Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.1997Schnaps und Welt
Johannes Kühns Gasthausgedichte · Von Sabine Brandt
Aus dem Nachwort der Herausgeber erfährt man, daß Johannes Kühn, geboren 1934, gern eine größere Anzahl Gedichte um jeweils ein Motiv kreisen läßt. Und daß sein Verleger sich für den vierten Band des Dichters zur Abwechslung einmal Variationen zum Thema Gasthaus wünschte. Kühn entsprach dem Wunsch, und also sind die achtundsiebzig Gedichte des vorliegenden Bandes alle auf Bestellung geschrieben worden. Wie wirkt ein solcher Umstand sich auf Dichtung aus?
In der Regel wohl nicht sonderlich positiv. Kühn jedoch bricht diese Regel, er hat sich, als er seine Verse schrieb, nicht um den Besteller gekümmert. Unbefangen informiert und unterhält, erschreckt oder erheitert er seine Leser, vor allem aber liebkost er ihre Sinne durch eine geschmeidige Sprache. Die stamme, sagen die Herausgeber, "von Hölderlin, Mörike und Trakl, von Heym, Bobrowski und manchmal auch Brecht". Ein beachtliches Kollegium von Erblassern, die sich aber weder kollektiv noch individuell in den Vordergrund drängen. Wie sein Gedichtband bezeugt, weiß Kühn mit dem ererbten Pfund zu wuchern.
Das Gasthaus, das er vor uns lebendig werden läßt, steht in seinem Wohnort, dem saarländischen Dorfe Hasborn. Dort leben Bauern und Bergleute, ihre Arbeit ist schwer. Nach dem Tagwerk hocken sie am Tresen, schütten Bier über ihren Alltag und Schnaps über das Weltgeschehen. Der Wirt, in der Schule des Zuhörens schlau geworden, gibt Bescheid über die trinkenden Männer. Etwa so: "Der gute Gast, / der kommt und zahlt, nachdem er leergetrunken. Amen. / Wie ein Gebet vollzieht sich der Besuch des Gasts, des zahmen." Vom Stammgast weiß er: "Vorgewärmt von gestern noch der Sitz / im stilleren Winkel. Das Gasthaus stirbt nicht aus / an langen Tagen des Winters. / Die Mauer Vergangenheit / wird aufgeschlossen. / Sieben Glas hat er getrunken / in seinem Winkel / und torkelt heimwärts."
Verirrt sich ein Fremder an die Theke, fällt Stille über die Saufrunde: "Und du bestellst, / und sie warten, / wen wirst du hier als Freund erkennen, / mit dem du in Arbeit warst / vor kurzen Zeiten noch, / wen willst du besuchen / in einem der Häuser? / Ein Schweigen wie aus Wäldern ist im Raum."
Noch während die Personnage der Bühne Gasthaus aufgebaut wird, schauen wir schon in die Seelen, und wenn wir alle Typen kennengelernt haben, ist uns nicht mehr viel verborgen. "Manchem schießt Kraft in die Arme, / um Löwen auf den Rücken zu werfen, / und er meint, einen Kornwagen ziehn / könnt er wie Pferde", weiß der Autor und warnt: "Ich geh ihm aus dem Weg / und du wohl auch." Ein Trinker beschwört seine Flasche: "Opfere dich, / fließ aus, / werde Brunnen, / sitzt Ehrgeiz in die, / aber ich laß dich zerklirren, / am Holztisch zerschlag ich deinen Hals." Mancher Gast schleppt seine persönlichen Dämonen mit in den Bierdunst: ,Es kam auch einmal einer / mit einem Stahlhelm in der Hand, / den trug sein Sohn / beim Vormarsch im Westen, / ein Granatsplitterloch / zeigte der Vater weinend . . ." Ein andermal kommt ein Krebskranker: "Er weiß, daß er stirbt, / wählte die Nacht, / den Abschied zu mildern. / Er will die Augen / für immer schließen / am Ende des Monats. / Man hats ihm gesagt, / man hats ihm gesagt."
Aus Geschwätz und Gespräch, Arbeitsfleiß und Alltagsflucht, nüchternen Einsichten und alkoholisierten Träumen formt sich, Vers um Vers, ein Kosmos, quirlend vom Leben. Ein dörflicher Kleinkosmos zwar, doch das ist keine Einschränkung, das Dorf dient als Modell für die Menschenwelt schlechthin. Wohl nicht zufällig hat der Autor Kühn im Umgang mit Land und Leuten jedes Lokalkolorit, jede mundartliche Färbung beiseite gelassen. Er meint uns alle, und auf die eine oder andere Weise sind wir auch alle getroffen.
Johannes Kühn, so vermeldet es sein Verlag in einer Nachbemerkung, ist in den vergangenen Jahren für seine Dichtung viermal ausgezeichnet worden. Die einschlägigen Lexika jedoch schweigen über diesen Dichter. Er ist ein Geheimtip, der es verdient, zum Tip zu avancieren.
Johannes Kühn: "Wasser genügt nicht". Gasthausgedichte. Hrsg. von Irmgard und Benno Rech. Carl Hanser Verlag, München 1997. 136 S., geb., 26,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Johannes Kühns Gasthausgedichte · Von Sabine Brandt
Aus dem Nachwort der Herausgeber erfährt man, daß Johannes Kühn, geboren 1934, gern eine größere Anzahl Gedichte um jeweils ein Motiv kreisen läßt. Und daß sein Verleger sich für den vierten Band des Dichters zur Abwechslung einmal Variationen zum Thema Gasthaus wünschte. Kühn entsprach dem Wunsch, und also sind die achtundsiebzig Gedichte des vorliegenden Bandes alle auf Bestellung geschrieben worden. Wie wirkt ein solcher Umstand sich auf Dichtung aus?
In der Regel wohl nicht sonderlich positiv. Kühn jedoch bricht diese Regel, er hat sich, als er seine Verse schrieb, nicht um den Besteller gekümmert. Unbefangen informiert und unterhält, erschreckt oder erheitert er seine Leser, vor allem aber liebkost er ihre Sinne durch eine geschmeidige Sprache. Die stamme, sagen die Herausgeber, "von Hölderlin, Mörike und Trakl, von Heym, Bobrowski und manchmal auch Brecht". Ein beachtliches Kollegium von Erblassern, die sich aber weder kollektiv noch individuell in den Vordergrund drängen. Wie sein Gedichtband bezeugt, weiß Kühn mit dem ererbten Pfund zu wuchern.
Das Gasthaus, das er vor uns lebendig werden läßt, steht in seinem Wohnort, dem saarländischen Dorfe Hasborn. Dort leben Bauern und Bergleute, ihre Arbeit ist schwer. Nach dem Tagwerk hocken sie am Tresen, schütten Bier über ihren Alltag und Schnaps über das Weltgeschehen. Der Wirt, in der Schule des Zuhörens schlau geworden, gibt Bescheid über die trinkenden Männer. Etwa so: "Der gute Gast, / der kommt und zahlt, nachdem er leergetrunken. Amen. / Wie ein Gebet vollzieht sich der Besuch des Gasts, des zahmen." Vom Stammgast weiß er: "Vorgewärmt von gestern noch der Sitz / im stilleren Winkel. Das Gasthaus stirbt nicht aus / an langen Tagen des Winters. / Die Mauer Vergangenheit / wird aufgeschlossen. / Sieben Glas hat er getrunken / in seinem Winkel / und torkelt heimwärts."
Verirrt sich ein Fremder an die Theke, fällt Stille über die Saufrunde: "Und du bestellst, / und sie warten, / wen wirst du hier als Freund erkennen, / mit dem du in Arbeit warst / vor kurzen Zeiten noch, / wen willst du besuchen / in einem der Häuser? / Ein Schweigen wie aus Wäldern ist im Raum."
Noch während die Personnage der Bühne Gasthaus aufgebaut wird, schauen wir schon in die Seelen, und wenn wir alle Typen kennengelernt haben, ist uns nicht mehr viel verborgen. "Manchem schießt Kraft in die Arme, / um Löwen auf den Rücken zu werfen, / und er meint, einen Kornwagen ziehn / könnt er wie Pferde", weiß der Autor und warnt: "Ich geh ihm aus dem Weg / und du wohl auch." Ein Trinker beschwört seine Flasche: "Opfere dich, / fließ aus, / werde Brunnen, / sitzt Ehrgeiz in die, / aber ich laß dich zerklirren, / am Holztisch zerschlag ich deinen Hals." Mancher Gast schleppt seine persönlichen Dämonen mit in den Bierdunst: ,Es kam auch einmal einer / mit einem Stahlhelm in der Hand, / den trug sein Sohn / beim Vormarsch im Westen, / ein Granatsplitterloch / zeigte der Vater weinend . . ." Ein andermal kommt ein Krebskranker: "Er weiß, daß er stirbt, / wählte die Nacht, / den Abschied zu mildern. / Er will die Augen / für immer schließen / am Ende des Monats. / Man hats ihm gesagt, / man hats ihm gesagt."
Aus Geschwätz und Gespräch, Arbeitsfleiß und Alltagsflucht, nüchternen Einsichten und alkoholisierten Träumen formt sich, Vers um Vers, ein Kosmos, quirlend vom Leben. Ein dörflicher Kleinkosmos zwar, doch das ist keine Einschränkung, das Dorf dient als Modell für die Menschenwelt schlechthin. Wohl nicht zufällig hat der Autor Kühn im Umgang mit Land und Leuten jedes Lokalkolorit, jede mundartliche Färbung beiseite gelassen. Er meint uns alle, und auf die eine oder andere Weise sind wir auch alle getroffen.
Johannes Kühn, so vermeldet es sein Verlag in einer Nachbemerkung, ist in den vergangenen Jahren für seine Dichtung viermal ausgezeichnet worden. Die einschlägigen Lexika jedoch schweigen über diesen Dichter. Er ist ein Geheimtip, der es verdient, zum Tip zu avancieren.
Johannes Kühn: "Wasser genügt nicht". Gasthausgedichte. Hrsg. von Irmgard und Benno Rech. Carl Hanser Verlag, München 1997. 136 S., geb., 26,- DM.
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