkeit zu knüpfen, schlagen fehl, die Sätze scheitern im Kopf, sie spricht sie nicht aus.
Britta Boerdner, die bisher Essays und Kurzgeschichten geschrieben hat, versucht sich in ihrem Debütroman "Was verborgen bleibt" an einer weiblichen Sprache der ins Körperliche verkehrten Metaphern. Die namenlose Ich-Erzählerin ist wie im Selbstgespräch, als würde sie sich zureden, mit sich aushandeln und verwundert, teils auch heiter, die Redewendungen der anderen, der Männer, der Kollegen, der Familie bestaunen, sie ungläubig weglegen und doch von ihnen bestimmt werden. "Du läufst rum wie Falschgeld", hieß es bei ihr zu Hause immer.
Es gibt keinen schiefen Satz in der Komposition; selbst die Stellen, die eigentlich die Grenze des Kitsches überschreiten, sind aufgehoben in diesem verlorenen Sprachbächlein. So zog "mit den Fragen die Kritik" ein und "als Antwort darauf die aufgeschlagene Sonntagszeitung beim Frühstückstisch". Britta Boerdners Sprachgefühl, das sie "beim" statt "am" Frühstückstisch schreiben lässt, rettet die Sätze. Das Klischee wirkt wie ein kaputter Talisman gegen das Unvermeidliche.
Die Stilmittel laufen trotzdem ins Leere; warum heißt es nicht einfach "New York" statt "die große Stadt"? Vielleicht befürchtet die Autorin, es könnte veraltet wirken oder kitschig, aber genau das ist ihr New-York-Bild: Die Stadt soll in ihrer universellen Anonymität Chiffre sein für eine Sehnsucht, für den großen Traum von Amerika, vom Rockefeller Center, von Parks und Pizzastücken, die nach Charakteren aus der Serie "Seinfeld" benannt sind. Aber New York ist keine solche Chiffre mehr und das Scheitern ein kleines, persönliches Scheitern, das schlottert in einer überdimensionierten Sprache wie der Körper der Protagonistin in Gregors "zu großem Pullover".
HANNAH LÜHMANN
Britta Boerdner: "Was verborgen bleibt". Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2012. 160 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selbstgespräch einer Frau: Britta Boerdners Debüt
Sie begegnet sich in einer Schaufensterscheibe als "wattiertes Paket", ist aber nur "äußerlich unförmig" - unter aller Kleidung ist ihr "schmaler Sommerkörper" verborgen. Nur eben diesen Innenkörper will Freund Gregor nicht mehr, dessentwegen sie in "die große Stadt" gekommen ist, mit der New York gemeint ist. Denn dort wollten sie, getrieben von der Sehnsucht eines vergangenen Urlaubs, zusammenleben. Er hat bereits einen Job, sie soll nachkommen. Die Probewochen werden zur Endqual, nachts liegen sie unter der Decke "wie verlorene Kinder" und finden keine Nähe. Und dieser Gregor, der "schönste Mann der Welt", den sie für sich, an eine frühere, glücklichere Episode zurückdenkend, einmal "mein kleines, dunkles Mädchen" nennt, erscheint als arbeitswütiger Pedant, als anpackender Selfmade-Optimierer, als emotionaler Positivist, der sie ermahnt, sie solle ihre Zeit besser nutzen. Sie, namenlos, ist verloren in seiner Welt, es gibt nur seine Orte, seine Kollegen und Rituale, und alle ihre Versuche, Gemeinsamkeit zu knüpfen, schlagen fehl, die Sätze scheitern im Kopf, sie spricht sie nicht aus.
Britta Boerdner, die bisher Essays und Kurzgeschichten geschrieben hat, versucht sich in ihrem Debütroman "Was verborgen bleibt" an einer weiblichen Sprache der ins Körperliche verkehrten Metaphern. Die namenlose Ich-Erzählerin ist wie im Selbstgespräch, als würde sie sich zureden, mit sich aushandeln und verwundert, teils auch heiter, die Redewendungen der anderen, der Männer, der Kollegen, der Familie bestaunen, sie ungläubig weglegen und doch von ihnen bestimmt werden. "Du läufst rum wie Falschgeld", hieß es bei ihr zu Hause immer.
Es gibt keinen schiefen Satz in der Komposition; selbst die Stellen, die eigentlich die Grenze des Kitsches überschreiten, sind aufgehoben in diesem verlorenen Sprachbächlein. So zog "mit den Fragen die Kritik" ein und "als Antwort darauf die aufgeschlagene Sonntagszeitung beim Frühstückstisch". Britta Boerdners Sprachgefühl, das sie "beim" statt "am" Frühstückstisch schreiben lässt, rettet die Sätze. Das Klischee wirkt wie ein kaputter Talisman gegen das Unvermeidliche.
Die Stilmittel laufen trotzdem ins Leere; warum heißt es nicht einfach "New York" statt "die große Stadt"? Vielleicht befürchtet die Autorin, es könnte veraltet wirken oder kitschig, aber genau das ist ihr New-York-Bild: Die Stadt soll in ihrer universellen Anonymität Chiffre sein für eine Sehnsucht, für den großen Traum von Amerika, vom Rockefeller Center, von Parks und Pizzastücken, die nach Charakteren aus der Serie "Seinfeld" benannt sind. Aber New York ist keine solche Chiffre mehr und das Scheitern ein kleines, persönliches Scheitern, das schlottert in einer überdimensionierten Sprache wie der Körper der Protagonistin in Gregors "zu großem Pullover".
HANNAH LÜHMANN
Britta Boerdner: "Was verborgen bleibt". Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2012. 160 S., geb., 18,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bisher hatte Britta Boerdner Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht, jetzt ist ihr Debütroman "Was verborgen bleibt" erschienen, berichtet Hannah Lühmann. Wie im Selbstgespräch erzählt eine namenlose Ich-Erzählerin von New York, der "großen Stadt" wie es bei Boerdner nur heißt, von ihrem Freund Gregor, dessentwegen sie überhaupt dorthin gezogen ist, und von ihrer Verlorenheit in einer Welt, die aus Ritualen und einer Sprache besteht, die ihr fremd sind. Lühmann lobt das große Sprachgefühl der Autorin und auch ihr Spiel mit einer "weiblichen Sprache" der ins körperliche übergreifenden Metaphern. Allerdings läuft die Stilkunst meist ins Leere, bedauert die Rezensentin: die Assoziationsräume, die Boerdner aufmache, werden von ihrer Protagonistin nicht ausgefüllt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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