Ein amerikanischer Expat betritt die öffentlichen Toiletten des Kulturpalasts von Sofia, Bulgarien. Dort unten, wo niemand einfach so hingeht, trifft er Mitko, der Charisma ausstrahlt und Gefahr. Der Amerikaner bezahlt Mitko für Sex und trifft ihn danach immer wieder, gefangen in seinem Begehren und in einer Beziehung, in der Zärtlichkeit umzuschlagen droht in Gewalt. Und während er sich seiner komplizierten Vergangenheit stellen muss, kann er weder seinem Verlangen entkommen noch den Privilegien als Ausländer, die ihn von Mitko trennen. "Was zu dir gehört" ist ein tiefberührender Roman über die Macht von Scham und Sehnsucht. Und über eine Liebe entgegen jeder Wahrscheinlichkeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2018Schreiben, was man lebt
Fremdheit als Masche: Garth Greenwell erkundet im Roman "Was zu dir gehört" schwules Selbstverständnis
Es gibt nur einen einzigen ausgeschriebenen Namen in diesem Roman: den von Mitko, dem bulgarischen Geliebten des Ich-Erzählers, eines amerikanischen Lehrers an einer englischsprachigen Privatoberschule in Sofia. Alle anderen handelnden Personen werden zu Buchstaben abgekürzt oder tragen, wie der Ich-Erzähler, gleich gar keine Namen. Von Mitko dagegen erfahren wir sogar zwei, denn nach 230 Seiten wird noch sein Kosename preisgegeben - kurz bevor nicht nur das Buch zu Ende geht, sondern auch die zweijährige Beziehung.
Bulgarien ist kein Land, in dem Homosexualität wohlgelitten wäre, entsprechend riskant ist die Liebschaft zwischen dem aus einem diesbezüglich eher liberal eingestellten Staat stammenden Fremden und dem einheimischen jüngeren Mann, der sich sein Geld als Stricher verdient - und wohl auch gelegentlich als Erpresser seiner Kunden. Doch von Seiten des Amerikaners ist echte Liebe mit im Spiel, und damit gibt es noch mehr Nachteile von käuflichem Sex, worüber er sich früh klar wird: "Ich fragte mich, wie es passieren konnte, dass ich einer jener Männer im Dunkeln geworden war, die darbringen, was man ihnen abverlangt, um zu erhalten, was man ihnen nicht aus freien Stücken gibt."
Dass der Roman autobiographisch grundiert ist, kann man rasch an der Vita seines Verfassers, des 1978 geborenen Garth Greenwell, ablesen, der wie der Ich-Erzähler bereits als Dichter reüssierte, bevor er einige Jahre am American College of Sofia unterrichtet hat. Greenwell machte sich zudem in Bulgarien für die Rechte von Homosexuellen stark. Lehre und politisches Engagement stehen aber nicht zur Debatte in "Was zu dir gehört"; das Buch ist der innere Erfahrungsbericht eines in vielerlei Hinsicht Entfremdeten, der seine geistige wie sexuelle Identität an einem Jugenderlebnis festmacht, dem Fasziniertsein von einem schönen Mitschüler, der sich aber einem engen Verhältnis versagte: "Ich glaube, das ist es, wonach ich seither immer gesucht habe, diese Mischung aus Ausgeschlossensein und Begehren, die ich dort in diesem Zimmer erfuhr; der Schmerz des Ausgeschlossenseins und die Lust des Begehrens - manchmal glaube ich, es ist das Einzige, wonach ich je gesucht habe." Als Amerikaner in Sofia findet er es nun.
"What Belongs to You" heißt der Roman im Original - was den Übersetzer Daniel Schreiber und den Verlag vor die interessante Wahl gestellt hat, ob er als "Was dir gehört" oder eben "Was zu dir gehört" zu übertragen wäre. Mit der Entscheidung für die Zugehörigkeit wird die zurückhaltendere Variante gewählt; die auch in diesem Buch beschriebene körperliche Gier nach dem anderen Mann, eine regelrechte Einverleibung, tritt zurück hinter die passivere Haltung, die aber zugleich Unteilbarkeit für sich in Anspruch nimmt - ein Traum, der in den bulgarischen Jahren zerstört wird durch die Konfrontation mit einer doppelt anderen Lebenswirklichkeit: der des für den Ich-Erzähler rätselhaften Landes und der des schon in seiner Jugend zum Scheitern verdammten Mitko.
Das Buch erscheint jetzt bei Hanser Berlin, zwei Jahre nachdem es in den Vereinigten Staaten Aufsehen erregt hat. Der deutsche Verlag will damit an den vorjährigen Erfolg von Hanya Yanagiharas Roman "Ein wenig Leben" anknüpfen, der auch eine schwule Liebesgeschichte erzählt, allerdings über Jahrzehnte hinweg und geschrieben von einer Frau. Für den Umschlag der deutschen Ausgabe hat man eigens ein weiteres markantes Foto von Peter Hujar ausgewählt, nachdem dessen Coverabbildung bei Yanagiharas Buch geradezu stilbildend geworden ist. Doch viel größere inhaltliche wie stilistische Ähnlichkeiten bestehen zwischen Greenwell und dem jungen französischen Schriftsteller Édouard Louis. Dessen gleichfalls stark autobiographische Romane "Das Ende von Eddy" und "Im Herzen der Gewalt" erschienen in Amerika erst nach Greenwells Buch; in Deutschland dagegen kennen wir sie schon, und das wird die Rezeption von Greenwells Buch hierzulande berechtigt erschweren.
Nicht nur, dass beide Autoren dasselbe Thema haben - eine bis zur Grausamkeit gegen sich selbst geschärfte Reflexion über die eigene schwule Existenz -, ihre Erzähler machen auch die gleichen Erfahrungen, vor allem, was Louis' "Im Herzen der Gewalt" angeht, in dem sich ebenfalls eine spontan begonnene Liebschaft als traumatisches Erlebnis erweist, wenn auch im Falle des Franzosen schon nach einer Nacht, während die Desillusionierung bei Greenwell Jahre braucht. Beide wählen zudem eine ähnlich stark verinnerlichte Sprache, doch der Zugang zu Greenwells Geschichte wird erschwert durch den Exotismus ihres Schauplatzes: Wer kennte Bulgarien? Das im Buch beschriebene Fremdheitsgefühl ist somit eines, das seine Leser, homosexuell oder nicht, geradezu notgedrungen teilen, während das Faszinosum bei Louis in der präzisen Beschreibung einer anderen Existenzform unter denkbar vertrauten Bedingungen (Paris) besteht. Es ist übrigens das gleiche Faszinosum, das die Lektüre von Hanya Yanagiharas größtenteils in New York angesiedeltem Buch erzeugt, dort noch vermehrt durch die Tatsache, dass es sich um reine Imagination handelt, die dennoch glaubwürdig und mitreißend in einem Maße wirkt, wie es sich die Fürsprecher literarischer Authentizität (und damit auch Exklusivität) nicht hätten träumen lassen.
Mit Garth Greenwell (und auch bei Louis) sind wir dagegen in partizipativer Betrachtung auf vertrautem Terrain: schreiben, was man lebt. Das ist gewiss keine kleine Leistung, und "Was zu dir gehört" ist kein schlechter Roman. Aber wenn man jene Stellen nimmt, die das Aufblitzen von Gewalt zum Thema haben, oder jene, die sich dem Unverständnis der eigenen Familie widmen, dann kann man im Vergleich mit Édouard Louis' Büchern mustergültig Greenwells Manko an Intensität herausarbeiten.
Auch die Verschränkung der Erinnerungen mit dem aktuellen Geschehen erfolgt viel willkürlicher, viel mehr beschreibungsreizgesteuert als literarisch versiert. Und nicht zuletzt bleibt über die ganze Lektüre hinweg das schale Gefühl, dass es ein Kinderspiel für den Ich-Erzähler von "Was zu dir gehört" wäre, sich seiner Situation zu entziehen. Er ist einer, der die Befremdung sucht, aber die Rückversicherung einer Existenz als Amerikaner in Osteuropa hat, eines geistigen Vermögens als Intellektueller, eines materiellen Vermögens als Angestellter. All das also, was Mitko nie haben wird. Auch darüber wird reflektiert, aber es ist selbstverständlich, und Mitkos Existenz ist gerade alles andere als dies. Darum ist er auch die interessantere Figur, aber das hat Greenwells Ich-Erzähler nicht gemerkt. Der Autor selbst wohl auch nicht.
ANDREAS PLATTHAUS
Garth Greenwell:
"Was zu dir gehört". Roman.
Aus dem Englischen
von Daniel Schreiber.
Hanser Berlin Verlag,
Berlin 2018.
239 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fremdheit als Masche: Garth Greenwell erkundet im Roman "Was zu dir gehört" schwules Selbstverständnis
Es gibt nur einen einzigen ausgeschriebenen Namen in diesem Roman: den von Mitko, dem bulgarischen Geliebten des Ich-Erzählers, eines amerikanischen Lehrers an einer englischsprachigen Privatoberschule in Sofia. Alle anderen handelnden Personen werden zu Buchstaben abgekürzt oder tragen, wie der Ich-Erzähler, gleich gar keine Namen. Von Mitko dagegen erfahren wir sogar zwei, denn nach 230 Seiten wird noch sein Kosename preisgegeben - kurz bevor nicht nur das Buch zu Ende geht, sondern auch die zweijährige Beziehung.
Bulgarien ist kein Land, in dem Homosexualität wohlgelitten wäre, entsprechend riskant ist die Liebschaft zwischen dem aus einem diesbezüglich eher liberal eingestellten Staat stammenden Fremden und dem einheimischen jüngeren Mann, der sich sein Geld als Stricher verdient - und wohl auch gelegentlich als Erpresser seiner Kunden. Doch von Seiten des Amerikaners ist echte Liebe mit im Spiel, und damit gibt es noch mehr Nachteile von käuflichem Sex, worüber er sich früh klar wird: "Ich fragte mich, wie es passieren konnte, dass ich einer jener Männer im Dunkeln geworden war, die darbringen, was man ihnen abverlangt, um zu erhalten, was man ihnen nicht aus freien Stücken gibt."
Dass der Roman autobiographisch grundiert ist, kann man rasch an der Vita seines Verfassers, des 1978 geborenen Garth Greenwell, ablesen, der wie der Ich-Erzähler bereits als Dichter reüssierte, bevor er einige Jahre am American College of Sofia unterrichtet hat. Greenwell machte sich zudem in Bulgarien für die Rechte von Homosexuellen stark. Lehre und politisches Engagement stehen aber nicht zur Debatte in "Was zu dir gehört"; das Buch ist der innere Erfahrungsbericht eines in vielerlei Hinsicht Entfremdeten, der seine geistige wie sexuelle Identität an einem Jugenderlebnis festmacht, dem Fasziniertsein von einem schönen Mitschüler, der sich aber einem engen Verhältnis versagte: "Ich glaube, das ist es, wonach ich seither immer gesucht habe, diese Mischung aus Ausgeschlossensein und Begehren, die ich dort in diesem Zimmer erfuhr; der Schmerz des Ausgeschlossenseins und die Lust des Begehrens - manchmal glaube ich, es ist das Einzige, wonach ich je gesucht habe." Als Amerikaner in Sofia findet er es nun.
"What Belongs to You" heißt der Roman im Original - was den Übersetzer Daniel Schreiber und den Verlag vor die interessante Wahl gestellt hat, ob er als "Was dir gehört" oder eben "Was zu dir gehört" zu übertragen wäre. Mit der Entscheidung für die Zugehörigkeit wird die zurückhaltendere Variante gewählt; die auch in diesem Buch beschriebene körperliche Gier nach dem anderen Mann, eine regelrechte Einverleibung, tritt zurück hinter die passivere Haltung, die aber zugleich Unteilbarkeit für sich in Anspruch nimmt - ein Traum, der in den bulgarischen Jahren zerstört wird durch die Konfrontation mit einer doppelt anderen Lebenswirklichkeit: der des für den Ich-Erzähler rätselhaften Landes und der des schon in seiner Jugend zum Scheitern verdammten Mitko.
Das Buch erscheint jetzt bei Hanser Berlin, zwei Jahre nachdem es in den Vereinigten Staaten Aufsehen erregt hat. Der deutsche Verlag will damit an den vorjährigen Erfolg von Hanya Yanagiharas Roman "Ein wenig Leben" anknüpfen, der auch eine schwule Liebesgeschichte erzählt, allerdings über Jahrzehnte hinweg und geschrieben von einer Frau. Für den Umschlag der deutschen Ausgabe hat man eigens ein weiteres markantes Foto von Peter Hujar ausgewählt, nachdem dessen Coverabbildung bei Yanagiharas Buch geradezu stilbildend geworden ist. Doch viel größere inhaltliche wie stilistische Ähnlichkeiten bestehen zwischen Greenwell und dem jungen französischen Schriftsteller Édouard Louis. Dessen gleichfalls stark autobiographische Romane "Das Ende von Eddy" und "Im Herzen der Gewalt" erschienen in Amerika erst nach Greenwells Buch; in Deutschland dagegen kennen wir sie schon, und das wird die Rezeption von Greenwells Buch hierzulande berechtigt erschweren.
Nicht nur, dass beide Autoren dasselbe Thema haben - eine bis zur Grausamkeit gegen sich selbst geschärfte Reflexion über die eigene schwule Existenz -, ihre Erzähler machen auch die gleichen Erfahrungen, vor allem, was Louis' "Im Herzen der Gewalt" angeht, in dem sich ebenfalls eine spontan begonnene Liebschaft als traumatisches Erlebnis erweist, wenn auch im Falle des Franzosen schon nach einer Nacht, während die Desillusionierung bei Greenwell Jahre braucht. Beide wählen zudem eine ähnlich stark verinnerlichte Sprache, doch der Zugang zu Greenwells Geschichte wird erschwert durch den Exotismus ihres Schauplatzes: Wer kennte Bulgarien? Das im Buch beschriebene Fremdheitsgefühl ist somit eines, das seine Leser, homosexuell oder nicht, geradezu notgedrungen teilen, während das Faszinosum bei Louis in der präzisen Beschreibung einer anderen Existenzform unter denkbar vertrauten Bedingungen (Paris) besteht. Es ist übrigens das gleiche Faszinosum, das die Lektüre von Hanya Yanagiharas größtenteils in New York angesiedeltem Buch erzeugt, dort noch vermehrt durch die Tatsache, dass es sich um reine Imagination handelt, die dennoch glaubwürdig und mitreißend in einem Maße wirkt, wie es sich die Fürsprecher literarischer Authentizität (und damit auch Exklusivität) nicht hätten träumen lassen.
Mit Garth Greenwell (und auch bei Louis) sind wir dagegen in partizipativer Betrachtung auf vertrautem Terrain: schreiben, was man lebt. Das ist gewiss keine kleine Leistung, und "Was zu dir gehört" ist kein schlechter Roman. Aber wenn man jene Stellen nimmt, die das Aufblitzen von Gewalt zum Thema haben, oder jene, die sich dem Unverständnis der eigenen Familie widmen, dann kann man im Vergleich mit Édouard Louis' Büchern mustergültig Greenwells Manko an Intensität herausarbeiten.
Auch die Verschränkung der Erinnerungen mit dem aktuellen Geschehen erfolgt viel willkürlicher, viel mehr beschreibungsreizgesteuert als literarisch versiert. Und nicht zuletzt bleibt über die ganze Lektüre hinweg das schale Gefühl, dass es ein Kinderspiel für den Ich-Erzähler von "Was zu dir gehört" wäre, sich seiner Situation zu entziehen. Er ist einer, der die Befremdung sucht, aber die Rückversicherung einer Existenz als Amerikaner in Osteuropa hat, eines geistigen Vermögens als Intellektueller, eines materiellen Vermögens als Angestellter. All das also, was Mitko nie haben wird. Auch darüber wird reflektiert, aber es ist selbstverständlich, und Mitkos Existenz ist gerade alles andere als dies. Darum ist er auch die interessantere Figur, aber das hat Greenwells Ich-Erzähler nicht gemerkt. Der Autor selbst wohl auch nicht.
ANDREAS PLATTHAUS
Garth Greenwell:
"Was zu dir gehört". Roman.
Aus dem Englischen
von Daniel Schreiber.
Hanser Berlin Verlag,
Berlin 2018.
239 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Karin Janker bewundert Garth Greenwells Debütroman für seine gelungene Gratwanderung zwischen Kitsch und wahrer Betroffenheit. Nahe geht ihr die Geschichte eines amerikanischen Expats, der in Sofia das schwule Leben im Untergrund kennenlernt, aufgrund der intensiven, sprachlich kontrollierten Darstellung von Begehren, Sex und Macht, Ohnmacht und Schuld. Dass die psychologisch präzise Analyse der Verbindung von schwulem Begehren, Scham und Schande nie in Larmoyanz abgleitet, rechnet sie Greenwell hoch an.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Greenwell wurde mit James Baldwin und Alan Hollinghurst, mit Virginia Woolf und W. G. Sebald verglichen, und immer wieder heißt es: 'Der große schwule Roman unserer Zeit.'« Hannah Lühmann WELT AM SONNTAG 20190512