Ich liebe die Bücher von Thomas Brussig und in der Verfilmung von Sonnenallee könnte ich mitspielen, weil ich sie so oft gesehen habe. Als Kind der DDR habe ich viel von dem, was er beschreibt, selbst erlebt. Deshalb war ich auch neugierig auf sein neues (altes) Buch „Wasserfarben“, dass bereits
1991 unter einem Pseudonym ebenfalls im Aufbau Verlag veröffentlicht wurde.
Anton ist im letzten…mehrIch liebe die Bücher von Thomas Brussig und in der Verfilmung von Sonnenallee könnte ich mitspielen, weil ich sie so oft gesehen habe. Als Kind der DDR habe ich viel von dem, was er beschreibt, selbst erlebt. Deshalb war ich auch neugierig auf sein neues (altes) Buch „Wasserfarben“, dass bereits 1991 unter einem Pseudonym ebenfalls im Aufbau Verlag veröffentlicht wurde.
Anton ist im letzten Schuljahr auf der EOS (erweiterte Oberschule), die er mit dem Abitur abschließen wird. Genau genommen geht es um den Zeitraum von November, als er erfährt, dass er aufgrund seiner Westverwandtschaft den gewünschten Studienplatz nicht bekommen wird, bis zur Zeugnisausgabe im Juni. Die Schulen waren Kaderschmieden, alles bis ins kleinste Detail politisiert und durchgeplant, und als Antons Traum nun platzt und er keinen neuen Plan entwickelt, bekommt er echte Probleme. Schließlich war es eine Auszeichnung, auf eine EOS gehen zu dürfen und die Plätze hart umkämpft. Dafür erwartete der Staat natürlich eine Gegenleistung - bei den Jungs gerne eine mehrjährige Verpflichtung zur Volksarmee. Und genau dem entzieht sich Anton. Er macht in der Schule nur das Notwendigste, um die Prüfungen zu bestehen, mit Mädels läuft es auch nicht so richtig und sein großer Bruder, sein Vorbild, ist (mental) zu weit entfernt, um ihm zu helfen. Also muss Anton allein mit den großen Sinnfragen fertig werden.
Auch in „Wasserfarben“ erkennt man sofort den „echten Brussig“. Es klingt wie ein Vorläufer, in der Malerei würde man sagen eine Studie, zum „Kürzeren Ende der Sonnenallee“ (in der übrigens auch der Protagonist wohnt). Antons Jugend ist irgendwie verkorkst, er ist plötzlich ziellos, hat nicht viele Freunde, grenzt sich immer mehr ab. Es wird für meinen Geschmack zu viel geschwafelt und bisweilen etwas wirr diskutiert – eine Stelle erinnert stark an die Drogenszene aus Sonnenallee. Die ersten Sinn- und Schaffenskrisen wirkten mir durch pseudointellektuelles Gequatsche zu sehr polemisiert. Aber so ist man in der Jugend wahrscheinlich wirklich, wir haben es nur schon erfolgreich verdrängt. Trotzdem hat mich das Buch gut unterhalten, aber eben nicht durchgängig.
Für wen ist das Buch? Gute Frage. Kennt jemand, der nicht aus der DDR stammt, die Begriffe „EOS“, „StaBü“ oder „ABV“? (Hier wäre eine Erklärung am Ende des Buches vielleicht ganz nützlich gewesen.) Kann er sich in diese Zeit überhaupt hineinversetzen? Weiß er, wie sich die ständige Beeinflussung von oben anfühlt, so indirekt sie auch gewesen sein mag?! All das gibt Thomas Brussig hier sehr anschaulich wieder. Klar, auch wir fühlten uns jung und im Rahmen unserer Grenzen frei, aber wir wussten auch, was von uns erwartet wurde. Ich denke, jemand ohne diese Erfahrungen oder Vorkenntnisse wird das Buch nicht, oder zumindest anders verstehen als ich – weil er sich in viele der hier geschilderte Situationen einfach nicht hineinversetzen kann.
„Wasserfarben“ ist m.E. Brussigs sehr persönliche Abrechnung mit dem Schulsystem der DDR und setzt ein gewisses Alter voraus. Es ist ein Buch für für echte Fans oder solche, die sich (wieder mal?) mit diesem Thema beschäftigen möchten, nichts für zwischendurch oder zum weglesen. Mich hat es aber sehr nachhaltig beschäftigt und dazu gebracht, mich mal wieder mit meiner Herkunft auseinander zu setzen - eine wirklich abgefahrene Zeitreise in meine Jugend.